"Svoboda 1945: Liberation" ist ein Serious Game und Nachfolger des 2017 erschienenen "Attentat 1942". Wie bereits im Vorgängertitel erlangen die Spielenden in einer fiktiven Geschichte anhand von Dialogen, Dokumenten und Minispielen Informationen über reale historische Ereignisse. Zentrales Thema ist die teilweise gewaltsame Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den tschechischen Grenzgebieten nach 1945.
Das Schicksal einer alten Schule
In der Rolle eines tschechischen Denkmalschützers reisen wir im Jahr 2001 zum fiktiven Ort Svoboda. Dort soll überprüft werden, ob die alte Schule der Ortschaft unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Der ehemalige Lehrer Josef Stuckniča hat die Überprüfung beantragt, um das Gebäude vor dem Abriss durch den lokalen Großbauern Alois Klepal zu schützen. Unsere Aufgabe ist es zu entscheiden, ob die alte Schule bedeutsam genug ist, um sie unter Denkmalschutz zu stellen.
Als wir uns im Rahmen unserer Recherche auf dem Dachboden der alten Schule umsehen, entdecken wir ein Foto unseres eigenen Großvaters, der selbst eine Rolle in der Geschichte von Svoboda gespielt haben muss. Im weiteren Verlauf des Spiels versuchen wir zum einen die Geschehnisse im Ort seit 1938 zu rekonstruieren und verfolgen zum anderen die Spur unseres Großvaters. Um dies zu erreichen, lesen wir Berichte und erschließen uns aus Gesprächen ständig weitere Informationen über den Ort Svoboda und seine Bewohner.
Fiktive Zeitzeugen
Direkt zu Beginn des Spiels wird im Disclaimer darauf aufmerksam gemacht, dass Figuren und ihre Geschichten rein fiktiv seien, jedoch auf historischer, quellenbasierter Recherche beruhen. Die Dialoge mit eben diesen Figuren bilden die Kernmechanik von "Svoboda 1945: Liberation". Sie werden in Form von interaktiven Filmen mit mehreren Dialogoptionen präsentiert. So können wir etwa nach gefundenen Gegenständen (z.B. Fotos) fragen. Während manche dieser Optionen weitere Spiel- und Dialogmöglichkeiten freischalten, besteht bei anderen die Gefahr, dass unser Gegenüber die Unterhaltung abbricht.
Die Erinnerungen der Zeitzeugen werden meist als animierte Graphic Novels inszeniert, die den Spielenden die Möglichkeit geben, im eigenen Tempo den Erzählungen zu folgen und über das Pausenmenü mehrmals durchlebt werden können.
Spielbare Erinnerungen
"Svoboda 1945: Liberation" bemüht sich, das sehr sprachlastige Grundgerüst durch diverse Minispiele aufzulockern. Die sogenannten spielbaren Erinnerungen sind in ihrer Art und Mechanik zwar abwechslungsreich gestaltet, bieten jedoch selten Spieltiefe. Sie variieren vom klassischen Kartenspiel "Black Jack" über Suchbilder bis hin zu einem rundenbasierten Landwirtschaftssimulator.
Sofern es möglich ist, in ihnen zu scheitern, hat ein Misserfolg keine Konsequenzen für den weiteren Spielverlauf. So werden die Spielenden in einer Erinnerung in die Rolle der Tante einer ehemaligen Bewohnerin von Svoboda versetzt. In dieser muss sie entscheiden, welche Gegenstände sie vor der Vertreibung aus dem Ort einpacken solle. Zur Orientierung hilft ein Schreiben der Kreisverwaltungskommission, das auflistet, welche Arten von Gegenständen erlaubt, verboten oder obligatorisch sind. Wird ein falscher Gegenstand ausgewählt, erklärt die Stimme der alten Frau, weshalb sich ihre Tante für oder gegen ihn entschieden hat. Auswirkungen auf den Rest der Erinnerung oder den weiteren Dialog mit ihr hat ein Fehler allerdings nicht.
Etwas anders verhält es sich bei der bereits erwähnten Landwirtschaftssimulation, in der Spielende Runde für Runde mehr Ertrag an die kommunistische Regierung abgeben müssen und zwangsläufig dazu gezwungen werden, nach und nach Teile des eigenen Besitzes zu verkaufen. Hier gehört das schrittweise Scheitern zum Spielprinzip, um die Mechanik der Kollektivierung der privaten Landwirtschaftsbetriebe nach dem kommunistischen Staatsstreich 1948 nachvollziehbar und erlebbar zu machen.
Enzyklopädie als Nachschlagewerk
Sobald im Verlauf des Spiels bestimmte historische Ereignisse, Personen oder Daten zum ersten Mal erwähnt werden, werden die Spielenden darüber informiert, dass ein neuer Artikel in der Enzyklopädie verfügbar ist. Hier lassen sich weitere Informationen zu den genannten Schlagworten finden.
Nach etwa drei bis vier Stunden Spielzeit sind alle Dialogoptionen erschöpft, alle Hintergrundinformationen gelesen und alle Minispiele durchgespielt. Wir erfahren, wie das Foto unseres Großvaters auf dem Dachboden der Schule gelandet ist. Es bleibt nun nur noch die abschließende Frage zu klären, ob wir die alte Dorfschule unter Denkmalschutz stellen möchten oder nicht. Zwar spielt das Gebäude im Laufe unserer Recherche eine zentrale Rolle, dennoch fühlt sich unsere finale Entscheidung nicht relevant an.
KurzinfosSvoboda 1945: Liberation
Genre: Adventure, Simulation
Herausgeber: Charles Games
Plattform: PC, iOS, Mac, Nintendo Switch
Erscheinungsdatum: 3. August 2021
USK: ab 12 Jahren
bpb-Empfehlung: ab 14 Jahren
Pädagogische Einschätzung
Charles Games haben mit "Svoboda 1945: Liberation" in erster Linie eine interaktive Quellensammlung geschaffen: Die meisten Informationen erschließen sich über das Lesen von Untertiteln, Dokumenten und der Enzyklopädie.
Insgesamt entfaltet sich wenig Lernpotenzial über die eigentliche Spielmechanik. Stattdessen können jedoch insbesondere die divers gehaltenen Erzählperspektiven einen interessanten Anknüpfungspunkt für die pädagogischen Arbeit im Unterricht darstellen.
Um die Story des Spiels in ihren historischen Kontext einordnen zu können, sollten der Verlauf und die Folgen des Zweiten Weltkriegs bereits im Unterricht behandelt worden sein. Eine Einbettung des Spiels in den Unterricht vor Mitte der 9. Klasse bzw. für Jugendliche unter 14 Jahren erweist sich daher als schwierig.
In "Svoboda 1945: Liberation" werden verschiedene historische Themen angesprochen. Hierzu gehören unter anderem:
Diese Vielzahl an Themen stellt Lehrkräfte und pädagogisches Personal vor Herausforderungen. Es gilt beim Einsatz des Spiels, gezielte Fragestellungen zu formulieren und Schwerpunkte zu setzen, da ansonsten die Fülle an Informationen und Quellen die Lernenden überfordern könnte.
Anregungen und Potenziale für den Unterricht
Insgesamt beträgt die Spieldauer etwas drei bis vier Stunden. Im schulischen Kontext ist es denkbar, Lernende nur einzelne Episoden spielen zu lassen. Mögliche Anwendungsbeispiele im Unterricht können sein:
Durch die Menge an Quellen können Lernende an das Arbeiten mit historischen Quellen im Geschichtsunterricht herangeführt werden. Hierbei sollte das Nebeneinander von Fiktion und realen historischen Personen und Ereignissen thematisiert werden.
Flucht und Migration sind zentrale Themen im gesamten Spiel. Insbesondere die Gespräche mit der ehemaligen deutschen Bewohnerin Anna Grötschel und ihrem Bruder sowie dem Wolhynien-Tschechen Jan-Vlk bieten sich an, um zwei unterschiedliche Migrationsbiographien im Politik- oder Geographieunterricht zu skizzieren.
Die Kollektivierung von Landwirtschaftsbetrieben fand nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern in der gesamten Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik statt. Das bereits beschriebene Minispiel bietet sich für eine kurze Episode über die Wirkungsmechanismen kommunistischer Staaten im Politik- oder Geschichtsunterricht an.
Das gesamte Spiel wird von der Frage umspannt, welche Ursachen und Folgen die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung hatte und inwiefern die teilweise gewaltsame Durchsetzung gerechtfertigt war. Ob und – falls ja – in welchem Ausmaß Rache moralisch vertretbar ist, stellen interessante Fragestellungen für den fächerübergreifenden Ethikunterricht dar.
In sämtlichen Kontexten ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den biographischen Erzählungen der Figuren um fiktive Geschichten handelt.