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Gerda: A Flame in Winter | Games zur politischen Bildung | bpb.de

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Gerda: A Flame in Winter Rezension

Lara Keilbart (B.A. Germanistik und Anglistik)

/ 6 Minuten zu lesen

Im dänischen Dorf Tinglev drohen die Spannungen zwischen den Nazi-Besatzern und der Bevölkerung zu eskalieren. In “Gerda: A Flame in Winter“ durchleben wir diese schwierige Zeit und treffen folgenschwere Entscheidungen.

Bereits im Vorspann, der im Dezember 1939 spielt, deuten sich Spannungen innerhalb der dänischen Gesellschaft um das Verhältnis zu Nazi-Deutschland an. (© Gerda: A Flame in Winter / Dontnod Entertainment / eigener Screenshot)

Zusammenfassung

„Gerda: A Flame in Winter“ ist ein Abenteuerspiel, das die schwierige Lage, der die dänische Bevölkerung während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg ausgesetzt war, überzeugend aufgreift. Immer wieder ist die Protagonistin moralischen Dilemmatas ausgesetzt. Je nachdem, wie wir uns in diesen Situationen verhalten, kann es zu dramatischen, tragischen oder glimpflichen Schicksalen der Figuren kommen. Gemeinsam mit dem dazugehörigen historischen Kontext verpackt das Spiel die moralischen Fragen in eine spannende Erzählung. Dadurch regt das Spiel zur intensiven Reflexion über die Geschehnisse an, weshalb es auch für den Einsatz im Unterricht geeignet sein kann, etwa im Rahmen einer Projektwoche.

Februar 1945: Deutsche Nazis haben das dänische Dorf Tinglev besetzt und übernehmen brutal die Kontrolle über sämtliche Lebensbereiche. Lebensmittel werden rationiert, Medikamente sind kaum noch zu bekommen. Die Protagonistin Gerda sitzt in mehrfacher Hinsicht zwischen den Stühlen. Nicht nur muss sie sich als Krankenschwester zwischen ihrer moralischen Überzeugung und ihrem medizinischen Ethos entscheiden, als Tochter einer Dänin und eines Deutschen wird sie auch immer wieder in die Vermittlerinnenrolle der beiden Volksgruppen gedrängt. Wie soll sie sich gegenüber einem verletzten deutschen Soldaten verhalten? Soll sie die Ungerechtigkeiten und Repressionen gegenüber den Dorfbewohnern und Dorfbewohnerinnen akzeptieren, um sich selbst und ihre Familie zu schützen?

In unserem Tagebuch beeinflussen wir Gerdas Charakterentwicklung und können Stärken erlangen, die uns unterschiedliche Handlungswege eröffnen. (© Gerda: A Flame in Winter / Dontnod Entertainment / eigener Screenshot)

Die Situation eskaliert, als sich Gerdas Ehemann Anders als Mitglied der lokalen Widerstandsgruppe herausstellt und festgenommen wird. Über die folgenden Monate hinweg steuern wir Gerdas Weg und ihre Entscheidungen. Sie fasst einen Plan, Anders aus der Haft zu befreien. Wir entscheiden dabei situationsabhängig, ob wir es mit Diplomatie oder Gegenwehr versuchen. Gehen wir den Handel ein, Informationen über den dänischen Widerstand im Dorf an die Gestapo zu liefern im Tausch gegen Anders‘ Freiheit? Dabei eröffnen sich auch neue Wege und neue Ziele, wie etwa, einer geflüchteten Jüdin mit ihrer Tochter zu helfen. Alle Entscheidungen haben dabei ganz unterschiedliche Konsequenzen und beeinflussen somit das Schicksal aller im Dorf lebenden Menschen. Dabei erfährt Gerda Nächstenliebe, sieht den Opportunismus von Kriegsprofiteuren sowie die Angst, die Menschen zu Fluchthelferinnen- und -helfern, Schmugglerinnen- und Schmugglern und Deserteuren macht.

Die Spielmechanik wird im Prolog einfach und verständlich verdeutlicht, indem wir in der ersten Szene am Bahnhof auf unseren Vater und unseren Partner Anders treffen. Anhand der Frage, wer unseren Koffer tragen darf, verändert sich der Zuneigungswert der jeweiligen Person zu uns.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Spiels ist die Erkundung der Umgebung zwischen den Gesprächen. Hierbei finden wir entweder Informationen über andere Personen oder Gegenstände. Beides kann uns später spezielle Interaktionsmöglichkeiten eröffnen, also zusätzliche Gesprächsoptionen oder Zugang zu verschlossenen Räumen. In der Regel können wir dadurch späteren Konfrontationen aus dem Weg gehen oder etwa mehr Leuten helfen, die Gerda wichtig sind.

Der Entscheidungsdruck, den Gerda verspürt, wird auch dadurch hervorgerufen, dass in vielen dieser Interaktionen nicht unendlich Zeit zur Verfügung steht. Dann erscheint am oberen Bildschirm eine Leiste, die sich je nach Situation durch unsere Handlungen und Entscheidungen füllt oder leert. Das kann etwa die verbleibende Zeit sein, bis eine Person den Raum betritt. Statt „Zeit“ kann die Anzeige aber auch andere, einschränkende Modifikatoren bezeichnen, etwa die Anspannung der Gruppe bei einem nächtlichen Einbruch oder den Lärm, den wir verursachen. Wir müssen uns dann genau überlegen, welche Stellen wir untersuchen wollen, welche Gespräche wir führen wollen oder welche Antworten wir in den Gesprächen wählen. Positiv hierbei ist, dass sich die Modifikatoren erst verändern, wenn wir eine Option wählen. Die „Zeit“ läuft also nicht automatisch ab, die Anspannung steigt nicht konstant und setzt uns so nicht unter Druck, möglichst schnell zu handeln. Die Modifikatoren sind also eher als verbrauchbare Ressourcen anzusehen.

Bei einer großen Dinnerparty können wir vor Beginn des Abendessens mit den Gästen reden. Es bleibt jedoch nicht genügend Zeit, um mit allen zu sprechen. Der Balken zeigt an, wie viel Zeit noch übrig ist. (© Gerda: A Flame in Winter / Dontnod Entertainment / eigener Screenshot)

Das Prestigesystem setzt sich auch im weiteren Verlauf des Spiels fort, etwa, wenn wir mit den verschiedenen Fraktionen zu tun bekommen: Dänen, deutsche Zivilbevölkerung, Besatzer, Widerstand. Durch unsere Aktionen und Reaktionen erhöhen wir unseren Ruf bei einer Gruppe, aber oft verschlechtern wir ihn auch gleichzeitig bei einer anderen. Innerhalb eines Kapitels können wir auf einer Stadtkarte auswählen, wo wir uns engagieren und wem wir helfen wollen. Auch dabei haben wir nicht immer die Chance, alle Orte nacheinander zu besuchen, sondern wir müssen uns entscheiden. Am Ende jedes der 36 Abschnitte verfassen wir einen Tagebuch-Eintrag, bei dem wir durch die Wahl des abschließenden Absatzes bestimmen, wie wir mit der Situation umgehen. Dadurch steigt der Wert unserer drei Charakterressourcen: Mitgefühl, Einsicht oder Schlagfertigkeit. Diese Punkte lassen sich dann wieder später einsetzen, um besondere Antworten zu wählen.

Der Grafikstil zeigt sich in Anlehnung an die Kunstform des skandinavischen Impressionismus, wobei das Figurendesign an den pixelig-blockigen Stil von Sonys Playstation 1 erinnert. In Kombination mit der zurückgenommenen Soundkulisse, die nur selten von pointiert eingesetzten Liedern in den Vordergrund gehoben wird, entsteht so eine latent melancholische, bedrückende Stimmung.

Je nachdem wie gründlich man die einzelnen Szenen absucht, die freigeschalteten Informationen durchliest und sich die einzelnen Antworten überlegt, beträgt die Spielzeit zwischen vier und sieben Stunden. Hat man die ganze Geschichte einmal komplett durchgespielt, kann man entweder noch einmal von vorne beginnen oder einzelne Szene direkt anwählen, um unterschiedliche Storywege und alternative Enden zu sehen. Dadurch hat das Spiel auch einen gewissen Wiederspielwert.

KurzinfosGerda: A Flame in Winter

  • Genre: Adventure, Rollenspiel

  • Herausgeber: Dontnod Entertainment

  • Plattform: PC, Nintendo Switch

  • Erscheinungsdatum: 1. September 2022

  • USK: ab 12 Jahren

  • bpb-Empfehlung: Ab 14 Jahre

Pädagogische Einschätzung

„Gerda: A Flame in Winter“ ist ein Spiel für Menschen, die es lieber ruhig angehen lassen. Selbst in den spannungsgeladenen Momenten haben wir immer genügend Zeit, unsere Entscheidung zu treffen und sind dadurch nicht überreizt oder überfordert. Die Dialoge sind kurz und pointiert verfasst, dabei aber informativ und verständlich. Hier setzt das Spiel eine gewisse Lesekompetenz voraus. Vor allem Spielende, die sich für die Bedeutung des Nationalsozialismus und der Besatzung für die Zivilbevölkerung interessieren, können hier viel lernen. Passend dazu wird die Erzählung im Tagebuch von Gerda mit historischen Fakten über den Krieg, die Besatzung und die Verbrechen des Nationalsozialismus ergänzt, ohne aufdringlich zu wirken.

Das Notizbuch bietet viele historische Hintergrundinformationen über die Zeit der deutschen Besatzung Dänemarks. (© Gerda: A Flame in Winter / Dontnod Entertainment / eigener Screenshot)

Das Spiel wirft einen differenzierten Blick auf die schwierige Situation gesellschaftlichen Lebens in Dänemark unter der Nazi-Besatzung und lässt uns viele Probleme durchleben: kleine und große – moralische und lebensbedrohliche. Helfen wir einem verletzten Soldaten der Wehrmacht, der in die Klinik gebracht wird? Lassen wir als Gerda zu, dass der Widerstand ein Hitlerjugend-Kind gefangen nimmt und ihm Gewalt antut, um an geheime Informationen bekommen oder die Nazis zu erpressen? Oder lassen wir es laufen, riskieren die Enttarnung der Widerstandsgruppe und vertrauen darauf, dass wir auf anderem Wege unser Ziel erreichen? Helfen wir lieber nur uns selbst und unseren Liebsten oder setzen wir uns auch für andere ein?

Diese Entscheidungen, die weitreichende Effekte haben, bieten das Potential zu lernen, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Die Konsequenzen sind nicht immer sofort ersichtlich und auch im späteren Verlauf der Handlung können unsere früher gewählten Wege noch über Leben und Tod entscheiden. Das Spiel scheut sich dabei nicht vor Gewalt, was angesichts der Thematik angebracht erscheint. Dennoch verliert es sich nie in sinnlosen Exzessen. Die einzelnen Figuren sind nachvollziehbar geschrieben und bieten Anknüpfpunkte für die verschiedenen Sichtweisen auf die moralischen Fragen, mit denen wir beim Spielen konfrontiert werden. Angesichts dieser Punkte empfiehlt sich das Spiel trotz einer USK-Freigabe ab zwölf Jahren wohl eher für Spielende ab 14 Jahren.

Mit wem wir sprechen, was wir sagen oder welche Gegenstände wir untersuchen, kann gravierende Auswirkungen auf die späteren Ereignisse haben. (© Gerda: A Flame in Winter / Dontnod Entertainment / eigener Screenshot)

Das Spiel bietet einige Möglichkeiten für einen pädagogischen Einsatz, wie etwa im Schulunterricht. Einzelne Szenen oder Kapitel können Anschauungsmaterial für Referate oder den Geschichts- oder Ethikunterricht dienen. Im Rahmen einer Projektwoche eignet es sich wahlweise auch für eine Gruppe, um sich mit den verschiedenen Aspekten und Handlungsoptionen auseinanderzusetzen und zu diskutieren. So ließe sich etwa die Besetzung Dänemarks durch Nazi-Truppen im Allgemeinen oder Konzepte wie Egoismus und Altruismus thematisieren.

Das Spiel könnte auch Teil einer Themenwoche oder -reihe zur medialen Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs sein, zusammen mit Filmen, Romanen, Musik und Gedichten. Da es mittlerweile einige Games gibt, die den Zweiten Weltkrieg thematisieren, wie etwa Svoboda 1945, Interner Link: Train to Sachsenhausen oder Interner Link: Through the Darkest of Times, wäre dies auch vergleichend innerhalb des Mediums sinnvoll. Dabei könnte etwa bearbeitet werden, wie die unterschiedlichen Medien bzw. die verschiedenen Games mit dem Thema umgehen und wie diese als Teil der Erinnerungskultur funktionieren.

Denkbar wäre auch der Einsatz von Arbeitsblättern dazu, wie Schülerinnen und Schüler sich in konkreten moralischen Zwickmühlen verhalten würden und warum. Beispielsweise könnte die Situation reflektiert werden, in der wir eine uns wichtige Person – im Spiel ist es der Ehemann von Gerda – vor Gewalt schützen könnten, indem wir Informationen preisgeben, die zu Gewalt an anderen Personen führt. In Gruppenarbeiten könnten die Argumente für und gegen einzelne Vorgehensweisen und die möglichen Konsequenzen an Beispielen aus dem Spiel ausgetauscht werden.

Fussnoten

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