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Die Schattenjäger | Games zur politischen Bildung | bpb.de

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Die Schattenjäger Rezension

Lutz Schröder

/ 7 Minuten zu lesen

In „Die Schattenjäger“ führen wir als Teil der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zum Massaker im Warschauer Stadtteil Wola 1944 durch, um die Schuld des ehemaligen SS-Befehlshabers Heinz Reinefarth zu prüfen.

Das Spiel nutzt Originaldokumente, die teils in ausführlicherer Form im echten Online-Archiv des Spiegels nachgelesen werden können. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

Zusammenfassung

„Die Schattenjäger“ bietet interessante Einblicke in die schwierige Suche nach NS-Verbrechern in der bundesdeutschen Nachkriegszeit und zum Warschauer Aufstand. Die Spielenden müssen sich dabei auch mit Fragen der strafrechtlichen, moralischen und Kollektivschuld auseinandersetzen, während sie gegen einen ehemaligen NS-Offizier ermitteln.

„Die Schattenjäger“ ist ein Externer Link: kostenloses browserbasiertes Serious Game, welches vom Pilecki-Institut Berlin veröffentlicht wurde. Beim Pilecki-Institut handelt es sich um ein Geschichts- und Kulturvermittlungseinrichtung, die vom polnischen Parlament gegründet wurde. Offizielles Ziel des Instituts ist es unter anderem, Externer Link: die Folgen des deutschen Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus auf Polen zu erforschen und zu reflektieren.

Im Spiel müssen die Spielenden als ein Staatsanwalt bzw. eine Staatsanwältin in Flensburg eine Ermittlung gegen Heinz Reinefarth durchführen. Er wird verdächtigt, als SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von 1944 beteiligt gewesen zu sein. Ihm wird vorgeworfen, dass unter seiner Verantwortung innerhalb weniger Tage bis zu 50.000 Menschen im Stadtteil Wola ermordet wurden. Zum Zeitpunkt des Spiels, 1960, ist Reinefarth Bürgermeister von Westerland auf Sylt und zudem Abgeordneter im Schleswig-Holsteinischen Landtag und damit in politisch sehr hohen Positionen tätig. Während einige der Personen im Spiel fiktiv sind, handelt es sich bei Heinz Reinefarth um eine historische Person.

Zu Beginn des Spiels können wir uns entscheiden, ob wir in die Rolle von Anna Ludwig oder lieber Hans Ludwig schlüpfen wollen. Beide sind erst seit kurzem Staatsanwälte. Deshalb arbeiten sie mit dem erfahrenen Staatsanwalt Jens Klimmt zusammen. Dieser ist im Spielverlauf nicht nur ein wichtiger Gesprächspartner, um den Fall zu diskutieren, sondern unterstützt die Ermittlungen zudem auch mit Hinweisen. Neben Reinefarth findet sich mit Fritz Bauer eine weitere historische Figur im Spiel wieder. Dieser übernimmt eine unterstützende Rolle und hat die fiktiven Personen Anna bzw. Hans unter anderem wegen seiner entscheidenden Mitwirkung an den Frankfurter Auschwitz-Prozessen zu ihrer Berufswahl inspiriert.

Mit dem Start eines neuen Spiels erscheint zunächst ein kurzes Intro-Video, das die Protagonisten und ihre Motivation vorstellt sowie den vorliegenden Fall und seine historischen Hintergründe erläutert. Dadurch werden die ansonsten stummen Protagonisten charakterisiert und es fällt leichter, sich mit ihnen zu identifizieren. Auch wird die Wichtigkeit des Falls erläutert: Obwohl der Zweite Weltkrieg bereits 15 Jahre her sei, habe eine Aufarbeitung der NS-Herrschaft und der Gräueltaten unter deutscher Besatzung kaum stattgefunden. Die Untersuchungen gegen Reinefarth könnten hier dazu beitragen, eine neue Phase der Aufarbeitung anzustoßen.

Szene aus dem Intro. Fritz Bauer argumentiert beim Frankfurter Auschwitzprozess. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

Im Intro und in vielen Dialogen wird sehr konkret auf die frühe deutsche Erinnerungskultur Bezug genommen. Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, wolle unter diesen mehrheitlich einen Schlussstrich ziehen. Viele Deutsche sähen sich, ohne die eigene Kriegsschuld zu beachten, als Opfer alliierter Angriffe und einer „Siegerjustiz“ ausgesetzt. Anna und Hans Ludwig zählen zur nachfolgenden Generation und erklären im Intro, dass sie danach streben, die Vergangenheit aufzuarbeiten und Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Per Telefon können Kollegen und weitere Personen kontaktiert werden. Fritz Bauer erklärt, dass viele ehemalige Nationalsozialisten in der Justiz arbeiten. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

Nach dem Intro folgt ein Tutorial, das die zentralen Spielmechaniken erläutert. Die wichtigste davon ist das Dialogsystem, das sich an Point-and-Click-Adventures orientiert. Dabei ziehen die gewählten Antworten häufig starke Konsequenzen nach sich. Diese Verästelung der Erzählung kann zur Folge haben, dass wichtige Informationen und Dokumente nicht erhalten werden können, sodass die Ermittlungen eingestellt werden müssen. Während Telefonate ohne sichtbaren Gesprächspartner auskommen, wird dieser bei Gesprächen von Angesicht zu Angesicht gezeigt. Hier hilft die Mimik dabei, einzuschätzen, wie Figuren auf die Fragen von Anna bzw. Hans reagieren.

Die Stimmung der Figuren ändert sich mit den Antworten. Verärgern wir eine Person, kann es passieren, dass sie uns keine Informationen mehr geben wird. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

Eine zweite wichtige Spielmechanik ist das Zeitmanagement. Die Ermittlungen müssen innerhalb von fünf Tagen abgeschlossen werden. Jeder Arbeitstag hat nur acht Stunden, an die sich neben der Staatsanwaltschaft auch alle anderen Einrichtungen halten, die besucht werden können. Viele der Handlungen, z.B. Gespräche, die Recherche in Akten oder die Reise zu anderen Orten, verbrauchen Zeit. Auch sind viele Handlungen oder Gespräche an bestimmte Tage gebunden und anschließend nicht mehr möglich. Bei jeder Aktion muss also überlegt werden, ob diese etwas zur Lösung des Falls beitragen könnte. Abhängig davon, was und wie viel wir in dieser Zeit herausfinden können, fällt die Entscheidung, ob es zu einer Anklage gegen Reinefarth kommt oder nicht.

Jens Klimmt erklärt das herausfordernde Zeitmanagement. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

Teilweise verrät das Spiel nicht, in welchen Situationen wir etwas anders hätten machen können oder wo bestimmte Informationen zu bekommen sind. Hier kann das Spielerlebnis frustrierend sein. Gleichzeitig erhöhen die verschiedenen Enden des Spiels jedoch auch den Wiederspielwert und erzeugen durch eine gewisse Unberechenbarkeit Spannung.

Das Spiel bietet eine Fülle an Details zu Personen und historischen Ereignissen, die entdeckt werden können. Gelingt es, die richtigen Schlüsse zu ziehen, erhalten Anna bzw. Hans Zugang zu neuen Zeugen, Dokumenten, Fotos und Beweisen. Diese helfen dabei, den Verdächtigen zu überführen. Da das Spiel trotzdem nur zwei bis drei Stunden lang ist, sind mehrere Durchgänge in relativ kurzer Zeit möglich, um beispielsweise andere Antworten in einem Gespräch auszuprobieren. Zudem wird das Spiel regelmäßig automatisch gespeichert, so dass die Spielzeit nicht in einem Stück absolviert werden muss. Leider ist es nicht möglich, an einem bestimmten Zeitpunkt einzusteigen, um beispielsweise Zeit im Unterricht zu sparen.

Dokumente wie dieses schildern die Ereignisse bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes aus unterschiedlichen Perspektiven. Damit sind sie für uns wichtige Beweismittel. (© Die Schattenjäger / Pilecki-Institut Berlin, GD Events / eigener Screenshot)

KurzinfosDie Schattenjäger

  • Genre: Detektivspiel

  • Herausgeber: Pilecki-Institut Berlin

  • Entwickler: GD Events

  • Plattform: Browser

  • Erscheinungsdatum: 5. Oktober 2021

  • USK: nicht geprüft

  • bpb-Empfehlung: ab 16 Jahren

Pädagogische Einschätzung

„Die Schattenjäger“ behandelt zwei historische Themen, die eng miteinander verbunden sind: Die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von August bis Oktober 1944 und die Erinnerungskultur der frühen Bundesrepublik. Letzteres bildet dabei den erzählerischen Rahmen, der bereits im Intro eine zentrale Stellung einnimmt und dabei hilft, das Spiel historisch zu verorten. Auch werden im Intro mit Jan Sehn und Fritz Bauer zwei Juristen genannt, die den Protagonisten Anna bzw. Hans Ludwig als Vorbilder dienen. Externer Link: Sehn war ein polnischer Richter, der unter anderem die Auslieferung und Anklage von Rudolf Höß, einem der Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz, nach Polen erreicht hatte. Auch Bauer war an der Verfolgung von NS-Tätern beteiligt und drängte auf Reformen des deutschen Justizwesens und Interner Link: die Frankfurter Auschwitzprozesse, die zu einer breiteren Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland führten. Diese real-historischen Vorbilder sowie die historische Rahmenhandlung lassen das Spiel im Kontext mit den vielen historischen Dokumenten authentisch wirken.

Diese frühe Einordnung des Settings prägt das weitere Spielerlebnis stark, da das Serious Game auf die Ermittlung zur Rolle von Heinz Reinefarth während des Warschauer Aufstandes zugeschnitten ist. Dies überrascht nicht, weil das Spiel ursprünglich Teil einer Externer Link: Ausstellung des polnischen Pilecki-Instituts zum Massaker in Stadtteil Wola war und somit indirekt Teil der Geschichtspolitik des polnischen Staates unter der ehemaligen nationalkonservativen Regierung unter Führung der PiS ist, also deren Geschichtsverständnis transportiert.

Der Bildungsanspruch des Spiels tritt wiederholt durch verschiedene Perspektiven hervor. Jens Klimmt und Fritz Bauer sprechen zu Beginn sehr kritisch über die Amnestiepolitik von Konrad Adenauer, der sich dafür eingesetzt habe, ehemalige Staatsbedienstete aus der NS-Zeit wieder in die öffentliche Verwaltung einzugliedern. Verschiedene Zeugen, die Anna bzw. Hans befragen können, bieten demgegenüber sehr unterschiedliche Perspektiven. So sieht ein Postbeamter seine Zeit als Offizier in Wola unkritisch als legitimen Kampf gegen Aufständische, eine Polin hegt großes Misstrauen gegenüber der deutschen Justiz und ein Seemann hat Angst vor Vergeltung durch seine ehemaligen Kameraden, sollte er als Zeuge gegen Reinefarth auftreten. Die Dokumente schildern die Ereignisse aus Sicht von polnischen Zivilisten und teils auch von deutschen Offizieren und Soldaten und tragen so dazu bei, die Aussagen der Zeugen zu kontextualisieren. Journalistische Sichtweisen finden sich schließlich noch in mehreren Artikeln aus dem Magazin „Der Spiegel“ im Spiel wieder, die sich Externer Link: in ausführlicherer Form auch im echten Onlinearchiv des Magazins nachlesen lassen.

Der Umgang mit Personen, die einen NS-Hintergrund hatten, insbesondere Vertretern der Judikative, bildet einen weiteren Schwerpunkt des Spiels. Neben anderen Staatsanwälten werden insbesondere Richter genannt, bei denen oft ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus darüber entschieden hätten, ob ihre Berufskollegen als „belastet“ galten oder nicht. Das Spiel zeigt so anschaulich, wo Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung lagen: Nicht nur die zeitliche Distanz zu den Ereignissen und die widersprüchlichen Aussagen von Zeugen sind herausfordernd, sondern auch die Frage nach der individuellen Schuld, da Zeugen Täter oft nicht namentlich benennen konnten und Interner Link: lediglich Befehle befolgt zu haben (Interner Link: „Befehlsnotstand“) .

Lernpotentiale beschränken sich nicht nur auf die Förderung von Urteilskompetenz und die Vermittlung von Geschichtswissen zu den behandelten Themen. Um die richtigen Schlüsse zu ziehen, sind ebenfalls analytische Fähigkeiten und ein gutes Gedächtnis hilfreich. Unterstützt werden diese durch ein Notizbuch, das während der Ermittlungen automatisch ergänzt wird und in dem sich thematisch sortiert zentrale Details zum Fall finden. Werden das Spiel und die enthaltenen ethischen Fragen im Unterricht diskutiert, können zudem argumentative Fähigkeiten zu Werten und Normen gefördert werden. Leider ist das Notizbuch nach Abschluss der Ermittlungen nicht mehr aufrufbar und kann nicht mehr als Hilfe für Diskussionen genutzt werden.

„Die Schattenjäger“ richtet sich nach Aussage der Herausgeber an Schüler der Sekundarstufe II und damit an die Altersgruppe ab etwa 16 Jahren. Dies erscheint insbesondere wegen der enthaltenen Schilderungen sinnvoll, weil diese für jüngere Schülerinnen und Schüler noch nicht zumutbar sind: Im Spiel sind zahlreiche Dokumente enthalten, die plastisch beschreiben, wie Zivilisten getötet wurden und wie menschenverachtend sich die deutschen Besatzer verhielten. Für die pädagogische Einordnung ist es daher sinnvoll, wenn der Warschauer Aufstand zeitgleich im Unterricht thematisiert wird. So kann es leichter fallen, den historischen Kontext zu verstehen und zu reflektieren. Die Herausgeber bieten zudem Externer Link: eine Anleitung an, in der nicht nur Ideen für die Nutzung des Spiels im Unterricht enthalten sind, sondern auch Themenvorschläge für Diskussionen. So ist die Schuld von Reinefarth, trotz vieler Indizien, keineswegs leicht nachweisbar. Das Ergebnis der Ermittlungen wird von Anna bzw. Hans am Ende in einem Video kommentiert, so dass die Gedanken der Protagonisten deutlich werden und ebenfalls eine Diskussionsgrundlage bilden können.

Fussnoten

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Veranstaltung
veranstaltet von der bpb

Staat und Geschichtsunterricht

  • Montag, 20. Januar 2025
  • 18:00 – 20:00 Uhr
  • Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Senatssaal

Dr. Lutz Schröder hat Geschichts- und Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt mediale Geschichte studiert. Sowohl in seiner Masterarbeit als auch seiner in seiner 2020 veröffentlichten Doktorarbeit beschäftigte er sich intensiv mit der Inszenierung von Geschichte in Computerspielen. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt er darin, wie Gamedesign mit historischen Inhalten kombiniert und von Gamern wie Wissenschaft gleichermaßen wahrgenommen wird. Besonders reizen ihn die Fragen, wie Spiele Interesse an Geschichtsthemen wecken und die Erinnerungskultur prägen können.