Am Beginn betreten wir ein Schwarzbild, dessen Farbe uns unmittelbar in ein Nichts stellt – wir befinden uns im Ungewissen und können nicht ermessen, was als Nächstes kommt. Die Schilderungen, welche nun zu hören sind, stammen von den Kassetten, das Klicken des Abspielgerätes ist deutlich zu hören. Wir hören griechische Frauen, die das Schlimmste erzählen, was sie erlebt haben: Das Sterben der Kinder und Angehörigen. Weil wir keine Bilder sehen, steigen in uns die Bilder des Schreckens empor, in denen wir das Erzählte imaginieren. Die Schilderungen gehen in schrecklichste Einzelheiten, die uns nach Halt suchen lassen. Einzige Hilfe für uns ist der unerbittliche Untertext, der jedoch auch nur das erlebte Grauen der Stimmen nennen kann.
Kassettenrecorder, auf dem die Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu hören sind.
Kassettenrecorder, auf dem die Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu hören sind.
Unseren Ohren erscheinen die Worte – zumal aus dem Off gesprochen – wie eine Welt der Unglaublichkeiten; und doch vervollständigt sich die Erzählung durch die Angaben der Nachkommen und insbesondere die wissenschaftlichen Ergebnisse jahrelanger Forschung, die Schminck-Gustavus als Gewährsmann vor der Kamera mitteilt. Immer wieder dringen Klagelaute aus vergangener Zeit zu uns, die Ereignisse setzen sich aus verschiedenen Perspektiven in den Äußerungen auch bei uns zu einem Gesamtbild zusammen.
Die filmische Ästhetik verliert nie die Zuschauer: Die Kamera bleibt überlang auf den Motiven der Landschaft stehen. Es ist die griechische Berglandschaft im Epirus – eine schöne Aussicht auf einen schönen See, die so gar nicht passen will zum Gehörten, Gelesenen. Chrysanthos Konstantinidis verwebt die Bilder der Landschaft, die schweigend das Schicksal der Menschen trägt, mit Hilfe eines musikalischen Netzes aus einfachen Tonfolgen bis hin zum Volkslied, das unvermittelt erklingt, doch in der Instrumentierung reduziert ist auf wenige Klangkörper. Die Töne ergänzen das im Bild Gesagte, nehmen uns an die Hand und füllen die Gedankenwelt des Betrachters und Hörers aus. Wenn die Bilder stehenbleiben oder langsames Schwenken der Kamera einen statischen Effekt erzielt, haben wir die Chance, die schrecklichen Ereignisse zu erfahren. Es ist kein Wunder, dass die Bildaufnahmen aus der kalten Jahreszeit stammen; Buntes gibt es im Film nie. Bunt können die Opfer und ihre Nachkommen nicht mehr denken, denn bunt heißt farbenfroh. Der Ernst dieser Geschehnisse überträgt sich von Generation auf Generation. Doch: "Rache? Hätte man mir einen Deutschen, der getötet hatte, gebracht, vielleicht hätte ich mich rächen wollen. Aber wenn dein Vater meinen Vater getötet hat, was kannst du jetzt dafür?"
Die jüdische Totenklage am Ende von De Sicas "Il giardino dei Finzi Contini" entließ vor 50 Jahren den Zuschauer mit einem enormen Schuldgefühl, einen Zuschauer, der Zeuge, Wissender der Taten sein konnte. Das hat Konstantinidis hier überwunden; es geht nicht um eine Frage der Schuld. Die Schuldigen sind nicht mehr greifbar. Es gibt jedoch den einen spürbaren Fortschritt: Gleich dem Zuschauer antiker Tragödien bleibt uns am Ende ein Zweigefühl. Die endlose Scham über das Tun des eigenen Volkes mischt sich mit einer Kraft, selbst aktiv zu werden, um dem ungerechten Ungleichgewicht in den Biographien einen Ausgleich zu verschaffen.