Hip-Hop ist gegenwärtig die größte Jugendkultur weltweit. Allerorts rappen Jugendliche und junge Erwachsene, sprühen Graffiti, 'battlen‘ sich im Breakdance, erproben sich im DJing, programmieren Beats am Computer oder produzieren sie als Beatboxing mit dem Mund, organisieren Hip-Hop-Events, schreiben für Magazine und Blogs. In den gründungsmythischen 1970er-Jahren wurde Hip-Hop in der New Yorker Bronx von schwarzen und hispanischen Jugendlichen als Reaktion auf rassistische Ausschlüsse aus einer weißen Gesellschaft entwickelt. Bestand Hip-Hop ursprünglich nur aus den 'Four Elements‘ (DJing, Rap, Graffiti, Breakdance), ist es mittlerweile ein weitläufiges Betätigungsfeld geworden. Und selbst wenn man die Teenagerjahre hinter sich gelassen hat, liefert Hip-Hop als Subkultur Raum sich zu professionalisieren, den Radius der eigenen Clique zu übersteigen und als Szenegröße gefeiert zu werden. Da Jugend- und Subkulturen zuverlässige Ideenquellen für Mode-, Kultur- und Popindustrien sind, kann man zudem auch ganz ohne eigene aktive Beteiligung Codes der Szene in Filialen großer Bekleidungskonzerne käuflich erwerben. Bürgerlich-konservative Institutionen, Kampagnen und Firmen werben mit Elementen und Anleihen aus dem eigentlich so rebellischen Hip-Hop. So existiert Hip-Hop in den Dimensionen von Jugend-, Sub-, und Popkultur.
Männliche Diskurs-Dominanz im Hip-Hop
Jungs, die einst in kleinen Kellerstudios ihre ersten Raps aufnahmen und die zu Helden des Rap-Untergrunds wurden, werden genauso wie US-Popstars in den großen Jugendzeitschriften gefeiert wie in den Feuilletons besprochen. In letzteren hat sich der Blick auf die Szene-Protagonisten in den letzten Jahren allerdings mächtig gewandelt. Die gleichen Rapper, die vor einigen Jahren noch völlig verkürzt für Pornographisierung und zunehmende Gewaltbereitschaft vor allem so genannter bildungsferner Jugendlicher verantwortlich gemacht wurden, sind mittlerweile ins Spektrum der vorzeigbar salonfähigen Welt des kulturellen Lebens eingeladen worden. Sie werden mit bürgerlicher Anerkennung ausgestattet und mit prestigeträchtigen Medienpreisen für ihr Engagement für 'soziales‘ Miteinander ausgezeichnet.
Das Publikum, das sich vor allem in einem Altersspektrum zwischen 6 und 26 Jahren ansiedeln lässt, erfährt von diesen Rappern meist die großen Mythen einer hegemonial agierenden Männerwelt. Eine der zentralen Botschaften ist, dass das Leben es nicht gut mit einem meint und dass man sich zur Wehr setzen muss, dass man nicht aufgeben darf, stark sein und die Zähne zusammenbeißen muss und dass man nur selten oder heimlich weint – am besten gar nicht.
Die jungen Rezipient/-innen bekommen diese Nachricht in gereimter Form auf teuer produzierten Beats immer und immer wieder geliefert. Die dazugehörigen Visualisierungen in der Öffentlichkeitsarbeit und in Musikvideos zeichnen die entsprechenden Männerbilder dazu und die Fans befinden sich inmitten dessen, was Medienwirkung so ausmachen kann. Sie feiern ihre Idole, die sich in einer undurchdringlichen Mischung aus Authentizität und Inszenierung, überspitzter Ironie und straßenkredibeler Ernsthaftigkeit bewegen.
Eigentlich ist es erfreulich, wenn junge Menschen fiktive oder reale Figuren von kulturell-politischer Bedeutsamkeit in ihren Findungsprozessen als Orientierungen für sich zu nutzen wissen. Doch es ist kaum tragbar, wenn diese Figuren ihre sexuell-geschlechtliche Identität über die Herabwürdigung dessen konstruieren, was als weich, emotional, instabil, nachgiebig oder irrational gilt. Die Form von Männlichkeit, die im Rap mehrheitlich in der mann-männlichen Adressierung propagiert wird, ist eine, die sich vehement von Weiblichkeit und schwuler Männlichkeit abgrenzt und nur durch diese Abgrenzung überhaupt existieren kann. Frauen und Schwule (von anderen queeren, nicht heteronormativen Identitäten ganz zu schweigen) ziehen nicht in den Krieg, beschützen und versorgen ihre Familien nicht, kennen den Kampf auf der, den Kampf um die Straße nicht, sie wissen nicht, wie hart das Leben ist und wie man dieser Härte mit Härte begegnet, so die Aussagen vieler Rapper. Dass sie damit reale Lebenserfahrung in der tagtäglichen Auseinandersetzung und in der biographischen Gesamtschau von "Nicht-Männern“ mit diesen symbolbeladenen Männerphantasien unsichtbar machen und negieren, ist meines Erachtens ein Skandal.
Überspitzt gesagt haben Schwule in diesem maskulinistischen Universum nur eine Existenzberechtigung als Negativfolie und Projektionsfläche. Frauen dienen immerhin noch der heterosexistischen Bedürfnisbefriedigung der patriarchalen Machthaber. Sie werden in vielen Hip-Hop-Texten zudem in ihrer idealisierten Form etwa als unantastbare Mutter zur Heiligen erklärt und dahingehend funktionalisiert, dass alle Frauen, die in Ungnade gefallen sind, im Gegensatz zu ihr zu Huren und Schlampen erklärt werden. In dieser Position haben sie wiederum einen vergleichbaren Status wie Schwule – "die Verräter der Männlichkeit“– die "sich bücken, sich unterwerfen, sich ficken lassen“.
Je mächtiger die Idee von der kompromisslosen Männlichkeit von Rappern vertreten wird, desto schwerwiegender ist die Symbolhaftigkeit der Penetration als Machtdemonstration, desto demütigender wird die Reduktion von weiblicher – oder eben verweiblichter – Identität auf penetrierbare Löcher.
Bushido liefert auf seiner aktuellen Single mit Sido für genau dieses phallozentristische Phänomen eine exemplarische Zusammenfassung:
" […] es geht nicht um Mitgefühl, nein nicht im Ansatz / die Polizei schaut wieder vorbei mit der Mannschaft / und weil du kein‘ Schwanz hast geh zurück in dein scheiß Dorf bleib ein Teil deiner Landschaft […]“
Rap als vielfältige Artikulationsform
Nichtsdestotrotz ist Hip-Hop eine großartige Jugendkultur, die ein enormes Spektrum an Artikulationsmöglichkeiten bietet, die identitätsstiftend ist und Menschen die Möglichkeit gibt, in Gruppen gestalterisch und musikalisch aktiv zu werden. Hip-Hop schafft Orientierungs- und Abgrenzungspotenzial, ermöglicht Prozesse der Professionalisierung und Erfolgserlebnisse jenseits der normativen Anforderungen von Schulbildung und Arbeitsmarkt.
Das oben beschriebene Gender-Szenario hat eine enorme Szenedominanz und Diskursmacht. Rap wird, bei gleichzeitiger Normalisierung der männlichen Rapstars und ihrer Allmachtsphantasien, im öffentlichen Bewusstsein kaum noch mit seinem politischen Willen und seinen kreativen Möglichkeiten assoziiert. Ganz im Gegenteil: In der Grenzziehung zwischen Hoch- und Trivialkultur kann Rap im Land der Dichter und Denker nur verlieren.
Und da Rap eine leicht erlernbare Kulturtechnik ist, wenngleich es etwas Ausdauer in der Findung des eigenen Stils und der Verbesserung braucht, ist es sinnvoll und naheliegend, Jugendliche in ihrer Begeisterung für Rap ernst zu nehmen, ihnen die Werkzeuge mit an die Hand zu geben, die sie aus dem blanken Fan-Status herausholen. Wenn sie ihre eigenen Texte schreiben, müssen sie sich nicht mehr ausschließlich mit der zitatförmigen Reproduktion der Inhalte der meinungsmachenden Stars beschäftigen, sondern sie können ihre eigenen Ideen und Gefühle auf Beats artikulieren.
In den Workshops für Jugendliche geht es mir zum einen darum, ihnen technisch auf die Beine zu helfen, ihnen zu zeigen, wie sich Gedanken zu Themen bündeln lassen, wie ein Rap-Song aufgebaut sein kann, wie man Texte schreibt. Zum anderen ist es mir aber vor allem wichtig, mich inhaltlich mit ihnen zu beschäftigen und sie mit meinen Überlegungen zu den Gender-Repräsentationen im Rap zu konfrontieren. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Mir geht es nicht darum, die Sidos, Bushidos, Flers, Kollegahs, Farid Bangs und Atzen zu diskreditieren und sie zu schlechten Menschen zu erklären. Rap kann nur so sexistisch sein, wie eine Gesellschaft es zulässt und diesen Sexismus direkt feiert oder indirekt abnickt. Mir geht es darum, die Jugendlichen für diese Machismo-Propaganda zu sensibilisieren und mit ihnen zu überlegen, wer auf wessen Kosten den Fame abgreift und zum King erkoren wird. Zusätzlich sehe ich es als meinen Auftrag, die übergeordneten Fragen zu stellen, was diese Inhalte mit den Jugendlichen selbst, mit ihren Freundinnen und Freunden, mit ihren Familien, mit unserer Gesellschaft zu tun haben und welche Verbindungen zwischen realen Ungleichheitsverhältnissen wie 23 % Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, einem 15 Jahre andauernden Kampf um die Strafbarmachung von Vergewaltigung in der Ehe oder die Bilanz des Paragraphen 175 im Nationalsozialismus (Verbot männlicher Homosexualität) und seine Traditionslinien in die Gegenwart sind.
Es ist mir ein Anliegen, den Jugendlichen ein Gespür dafür zu geben, wie wirkmächtig und alltäglich Sexismus und Homophobie sind. Ich will zeigen, dass diese Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung noch nicht einmal isoliert betrachtet werden können, sondern dass sich etwa für einen Mann im Rollstuhl die Erstrebenswürdigkeit von breitschultrigem Heldentum anders anhört und anfühlt als für einen Jungen, der Angst hat, seine Eltern könnten ihn verstoßen, wenn er ihnen anvertraut, dass er davon träumt einen anderen Jungen zu küssen. Dass für ein albanisches, ein schwarz-deutsches oder ein weiß-deutsches Mädchen die Beschimpfung 'Schlampe‘ je nach – sagen wir Wohnbezirk und Höhe des Taschengeldes – ganz unterschiedliche Gefühle auslösen kann.
Wichtig ist dabei, möglichst nah an der Vorstellungswelt der Jugendlichen und ihrem Erfahrungsradius zu bleiben, um dann irgendwann übergeordnete Strukturen ansprechen zu können. Das Problem dabei ist, dass Begriffe wie 'Diskriminierung‘ oder 'Mobbing‘ eher im Wege stehen, denn sie unterliegen einer gewissen Inflation. Sie werden vielfach kaum noch in ihrer Bedeutungsstärke aufgenommen und drohen eine Semantisierung der Umkehr durchzumachen, wie es etwa bei dem Wort 'Opfer‘ der Fall gewesen ist. Mit solchen Vokabeln erntet man, zumindest zu Beginn der Workshop-Arbeit, wenn noch nicht genügend Beziehungsarbeit für die Vertrauensbildung geleistet wurde, eher Gelächter. Hier wird dann nicht selten die Gruppendynamik des 'Survival of the Fittest‘ spürbar, die auch der Subtext zahlreicher Rap-Songs, die innere Logik des kapitalistischen Arbeitsmarktes und der darauf vorbereitenden Konkurrenzkultur im staatlichen Schulsystem ist.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene machen ungezählte Erfahrungen der Grenzüberschreitung in allen möglichen Bereichen ihres Lebens, als Betroffene, als Mitwissende, als Verantwortliche. Um diese aufzufangen oder besser noch zu verhindern sind Familie, Freundeskreise, Pädagogen/-innen, Medien, Zivilgesellschaft und Staat gefragt. Ich versuche mit meinen Workshops einen Teil dazu beizutragen, indem ich gemeinsam mit den Teilnehmenden zu hinterfragen suche, ob die Härte und Gewalt, die in vielen Rap-Songs zum Programm erhoben werden, zu unserem Wohlbefinden beitragen, ob sie uns Mut machen, uns trösten, uns Freude bereiten, uns gute Laune machen, uns zeigen wie Mitgefühl und Solidarität funktionieren, uns lehren wie man kritisch denkt und nachfragt, uns Vorbild für Widerstand und Courage sind, uns daran erinnern, dass wir gut daran tun, gut zu uns zu sein, uns nicht einem Druck auszusetzen, der uns schlaflose Nächte bereitet und uns so handeln lässt, dass wir anderen und uns weh tun und der viel Reue mit sich bringt.
Meine Motivation ist in den Workshops weniger hippieesk als es im Moment vielleicht klingen mag. Eigentlich geht es mir darum, die Jugendlichen darin zu bestärken, dass sie auch anderes cool finden können, als das, was gerade in der Clique als cool gilt und somit viel eher ihrem eigentlichen Verständnis von Coolness entspricht. Methoden zu der Frage 'Was ist eigentlich cool?‘ ergeben in den Workshops immer wieder, dass ein Großteil der Jugendlichen letztlich unglücklich über den Zwang eines normativen Verständnisses von Coolness ist, dass sie aber trotzdem mitziehen, weil sie nicht als Außenseiter untergehen wollen. Und diese Aspekte von Coolness und Gruppenzugehörigkeit spiegeln sich eben auch in der Befürwortung heterosexistischer Rap-Lyrics wider, die lautstark über die Handys in die Klassen- und Kinderzimmer, Aufenthaltsräume der Jugendzentren und Bushaltestellen gepumpt werden.
Wenn ich mit den Jugendlichen an den Punkt komme, an dem wir eingestehen können oder wollen, dass Coolness nicht immer gleich Coolness ist, und dass die Dauernachricht "alle muttergefickten Hurensöhne können in den Bordstein beißen“ manchmal doch ein bisschen viel ist, ist es Zeit für die zahlreichen Alternativen im Rap: Es gibt die Musik von den Jungs, die keinen Bock haben, die ganze Zeit irgendwelche "Nutten zu missbrauchen“ ohne dabei wehrlose Waschlappen zu sein, oder für die es auch okay ist, wenn sie jemand so bezeichnet, weil sie wissen, dass diese Konkurrenzgerede darüber, "wer den Längsten hat“ ohnehin nur kostbare Lebenszeit verschwendet und sie sich lieber ihren Flows und Storys widmen. Und es gibt die Musik von den Frauen, die zart und aggressiv, atemberaubend schnell und präzise rappen können, die so lässig und entspannt daherkommen, dass irgendwelche Typen sie noch so oft als "hässliche Fotze“ bezeichnen können. Das wird sie kaum jucken oder sie battlen den Knilch an die Wand, dass es klatscht und zwar Beifall für ihre Skills.
Die Beispiellandschaft setzt sich aus deutsch- und englischsprachiger Musik zusammen, man muss die Sachen schon kennen, die gewaltaffine Diskursdominanz hat in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die guten Nachrichten im Rap eher unterrepräsentiert waren.
Zuweilen lohnt es sich aber auch die vorzeigbaren Stücke der "Testosteron-Raketen“ zu recherchieren um den Unterschied der verschiedenen Modi bzw. Haltungen deutlich zu machen.
Die eigentlichen Alternativen liegen aber natürlich in den Texten der Jugendlichen selbst. Gerade die Rap-begeisterten Jugendlichen neigen dazu in den ersten Schreibversuchen das Begriffsinventar und die dementsprechende Attitüde ihrer Idole zu reproduzieren. Ich habe schon ganze Mosaike aus Textbausteinen bekannter Rapper gehört, weil viele Jugendliche – wie in der Schule auch – daran gewöhnt sind zu reproduzieren, statt die eigene Ideenwelt zu kultivieren.