Jonas großer Bruder Leon wird vermisst. Seine Familie ist voller Sorge und auch der Polizei liegen keine Hinweise vor. In der Gestalt von Jonas betreten wir Leons Zimmer, um Näheres über seinen Verbleib herauszufinden. Währenddessen erhalten wir zahlreiche Informationen darüber, wie es um Leons bisheriges Leben bestellt war. Gelegentlich werden kurze Erinnerungssequenzen eingespielt, um die Bedeutung eines Fundstücks hervorzuheben oder Sinnzusammenhänge zu verdeutlichen.
Die Familie verbrachte gemeinsame Strandurlaube, er spielte gemeinsam mit Jonas in einer Band und spielte mit seinem Bruder Pen-&-Paper-Rollenspiele. Leon zeichnete sich durch gute Leistungen in der Schule aus und interessierte sich für den Weltraum. Die herumliegende getragene Wäsche sowie das zahlreiche benutzte Geschirr in seinem Zimmer verraten uns, dass Leon ansonsten recht faul und unordentlich gewesen zu sein scheint. Wir erfahren auch etwas über Leons alten Freundeskreis und über die tragische Liebesgeschichte zwischen Leon und Lina. Eine exemplarische Biografie, in der sich viele junge Menschen wiederfinden können.
Sein Zimmer ist jedoch ebenfalls voller Hinweise auf eine schleichende Radikalisierung, wie beispielsweise einer umgedrehten Deutschlandflagge über dem Bett sowie mehrere tendenziöse Poster, Flyer, Symbole und Literatur. Plakative Slogans wie "Heimatliebe ist kein Verbrechen" oder "Kultur schützen, Identität bewahren" geben uns zusätzlich Aufschluss darüber, in welchen Kreisen sich Leon neuerdings zu bewegen scheint.
Als Jonas Leons Handy findet, haben wir auch Zugriff auf dessen Text- und Sprachnachrichten. Offenbar scheint Leons alter Freund Elyas ihm seine Freundin Lina ausgespannt zu haben. Leon fühlt sich daraufhin von seinem Kumpel verraten und da Elyas’ Eltern offenbar nicht aus Deutschland stammen, scheint dies der Aufhänger für Leons neuen und fragwürdigen Werdegang zu sein. Jonas gelangt schließlich an Leons neue Handynummer, ergreift die Initiative und ruft ihn an…
Die dargestellten Gruppen, Inhalte und Plattformen sind allesamt fiktiver Natur. Dennoch orientieren sie sich stark an realen Angeboten und sind von den Spielenden teils eindeutig zuzuordnen. Hierzu zählen beispielsweise Programme wie What’s App und Spotify, die auf Leons Handy oder auf seinem Computer zu finden sind. Die rechtsradikalen Inhalte hingegen sind nicht immer so eindeutig identifizierbar und setzten gegebenenfalls voraus, dass man mit der realen Vorlage schon einmal in Berührung kam. An dieser Stelle bietet sich die Website zum Spiel an, auf der die Bezüge erläutert werden.
In diesem Zusammenhang wird ebenfalls deutlich, dass die "Atavistische Aktion" der Identitären Bewegung nachempfunden ist. Die verwendeten Memes in der Kommentarfunktion von Leons Spiele-Account greifen ergänzend dazu reale Inhalte auf und verdeutlichen, wie Rechtsradikale Gaming-Plattformen nutzen, um menschenfeindliches Gedankengut zu verbreiten.
KurzinfosLeons Identität
Genre: Adventure
Herausgeber: Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen
Plattform: PC, Mac, Linux, iPad
Erscheinungsdatum: 21 August 2020
USK: ab 12 Jahren
bpb-Empfehlung: ab 12 Jahren
Pädagogische Einschätzung
Im Verlauf der Spielgeschichte werden die Spielenden mit unterschiedlichen Medienformaten, wie beispielsweise Flyern, Postern, Literatur, Memes und Lied Titeln konfrontiert und erhalten darüber einen nachhaltigen Eindruck davon, auf welche Weise rechtsradikale Inhalte verbreitet und dargestellt werden. Die Spielfigur Jonas stellt sich dabei als medienkompetentes Vorbild zur Verfügung und kommentiert jene Inhalte entsprechend kritisch. Der erhobene pädagogische Zeigefinger aus dem Mund eines Teenagers wirkt jedoch teilweise wenig glaubhaft und scheint eher offenzulegen, was Erwachsene von Minderjährigen diesbezüglich gerne hören würden.
Die Beweggründe für Leons Radikalisierung scheinen hingegen ein wenig zu profan geraten zu sein. Radikalisierungen mögen auf verschiedenen Wegen verlaufen, der hier dargestellte erscheint jedoch wenig glaubwürdig. Auch das Ende des Spiels wirkt wenig überzeugend: Das abschließende Gespräch zwischen den beiden Brüdern suggeriert den Spielenden, dass es lediglich eines kurzen Schlagabtausches bedarf, um fehlgeleitete und radikalisierte Heranwachsende wieder auf Kurs zu bringen. Dabei ist der Weg des Austritts oftmals ein steiniger, denn die Szene bietet ein soziales Zugehörigkeitsgefühl und eine – wenn auch fehlgeleitete – ideologische Orientierung; Dinge also, die zunächst eine Leerstelle hinterlassen.
Trotz der genannten Schwächen eignet sich Leons Identität hervorragend dazu, im Rahmen pädagogischer Angebote eingesetzt zu werden. Dies gilt sowohl für den Bereich Schule als auch im Sinne der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die zahlreichen Anspielungen und exemplarischen Inhalte bieten die Möglichkeit, auf vielseitige Weise mit Kindern und Jugendlichen über das Phänomen Rechtsextremismus ins Gespräch zu kommen.
Gleichzeitig bezieht sich das Spiel auf politische Geschehnisse und Themen, wie beispielsweise die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel oder aber den Klimawandel und Greta Thunberg. Je nach pädagogischem Schwerpunkt und Betrachtungsweise lässt es sich ebenfalls in unterschiedlichen Fächern einsetzen und nicht bloß im Sozialwissenschafts- und Politikunterricht. Dies gilt gleichermaßen für außerschulische Kontexte, in denen pädagogisch Tätige oftmals ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zu den Besuchern ihrer Einrichtung haben als im Kontext eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses.