Von Dresden über Stuttgart bis nach Hamburg: Fast jede Stadt hat mittlerweile einen sogenannten Aktionsplan. In diesen Plänen wird festgehalten, wie Städte und Gemeinden inklusiv gestaltet und umgestaltet werden können, denn in mehreren Artikeln der 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention wird die "(…) volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, (…)" von Menschen mit Behinderungen vorgeschrieben.
Wie aber gestaltet sich Inklusion und der Abbau von Barrieren im Alltag ganz konkret? Welche Maßnahmen wurden bereits getroffen? Welche Maßnahmen wünschen sich Menschen mit und ohne Behinderung für die Zukunft? Und wer ist an der Erstellung solcher Aktionspläne beteiligt? Mit all diesen Fragestellungen setzten sich Jan Markus Stegkemper, Martin F. Reichstein sowie Annette Hambach-Spiegler und Anna-Gracia Schade zusammen mit den Teilnehmenden auseinander.
Beispiele aus der Praxis: Teilhabe in Nieder-Olm
Im Rheinland-Pfälzischen Nieder-Olm gibt es seit Oktober 2011 einen Aktionsplan. Ausgearbeitet und vorgestellt wurde dieser von Annette Hambach-Spiegler, Mitarbeiterin der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, und von Anna Gracia-Schade, Vorsitzende des Behindertenbeirats der Verbandsgemeinde Nieder-Olm. Zu den Maßnahmen des Aktionsplans zählte unter anderem der Umbau des Rathaus-Foyers. Mit der Einrichtung eines Blindenleitsystems am Boden und mit der Beseitigung von Stufen sowie einer Empfangstheke in variablen Höhen wurde der Raum so gestaltet, dass er den Bedürfnissen aller Menschen gerecht wird. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung konnten zudem Gebärdensprache-Kurse besuchen, um für die Bedürfnisse von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen sensibilisiert zu werden. Ebenso gehört die Übersetzung von Formularen wie dem Antrag auf Grundsicherung in Leichte Sprache zu den Inklusionsmaßnahmen, erklärten die beiden Referentinnen. Erfahrungen mit Teilhabe und Teilhabeplanung
Aktionspläne wie in Nieder-Olm gibt es mittlerweile in vielen Städten Deutschlands, in der Diskussion mit den Teilnehmenden der Denkwerkstatt wurde jedoch deutlich: Über ihre Umsetzung ist häufig nicht viel bekannt. Welche Erfahrungen also haben Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses selbst mit Teilhabeplanung?
In der von Martin F. Reichstein, Mitarbeiter am "Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste" der Universität Siegen, geleiteten Diskussion wurde deutlich: Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen der Teilnehmenden ist es, Politikerinnen und Politiker von Inklusion zu begeistern und von der Dringlichkeit zu überzeugen, Teilhabeplanung aktiv umzusetzen. Ebenso sei es wichtig, Menschen mit Behinderung an der Erstellung und Umsetzung von Aktionsplänen zu beteiligen. Gerade diese Menschen seien Experten auf dem Fachgebiet der Inklusion und könnten hilfreiche Impulse geben. Denn, auch das wurde in der Diskussion deutlich: Noch gehören Barrieren und Diskriminierung in der Freizeit, auf dem Arbeitsmarkt, auf Ämtern und im öffentlichen Nahverkehr häufig zu ihrem gelebten Alltag dazu.
Teilnehmende während Denkwerkstatt 2 am zweiten Kongresstag. (© Swen Rudolph/bpb)
Teilnehmende während Denkwerkstatt 2 am zweiten Kongresstag. (© Swen Rudolph/bpb)
Leichte Sprache – Für Politikerinnen und Politiker eine Fremdsprache?
Die Diskussion um Teilhabeplanung warf einige Fragen auf, die nur schwer zu beantworten waren. Jan Markus Stegkemper, Doktorand an der Universität Koblenz-Landau, sind diese gut bekannt. Können Politikerinnen und Politiker Leichte Sprache sprechen? Wollen Sie das überhaupt? Jan Markus Stegkemper gab zudem zu Bedenken, dass bei Diskussionen zum Thema Inklusion Menschen mit komplexen Behinderungen, die nicht selbst sprechen können, oft nicht einbezogen würden. Doch auch diese hätten ein Recht darauf, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse gehört werden.
Dies wiederum warf Fragen bezüglich der sogenannten advokatorischen Assistenz auf: Woher weiß die Assistenz eines Menschen mit Behinderung, was er möchte und: Nimmt man die Assistenz als Vertretung ernst? Fragen, auf die auch die Teilnehmenden keine einstimmigen Antworten hatten, die aber Impulse für weitergehende Diskussionen gaben. Im sozialen Bereich, so Sabrina Hosona, Teilnehmerin des Kongresses, stünden noch immer zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung. Gerade die Einstellung von mehr Personal würde ihrer Meinung nach dazu führen, dass es mehr Zeit für Diskussionen über eben solche Fragen geben könne. "Ich verstehe nicht, warum man in komische Bauprojekte investiert und nicht in Menschen!", sagte Sabrina Hosona.
Am Ende der Denkwerkstatt standen also noch viele offene Fragen im Raum, aber mindestens genauso viele gute Ideen dazu, wie Teilhabe realisiert werden könnte und am wichtigsten: Viele Teilnehmende fühlten sich durch den Austausch von Erfahrungen in ihrer Arbeit und ihrem Einsatz bestärkt.
Von Carlotta Brüning