Eine wesentliche Prämisse politischer Jugend- und Erwachsenenbildung ist die Freiwilligkeit der Teilnahme.
Das bedeutet, eine Teilnahme ist nicht zu erzwingen. Das widerspräche der anthropologischen Voraussetzung der außerschulischen Jugend-/Erwachsenenbildung, dem philosophischen Anspruch der Aufklärung – die ja immer Selbstaufklärung ist – und den Erkenntnissen der Lerntheorie.
Das ist ein zentraler Unterschied zur Politikdidaktik, also der Art und Weise wie an allgemeinbildenden Schulen Politik unterrichtet wird.
Dort hat sich mittlerweile ein an ausschließlich funktionellen und an eng politikwissenschaftlich definierten Standards orientiertes "Kompetenzmodell" entwickelt. Es hat den vermeintlichen Vorzug, dass Lernergebnisse gemessen und bewertet werden können.
Eine solche Engführung politischer Bildung steht im Gegensatz zum Grundverständnis der außerschulischen politischen Jugend- und der politischen Erwachsenenbildung.
Hier besteht ein Konsens darüber, dass das theoretische und bildungspolitische Axiom der Veranstaltungen ein emanzipatorisches ist. Und das bedeutet, dass Menschen frei gesetzt werden, genauer: sich selbst befreien aus Verhältnissen, die ihre "Mündigkeit" - ein wichtiges, aus der Emanzipationspädagogik abgeleitetes Ziel – verhindern.
Es gibt in der außerschulischen politischen Bildung/politischen Erwachsenenbildung nur wenige, allgemein getragene didaktische Prinzipien, es sind nur drei: Teilnehmerorientierung, Subjektorientierung und Lebensweltorientierung.
Alle drei Kategorien meinen – mit unterschiedlicher Akzentuierung – das Gleiche: Ausgangspunkt, Thema und Ziel einer Bildungsveranstaltung sind die Interessen, Erwartungen, Lernvoraussetzungen, Lebensverhältnisse, Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsoptionen der Teilnehmer/-innen.
Auf das professionelle Handeln der Pädagoginnen und Pädagogen übertragen, bedeutet dies, dass sie sich nicht als Belehrende verstehen dürfen. Das widerspräche den Prämissen und Zielen der Jugend-/Erwachsenenbildung ebenso wie der Tatsache, dass sich in den Seminaren und Kursen immer Gleichberechtigte gegenüber sitzen.
Allerdings gibt es ein gravierendes Manko in der Realität politischer Jugend- und politischer Erwachsenenbildung: Zwar ist die Zahl der an ihren Veranstaltungen teilnehmenden Menschen nicht gering, wenn man sie in absoluten Zahlen misst. Relativ gesehen aber bleibt es eine Veranstaltung für eine Minderheit.
Pauschal gesehen sind die an der politischen Erwachsenenbildung teilnehmenden Menschen solche mit einem höheren formalen Bildungsabschluss bzw. einer mindestens mittleren beruflichen Position.
Diese Situation wird auch durch eine entsprechende Adressatenorientierung und ein dem gemäßes Planungsverhalten fortgeschrieben. Jugend- und Erwachsenenbildung haben – auch auf Grund der Freiwilligkeit bei der Teilnahme an den Veranstaltungen – ein starkes Rechtfertigungsproblem. Der "Erfolg" der Veranstalter wird gemessen an der Resonanz auf ihre Angebote,. Das führt zu einem zirkulären Wechselspiel zwischen Planung und Teilnahme: Geplant wird zunächst einmal für die, die zuverlässig kommen. Und diese signalisieren, was ihre Erwartungen sind.
Daraus ergibt sich ein strukturelles Problem, will man den Teilnahmekreis erweitern auf die Menschen, die eine "Teilnahmeeinschränkung" haben.
Das aber sind zunächst einmal 95% der erwachsenen Menschen. So viele nehmen nicht an Veranstaltungen teil, sie sind also irgendwie alle "teilnahmeeingeschränkt".
Um an dieser Stelle nicht absurd zu werden, muss eine Entscheidung getroffen werden, wer mit dem Etikett "teilnahmeeingeschränkt" wirklich gemeint ist.
Der Begriff ist in seiner allgemeinen, diffusen verschämten und bewusst uneindeutigen Aussage zielgruppen- und ansprachestrategisch nicht tauglich.
Auch wenn man – den Intentionen der Inklusion folgend – Menschen mit "Handicaps" meint, dann ist immer noch unklar, ob diese Handicaps körperlicher, geistiger oder sozialer Natur sind.
Ich nehme an, dass diese drei Gruppen gemeint sind. Aber was haben sie gemeinsam außer der Tatsache, dass sie bei den Veranstaltungen der politischen Bildung nur in Spurenelementen t vertreten sind?
Bei aller humanistisch motivierten Absicht, diese Exklusion aufzulösen, bleibt aber immer noch der Zweifel, ob es nicht auch ein Recht auf Nicht-Teilnahme gibt.
Schiebt man diesen Einwand beiseite, dann wird das Recht auf Teilnahme an politischer Bildung stellvertretend reklamiert. Das ist nicht frei von patriarchalisch motivierter Fürsorge. Hier stößt man an die Grenze der immanenten Logik der Selbstbestimmung von Menschen.
Nehmen wir aber die "guten Absichten" an, die hinter inklusiver Bildung stehen und sie in Bewegung setzen, dann muss genauer auf die Lage der diversen Gruppen mit Handicaps geschaut werden.
Die Gruppe der körperlich behinderten Menschen: Bettlägerige, Rollstuhlfahrer, chronisch Kranke u.a. haben zunächst einmal physische Probleme, um an den Veranstaltungen teilzunehmen. Dafür wären entsprechende räumliche Voraussetzungen zu schaffen, die das so weit wie möglich gestatten. Auch wenn dies geschehen sein sollte, bleibt die Frage, welche Erwartungen eine derart unterschiedlich behinderte Gruppe ausgerechnet an politischer Bildung haben sollte.
Doch Themen und Aktionen gibt es, beispeilsweise solche, die für eine Akzeptanz dieser Menschen und für deren weitestgehend möglichen Teilnahme am öffentlichen Leben werben und streiten. Aber Aktionen wie die, als sich in den 70er Jahren Ernst Klee mit körperlich und geistig Behinderten gegen ihre gesellschaftliche Randständigkeit zur Wehr setzte, sind mit Konflikten verbunden. Denn es werden gesellschaftliche Missstände deutlich. Da schafft nicht nur Entgegenkommen bei denjenigen, die sie zu verantworten haben. So motivierte Pädagoginnen und Pädagogen müssen sich prüfen, ob sie das aushalten können.
Bei der Gruppe der geistig benachteiligten Menschen stellt sich eine Frage, die zentral ins Verständnis politischer Bildung führt. Politische Bildung im klassischen Sinne ist auch immer eine Arbeit, die intellektuelle Ansprüche hat und stellt. Komplexe, oftmals sinnlich nicht erfahrbare Prozesse müssen dargestellt und verstanden, dahinter stehende Theorien rezipiert und bewertet, Alternativen gesucht und gefunden werden, Die offene Frage bleibt, wie weit das auf ein Niveau herunter gebrochen werden kann, dass ohne Substanzverlust auch bei geringeren intellektuellen Voraussetzungen der Teilnehmenden die Themen und Inhalte so angemessen präsentiert werden, damit dahinter stehende Gründe und Interessen nachvollzogen, bewertet und handlungsorientiert in die eigene Lebenswelt umgesetzt werden können.
An dieser Stelle ergibt sich die grundlegende Frage, inwieweit politische Bildung von einer eher kopforientierten Veranstaltung zu einer werden kann, bei der Themen und Inhalte sinnlich erschlossen und dennoch kognitiv und vernünftig eingeordnet werden können. Beispiele gibt es auch hier, u.a. aus der Theaterpädagogik.
Schließlich die dritte Gruppe: die Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Situation eine Teilnahmeeinschränkung haben. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einmal können die Teilnahmeentgelten mancher Anbieter politischer Bildung zu hoch sein. Darüber hinaus ist auch bei Menschen dieser Gruppe eine Frustration plausibel, gesellschaftlich abgehängt zu sein. Daraus ergibt sich oft ein Verdruss an "der" Politik, die nahtlos in die Vermeidung übergeht, an politischen Bildungsveranstaltungen teilzunehmen.
Hier stellt sich das Problem, dass soziale Benachteiligung in der Bildungsarbeit zwar thematisiert und problematisiert, nicht aber gelöst werden kann. Dennoch bleibt hier eine Kernaufgabe politischer Bildung, wenn sie ihr Etikett, politisch sein zu wollen, ernst nimmt. Wer sich mit entsprechenden Bildungsangeboten auf den Weg macht, der/die muss mit Widerständen bei den Adressaten rechnen, auch mit politik- und demokratieaversiven Reaktionen. Hinzu kommt, dass diese "Gruppe" auf Grund (sehr) unterschiedlicher Bildungshintergründe und Berufsqualifikationen sehr heterogen ist. Wer auch immer wie angesprochen werden soll: Es kann gerade hier nicht auf der Ebene der Inhalte und der "Bildung" stehen geblieben werden, sondern es müssen kollektive, auf politische Veränderungen zielende Handlungen folgen. Auch da sind die Konsequenzen für die veranstaltenden Pädagoginnen und Pädagogen nicht ohne Risiko.
Wenn politische Bildung auf Menschen mit Teilnahmeeinschränkung zielt, dann bleibt aber auch zu fragen, wie darauf diejenigen reagieren, die keine Teilnahmeeinschränkung haben. Praktisch gefragt: Soll die Gruppe "gemischt" sein? Das ergibt sich aus dem Gedanken der Integration und der Inklusion. Doch Beispiele aus der Praxis zeigen, dass die Realität nicht so einfach ist und glatt verläuft, wie das theoretisch gewünscht wird. In nahezu jeder Bildungseinrichtung sind Fälle bekannt, in denen es zu Beschwerden von Teilnehmer/-innen über Verhaltensauffälligkeiten Anderer gekommen ist. Hier fehlt es noch an gründlich erarbeiteten professionellen Reaktions-, Moderations- und Meditationsfähigkeiten.
Das Repertoire politischer Bildung im außerschulischen Bereich an sehr differenzierten Arbeitsformen und Methoden sowie an unterschiedlichen Veranstaltungsformaten ist groß und variabel einsetzbar. Das ist ihr erheblicher Vorteil gegenüber dem lehrplanfixierten, an Noten orientierten und in wenigen Unterrichtsstunden getakteten Politikunterricht an Schulen. Gerade im außerschulischen Bereich liegen daher die Chancen, wenn man Menschen erreichen will, die – aus welchen Gründen auch immer - "teilnahmeeingeschränkt" sind. Der Fundus an kreativen, Freude vermittelnden Lernwegen und -formen ist groß und kann zielgruppenspezifisch eingesetzt werden.
Das setzt aber voraus, dass die pädagogischen Mitarbeiter/-innen Freiräume haben zum Experimentieren. Das schließt die Möglichkeit, vielleicht auch Wahrscheinlichkeit des Scheiterns bei dem einen oder anderen Versuch mit ein. Wenn jedoch politische Bildung nur unter Effizienzgesichtspunkten bewertet und betriebswirtschaftlich rentabel sein muss, wie das heutzutage in vielen Einrichtungen der Fall ist, dann lohnt sich die ganze Mühe von vornherein nicht.
Entscheidend ist aber das Problem im "Vorfeld": das der Werbung, des Aufsuchens, der Ansprache und Anstiftung, an Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. Das wird nicht gehen, wenn man politische Bildung als eine Arbeit versteht, die in Büros entwickelt und vorausgedacht wird. Statt dessen ist hier an Konzepten wie der "aufsuchenden Bildungsarbeit" und des "Lernens vor Ort" zu erinnern. Vor allem ist die Frage zu klären, ob akademisch ausgebildete, theorieorientierte und soziale etablierte Jugend- und Erwachsenenbildnerinnen – gemeint sind jetzt nur die hauptamtlich Planenden – in der Lage sind, die Bedürfnisse und Interessen derjenigen tatsächlich zu begreifen und zu antizipieren, die mit der Rubrik "teilnahmeeingeschränkt" tituliert sind.