"Gewiss heiratest du in Amerika n' Cowboy." So soll Martha Hüners Vater im Jahre 1923 gesagt haben, als er seiner Tochter kurz vor ihrer Auswanderung in die USA eine Pferdebürste zum Abschied schenkte.
Das DAH bietet damit einen vielversprechenden Ausgangspunkt für die Frage, welchen Beitrag historische Museen heute zur kulturellen Bildung leisten können, versucht es doch, die Objektnähe traditioneller historischer Museen mit der szenographischen Gestaltungsweise moderner Ausstellungstechnik zu verbinden. Im Folgenden sollen zur Beantwortung dieser Frage zunächst die Zielsetzungen sowie die zentralen Ausstellungsinhalte des DAH erläutert werden, ehe in einem zweiten Schritt das Lernpotenzial
Lernort oder Wirtschaftsfaktor? Zur Entstehungsgeschichte des DAH
Wer die Zielsetzungen und Arbeitsweisen eines Museums verstehen will, muss sich – dies lässt sich am Beispiel des DAH anschaulich zeigen – mit der Entstehungsgeschichte des Museums beschäftigen. Denn von der ersten Idee für ein Migrationsmuseum bis zur Eröffnung des DAH im Jahr 2005 veränderten sich die Zielsetzungen der Museumsinitiative grundlegend: Während die ersten Forderungen nach einem Migrationsmuseum für Bremerhaven, die Mitte der 1980er-Jahre aus privater Vereinsinitiative entstanden, noch primär auf ein Museum als Ort der Bildung und Wissenschaft setzten, geht das später realisierte DAH vor allem auf eine Initiative der Bremerhavener Wirtschaft zurück, die in dem Museum einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Städtetourismus und der Wirtschaft in und um Bremerhaven sieht.
Mit dem Wandel in der Funktionszuschreibung für das Bremerhavener Migrationsmuseum gingen unterschiedliche Konzepte für die Ausstellungsgestaltung einher. Ein Konzeptpapier des "Fördervereins Deutsches Auswanderermuseum" von 1989 war noch ganz auf die Ergebnisse der historischen Migrationsforschung zugeschnitten und forderte für das Auswanderermuseum eine themenorientierte Kombination verschiedener Ausstellungsstücke, "z.B. [von] Nachbauten oder Originalexponate[n] mit Großfotos und erklärenden Texttafeln, um so eine bloße Aneinanderreihung verschiedener Tafeln oder Ausstellungsgegenstände zu vermeiden."
Diesem Ausstellungskonzept, das Geschichte vor allem als Erlebnis präsentieren möchte,
Personifizierung und Szenographie als Rahmenbedingungen historischen Lernens im Deutschen Auswandererhaus
Wie also – so ist aus geschichtsdidaktischer Perspektive zu fragen – soll im DAH historisches Lernen ermöglicht werden? Grundsätzlich lässt sich zunächst festhalten, dass in einem historischen Museum Objekte aus der Vergangenheit gesammelt und ausgestellt werden. Ihre Authentizität ist das entscheidende Charakteristikum, welches das Museum vom Geschichtsschulbuch oder anderen Medien, die sich mit Geschichte auseinandersetzen, unterscheidet. Damit steht im Mittelpunkt des historischen Lernens im Museum das originale Objekt, dem im Rahmen einer Ausstellung mittels verschiedener Inszenierungstechniken und begleitender Museumstexte historische Bedeutung zugeschrieben wird.
Umso bedeutender erscheint dieser Hinweis Tremls, vergegenwärtigt man sich die Art und Weise, wie im DAH – gemäß einem auch in zahlreichen anderen Museen feststellbaren Trend zur szenographischen Ausstellungsgestaltung
Einerseits konzentriert die Ausstellung sich also auf die Sammlung und Dokumentation von Migrantenbiografien mit Hilfe von Erinnerungsstücken, wie bereits erwähnt. Zudem sind zwei konzeptionelle Schwerpunkte der Ausstellungsgestaltung für das historische Lernen im DAH von zentraler Bedeutung: Zum einen der personifizierende Zugang zu Migrationsgeschichte, zum anderen das museale Gestaltungsmittel der Szenographie.
Mit Personifizierung ist nach Klaus Bergmann die Betrachtung eines historischen Phänomens aus der Perspektive "von unten", also nicht aus der Sicht bedeutender historischer Persönlichkeiten, sondern aus dem Blickwinkel einfacher Individuen gemeint, anhand derer historische Erfahrungen darstellbar werden.
Folgt man der Argumentation Bettina Alavis, so bietet diese personifizierende Herangehensweise an die museale Präsentation von Migrationsgeschichte große Vorteile. Denn "[d]urch den Einbezug historischer Personen", so Alavi, "wird der Bereich der Emotionen beim historischen Lernen angesprochen. Schüler/-innen [wie auch Museumsbesucher] können sich in Personen hineindenken, ihre Probleme, Ängste und Zweifel nachvollziehen und sich aus ihrer lebensweltlichen Perspektive dazu äußern."
Ähnliches lässt sich zum zweiten konzeptionellen Schwerpunkt des DAH konstatieren. Auch das gestalterische Mittel der Szenographie verfolgt im Wesentlichen das Ziel, die Besucher/-innen in eine emotionale Nähe zu den Ausstellungsinhalten zu bringen. Besonders deutlich wird dies in der Inszenierung "An der Kaje", in der der Besucher/ die Besucherin die Rekonstruktion einer authentischen Hafenkulisse betritt und aus dem Dunkel zur Bordwand der "Lahn" hinauf sieht.
Sie erfüllt zwei Funktionen. Erstens soll sie den Abschied der Auswanderer von ihrer Heimat emotional erfahrbar machen,
Ohne Frage präsentiert das DAH mit dieser Inszenierung ein beeindruckendes Raumerlebnis, das – unterstützt durch akustische Einspielungen von plätscherndem Wasser, rufenden Menschen und Schiffsirenen – Auswanderung als emotional aufgeladene Seereise vermittelt. Führt man sich allerdings vor Augen, dass historisches Lernen im Museum vor allem über die Inszenierung von Objekten initiiert wird, stellt sich in diesem Ausstellungsraum die Frage: Wo sind eigentlich die Objekte? Versteckt in wenigen Vitrinen, die in Koffer und Kisten eingelassen sind, finden sich Zeitungen, Reiseführer, Gepäckstücke und Kleidung von Auswanderern, die Auskunft über Herkunft und Ziele ihrer Besitzer/-innen geben sollen. Angesichts der gewaltigen visuellen Wirkung der rekonstruierten Schiffsbordwand spielen sie im Ausstellungsnarrativ jedoch eine untergeordnete Rolle.
Die Kritik des Museumsgestalters HG Merz an szenographischen Ausstellungen, ihre wichtigsten Güter – die Objekte – seien "lost in decoration",
Fazit
Vor dem Hintergrund dieser Befunde lässt sich für das Lernpotenzial personifizierend-szenographischer historischer Museen im Allgemeinen und des DAH im Besonderen deshalb das Fazit ziehen, dass die Präsentation von (Migrations-)Geschichte mit Hilfe von persönlichen Erinnerungsstücken bei angemessener Kontextualisierung ein emotional ansprechendes und didaktisch gewinnbringendes Ausstellungskonzept bietet – sofern es gelingt, die Besucher/-innen zu genauem Hinsehen und kritischem Auseinandersetzen mit den gezeigten historischen Objekten anzuregen. Das Konzept der Szenographie läuft diesem Anspruch zumindest tendenziell entgegen. Allerdings bietet auch der szenographische Ansatz des DAH erhebliches Potenzial für historisches Lernen. Denn "Geschichtslernen im Museum ist", so Bodo von Borries, "immer an Geschichtslernen über Museen gebunden."
Wer also nicht allein auf bloßen Nachvollzug von vermuteten historischen Emotionen aus den Augen heutiger Museumsgestalter hofft, sondern zugleich die Augen öffnet für die Gestaltungsmittel der geschichtskulturellen Institution Museum, der wird im DAH gewinnbringende Einblicke in gegenwärtige Trends (geschichts-)kultureller Bildungs- und Erlebnisangebote erlangen.