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Meine Geschichte(n), Meine Selbstbestimmung | bpb.de

Meine Geschichte(n), Meine Selbstbestimmung Auf Mut und Haltung kommt es an

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Die Reise-Gruppen 9 führten Gespräche mit Zeitzeugen der Behindertenbewegung Hans Reiner Bönning, Ottmar Miles-Paul und Christoph Rickels über ihre Lebenswege. Im Anschluss tauschten sich die Teilnehmenden in einer Arbeitsgruppe über das Gehörte und Diskutierte aus. Mut und Haltung wurden von ihnen am Ende zu zentralen Begriffen des Tages erklärt.

Reise-Gruppe 9: Meine Geschichte(n), Meine Selbstbestimmung. (© Swen Rudolph/bpb)

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich die Sichtweise durch, dass die Gesellschaft, die Barrieren und Hürden errichtet, fehlerhaft ist und zugunsten einer Partizipation aller Menschen verändert werden muss. Diese Rollenverschiebung in der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung erreichten vor allem auf Aktivisten der Behindertenbewegung und ihren Biografien. Drei dieser Menschen lernten die Teilnehmenden der Reise-Gruppen 9 kennen: Hans Reiner Bönning, Ottmar Miles-Paul und Christoph Rickels – drei Männer mit körperlicher Behinderung, die Folge eines Unfalls, angeboren beziehungsweise eines tätlichen Angriffs waren.

Offenheit ist Mut

Eine Gruppenhälfte sprach in der Neuen Mälzerei in Berlin ausführlich mit Christoph Rickels, der vor acht Jahren nach einem Hieb auf die Schläfe ins Koma fiel und mit schwerer körperlicher Behinderung wieder erwachte. Er musste alles neu erlernen: essen, sprechen und laufen. Die Teilnehmenden sprachen mit ihm darüber, wie man es mit viel Kraft und Mut schaffen kann, nach einem solchen Schicksalsschlag wieder nach vorne zu blicken. Hier wurde auch thematisiert, dass es sehr heldenhaft sei, den Mut zu haben, auf Leute zuzugehen, sie anzusprechen und um Hilfe zu bitten, wenn man Hilfe brauche. Offenheit sei demnach auch eine Form von Mut.

Der "Mut zum Leben" wurde ein zentrales Thema in der Diskussion. Ein Teilnehmer sagte: "Lasst uns Mut haben, neue Wege zu gehen. Wenn alle diesen Mut hätten, würde es uns allen besser gehen." Solidarität und Austausch untereinander seien wichtig, damit Betroffenen geholfen werden kann, mit ihrer Situation besser umzugehen und (neuen) Mut zu finden. Die Teilnehmenden hielten an dieser Stelle fest, dass Inklusion nur dann funktionieren könne, wenn die Gesellschaft stärker zusammenwachsen würde und Menschen keine Angst mehr hätten.

"Ein Wir, das verändert"

Reise-Gruppe 9. (© Swen Rudolph/bpb)

Neben dem Mut war den Reise-Gruppen 9 auch das Thema Haltung wichtig, die ein jeder haben sollte. Ein Miteinander würde mit einer positiven Haltung immer besser gelingen. Da man diese Haltung aber nicht erzwingen könne, müsse immer weiter an ihr gearbeitet werden. Hier sei vor allem Empowerment und die Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung von Menschen mit und ohne Behinderung wichtig. Insgesamt forderten die Teilnehmenden mehr Kommunikation auf Augenhöhe. Ein Teilnehmer wünschte sich: "Die Kopfbarrieren der Gesellschaft müssen weg."

Politisches Engagement als Möglichkeit der Selbstbestimmung

Außerdem wurde über verschiedene Wege politischen Engagements gesprochen. Hier wurden Werkstatt-Räte, selbstbestimmt organisierte Projekte und Gesprächsforen als Plattformen für Partizipation genannt. Auch an einer Universität oder Fachhochschule, beim Radio oder in der Jugendarbeit einer Partei könnten alle Menschen sich politisch einbringen und auf diese Weise ihre eigenen Themen in die Öffentlichkeit bringen. Hier wurde die Frage in den Raum gestellt, ob politische Bildung immer erst bei persönlicher Betroffenheit anfange.

Dass jeder kontinuierlich am eigenen Mut und der eigenen Haltung arbeiten sollte, verdeutlichten die Zeitzeugen den Teilnehmenden eindrucksvoll. Hier wurde abschließend der Wunsch geäußert, viel mehr in gemeinsamen Projekten zu arbeiten, um auch gemeinsam mehr Mut und Haltung zu erlernen.

Von Lena Brehm

Fussnoten