Bereits zu Beginn der Denkwerkstatt stellte Moderator Walter Staufer einen wichtigen Aspekt heraus: das "Zusammenwachsen von Medien-, politischer und inklusiver Bildung". Medienpädagogische Arbeit habe stets eine inklusive Komponente und auch politische Bildung ziele auf die Teilhabe aller ab, so der Referent der Bundeszentrale für politische Bildung. Mehrere Gäste stellten daraufhin konkrete inklusive Projekte mit Medienbezug vor und beantworteten die Fragen der Teilnehmenden.
Ohrenkuss: ein Magazin von Menschen mit Down-Syndrom
Es ist noch nicht lange her, da dachten manche Mediziner und Medizinerinnen, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht lesen und schreiben lernen könnten. Dass das ein Trugschluss war, machte Katja de Bragança noch einmal deutlich, die das Magazin Ohrenkuss vorstellte. Die Texte für das halbjährlich erscheinende Magazin stammen von Menschen mit Trisomie 21. Was sie zu sagen haben, schreiben sie mit dem PC, der Schreibmaschine, per Hand oder diktieren es. Ihre Gedanken werden ohne "Zensur" in ein ansprechendes Design gebracht und gedruckt. "Die Art und Weise wie man der Welt Dinge zeigt, sagt viel darüber, wie wichtig einem etwas ist", erklärte Katja de Bragança. Welche selbst gewählten Themen für die Autoren und Autorinnen wichtig sind, zeige sich also in jeder neuen Ausgabe des Magazins.
Besonders hilfreich sei bei dieser Arbeit auch eine persönliche Assistenz, die Redakteure und Redakteurinnen unterstützt, sich auf ihre Gedanken zu konzentrieren. Um diese Arbeit zu würdigen, wird die Assistenz beim Ohrenkuss Magazin in Redaktionstreffen einbezogen und ist auch auf Reisen dabei, finanziert über Spenden. Sonst finanziere sich der Ohrenkuss, so Katja de Bragança, durch Abonnements und Lesungen – man arbeite selbstständig und unabhängig.
"Menschen mit Lernschwierigkeiten sind Experten in eigener Sache"
Tobias Marczinzik stellte im Anschluss das Projekt PIKSL vor, das zwei Ziele verfolgt: zum einen die Fortbildung von Personen mit anderen Lernmöglichkeiten in Sachen Medienkompetenz und zum anderen die Entwicklung barrierefreier IT-Produkte. PIKSL will die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und Menschen auch in Beschäftigung bringen. Von vornherein seien betroffene Personen als Experten und Expertinnen für Strategien zur Barrierereduktion in die Arbeit eingebunden worden. Tobias Marczinzik betonte, dass es bei PIKSL "nicht um disability, sondern um capability" ginge – also nicht um Behinderungen, sondern um Fähigkeiten. Im Verlauf des Projektes entstanden so beispielsweise ein barrierefreier Webblog, ein Audioguide-System sowie Computerkurse für Senioren und Seniorinnen, umgesetzt von Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. An diesen Beispielen hätte sich gezeigt, dass von inklusiven Ansätzen verschiedene Personengruppen profitieren könnten.
Eine Bildungsroute mit QR-Codes
Zuletzt brachte Hans-Jürgen Palme von "Studio im Netz", eine bundesweit agierende medienpädagogische Facheinrichtung, Bewegung in die Denkwerkstatt. Ausgestattet mit iPads wurden die Teilnehmenden aufgefordert, der im Raum aufgebauten Bildungsroute zu folgen und Praxisbeispiele kennenzulernen, die zeigten, wie inklusive Medienarbeit gelingen kann. Alle Personen waren in der Situation, Inhalte nicht ohne Hilfe verstehen zu können: Sie sahen lediglich einen QR-Code. Da QR-Codes Zugang zu Bildern, Texten und Videos schaffen können, stellen sie für Menschen mit unterschiedlichen Lernmöglichkeiten einen gute Weg dar, selbstgesteuert zu lernen. Es ging auf der digitalen Bildungsroute darum, auszuprobieren, zu verstehen und sich gegenseitig bei der Entschlüsselung der Codes mit Hilfe eines QR-Scanners zu helfen. Letztlich, so das Resümee der Gruppe, ginge es bei Projekten, die die Teilhabe aller zum Ziel haben, um eine Haltungsänderung – um Empowerment: "Es erstaunt mich immer wieder, was Menschen alles können, wenn man sie nur lässt", machte Tobias Marczinzik zum Abschluss noch einmal deutlich und auch Katja de Bragança betonte: "Erst muss sich etwas in den Köpfen ändern, dann ändern sich die Dinge".
Von Ann Borgwardt