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Bildungsarchitektur partizipativ gestalten
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Wenn Nutzerinnen und Nutzer aktiv und kreativ an der Gestaltung ihrer Bildungsräume beteiligt sind, führt dies zu einer hohen Identifikation und zu Wohlbefinden und Motivation. Dabei spielen Vorstellungen von Raumatmosphäre eine wichtige Rolle, sie werden in Erzählungen und Bilder verwandelt, die von den Architekten in konkrete Bauplanungen übertragen werden können.
Die Mitschüler, der Lehrer und der Raum
Der Raum, sagt der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi, sei nach den Mitschülern und dem Lehrer der dritte Pädagoge, der Kinder in ihrer Schulzeit präge. Die Architektur einer Schule und insbesondere die Gestalt der Schulräume selbst tragen demnach nicht unwesentlich zu den Lernerfolgen der Schülerinnen und Schüler bei. Der Psychologe Christian Rittelmeyer, die Kulturwissenschaftlerin Karen van den Berg und andere haben mit unterschiedlichen Ansätzen die Wirkung untersucht, die Schulräume und Schulgebäude auf die Schüler haben, die dort täglich ein- und ausgehen. Diesen Untersuchungen folgend kann man feststellen, dass das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen in solchen Räumen sehr zu ihrer Identifikation mit dem Gebäude beiträgt.
Was aber ist eine Architektur, in deren Atmosphäre sich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer gleichermaßen wohl fühlen, die sie zum Lernen und Arbeiten anregt und mit der sie sich identifizieren können? Architekten können bauliche Strukturen schaffen, die solche Ansprüche erfüllen. Aber in einer Gesellschaft, in der gerne über Geschmack diskutiert wird, wird es für sie immer schwieriger, befriedigende bauliche Antworten auf diese Fragen zu geben. Architektur ist indes weniger eine Geschmacksfrage als eine Frage der räumlichen Qualität. Warum also nicht die Menschen fragen, welche Qualitäten sie beispielsweise von einer Schule erwarten?
Nun sind wir in unserem alltäglichen Leben in der Regel keine Experten für Architektur, es sei denn, wir haben eine entsprechende Ausbildung genossen oder haben uns durch ein besonderes Interesse autodidaktisch das notwendige Wissen darüber angeeignet. Wir sind aber alle Experten in der Nutzung der Räume, wir haben eine Vorstellung davon, ob ein Raum zu groß oder zu klein ist, zu dunkel oder zu hell, zu warm oder zu kalt, wo wir uns wohl fühlen und wo nicht. Diese atmosphärischen Raumqualitäten tragen wesentlich zur Qualität der Architektur bei und ob wir uns darin im direkten Sinne wieder finden können.
Der Philosoph Gernot Böhme weist in seinen Schriften gerne auf die doppelte Bedeutung des Wortes "Befindlichkeit" hin. Es bezeichnet einerseits eine Gefühlslage und ist andererseits eine Ortsbestimmung. Wenn man sich also in einem Raum befindet, der die eigene Befindlichkeit positiv beeinflusst, fühlt man sich wohl. Dieses Wohlbefinden sollte das hohe Ziel der Architektur, vor allem beim Bau von Schulen sein. Über dieses Wohlbefinden kann man sich verständigen, und an dieser Stelle sollten die Fragen ansetzen, die Architekten den zukünftigen oder potenziellen Nutzerinnen und Nutzern ihrer Bauten stellen sollten. In den Schulen sind dies vor allem die Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler.
Die Form folgt der Fiktion
Geht es also um den Um- oder Neubau einer Schule, sollten Schüler, Lehrer und Architekten zusammenkommen und gemeinsam zunächst einmal herausfinden, welche räumlich-atmosphärischen Qualitäten sie von dem neuen Bauwerk erwarten und dabei ihrer Fantasie möglichst freien Raum lassen. Es klingt paradox, aber je weniger sie sich dabei mit der konkreten Problematik des Bauens befassen und auch von ihrer alltäglichen Situation Abstand nehmen können, umso erfolgreicher ist diese Ideenfindung. Die Lösungen konkreter baulicher Probleme wie Entscheidungen über die Farbe von Türen, den Einsatz von Glas, Stein, Holz oder Beton sollten vertrauensvoll den Architekten überlassen werden. Was natürlich nicht heißt, dass die Nutzer hier nicht auch ein Wort mitreden können. Die Aufgabe der Architekten ist es, in ständiger Rückkopplung mit den Nutzern, den Entwurf aus den gemeinsam ersonnenen fantastischen Sphären in räumliche Strukturen und in den Entwurf des Bauwerkes zu übersetzen und darauf zu achten, dass die einmal gewonnene Übereinstimmung über die räumlich-atmosphärischen Qualitäten schließlich auch beim konkreten Bauen dann nicht verloren geht.
Die große Bedeutung von Kommunikation
Das Entscheidende in diesem interaktiven Prozess ist die Kommunikation zwischen Architekten und Nutzern. Durch die richtige Wahl der Kommunikationsmittel lässt sich dieser Diskurs nach meinen Erfahrungen nicht nur mit "kompetenten" Partnern führen. Die Workshops zur Ideenfindung und zur Rückkopplung der architektonischen Entwürfe haben mein Büro und die Baupiloten der TU Berlin mit Kindern im Kindergartenalter durchgeführt, mit Schülern einer Grundschule, mit Jugendlichen, mit Studierenden, aber auch mit Bewohner/-innen eines Altenheims. Mal sind intensive Gespräche, mal Planspiele, zwei- oder dreidimensionale Collagen oder auch Filmproduktion und Filmprojektion die adäquaten Instrumente, um die Wunschwelten der Nutzerinnen und Nutzer mit ihnen selbst zu erkunden und zu kommunizieren. Die Wahl dieser Mittel geschieht auch in Abstimmung mit der Schulleitung, die hier ihre eigenen pädagogischen Schwerpunkte einbringt, sowie den Pädagog/-innen in Schulen und Kindergärten, die bei kleineren Kindern auch als Dolmetscher fungieren. Dieser Prozess baut nicht nur eine komplexe und tragfähige Kommunikationsstruktur zwischen Nutzern und Architekten auf, er fördert auch das Vertrauen in die Arbeit der Architekten. Sie führen das gemeinsame Projekt dann durch die Abstimmungen mit dem Kostenbudget, den Bauverordnungen, den Baubestimmungen und Baugesetzen und durch das Zeitmanagement und steuern die Umsetzung in bauliche Realität. Je abstrakter die Vorstellungen der Nutzer und das darauf und mit ihnen abgestimmte Konzept dabei angelegt sind, umso einfacher ist die Anpassung des Konzeptes an die realisierbare Architektur.
Inspiration durch die Form
Unsere Planungsprozesse beruhen darauf, dass die Vorstellungswelten der Nutzer in eine Geschichte oder einer Erzählung gefasst sind, auf denen dann das architektonische Konzept beruht. Die Geschichten lassen sich verändern oder ergänzen, ohne dass ihr Grundtenor dabei verloren geht. Sie werden weiter erzählt und interpretiert. Das gilt solange auch für das architektonische Konzept, wie die konkrete Ausführung nicht geplant oder durchgeführt wird. Die Kinder erwiesen sich unter anderem als Meister darin, die Geschichten und ihre architektonische Entsprechung zu interpretieren und zum Subjekt ihrer Projektionen zu machen. In der gebauten "Silberdrachenwelt" der Erika-Mann-Grundschule gibt es beispielsweise keinen Drachen, auch kein Bild von ihm, die Architektur regt die Kinder dazu an, ihn in ihrer Fantasie leben zu lassen. Und durch das Erzählen seiner Geschichte lebt er nun schon seit einigen Jahren und in mehreren Schülergenerationen. Die Schüler, die ihn erfunden haben, sind schon längst nicht mehr auf der Schule. Ähnliches gilt für den "Traumbaum" in der Kita Traumbaum in Berlin-Kreuzberg, das "Taka-Tuka-Land" in der Kita Taka-Tuka-Land oder den "Spion mit dem schimmernden Deckmantel" in der Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Wedding. Selbstverständlich hat dieser Prozess auch einen hohen pädagogischen Wert. Die Kinder lernen, ihre Vorstellungswelt zu artikulieren und mit Experten der Raumgestaltung, mit den Architekten oder Architekturstudierenden zu diskutieren. Sie verfolgen die Umsetzung in den Architekturentwurf sowie dessen Umsetzung in bauliche Realität. Allerdings macht ein solches Verfahren nur bei konkreten Bauprojekten Sinn. Diese spezielle Erfahrung kommt daher nur relativ wenigen Kindern zugute.
Der Raum als Lehrer
Für die nachfolgenden Schülergenerationen zählt die Qualität des aus diesem Prozess entstandenen Bauwerks sowie die als Legende weitergetragene Geschichte, die hinter der Architektur steht. Die Architektur ersetzt dann im besten Fall nicht die Fantasie der Kinder, sondern regt sie an. Aber sie weckt nicht nur ihre Vorstellungskraft, sondern auch die Kreativität ihrer Benutzung. Lernlandschaften und Sitzmöbel sind so konzipiert, dass es mehrere Arten der Benutzung gibt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten des Rückzugs oder des Entdeckens neuer räumlicher Situationen. Durch diese Aneignung wird der gestaltete Raum zu einem Feld der besonderen, unter Umständen pädagogischen, Raumerfahrung und zum Objekt der aktiven Identifikation, wenn die Kinder sich mit eigenen Arbeiten in die Raumgestaltung einbringen.
Der Raum, der Schulraum wie die Architektur der ganzen Schule sind so nicht allein Objekt der Identifikation, was an sich schon sehr hilfreich für das Wohlbefinden ihrer Nutzerinnen und Nutzer ist, sondern auch Gegenstand der unbewussten oder bewussten Auseinandersetzung mit dem Raum und seinen Qualitäten. Je nach seiner Anlage und Gestaltung ihrer Veränderbarkeit ist diese Architektur dann auch selbst ein Feld der baulichen Interaktion und weiteren Identifikation. Pädagogisch macht es hier dann auch mehr Sinn, ein Gefühl oder ein Verständnis für Raum und Erfahrungen im Umgang mit Raum zu vermitteln als das Wissen um Stilkunde, Baugeschichte oder Bautechnik. Nicht alle Kinder wollen kleine und später große Architekten werden. Aber sie können ein Gefühl für ihre bauliche Umgebung und dessen Veränderbarkeit entwickeln. Die Schulleiterin der Erika-Mann-Grundschule bezeichnet das als eine "ästhetische Alphabetisierung". Wir haben in unseren Workshops eine sehr rege Anteilnahme der Kinder erlebt. Offenbar förderte ihre Teilhabe an dem Entwurfsprozess nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern auch ihre Identifikation mit dem gemeinsam erarbeiteten Ergebnis, dessen Endprodukt die Gestaltung ihrer eigenen Alltagsumgebung ist. Dass die Kinder ihr eine andere Wertschätzung entgegenbringen als einem sozusagen gelieferten Produkt, liegt auf der Hand.
Viele der Projekte waren in das Quartiersmanagement der einzelnen Stadtteile eingebunden, die als soziale Brennpunkte klassifiziert sind, und wurden durch das Förderprogramm "Soziale Stadt" unterstützt. Die Architektur konnte hier für die Bewohner/-innen und deren Kinder, die sehr viele unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, als eine Art sozialer Katalysator wirken und hatte insofern auch eine Rückwirkung in den Kiez.
Seit 2009 Vertretungsprofessorin für Entwerfen und Konstruieren, Wohnungsbau und Kulturbauten an der TU Berlin. In einem Joint Venture leitet sie als freie Architektin seit 2003 das Projekt "Die Baupiloten".
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