Seit der PISA-Studie im Jahr 2000 wird unter dem Stichwort »Kompetenzorientierung« der Wechsel von der Input- hin zur Outputorientierung im schulischen Bereich intensiv diskutiert. Stand zuvor die Frage im Mittelpunkt, welches Wissen erworben werden soll, geht es jetzt um die Frage, welche Kompetenzen die Lernenden selbst entwickeln und kontinuierlich ausbauen sollen. (…)
Der Psychologe Franz Emanuel Weinert definiert Kompetenzen als »bei Individuen verfügbare oder durch sie erlernbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können« (Weinert 2001: 27 f.).
Kompetenzorientierter Unterricht will also vermeiden, dass »träges Wissen« bei den Schülerinnen und Schülern entsteht, das sie sich nur aneignen, um in der Schule gute Leistungen zu erzielen und dafür mit guten Noten belohnt zu werden, dieses Wissen aber nicht auf Probleme in ihrer Lebenswelt beziehen können und es auch nicht nutzen, um konkrete Probleme zu lösen (vgl. Renkl 1996; 2004). (…)
Kritiker und Kritikerinnen der Kompetenzorientierung befürchten, dass durch die Fokussierung auf die Ausbildung und Förderung von Kompetenzen die fachlichen Inhalte völlig in den Hintergrund geraten und meinen, dass der Kompetenzbegriff zu unspezifisch sei (Gruschka 2013a: 84; Arnold 2002; Geißler / Orthey 2002). Ebenso wird die ausschließliche Ausrichtung des Bildungssystems an ökonomischen Verwertbarkeitskriterien kritisiert (Krautz 2009: 98 ff.).
In der politischen Bildung wurden im Laufe der Zeit verschiedene, konkurrierende Modelle entworfen, von denen drei im Folgenden dargestellt werden.
Das GPJE-Kompetenzmodell
Den Auftakt machte im Jahr 2004 das Kompetenzmodell der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE), das Methodische Fähigkeiten, Politische Urteilsfähigkeit, Politische Handlungsfähigkeit sowie Konzeptuelles Deutungswissen unterscheidet.
Das Konzeptuelle Deutungswissen umfasst Wissen über bestehende Konzepte (z. B. Was ist ein Parlament?), das auf konkrete Fälle angewandt werden kann (z. B. Entspricht der Deutsche Bundestag den Anforderungen eines demokratischen Parlaments?). Es geht also nicht um die bloße Aneinanderreihung von »Einzelaspekte[n] des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens« (GPJE 2004: 14), sondern darum, allgemeine Strukturen zu begreifen. (…)
Auch wenn im GPJE-Modell die drei Kompetenzbereiche voneinander getrennt dargestellt werden, sind sie in Lernprozessen und konkreten Handlungssituationen nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden und überlappen sich zum Teil.
Ein Politikkompetenzmodell bezogen auf Basis und Fachkonzepte
Das Politikkompetenzmodell von Joachim Detjen, Peter Massing, Dagmar Richter und Georg Weißeno unterscheidet zwischen sogenannten Basis- und Fachkonzepten. Nicht Faktenwissen oder fachliches Einzelwissen, sondern der Erwerb von konzeptuellem Wissen müsse im Mittelpunkt politischer Bildung stehen.
Dabei wird ganz grundsätzlich unterschieden zwischen Basiskonzepten, die einige wenige, zentrale Prinzipien bzw. Paradigmen der entsprechenden Domäne bezeichnen, und Fachkonzepten, welche das den Basiskonzepten zugeordnete Grundlagenwissen repräsentieren. Die nach didaktischen Kriterien ausgewählten Fachkonzepte beschreiben in ihrer Gesamtheit das politische Grundlagenwissen (vgl. Massing 2012: 24). (…)
Das Modell (vgl. Detjen u. a. 2012) unterteilt die Politikkompetenz in die Kompetenzen Politische Urteilsfähigkeit, Politische Handlungsfähigkeit, Fachwissen sowie Politische Einstellung und Motivation. Alle Kompetenzdimensionen sind dabei »eng miteinander vernetzt: So beeinflusst das politische Fachwissen zum Beispiel die politische Urteilsbildung. (…) (Massing 2012: 23).
(© Joachim Detjen et al. 2012)
(© Joachim Detjen et al. 2012)
Da dieses Kompetenzmodell »auf die Objektivierung schulischer Bildungsprozesse « (Detjen u. a. 2012: 16) großen Wert legt, gilt das Hauptaugenmerk der Teilkompetenz Fachwissen, das in Form von sogenannten Basis- und Fachkonzepten für eine Strukturierung des Lern- und Arbeitsprozesses sorgen soll. Durch das Abgleichen fachwissenschaftlicher Konzepte mit den eigenen Konzepten der Schülerinnen und Schüler sollen richtige Konzepte internalisiert werden. Mögliche Fehlkonzepte der Schülerinnen und Schüler sollen korrigiert werden. (…)
Das Kompetenzmodell der Autorengruppe Fachdidaktik
Als Gegenentwurf zum Politikkompetenzmodell von Detjen u. a. haben Wolfgang Sander, Andreas Petrik, Anja Besand u. a. als Autorengruppe Fachdidaktik ein eigenes Kompetenzmodell vorgelegt (Autorengruppe Fachdidaktik 2017). Nach Auffassung der Autorengruppe ist Politikkompetenz dreigeteilt in:
sozialwissenschaftliches Analysieren,
politische Urteilsbildung,
politische Handlungskompetenz.
Neben der politischen Urteilsbildung und der politischen Handlungskompetenz, die sich nur in Nuancen von den Definitionen in den anderen Kompetenzmodellen unterscheidet, definiert die Autorengruppe Fachdidaktik das sozialwissenschaftliche Analysieren als »Fähigkeit, gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Probleme, Fälle und Konflikte mithilfe sozialwissenschaftlicher Instrumente (Methoden, Kategorien, Modelle, Theorien) auf ihre Inhalte, Strukturen und Prozesse zu untersuchen, um ein sachlich begründetes Urteil abzugeben« (ebd.: 145). Zur Analyse bzw. zum Abgleich bestehender Vorstellungen werden Theorien und Modelle verwendet. Das Ergebnis der Analyse ist ein Sachurteil – also eine (möglichst) wertneutrale Einschätzung eines Sachverhalts, eines Problems oder eines Konflikts etc. Es ist zu beachten und den Lernenden stets zu verdeutlichen, dass die gewählten Quellen, die herangezogenen Theorien und Modelle, wie auch die getroffene Themenwahl im Unterricht ihrerseits jedoch immer werthaltig und selektiv sind.
Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Abschnittes aus dem Aufsatz Markus Gloe / Tonio Oeftering (2020), Didaktik der politischen Bildung. Ein Überblick über Ziele und Grundlagen inklusiver politischer Bildung. In: Externer Link: Meyer, D./Hilpert, W./Lindmeier, B. (Hrsg.): Grundlagen und Praxis inklusiver politischer Bildung. Bonn. S. 87 - 132.