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Road 96 | Games zur politischen Bildung | bpb.de

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Road 96 Rezension

Christopher Wandel

/ 5 Minuten zu lesen

Road 96 bietet eine intensive und tragische Geschichte über Jugendliche, die ihr Schicksal in die Hand nehmen und in der Ferne auf ein besseres Leben hoffen. Es ist ein spannendes und lehrreiches Adventure mit viel Potenzial für die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen.

Auf der Flucht vor der Perspektivlosigkeit eines vom Autoritarismus gebeutelten Landes schlagen wir uns in Richtung Landesgrenze durch. (© Road 96 / DigixArt, Plug In Digital, Ravenscourt / eigener Screenshot)

Zusammenfassung

Road 96 verdeutlicht auf eindrucksvolle und lehrreiche Weise, welche Lebensumstände eintreten müssen, damit Jugendliche alle erdenklichen Gefahren auf sich nehmen und die Flucht aus dem eigenen Land antreten. Wird es pädagogisch gerahmt, kann es einen Beitrag zur Prävention gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegenüber Geflüchteten leisten.

Auf den ersten Blick wirkt Road 96 wie die spielbare Form eines Road Trips in den neunziger Jahren. Tatsächlich trügt dieser Eindruck. Es handelt sich um die tragische Geschichte eines Landes, in dem insbesondere junge Menschen keine Hoffnung mehr sehen und deshalb die Flucht ergreifen. Das Spiel vermittelt einen authentischen Eindruck davon, welche Begegnungen und Herausforderungen ein solcher Weg bereithalten kann.

Die Handlung spielt im fiktiven Land „Petria“, das vom autoritären Machthaber „Tyrak“ regiert wird und sich derzeit im Wahlkampf befindet. Tyraks Kontrahentin ist die liberale Politikerin „Florres“, die insbesondere in der jüngeren Bevölkerung ein hohes Ansehen genießt. Die Zerwürfnisse zwischen den politischen Lagern lassen eine bürgerkriegsähnliche Stimmung entstehen, das Land scheint tief gespalten. Der Alltag ist geprägt von Wahlkampflügen und Intrigen. Die Meinungsfreiheit ist ebenfalls massiv eingeschränkt. Zudem scheint es nicht ohne Weiteres möglich zu sein, das Land zu verlassen – außer über die Road 96. Für viele jüngere Menschen stellt die Landstraße somit den einzigen Weg in ein glücklicheres Leben dar.

Während unserer Flucht lernen wir andere junge Menschen kennen und erfahren, welche Lebensumstände sie dazu bewegten, ihr bisheriges Leben aufzugeben. (© Road 96 / DigixArt, Plug In Digital, Ravenscourt / eigener Screenshot)

Der Tyrann Tyrak unterdrückt den Widerstand im Land größtenteils gewaltsam. Laut den Umfragewerten liegt er weiterhin vor Florres. Für uns besteht jedoch die Möglichkeit den Wahlkampf zu beeinflussen, indem wir während unserer Flucht auf Wahlkampfplakate an Wänden und Laternenmasten achten. Sie können beschädigt werden, was das Ansehen Tyraks in der Bevölkerung senkt und Florres neuen Aufwind in den Umfragen beschert.

Ziel des Spiels ist es, die Landesgrenze zu erreichen, die weit entfernt liegt, abgesperrt ist und bewacht wird. Somit gilt es, Alternativrouten zu entdecken und Petria auf Umwegen zu verlassen. Ob wir damit Erfolg haben werden, liegt vor allem daran, wem wir dabei begegnen, welche Entscheidungen wir treffen, welche Gegenstände wir finden und wie viel Geld wir besitzen, mit dem wir beispielsweise kurz vor der Grenze einen Schleuser beauftragen können. In jedem Fall ist der Ausgang unserer Flucht ungewiss. Sie kann gelingen oder aber tragisch enden, wenn wir entdeckt und verhaftet werden oder verunglücken.

Auf der Karte des Spiels können einzelne Fluchtrouten und Zwischenstationen nachvollzogen werden. (© Road 96 / DigixArt, Plug In Digital, Ravenscourt / eigener Screenshot)

Intensives Storytelling

Das Erfrischende an Road 96 ist, dass es sich spürbar von artverwandten Titeln wie »Interner Link: Tell Me Why« unterscheidet und darüber hinaus keinem klassischen linearen Verlauf folgt. Vielmehr bietet die Erzählweise eine sich immer weiter entwickelnde Spielgeschichte, auf die wir durch unsere Spielentscheidungen Einfluss nehmen.

Die Geschichte des fiktiven Landes Petria sowie das Thema Flucht werden anschaulich und vielschichtig dargestellt. Genau an diesem Punkt offenbaren sich die Stärken des Spiels. Statt nämlich Machthaber Tyrak immer weiter zu dämonisieren, stehen im Spiel vielmehr die vielen Schicksale unserer Weggefährten im Vordergrund. Auf diese Weise lernen wir nach und nach ihre Beweggründe kennen, die sie dazu veranlassen, ihr bisheriges Leben aufgeben und das Land zu verlassen. Schaffen wir es, ihr Vertrauen zu gewinnen, besteht sogar die Chance, neue Spezialfertigkeiten (wie Hacking von Terminals und ähnlichem) zu erlernen.

In Road 96 lernen wir immer wieder andere Jugendliche kennen, die uns etwas Neues beibringen und so unser Vorankommen erleichtern. (© Road 96 / DigixArt, Plug In Digital, Ravenscourt / eigener Screenshot)

Um dem Spiel ein wenig die Schwere zu nehmen, kommen im weiteren Spielverlauf immer wieder kleine Minispiele zum Tragen. Diese schaffen einen wichtigen Kontrast zur allgegenwärtigen bedrückenden Grundstimmung. Wir bringen eine defekte Funkanlage wieder in Gang, reparieren eine Telefonzelle oder deeskalieren spielerisch eine Streitsituation während einer Busfahrt.

Freundschaftlicher Zusammenhalt

Im Spielverlauf treffen wir immer wieder Jugendliche, die sich auf der gleichen Mission befinden wie wir selbst. Oft benötigen sie eine helfende Hand, um es über die Grenze zu schaffen. Dieser freundschaftliche Zusammenhalt sorgt für große Spielfreude sowie intensive Spielphasen. Es geht nicht nur darum, dass wir selbst es so schnell wie möglich über die Grenze schaffen. Wir möchten helfen, uns solidarisieren und im besten Fall niemanden zurücklassen. Insgesamt entsteht so ein emotional intensives Spielerlebnis.

KurzinfosRoad 96

  • Genre: Adventure

  • Herausgeber: DigixArt, Plug In Digital, Ravenscourt

  • Plattform: PC, Nintendo Switch, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S

  • Erscheinungsdatum: 16. August 2021

  • USK: ab 16 Jahren

  • bpb-Empfehlung: ab 16 Jahren

Pädagogische Einschätzung

Wie vermittelt man Jugendlichen ein komplexes Thema wie die Flucht aus dem eigenen Land? Road 96 bietet hierfür einen spielerischen Zugang. Zu jeder Zeit stehen die Erlebnisse und Empfindungen der Betroffenen im Vordergrund, ohne dabei Klischees zu reproduzieren. Die Beweggründe wirken glaubhaft und bieten ideale Voraussetzungen für die pädagogische Arbeit. Dies gilt sowohl für den schulischen Alltag als auch für den Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Vor allem lädt die Geschichte zur Bearbeitung der Frage ein, unter welchen Umständen junge Menschen die Bereitschaft entwickeln, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen, um irgendwo in der Ferne ein neues Leben zu beginnen.

Eine andere Form des Spielspaßes

Spiele wie »Interner Link: 1979 Revolution: Black Friday« zeigten bereits in der Vergangenheit, dass Spielspaß und Faszination durchaus auch mit ernsten Themen funktionieren. In Road 96 ist nicht jede Spielrunde von Erfolg gekrönt. Manchmal werden wir verhaftet oder sterben sogar auf unserem Weg in die erhoffte Freiheit. Hierdurch stellt sich ein ganz eigenes Spielgefühl ein, da die bedauerlichen oder tragischen Umstände eine intensive emotionale Nähe zur jeweiligen Spielfigur herstellen. Begünstigt wird dieses Gefühl sicherlich auch durch die Tatsache, dass die lebensweltlichen Themen unserer neuen Weggefährtinnen und Weggefährten uns nur allzu vertraut erscheinen und somit optimale Identifikationsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Biografien der Spielfiguren eignen sich somit als Beispiele für die pädagogische Arbeit und können einen Ausgangspunkte darstellen, mit Jugendlichen über das Thema Flucht ins Gespräch zu kommen. Dabei erfahren wir im Laufe des Spiels viel zu den Fluchthintergründen der Jugendlichen.

Weitreichende Entscheidungen

Im gesamten Spielverlauf werden komplexe Entscheidungen verlangt, die den Verlauf der weiteren Geschichte verändern werden. Dies betrifft uns sowie unsere neuen Freundinnen und Freunde. Falsche Entscheidungen können auf diese Weise nicht nur unser eigenes, sondern auch das Leben dieser Personen beeinträchtigen. Die Spielmechanik bietet daher eine gute Möglichkeit, jungen Menschen vor Augen zu führen, dass nicht nur im virtuellen Alltag jede Entscheidung mit Konsequenzen verknüpft ist.

Hinsichtlich der Spielgeschichte ist es interessant, den Transfer zu wagen und die Spielinhalte als Vorlage zu nutzen, um sich im pädagogischen Setting beispielsweise der Frage zu widmen, welche Lebensumstände beziehungsweise politischen und sozialen Umstände dazu führen können, dass man sich selbst zur Flucht genötigt oder gezwungen fühlt. Auf diese Weise können ungewohnte Perspektiven eingenommen und Vorurteile gegenüber Geflüchteten hinterfragt und womöglich abgebaut werden. Das Spiel liefert eine anschauliche für Jugendliche anschlussfähige und sensibel erzählte fiktive Vorlage.

Fussnoten

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Sozial- und Medienpädagoge (M.A.). Von 2011 bis 2014 Mitarbeiter im Institut Spielraum-Institut zur Förderung von Medienkompetenz sowie im Institut für Medienforschung und Medienpädagogik an der TH Köln. Seit 2014 Gastdozent der Akademie der kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW. Bis 2018 verantwortlich für das Spieletester-Angebot „Games4Kalk“ in der Stadtteilbibliothek Köln-Kalk in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW. Im September 2016 durch den deutschen Bibliotheksverband (DBV) zum „Bibliothekshelden“ ausgezeichnet. Seit 2019 Bildungsreferent und freier Autor.