Der soziokulturelle Wandel in unserer Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt und verändert tief greifend Struktur und Kultur des Alltags. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist dieser Wandel so frühzeitig und deutlich spürbar wie bei Jugendlichen. Im Zuge der Ästhetisierung des Alltags werden Mode, Musikgeschmack, Accessoires und IT-Equipment immer bedeutsamer, da sie besonders Jugendlichen dabei helfen, sich in einer komplexer werdenden Gesellschaft zu verorten. Wie man aussieht, welche Jeans, Schuhe und Mützen man trägt, welche Marken man bevorzugt, welche Produkte man besitzt, trägt dazu bei, das gewünschte Selbstbild nach außen zu vermitteln. Früher kauften Jugendliche einen Artikel einer bestimmten Marke, um andere zu beeindrucken, heute kaufen sie damit eine komplette Identität. Dabei bieten ihnen bekannte und starke Marken Sicherheit, Orientierung und Zugehörigkeit und werden deshalb als symbolisches Kommunikationsmittel verwendet. Ohne sprechen zu müssen, können mit Marken Gruppenzugehörigkeiten, Eigenschaften oder Zustände ausgedrückt werden. Man kauft heute im Grunde kein Handy, man kauft einen Lebensstil und die Voraussetzung dafür, dass andere einem diesen Stil zuschreiben.
Leitbilder und Modelle für die Ausformung und Stilisierung der persönlichen Identität finden Jugendliche häufig in den Medien. Dafür müssen sie sich allerdings oft erst einmal in die Symbolwelt der jeweiligen (Sub-)Kultur einarbeiten. Teilweise investieren sie viel Zeit, Geld und Aufmerksamkeit, um sich szenerelevantes Wissen, Kompetenzen und Praktiken anzueignen. Über dieses können sie sich dann von anderen Jugendlichen abgrenzen und soziale Anerkennung und Akzeptanz in der jeweiligen Peer Group erzielen.
Die Sinus-Lebenswelten der 14- bis 17-Jährigen
"Wie ticken Jugendliche?" Darüber gibt die Sinus-Jugendstudie u18 Auskunft, die für die Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen der Frage nachgeht, welche jugendlichen Lebenswelten es heute in Deutschland gibt und wie Jugendliche in diesen verschiedenen Welten ihren Alltag (er)leben. Das Sinus-Lebensweltenmodell u18 wurde auf der Basis von offenen Interviews (qualitative Einzelexplorationen), schriftlichen "Hausarbeitsheften" und Fotodokumentationen der jugendlichen Stilwelten entwickelt. Neben den klassischen soziodemografischen Merkmalen (vor allem Bildung und damit eng zusammenhängend die sozialen Verhältnisse der Familie) wurden insbesondere Wertorientierungen, Lebensstile und ästhetische Präferenzen, also die gesamte Lebenswelt der Jugendlichen, in den Blick genommen.
Lebensweltorientierte Zugänge sind in einer hochindividualisierten Gesellschaft unverzichtbar, weil soziale Zugehörigkeit heute nicht allein von schichtspezifischen Merkmalen geprägt wird, sondern insbesondere von gemeinsamen Grundwerten und Prinzipien der Lebensführung. Lebensweltanalysen gehen dabei weit über die Beschreibung der üblichen Jugendkulturen und -szenen hinaus. Auf Basis ihrer Vorstellungen, was wertvoll und erstrebenswert im Leben ist beziehungsweise sein könnte, wurden Jugendliche zusammengefasst, die sich in ihren Werten, ihrer grundsätzlichen Lebenseinstellung und Lebensweise sowie in ihrem Bildungsniveau ähnlich sind. Dabei konnten sieben Gruppen unterschieden werden: Konservativ-Bürgerliche, Adaptiv-Pragmatische, Sozialökologische, Prekäre, Materialistische Hedonisten, Experimentalistische Hedonisten und Expeditive.
Die Abbildung positioniert diese Gruppen in einem an das Sinus-Milieumodell angelehnten zweidimensionalen Achsensystem, in dem die vertikale Achse den Bildungsgrad und die horizontale Achse die normative Grundorientierung abbildet. Je höher eine Lebenswelt in dieser Grafik angesiedelt ist, desto gehobener ist die Bildung; je weiter rechts sie positioniert ist, desto moderner im soziokulturellen Sinn ist die Grundorientierung.
Die qualitative Analyse des Datenmaterials zeigt, dass sich jugendliche Lebenswelten in drei zentrale normative Grundorientierungen einordnen lassen – traditionell, modern und postmodern. Die traditionelle Grundorientierung steht für Werte, die sich an "Sicherheit und Suche nach Orientierung" ausrichten. Der modernen Grundorientierung liegen Werte zugrunde, die auf "Haben und Zeigen" (Status, Prestige) sowie auf "Sein und Verändern" (postmaterielle Werte) abzielen. Die postmoderne Grundorientierung bündelt die Wertedimensionen "Machen und Erleben" (Hedonismus) sowie "Grenzen überwinden und Sampeln" (Selbstfindung). Diese normativen Grundorientierungen sind dabei nicht als getrennte beziehungsweise trennende Kategorien zu verstehen. Die Weltbilder von Jugendlichen folgen heute weniger einer Entweder-oder-Logik als vielmehr einer Sowohl-als-auch-Logik. Charakteristisch ist eine Gleichzeitigkeit von auf den ersten Blick nur schwer zu vereinbarenden Werthaltungen.
So orientieren sich Jugendliche in postmodernen Lebenswelten beispielsweise auch an traditionellen Werten, wenn auch in deutlich geringerem Maße als Jugendliche in traditionellen Lebenswelten. Sie möchten "hart feiern", gleichzeitig aber auch "hart arbeiten" und zu den Besten in der Klasse zählen. Man möchte flexibel und frei, dabei gleichzeitig aber auch sicher und geborgen sein. Man möchte die Gegenwart genießen, dabei aber nicht die Zukunft aus den Augen verlieren. Dass sich Wertefelder überlappen, ist an den heller und dunkler werdenden Farbverläufen in der Abbildung zu erkennen. Im Folgenden werden die sieben Lebenswelten mit einem Schwerpunkt auf ihre Einstellung zu Mode genauer beschrieben.
Konservativ-Bürgerliche
Im Vergleich der Lebenswelten sind für Konservativ-Bürgerliche Anpassungs- und Ordnungswerte sowie Kollektivwerte (Gemeinschaft, Zusammenhalt) und – speziell in den westlichen Bundesländern – auch religiös geprägte Tugenden (Glaube, Hoffnung, Demut, Mäßigung, Rechtschaffenheit) am wichtigsten. Sie betonen eher Selbstdisziplinierung denn Selbstentfaltung. Diese Jugendlichen bezeichnen sich selbst als unauffällig, sozial, häuslich, heimatnah, gesellig und ruhig. Häufig empfinden sie sich für ihr Alter bereits sehr erwachsen und vernünftig. Konservativ-Bürgerliche protestieren nicht gegen die Erwachsenenwelt, sondern versuchen, möglichst schnell einen sicheren und anerkannten Platz darin zu finden. Die bewährte gesellschaftliche Ordnung stellen sie nicht infrage. Neuem stehen sie eher skeptisch und abwartend gegenüber und orientieren sich stark an bekannten Strukturen und Umfeldern. Für die Zukunft wünschen sie sich eine plan- und berechenbare "Normalbiografie" (Schule, Ausbildung, Beruf, Ehe, Kinder) und erachten Ehe und Familie als Grundpfeiler der Gesellschaft.
Diese Jugendlichen haben eine gebremste Konsumneigung. Mit Geld geht man sparsam und kontrolliert um, möchte es "nicht für irgend einen Schrott zum Fenster rausschmeißen". Auch die Affinität zu modischen Lifestyles ist in dieser Lebenswelt eher gering. Konservativ-bürgerliche Jugendliche haben kein Interesse beziehungsweise haben es nicht gelernt, sich über Äußerlichkeiten zu profilieren. Ständig den aktuellen Trends hinterherzurennen und Neues auszuprobieren, ist nicht ihre Sache. Mit dem "Markenhype" anderer Jugendlicher können sie nichts anfangen. Und es ist ihnen nicht so wichtig, das zu haben, was gerade "in" oder "cool" ist. Für sie soll Kleidung vor allem ihren Zweck erfüllen. Man kleidet sich praktisch und legt Wert auf korrekte Kleidung. Das heißt aber nicht, dass Konservativ-bürgerliche Jugendliche "junge Ewiggestrige" sind, sondern dass sie in ihrem Leben einfach andere Prioritäten setzen.
Adaptiv-Pragmatische
Adaptiv-pragmatische Jugendliche kombinieren die bürgerlichen Grundwerte und Tugenden wie Ehrlichkeit, Respekt, Vertrauen, Pünktlichkeit und Fleiß mit modernen und hedonistischen Werten wie Freiheit, Offenheit, Unvoreingenommenheit, Spaß und Humor. In dieser Lebenswelt sind die Jugendlichen sehr anpassungs- und kompromissbereit, orientieren sich am Machbaren und versuchen, einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Sie sehen sich als verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger, die dem Staat später nicht auf der Tasche liegen wollen. Selbst möchten die Adaptiv-Pragmatischen zu denjenigen gehören, die im Leben etwas erreichen, sich Ziele setzen und diese konsequent, fleißig und eigeninitiativ verfolgen. Von Menschen mit einer geringen Leistungsbereitschaft grenzen sie sich demonstrativ ab. Wichtig ist diesen Jugendlichen, vorausschauende und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Maßstab sind die Etappenziele der bürgerlichen Normalbiografie, das heißt erfolgreicher Einstieg in das Berufsleben, Familiengründung und Aufbau eines Zuhauses.
Adaptiv-Pragmatische haben ein ausgeprägtes Konsuminteresse, jedoch mit "rationaler Regulation". Sie streben nach Wohlstand und Komfort, jedoch nicht nach übertriebenem Luxus, "so ein riesen Haus und nen Ferrari" brauchen sie nicht. Ausreichend Geld für ein schönes Leben ist aber dennoch ein wichtiges Lebensziel. Das Auftreten Adaptiv-pragmatischer Jugendlicher ist selbstbewusst, aber nicht aufdringlich. Modisch orientieren sie sich am populären Mainstream, folgen den aktuellen Trends der großen Modeketten. Über Kleidungsstil und Frisuren grenzen sie sich in sehr viel geringerem Maß ab als Jugendliche aus postmodernen Lebenswelten. Extreme sind nicht die Sache dieser Lebenswelt, Experimente werden selten gemacht. Die "Lust am Trash", die Affinität zu Jugendszenen, wie sie sich bei vielen anderen Jugendlichen zeigt, ist ihnen suspekt. Im Grunde verhalten sich diese Jugendlichen sehr konform zu den gängigen gesellschaftlichen Erwartungen. Kleidung soll chic und modisch, aber auch gepflegt und funktional sein. Wichtig ist, dass man immer "gut angezogen" ist. Beim Stadtbummel auf den großen Einkaufsstraßen finden sie fast immer etwas, abseits schauen sie sich kaum um. Angesagte Läden sind beispielsweise H&M, s.Oliver, Esprit, Benetton, und auch beim Online-Shop Zalando wird immer wieder etwas Passendes gefunden.
Sozialökologische
Sozialökologische Jugendliche betonen Demokratie, Gerechtigkeit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit als zentrale Pfeiler ihres Wertegerüsts. Sie sind altruistisch motiviert und am Gemeinwohl orientiert. Andere von den eigenen Ansichten zu überzeugen, ist ihnen wichtig ("Sendungsbewusstsein"). An ihren Freundeskreis haben sie einen hohen normativen Anspruch, suchen Freunde mit "Niveau und Tiefgang". Sozialökologische sind aufgeschlossen für andere Kulturen und empfinden Abscheu, wenn Menschen wegen ihres Aussehens nicht akzeptiert werden. Sie verurteilen es generell, wenn "ein Keil zwischen die Menschen getrieben" wird. Ganz eindeutig lehnen sie Arroganz und Rassismus, aber auch "aufgesetzte Szeneleute" ab. Ihre Freizeitinteressen sind vielfältig. Vor allem kulturell sind diese Jugendlichen sehr interessiert – explizit auch an Hochkultur – und finden dabei vor allem Kunst und Kultur mit einer sozialkritischen Botschaft spannend.
Von materialistischen Werten distanzieren sie sich deutlich. Sie kritisieren die Überflussgesellschaft und halten Verzicht nicht für einen Zwang, sondern für ein Gebot der Zeit. "Klamotten" sind den Sozialökologischen nicht so wichtig. Mode, Fashion und Trends interessieren sie viel weniger als viele andere Jugendlichen. Luxus-Markenkleidung ist in dieser Lebenswelt kein begehrtes Gut. Einige betonen auch ganz demonstrativ, dass sie der Markenwahn nervt. Dennoch sind diese Jugendlichen weit davon entfernt, nur Batik-Shirts oder Strick-Pullis zu tragen. Auch Sozialökologische haben ein Markenbewusstsein und sind bereit, für bestimmte Marken Geld auszugeben. Im Gegensatz zu vielen anderen Jugendlichen orientieren sie sich eher an Marken, die sich dem Nachhaltigkeitsprinzip verpflichtet haben. Auch funktionelle Outdoor-Kleidung findet man bei ihnen häufiger. Oft kaufen sie auch ganz bewusst No-Name-Produkte und verweigern sich demonstrativ der Konsum- und Markenhysterie anderer Jugendlicher. Authentisch ist ihrer Meinung nach ohnehin nicht, wer nach "Öko" aussieht, sondern wer nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit lebt.
Expeditive
Typisch für Expeditive ist ein buntes Patchwork. Diese Jugendlichen legen großen Wert auf eine Balance zwischen Selbstverwirklichung, Selbstständigkeit und Genuss einerseits sowie Pflicht- und Leistungswerten wie Streben nach Erfolg, Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Fleiß andererseits. Sie möchten sich nicht in ideologische Korsette zwängen lassen und haben eine geringe Kontroll- und Autoritätsorientierung. Von allen Jugendlichen sind sie mit die flexibelsten, mobilsten und innovativsten. Den eigenen Erfahrungshorizont ständig zu erweitern, ist ihnen eine wichtige Lebensmaxime. Für ihr Leben haben sie klare Ziele, möchten aber nicht nur an-, sondern weiterkommen. Ein erwachsenes Leben ohne permanente Aufbrüche scheint (noch) unvorstellbar. Typisch für sie ist ihre Suche nach vielfältigen Erfahrungsräumen, beispielsweise modernes Theater, Kunst und Malerei. Diese Jugendlichen zieht es in den öffentlichen Raum, in angesagte Locations, dorthin, wo die Musik spielt, wo die Leute spannend und anders sind.
Auch modisch wollen Expeditive anders sein, nicht in einer konformen Gruppe untergehen. Bereits als Jugendliche haben sie ein ausgeprägtes Marken- und Trendbewusstsein, legen großen Wert auf Mode, greifen neue Trends am schnellsten auf. Sich selbst sehen sie als urbane, kosmopolitische "Hipster", und aus dieser etwas elitären Verortung schöpfen sie auch viel Selbstbewusstsein. Den eigenen Stil beschreibt man in dieser Lebenswelt häufig mit Attributen wie "kreativ", "anders als in der grauen Masse", "zwischen elegant und extravagant". Gerne stöbern Expeditive in internationalen Modeblogs. Ergänzt wird das Gefundene dann um eigene Ideen. Dabei spielen sie mit ganz unterschiedlichen Stilen – wobei alles mühelos und beiläufig wirken soll. Sie genießen, dafür von anderen bewundert zu werden. Noch greifen manche Expeditive auf Läden wie H&M, Cos und Zara zurück – "für Basics sowieso" – andere versuchen aber schon im jungen Alter, Stangenware möglichst zu vermeiden. Und schon relativ früh beginnen viele, sich für kleine Designerstores zu interessieren.
Experimentalistische Hedonisten
Freiheit, Selbstverwirklichung, Spontanität, Kreativität, Risikobereitschaft, Spaß, Genuss und Abenteuer sind Ankerwerte der Experimentalistischen Hedonisten. Mit dieser Lebensauffassung ecken Experimentalistische Jugendliche oft an beziehungsweise wollen auch ganz bewusst anecken. Sie wollen das Leben in vollen Zügen genießen, das eigene Ding machen, Grenzen austesten. Der Wunsch nach ungehinderter Selbstentfaltung ist in dieser Lebenswelt groß. Routinen langweilen, zu typisch bürgerlichen Werten hat man im Milieuvergleich die geringste Affinität. Das Normale, Konventionelle findet man bei den Experimentalistischen Hedonisten kaum. Sie lieben eher das Subkulturelle, "Undergroundige", Abseitige. Sie möchten "anders sein", "auffallen", "aus der Masse hervorstechen". Die Affinität zu den typischen Jugendszenen ist in dieser Lebenswelt daher auch am höchsten. Großen Wert legen die Jugendlichen auf kreative Gestaltungsmöglichkeiten, dabei sind sie oft fantasievoll, originell, provokant. Experimentalistische Hedonisten lieben die (urbane) Club-, Konzert- und Festivalkultur, distanzieren sich von der klassischen Hochkultur. Bereits früh bemühen sie sich, immer mehr Freiräume von den Eltern zu "erkämpfen", um ihre freie Zeit unabhängig gestalten zu können.
Auffällige Kleidung und Accessoires sind Jugendlichen aus dieser Lebenswelt wichtig. Piercings und Tätowierungen findet man hier vergleichsweise häufig. Ihr Stil ist durch Unkonventionalität und eine gewisse gepflegte Nachlässigkeit gekennzeichnet. Typisch für sie ist der Spaß am Stilbruch. Sie sind experimentierfreudig und offen für Neues. Fantasievoll kombinieren sie Stücke, die scheinbar nicht zusammenpassen. So grasen sie während einer Shoppingtour Designershops ab, gleichzeitig aber auch gängige Modeketten und Flohmärkte. Besonders beliebt sind kleine, oftmals versteckte Läden von Jung-Designern in Hinterhöfen. Häufig hat der eigene Style auch einen klaren Szenebezug. Dann kaufen die Experimentalistischen Hedonisten bevorzugt Marken, die nur innerhalb der jeweiligen Szene bekannt und etabliert sind. Sie selbst kennen natürlich die entsprechenden Codes.
Materialistische Hedonisten
Materialistische Hedonisten sind sehr konsum- und markenorientiert. Ihr Umgang mit Geld ist überwiegend unkontrolliert. Kurzfristige Konsumziele haben einen hohen Stellenwert. Neue, modische Kleidung, Schuhe, Modeschmuck sind ihnen äußerst wichtig, weil sie Anerkennung in ihren Peer-Kontexten garantieren. Diese Jugendlichen möchten Spaß und ein "gechilltes Leben" haben. Shoppen, Party und Urlaub sind für sie die coolsten Sachen der Welt. Aber auch traditionelle Werte wie Harmonie, Zusammenhalt, Treue, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit und Anstand werden als wichtig angesehen, da sie stellvertretend für einen respektvollen Umgang miteinander stehen – den sie in ihrem Alltag nicht häufig erfahren. Einerseits werden Vandalismus, Aggressivität, illegale Drogen, sinnloses Saufen und Ähnliches abgelehnt, andererseits gehören die (aggressive) Verteidigung der eigenen Rechte und exzessives Feiern zum Lebensstil. Hochkulturellem stehen Materialistische Hedonisten sehr distanziert gegenüber. In der Regel haben sie in ihrem Alltag damit auch kaum Berührungspunkte.
Materialistisch-hedonistische Jugendliche orientieren sich am Mainstream. Dabei legen sie außerordentlich großen Wert auf Markenkleidung. Bevorzugt werden prestigeträchtige Marken, aber auch gut gemachte Fake-Produkte werden gerne getragen. Markenlogos müssen auffällig positioniert sein, sonst erfüllen sie ihren Zweck nicht. Der soziale Status innerhalb der Peer Group wird in hohem Maße darüber bestimmt. Es muss sofort erkennbar sein, dass man ein "teures" Markenstück trägt. Die Jugendlichen kaufen ausschließlich sehr bekannte Marken, weil sie sich bei ihnen sicher sein können, ihr Geld für etwas auszugeben, das von der breiten Masse nicht als billig angesehen wird. Markenexperimente sind nicht Sache dieser Lebenswelt. Zu groß ist die Gefahr, Geld für eine Marke auszugeben, die innerhalb der Peer Group nicht bekannt beziehungsweise nicht akzeptiert ist und damit auch keine soziale Anerkennung abwirft. Am wohlsten fühlt man sich auf den großen Shoppingmeilen, weil man dort "seine" Läden findet, beispielsweise Streetstyle-Stores, Pimkie, New Yorker, H&M, Bijou Brigitte, Nike. Besonders stolz sind die materialistischen Hedonisten, wenn sie bei Ebay, in Outlets oder Restpostenläden ein edles Teil aus dem Luxusgüterbereich ergattert haben.
Prekäre
Jugendliche aus der Prekären Lebenswelt haben von allen Gruppen die schwierigsten Startvoraussetzungen. Viele sind sich ihrer sozialen Benachteiligung bewusst und bemüht, die eigene Situation zu verbessern, sich nicht (weiter) zurückzuziehen und entmutigen zu lassen. Das Gefühl, dass Chancen strukturell verbaut sind, dass man sie sich aber auch selbst verbaut, und die daraus resultierende Angst vor geringen Teilhabemöglichkeiten sind in dieser Lebenswelt dominant. Die Biografie vieler Prekärer weist schon früh erste Brüche auf (beispielsweise Schulverweis, problematische Familienverhältnisse). Während viele Anzeichen dafür sprechen, dass die meisten dieser Jugendlichen sich dauerhaft in der Prekären Lebenswelt bewegen werden, weil sich bei ihnen verschiedene Risikolagen verschränken, ist bei manchen aber auch vorstellbar, dass es sich nur um eine krisenhafte Durchgangsphase handelt, insbesondere wenn die feste Absicht besteht, "alles zu tun, um hier rauszukommen". Familie nimmt im Werteprofil der Prekären Jugendlichen eine zentrale Stellung ein. Dass es sich um eine idealisierte Vorstellung von Familie handelt, die oft kaum etwas mit dem zu tun hat, was die Jugendlichen tatsächlich erleben, ist bezeichnend. Der Wunsch nach Anerkennung, dazuzugehören und danach, "auch mal etwas richtig gut zu schaffen", ist sehr deutlich. Sie sehen jedoch, dass das nur schwer gelingt. Die Gesellschaft, in der sie leben, nehmen sie als unfair und ungerecht wahr. Die eigenen Aufstiegsperspektiven schätzen sie als gering ein, was bei einigen in dem Gefühl resultiert, dass sich Leistung nicht lohnt.
Während die Materialistischen Hedonisten in der ebenfalls unterschichtigen Lebenswelt Teilhabe durch das Tragen von Markenkleidung sicherstellen möchten, haben die Prekären häufig keinen Zugang zum Lifestyle-Markt. Hierunter leiden diese Jugendlichen, weil Markenkleidung und auch Markenschuhe bei vielen Jugendlichen zum Status beitragen. Sie geben zu, kaum über die neuesten Trends Bescheid zu wissen und behaupten, "unauffällig bleiben zu wollen". Sicherlich hängt dies aber auch mit den stark begrenzten finanziellen Ressourcen zusammen: Sie können sich die Teilhabe an der jugendlichen Warenwelt einfach nicht leisten. Bestimmte Jugendszenen wie beispielsweise Hip-Hop üben zwar eine Faszination auf prekäre Jugendliche aus, meist sind jedoch die Teilhabemöglichkeiten über Kleidung, Technik, Texte schreiben und selbst rappen, beschränkt.
Fazit
Soziale Milieus bezeichnen relativ stabile Gruppenzugehörigkeiten auf der Basis relativ beständiger Werthaltungen (beispielsweise die Überzeugung, dass man soziale Verantwortung trägt, die Präferenz für eine konsequente umwelt- und gesundheitsbewusste Lebensführung oder die Verweigerung von Konventionen und Erwartungen der Leistungsgesellschaft), während Lebensstile oft recht kurzfristige Präferenzen ausdrücken (beispielsweise Kleidungsstile).
Hat man die Grundorientierung jugendlicher Lebenswelten verstanden, werden unter anderem auch die Zusammenhänge und Hintergründe modischer Ausprägungen klar. Man versteht etwa, warum Materialistisch-hedonistische Jugendliche gerne Logos großer und bekannter Marken auffällig präsentieren. Das dahinterstehende Motiv ist die Suche nach Geltung, Coolness und Anerkennung. Für sie zählt der Eindruck, den sie damit nach außen machen. Umgekehrt versteht man aber genauso, warum gerade dieser Stil etwa bei postmodern orientierten Jugendlichen als protzig empfunden wird und auf Ablehnung stößt. Sie distanzieren sich deutlich vom Mainstreamgeschmack und legen (nicht nur) bei Mode großen Wert auf Einzigartigkeit, Authentizität und Individualität.
Dieser Artikel erschien erstmals in Interner Link: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 1–3/2015)