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Bildung für Nachhaltige Entwicklung im Fokus | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Bildung für Nachhaltige Entwicklung im Fokus Interview mit Prof. Bernd Overwien

Bernd Overwien

/ 14 Minuten zu lesen

Der Politikdidaktik-Professor Dr. Bernd Overwien spricht im Interview darüber, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung mit ganz persönlichen Vorstellungen von der Welt zu tun hat, wie sie mit politischer Bildung verknüpft ist und wie sie nach und nach ihren Platz in der Schule findet. Er zeigt auf, welche wichtige Rolle informelles Lernen spielt und wie künstlerische Ansätze einen produktiven Beitrag zu BNE leisten können.

Nachhaltigkeit in der Kunst: Christian Philipp Müllers "Mangoldfähre" auf der dOCUMENTA 13 in Kassel thematisiert die Bedrohung von Artenvielfalt. (© Katharina Reinhold)

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist einer der Themenschwerpunkte in Ihrer Arbeit als Professor für Didaktik der politischen Bildung. Was ist Ihnen persönlich beim Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung am wichtigsten?

Der wichtigste Impuls ist das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, das ja 1992 nach der Konferenz in Rio de Janeiro als eine Art Programm, "die Welt zu retten" entwickelt wurde. Bereits in den 1970er-Jahren hatte der Club of Rome deutlich gemacht, dass die Ressourcen der Erde begrenzt sind. In der Zwischenzeit hat sich zwar gezeigt, dass sie nicht ganz so schnell erschöpft sein werden, wie es damals vorhergesagt wurde, aber sie sind nach wie vor begrenzt. 1992 wurde auch die Klimakonvention auf den Weg gebracht, damals wusste man schon, dass ein Klimawandel höchstwahrscheinlich bevorsteht. Heute weiß man, dass der Klimawandel in Gang ist, es gibt nur noch wenige wissenschaftlich fundierte Gegenmeinungen – bei denen man dann manchmal nicht weiß, wo die Forschungsgelder herkommen...

Es gibt also gute Gründe, sich darüber Gedanken zu machen, wie man dazu beitragen kann, diesen Planeten zu retten. Es klingt immer so dramatisch, wenn man das sagt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es genau darum geht.

Das hört sich erst mal einfach an, wie eine Art politisches Programm – Aber wenn man etwas tiefer schürft, dann merkt man, dass es hier um eine andere Art des Denkens geht. Es geht darum, dass wir alle – ich beziehe mich da ausdrücklich mit ein – lernen müssen, anders zu denken, zum Beispiel was Fragen des Wachstums anbelangt, was Fragen des Konsums anbelangt, auch Fragen nach dem guten Leben. Darüber müssen wir reden.

Und damit geht es ganz an die persönlichen Vorstellungen von der Welt heran. Bildung kann und soll dabei natürlich nur begleitend tätig werden. Sie kann helfen, die vorhandenen Probleme zunächst einmal zu erkennen und dann womöglich auch zu handeln. Hier gibt es dann den direkten Brückenschlag zur politischen Bildung, bei der es darum geht, politische Urteilsfähigkeit und politische Handlungsfähigkeit zu fördern. Und in politische Urteilsfähigkeit und Handlungskompetenz gehören Grundlagen darüber hinein, was man sich unter einer nachhaltig strukturierten Welt vorstellen kann.

Wenn man über die Wege, dieses zu erreichen, nachdenkt, dann gibt es in der politischen Bildung den berühmten Beutelsbacher Konsens, der uns anhält, niemanden zu überwältigen und auch die Kontroversen darzustellen. Außerdem müssen wir bei den objektiven und subjektiven Interessen von Schülerinnen und Schülern ansetzen – da kommen vielleicht auch Fragen kultureller Bildung ins Spiel.

Bei den Kindern und Jugendlichen ist unter Umständen die Zukunft der Welt viel mehr in der täglichen Diskussion, als bei manchen Erwachsenen. Das zeigen übrigens auch Befragungen. Die bekannten Shell-Jugendstudien zeigen zum Beispiel deutlich, dass Jugendliche sich etwa zu Globalisierungsfragen eine ganze Menge Gedanken machen, und darüber, wie die Welt künftig gestaltet wird. Es gibt auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, bei der junge Menschen ab 14 Jahren in Deutschland und Österreich befragt wurden, was für sie die wichtigsten Weltprobleme sind. Da standen weder Terrorismus noch Finanzkrise oben, sondern Themen wie Umwelt, Hunger, Armut, ähnliche Dinge… Ich denke, da kann man, ohne überwältigen zu wollen, sehr gut ansetzen mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung.

Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist ja mit bestimmten Werten und Normen verknüpft. Ist das eigentlich mit dem Beutelsbacher Konsens vereinbar, dass eine bestimmte Richtung vorgegeben wird, in die die Entwicklung z.B. unserer Konsumgewohnheiten gehen sollte?

Nachhaltige Entwicklung ist ein normatives Konzept, das stimmt. Es kommt aber darauf an, wie man die Themen und Fragestellungen im Einzelnen bearbeitet. Auf der Welt sollen Entwicklungsprobleme nach dem Kohärenzprinzip bearbeitet werden, es sollen also immer ökonomische, ökologische und soziale Faktoren möglichst gleichgewichtig bearbeitet werden. Und es soll, wenn man die Definition ernst nimmt, ein gegenwärtiges Leben angestrebt werden, das auch künftigen Generationen noch ein lebenswertes Leben gestattet. Das ist die Grund-Definition von Nachhaltiger Entwicklung. Dies ist ein normativer Rahmen, aber wir haben ja in der politischen Bildung noch andere normative Rahmen. Es kommt wesentlich darauf an, in diesem Rahmen jeweils auch die Kontroversen darzustellen. Natürlich muss man nachhaltige Entwicklung auch in Frage stellen dürfen im Unterricht.

Es gibt Traditionen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), wo stärker skandalisiert wurde. Dies betrifft das Globale Lernen, einen Teil der BNE, der stärker die Nord-Süd-Beziehungen thematisiert, und auch in der Umweltbildung gab es das – nach dem Motto: "Wie kannst du nur Fleisch essen? – die Welt geht unter!" Das hört man heute manchmal auch noch. Fleischproduktion hat ja zum Beispiel Folgen für das Klima. Das ist natürlich etwas, was man gar nicht machen darf. Man darf nicht Kinder und Jugendliche im Unterricht oder in der außerschulischen Bildungsarbeit in eine Situation bringen, wo sie beschuldigt werden, ganz schlimme Dinge zu tun, wenn sie dabei sind, sich am ganz "normale" Konsum zu beteiligen. Das ist im Übrigen auch kontraproduktiv, und der Beutelsbacher Konsens verbietet außerdem ein solches Vorgehen auch ausdrücklich. Im Globalen Lernen hat man früher auch mit Bildern von hungernden Kindern aus Afrika gearbeitet. Ich will nicht sagen, dass man solche Bilder nicht zeigen darf. Aber man darf nie Kinder moralisch unter Druck setzen, etwa mit diesem Spruch "Wirf dein Butterbrot nicht weg, in Afrika verhungern die Kinder!" Das darf in politischer Bildung einfach nicht geschehen.

Wo sehen sie den Platz der Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule, mal abgesehen von der politischen Bildung, in der Sie zu Hause sind? Hat Bildung für nachhaltige Entwicklung auch einen Platz in anderen Fächern und Bereichen?

Aktuell gibt es da einen konkreten und ich glaube auch ganz erfolgreich verlaufenden politischen Prozess. Im Jahr 1997 gab es eine Empfehlung der Kultusminister-Konferenz (KMK), dass das Thema Eine Welt/ Dritte Welt in der Schule einen Platz haben müsse. Zehn Jahre später, 2007, gab es eine intensive Diskussion unter Menschen, die in den Bereichen Globales Lernen, entwicklungs- und friedenspädagogischer Bildungsarbeit aktiv waren. Diese arbeiten heute zumeist unter dem Label Globales Lernen, das wiederum verbunden ist mit Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es gab ganz klar den Wunsch nach einer Überarbeitung der Empfehlung von 1997. Die Definitionen von Entwicklungs- und Schwellenländern sind ja mit der Zeit alle ins Wanken geraten. So hat dann im Laufe der Diskussion interessanterweise die damalige Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Frau Wieczorek-Zeul, einen politischen Prozess initiiert. Sie hat der KMK Gelder zur Verfügung gestellt, um eine neue Empfehlung zu erarbeiten – dieses Mal mit wissenschaftlicher Unterstützung. Stück für Stück hat man so den Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung geschaffen. Darin sind elf Kernkompetenzen benannt, diese beinhalten zum Beispiel so etwas wie "international ein Bewusstsein für den globalen Wandel herzustellen", "Solidarität und Empathie zu üben" und andere Dinge, die man in einer Kultusministerkonferenz-Empfehlung vielleicht gar nicht vermuten würde. Diese Kompetenzen ähneln sehr den Gestaltungskompetenzen aus der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Das Interessante ist, dass in diesem Orientierungsrahmen bisher für die Grundschule und die berufliche Bildung für Politik, für Wirtschaft, Ethik, Biologie, Naturwissenschaften ganz konkrete Umsetzungsvorschläge für Curricula festgelegt sind. Das heißt, dort wird vorgeschlagen, wie sich in den konkreten Schulfächern globale Entwicklung abbilden soll, immer übrigens unter dem normativen Rahmen der Rio-Agenda. Dieser normative Rahmen ist von der KMK und vom BMZ als Unterstützungsstruktur gemeinsam publiziert worden. Der Prozess ist also im Gange – die frohe Botschaft ist: Der Orientierungsrahmen wird noch einmal überarbeitet. Künftig werden auch die Fremdsprachen mit einbezogen, die ja schon sehr viel leisten in diesen Bereichen. Sprachunterricht ist ja sehr eng mit kulturellen und besonders interkulturellen Fragen verbunden. Auch die künstlerisch-kreativen Fächer, Deutsch und Geschichte werden in die Überarbeitung und Erweiterung des Orientierungsrahmens einbezogen.

Kann man denn fünf Jahre nach Erscheinen des Orientierungsrahmens bereits sichtbare Veränderungen feststellen?

In vielen Bundesländern zeigen sich bereits Wirkungen, wenn man die Curricula betrachtet. Der Orientierungsrahmen ist darüber hinaus oft eine Ermutigung, bestimmte Themen zu bearbeiten, teils auch in Kooperation mit außerschulischer Bildung. Hier wird andererseits ja auch auf reale Veränderungen unserer Realität reagiert. Globalisierungsprozesse sind für uns alle überall deutlich spürbar, bei jedem Produkt, das wir kaufen, wenn man ein bisschen genauer hinschaut. Das gilt für die berühmte Jeans oder den Computer, die oft in Unterrichtsprojekten in ihrer weltweiten Vernetzung der Produktion behandelt werden. Das Thema Globalisierung ist so schon auf einer relativ oberflächlichen Ebene zugänglich.

Auch die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung sind ja bei uns spürbar, wenn wir etwa die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland betrachten. Jedem, der sich ein wenig mit wirtschaftlichen Fragen auseinandersetzt, ist klar, dass man darauf vorbereitet sein muss, etwa in beruflichen Kontexten. In der politischen Bildung hat sich die Erkenntnis noch nicht so durchgesetzt, dass man auch in zivilgesellschaftlichen politischen Prozessen ein Grundwissen und gewisse Kompetenzen in Sachen Globalisierung und nachhaltige Entwicklung braucht, wenn man sich etwa in Parteien oder Nichtregierungsorganisationen engagiert. Ich denke aber, dass sich das auch da nach und nach durchsetzen wird.

Die bpb hat gerade ein Buch "Politische Bildung in der Weltgesellschaft" herausgebracht. Ich glaube, das könnte Kennzeichen für eine Art Durchbruch oder Umschwung in der Szene sein. Es gibt bisher nur wenige Lehrstühle in der Politikdidaktik, die sich explizit mit dem Themenbereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Globales Lernen auseinandersetzen.

Auch der Erfolg des Orientierungsrahmens, der inzwischen 60.000 mal unter die Leute gebracht wurde, obwohl er eigentlich nur für Curriculum-Macherinnen und –Macher erarbeitet worden ist, ist ein Zeichen für den Bedeutungsgewinn von BNE und Globalem Lernen. Hier zeigt sich auch, dass es sehr viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer gibt. Viele haben die neuen, nun auch von der KMK als wichtig beurteilten Ideen begierig aufgenommen, auch auf den verschiedenen Hierarchie-Ebenen in den verschiedenen Schulbehörden. Ich will nicht sagen, dass der Orientierungsrahmen ein Selbstläufer geworden ist, aber er ist auf fruchtbaren Boden gefallen.

Sie sind auch bei der Umsetzung der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung engagiert als Mitglied des Runden Tisches, und Sie koordinieren die Arbeitsgemeinschaft "Informelles Lernen". Welche Rolle spielt denn das Informelle Lernen in diesem Prozess?

Der Begriff "Informelles Lernen" ist ja für viele Menschen noch etwas ungewohnt. Bekannt ist das formale oder formelle Lernen, das wir aus Schulen und Universitäten kennen. Dann gibt es das nonformale Lernen, das vielleicht eher in der Volkshochschule stattfindet. Das informelle Lernen ist im Grunde alles andere.

Wenn Menschen beispielsweise mit einer bestimmten Fragestellung an ein Buch herangehen und sich über den Zustand der Welt informieren wollen, dann lernen sie bei der Bearbeitung dieser Frage etwas, und man kann hier von einem Prozess informellen Lernens sprechen. Informelles Lernen findet aber natürlich auch noch anderswo statt, etwa am Frühstückstisch oder beim Abendbrot, wenn man in Familien oder mit Freunden über Politik spricht. Nicht umsonst kommen viele der politisch aktiven Menschen in Deutschland aus Familien, in denen es andere politisch aktive Vorbilder gibt. Über informelles Lernen wird vieles weitergegeben. Man kann auch Situationen schaffen, in denen informelles Lernen stattfindet. Man könnte etwa sagen, dass manche Methoden im schulischen Unterricht einen Rahmen für informelles Lernen schaffen, wenn man zum Beispiel an Projektlernen denkt, wo in einem formalen Rahmen durchaus informell gelernt wird.

Informelles Lernen ist nicht unbedingt ein wissenschaftlichen Kriterien entsprechendes objektives Lernen, man kann also auch Dinge falsch lernen. Ich will es daher nicht idealisieren. Aber es ist trotzdem ein Lernen, das wichtig ist, und darum sollte man es im Blick haben. Die Industrie tut dies. Zumindest in großen Unternehmen und Fabriken weiß man, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in der Arbeit, in der Problemlösung an Arbeitsaufgaben lernen. Ein Konzern wie Volkswagen etwa hat dies genutzt und hat sogenannte Lerninseln in die Produktion eingebaut, wo tatsächlich produktionsnahe Materialien bereitgestellt werden, die die Menschen, die dort arbeiten, benutzen können, um – immer bezogen auf die Arbeitsaufgaben - weiterlernen zu können.

Insofern spielt informelles Lernen in der Gesellschaft schon eine große Rolle, und das ist noch weitgehend unentdeckt. Es gibt inzwischen auch Menschen, die sagen, dass man informell erworbene Kompetenzen zertifizieren soll. Ich sehe das eher skeptisch. Es gibt eine spannende Studie, die das Deutsche Jugendinstitut und die Universität Dortmund 2003-2007 durchgeführt haben. Sie haben untersucht, was Jugendliche beim politischen und anderem ehrenamtlichen Engagement, etwa in der Gewerkschaftsjugend, der evangelischen Jugend, der freiwilligen Feuerwehr etc. informell lernen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass viele Kompetenzen mitgenommen werden, die direkt zu zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in den Biografien dieser Menschen führten. Die Untersuchung fand zehn Jahre nach dem Engagement als Jugendliche statt. Das ist ein spannender Prozess, der natürlich auch für BNE gilt. Im Tun, also in den Aktivitäten, wird viel gelernt.

Es gibt zudem eine Studie, die bei einer Initiative zur Erhaltung des Regenwalds in Australien durchgeführt wurde. Man hat die Leute gefragt, was sie in dieser aktiven Zeit in der Initiative gelernt hätten. Zunächst war das für die Engagierten ein fremder Gedanke – die Leute waren erstaunt, dass sie in der politischen Aktivität auch etwas gelernt haben sollten. In der Reflexion wurde ihnen dann klar, dass sie sich mit den Strategien ihrer Gegner auseinandergesetzt hatten, dass sie sich überlegt hatten, wie man einen politischen Prozess in Gang setzen könnte, was man alles tun muss, sie haben sich inhaltlich sehr intensiv auseinandergesetzt mit dem, was Regenwald bedeutet für die nähere und weitere Umgebung und weltweite Prozesse, und bei alldem haben sie informell etwas gelernt.

Die UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung nähert sich langsam ihrem Ende – Es sind noch zwei Jahre bis 2014. Würden Sie sagen, dass die Dekade ein Erfolgsprojekt ist?

Ich würde diese Frage generell mit ja beantworten, wenn es auch schwer zu sagen ist, da es ja – gerade in Deutschland – Vorläuferprojekte gab. Es gab BLK-21 bzw. Transfer-21 und eine ganze Reihe bundesweiter und regionaler Projekte, die Bildung für nachhaltige Entwicklung befördert haben. Als dann die UN-Dekade ausgerufen wurde, hat sich die Szene der in diesem Bereich engagierten Menschen diese Plattform zunutze gemacht und sich darüber organisiert. Ich würde diese Plattform als sehr erfolgreich bewerten. Es gibt eine große Anzahl von wirklich tollen Dekade-Projekten, die in allen möglichen Bereichen durchgeführt wurden. Und es gibt eine regelmäßige Kommunikation unter den Beteiligten, es gibt Publikationen, Unterrichtsmaterialien, etc. Es ist nun ja auch eine Diskussion im Gange, ob die Dekade in irgendeiner Weise verlängert werden soll.

Bei den Dekade-Projekten sind auch einige aus den Bereichen Kunst und Kultur mit dabei. Kennen Sie persönlich Bildungs-Projekte, wo Kunst und Kultur und Ansätze nachhaltiger Entwicklung erfolgreich zusammenwirken?

Ich stehe zwar nicht mitten in der Kultur-Szene, ich kenne aber einige Projekte in Grenzbereichen. Hier in Kassel gibt es beispielsweise einen konsumkritischen Stadtrundgang. Bei den einzelnen Stationen, wo es dann zum Beispiel um Kleidung, Wasser, Mobilfunk usw. geht, werden zum Teil auch künstlerische Mittel eingesetzt, um zu vermitteln, was alles mit diesen Themen zu tun hat.

In Witzenhausen, einem Ort ca. 30 km östlich von Kassel, gibt es ein Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen, das zur Universität Kassel gehört und mit dem wir zusammenarbeiten. Es wird von jährlich etwa 3000 Schülerinnen und Schülern besucht, die dort über diese Nutzpflanzen im Kontext von Nachhaltigkeit etwas lernen in Projekten, wo formales und informelles Lernen zusammengeführt wird, mit Stationenlernen und ähnlichen Methoden. In diesem Gewächshaus gibt es unter anderem auch literarische Führungen in deutscher und englischer Sprache. So versucht man, Literatur und Bildung für nachhaltige Entwicklung sowie globale Fragen zusammenzubringen.

Kürzlich habe ich auf einer Tagung etwas sehr Spannendes erlebt. Es gibt ja das Schulfach Darstellendes Spiel, leider fast nur in der gymnasialen Oberstufe, also nur für die, "die es geschafft haben", wenn ich das mal kritisch anmerken darf. Es wäre schön, wenn das Fach breiter aufgestellt wäre. Auf der Tagung wurde präsentiert, wie Mittel des Theaters eingesetzt wurden, um globale Konflikte darzustellen und zum Nachdenken anzuregen.

Es gibt da eine ganze Menge Möglichkeiten. Was ich noch aus dem globalen Lernen kenne, auch aus Lateinamerika, ist Augusto Boals Forumtheater, ein Theater, das sich ganz bewusst als politisch versteht. Es setzt am Alltag an, findet auch in Fußgängerzonen statt und nutzt Theater-Methoden, um politische Dinge zu erklären und gemeinsam Lösungen für Konflikte zu erarbeiten. Beim globalen Lernen gehören solche Methoden fast zum Grundbestand.

Die Projekte der kulturellen Bildung bewegen sich auch oft an der Schnittstelle von nonformalem und informellem Lernen. Sehr viele der Gestaltungskompetenzen, die in der Bildung für nachhaltige Entwicklung eine wichtige Rolle spielen, werden auch durch kulturelle Bildung gefördert. Dort gibt es große Schnittmengen.

Ja, aber diese Kompetenzen vermitteln zu wollen, ist schwierig, dies wäre das falsche Wort. Kompetenzen kann man nur erwerben. Schule allein ist dafür manchmal der falsche Ort, da in der Schule immer noch in zu kurzen Zeitabschnitten getaktet wird. Hier kann außerschulische Bildung meiner Meinung nach viel mehr leisten, die oftmals Elemente kultureller Bildung einbezieht. Schule sollte aufgefordert sein, hier zu kooperieren.

Momentan findet hier in Kassel die dOCUMENTA 13 statt, eine der wichtigsten und größten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst weltweit. Auf dieser dOCUMENTA gibt es einige künstlerische Arbeiten, die sich ganz explizit mit Themen wie Nachhaltige Entwicklung und Agrarindustrie, Begrenztheit der Ressourcen, Grenzen des Konsums beschäftigen. Am Ausstellungsstandort Ottoneum werden sie unter dem Label "seed project" sogar thematisch zusammengefasst. Es ist der künstlerischen Leiterin Carolyn Christoph-Bakargiev offensichtlich ein großes Anliegen, diese Themen auch an ein Kunst-Publikum zu vermitteln.

Ja, vielleicht bietet Kassel im Moment eine informelle Lernumgebung in der Kunst – Ich weiß, dass man vorsichtig sein muss, die Kunst nicht zu instrumentalisieren für Lernprozesse, aber die finden ja zwangsläufig in der Auseinandersetzung mit den Exponaten statt. Künstlerinnen und Künstler wollen mit ihren Arbeiten ja auch etwas sagen und Menschen zum Nachdenken anregen, denke ich. Ich finde es sehr gut, dass ganz explizit auch politische Themen in die Ausstellung einbezogen werden. Dabei bleibt es ja den Besucherinnen und Besuchern überlassen, wie intensiv sie sich mit den Hintergründen auseinandersetzen wollen oder ob sie etwas einfach nur schön finden wollen.

Haben Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch Wünsche oder Statements, die sie gern äußern möchten?

Was ich mir für die Zukunft wünsche würde, ist, dass sich die politische Bildung, insbesondere auch in der Lehrerbildung, stärker mit Fragen nachhaltiger Entwicklung auseinandersetzt. Je breiter diese Diskussion wird, umso besser. Je mehr Leute dieses integrieren, umso besser ist es und darum geht es ja auch bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ich wünsche mir außerdem, dass Schulen das aufnehmen und stärker als bisher zum Beispiel auch mit kultureller Bildung kooperieren, mit Menschen zusammenarbeiten, die spannende Dinge tun, auch außerhalb der Schule. Schule muss sich öffnen, das sagen wir schon ganz lange, aber es geschieht leider immer noch zu wenig. Natürlich müsste hier und da dafür auch mehr Geld bereitgestellt werden.

Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch!

Das Gespräch führte Katharina Reinhold mit Prof. Bernd Overwien am 28. Juni 2012 in Kassel.

Prof. Dr. Bernd Overwien, Universität Kassel, leitet dort das Fachgebiet Didaktik der politischen Bildung. Derzeit liegen – neben Grundsatzfragen der Politikdidaktik - Arbeitsschwerpunkte bei Fragen der Bildung für nachhaltige Entwicklung und des Globalen Lernens, sowie der Verbindung von schulischem und außerschulischem Lernen.