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Izzy Fuhrmann - ein jüdischer Musiker zwischen Verfolgung und Emigration

Christine Kindt

/ 5 Minuten zu lesen

16 Schülerinnen und Schüler dokumentierten 2006 das Leben und die Verfolgung des jüdischen Musikers Izzy Fuhrmann in einer Ausstellung. Sie arbeiteten dazu intensiv mit der in Los Angeles lebenden Tochter des Musikers zusammen.

Brigitte Medvin, Tochter des in Vergessenheit geratenen jüdischen Musikers Izzy Fuhrmann, träumte lange davon, das Werk und das Schicksal ihres im Nationalsozialismus verfolgten Vaters einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ergebnis war eine Schülerausstellung, in der 16 Elftklässlerinnen und Elftklässler aus Schwerin die lange aufbewahrten und außerhalb der Familie Fuhrmann unbekannten Dokumente über den Musiker zeigten. Die Erarbeitung der mit dem ersten Preis im Wettbewerb "Kinder zum Olymp" ausgezeichneten Ausstellung soll im Folgenden beschrieben werden.

Einstieg in das Projekt

Die Schülerinnen und Schüler hatten überdurchschnittliches Interesse an Geschichte und arbeiteten freiwillig an der Schüleraustellung mit. Alle verfügten aus dem Schulunterricht über historische Grundkenntnisse.

Im Januar 2006 wurden zunächst Aufgaben- und Zielstellung des Projektes vorgestellt. Im März begann die Arbeit mit einem Workshop im Jüdischen Museum Berlin und einem Treffen mit Brigitte Medvin, die eigens aus ihrem Wohnort Los Angeles angereist war. Ziel war es, die vorhandenen Grundkenntnisse der Schülerinnen und Schüler zur Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland und zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Deutschlands und Europas anhand von konkreten Beispielen der Diskriminierung, Vertreibung und Ermordung jüdischer Familien zu festigen.

InfoMethodensteckbrief

  • Teilnehmerzahl: 15

  • Altersstufe: Klasse 12

  • Zeitbedarf: 9 Monate, je 2 Wochenstunden

  • Kosten: 500 Euro

  • Benötigte Ausstattung: Standard-Schulausstattung

Nach einer Führung durch das Jüdische Museum übten die Schülerinnen und Schüler den Umgang mit historischen Quellen. Sie befassten sich zunächst in kleinen Gruppen von drei bis vier Personen mit Zeugnissen jüdischer Familien aus ganz unterschiedlichen Städten und sozialen Schichten. Ziel dieser Arbeitsphase war es, die Informationen aus schriftlichen Quellen herauszusuchen und zu bewerten. In einem zweiten Schritt sollten die Schülerinnen und Schüler diese dann ins Verhältnis zu ihrem geschichtlichen Wissen aus den Lehrbüchern stellen. Es ging also um Fragen wie:

  • Wie spiegelten sich die diskriminierenden Maßnahmen der Nazis im Leben der betreffenden Familie wider?

  • Warum erhielt eine Familie Hilfe von ihren Mitmenschen, andere nicht?

  • Welche ähnlichen Erfahrungen machen die Personen in den Quellen, wo sind ihre Erlebnisse unterschiedlich?

Die Schülerinnen und Schüler betrachteten also das Verhältnis zwischen konkreter, persönlicher Geschichte auf der einen Seite und allgemeiner Geschichte auf der anderen Seite. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit stellten sie im Plenum vor.

Dies vertieften sie dann durch das anschließende Gespräch mit und über Brigitte Medvin. Zunächst erzählte die 1933 Geborene, welche Kindheitserlebnisse, welche Träume ihrer Kindheit ihr in Erinnerung geblieben sind. Mit Hilfe eines Mitarbeiters des Leo-Baeck-Instituts am Jüdischen Museum Berlin stellten die Schülerinnen und Schüler unter Verwendung der bisherigen Arbeitsresultate die Verbindung zwischen Frau Medvins Erfahrungen und den Entwicklungen in Deutschland ab 1933 her.

Auf der einen Seite bekamen sie durch das Gespräch mit Izzy Fuhrmanns Tochter einen emotionalen Zugang zur Geschichte, indem hinter Zahlen und Fakten aus dem Unterricht ein konkreter Mensch mit seinem Schicksal erschien und ansprechbar war.

Auf der anderen Seite wurden schon in dieser ersten Begegnung mit Brigitte Medvin die Schwierigkeiten des Umgangs mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen deutlich. Die Schülerinnen und Schüler sahen, dass ihre Gesprächspartnerin manches anders schilderte, als die Lehrbücher es darstellen. Schließlich war Brigitte Medvin zum Zeitpunkt der Verfolgung ihres Vaters noch ein Kind und einige Erinnerungen möglicherweise verblasst.

Brigitte Medvin berichtete beispielsweise, dass ihr Vater Izzy Fuhrmann, ein geborener polnischer Jude, im Herbst 1938 freiwillig nach Polen zurückging, weil er sich hier bessere künstlerische Bedingungen erhoffte. Für den Historiker fällt dieses Weggehen des Vaters aber zusammen mit dem Zeitpunkt, an dem alle polnischen Juden, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatten, aus Deutschland ausgewiesen wurden. So war im Gespräch mit Frau Medvin nicht zu klären, ob der Vater Deutschland freiwillig oder zwangsweise verlassen hatte.

Aufgrund des dargestellten Gesprächsverlaufs entschlossen sich die jugendlichen Ausstellungsmacherinnen und Austellungsmacher, nicht nur die Familiengeschichte der Fuhrmanns zu erarbeiten, sondern diese in den Kontext der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschlands zu stellen. Noch in Berlin berieten die Schülerinnen und Schüler sowie ihre betreuende Lehrerin, welche Ereignisse und Entwicklungen zum Bereich der Familiengeschichte passen könnten. Die Diskussion führte schließlich zur Auswahl folgender Themen:

  • Geschichte des Antisemitismus

  • "Ostjuden" (der Vater war polnischer Jude)

  • Errichtung des Warschauer Ghettos

  • Leben im Warschauer Ghetto und der Aufstand im Warschauer Ghetto (Brigitte Medvin musste zusammen mit ihren Eltern eine Zeit lang im Warschauer Ghetto leben),

  • Konzentrations- und Arbeitslager

  • Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

  • Juden in Deutschland nach 1945 (die Familie lebte von 1945 bis 1948 gemeinsam in Berlin, bevor sie die Möglichkeit der Auswanderung in die USA nutzte).

Auf dieser Grundlage bildeten die 16 Schülerinnen und Schüler selbstständig Kleingruppen für die Recherchephase entsprechend ihren Interessen oder persönlichen Bezügen.

Material und Quellensammlung

Die nächste Projektphase von März bis Mai 2006 nutzten diese Kleingruppen für die Material- und Quellensammlung. Drei Mädchen beschäftigten sich mit den persönlichen Dokumenten, die Brigitte Medvin zur Verfügung stellte. Dazu gehörten neben vielen Fotos, Ausweisen und Urkunden vor allem Aufzeichnungen, die im Nachhinein und bereits auf Englisch angefertigt worden waren.

Die Schülerinnen mussten also sehr viel übersetzen, bevor sie die Familiengeschichte schreiben konnten. Auch standen sie per E-Mail mit Brigitte Medvin in Verbindung. Sie stellten so eine sehr enge Verbindung zu der Zeitzeugin her. Die anderen Gruppen beschäftigten sich vertiefend mit Themen, die im Geschichtsunterricht bereits angerissen worden waren und arbeiteten vorwiegend in Bibliotheken. Einen regionaler Bezug zu Schwerin fanden die Schüler nicht. Somit entfiel die Arbeit in Archiven vor Ort.

Die Rechercheergebnisse

Im Anschluss an die Quellensammlung diskutieren die Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmer die Gestaltung der Ausstellung. Sponsoren des Wettbewerbs "Verfemte Musik" am Kuratorium Schwerin unterstützen die Schülerausstellung, was den Druck von Ausstellungstafeln erlaubte. Bei der Besprechung der Layout-Vorschläge zeigten die Teilnehmenden, dass sie neben den erworbenen Geschichtskenntnissen auch umfangreiche Fähigkeiten in der graphischen Gestaltung aus dem Informatik- sowie Kunstunterricht anwenden konnten.

Die verbleibenden Wochen bis zu den Sommerferien nutzten die Schülerinnen und Schüler für das Schreiben der Ausstellungstexte und Gestaltung der Ausstellungstafeln. "Einfacher gesagt als getan" war das geplante Layout – es gab Probleme bei der Umsetzung am Computer und mit der technischen Ausstattung der Schulrechner.

Nachdem letztlich alle Hindernisse überwunden, die Tafeln gedruckt, die Bilderrahmen geputzt und aufgehängt waren, eröffnete die Ausstellung "Izzy Fuhrmann - ein jüdischer Musiker zwischen Verfolgung und Emigration" im September 2006 im Intercity-Hotel in Schwerin.

Brigitte Medvin reiste mit ihrem Mann zur Eröffnung an und nahm auch an einer Gesprächsrunde mit dem Leiter des Konservatoriums Schwerin teil. Ein Schüler und eine Schülerin moderierten den Abend und interviewten Brigitte Medvin. Ergänzt wurden die Schilderungen durch Musik von Izzy Fuhrmann, die von Musikern des Konservatoriums Schwerin aufgeführt wurde.

Inzwischen konnten Teilnehmende der Projektgruppe die von ihnen selbst ins Englische übersetzte Ausstellung schon in Los Angeles im Museum of Tolerance und bei den Fränkischen Musiktagen zeigen. Im September 2007 wurde das Projekt "Izzy Fuhrmann - ein jüdischer Musiker zwischen Verfolgung und Emigration" in Berlin mit einem ersten Preis des Wettbewerbs "Kinder zum Olymp" ausgezeichnet.

Christine Kindt arbeitet seit 1988 am Gymnasium Fridericianum Schwerin. Die Lehrerin für Geschichte und Deutsch organisiert mit ihren Schülern immer wieder Projekte und Ausstellungen zur Kriegs- und Nachkriegsgeschichte der Region Mecklenburg-Vorpommern. Ein Beispiel ist das Externer Link: Projekt Stolpersteine, das 2006 in Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendring Schwerin verwirklicht wurde.