Faszination Natur und Rettung der Umwelt
Zur Geschichte des deutschsprachigen Natur- und Tierfilms vor 1960
Kay Hoffmann
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Bis heute erzielen Natur-, Tier- und Umweltfilme hohe Einschaltquoten im Fernsehen und können im Kino ein Millionenpublikum erreichen. Von ihren Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie dadurch geprägt, mit Bildern eine Faszination für Fauna und Flora zu vermitteln, aber auch auf Umweltschäden und den Verlust der Artenvielfalt aufmerksam zu machen. Das Genre war stets innovativ beim Einsatz neuer Aufnahmeverfahren: ob mit Mikro-, Makro- oder Unterwasseraufnahmen oder durch die Verwendung von Teleobjektiven, Drohnen oder Minikameras, die sogar an Tiere angebracht werden können, Ziel war es schon immer, das Publikum mit einem neuen Blick auf Natur und Tiere zu begeistern. Dieser Beitrag zeichnet die Entwicklung im deutschsprachigen Raum auch in Bezug auf technische Entwicklungen bis Ende der 1950er-Jahre nach.
Frühgeschichte: Hähnle Jagdaufnahmen und Landschaftspanoramen
Zu den Vorläufern des Films gehörten fotografische Reihenaufnahmen, die dazu genutzt wurden den Bewegungsablauf von Tieren und Menschen für wissenschaftliche Zwecke zu analysieren. Hermann Hähnle aus Giengen begann ebenfalls als Fotograf und wurde dann der erste Tierfilmer überhaupt. Als Sohn eines Filzfabrikanten und der Gründerin des Vogelschutzbundes Lina Hähnle, konnte er sich eine 35 mm-Holzkamera leisten. Ab 1905 setzte er das neue Medium ein und, um die heimische Tierwelt und aussterbende Tierarten zu dokumentieren. "Aufnahmen, die ihren Wert in sich tragen, sind gewissermaßen Urkunden aus dem ganzen Bereiche der Natur und Kultur, die unser Wissen teils vermehren, teils erleichtern oder sichern sollen“, so Hähnle. Er schickte Kameraleute ins europäische Ausland, um Steinadler in den Dolomiten, die letzten Wisente in Polen oder die Tierwelt im Nordmeer aufzunehmen.
Dreharbeiten Federsee um 1929
Herman Hähnle - Filmpionier
Dreharbeiten Federsee um 1929
Frühe Aufnahmen von Hermann Hähnle dokumentieren die Dreharbeiten von Tierfilmen am Federsee.
In der Frühzeit des Kinos wurden kurze Landschaftspanoramen von exotischen Orten und Jagdaufnahmen als Teil von Nummernprogrammen des Varietés oder von Kompilationen der frühen Kinoprogramme gezeigt. Die Jagd auf Wildtiere wurde dabei oft eigens für die Aufnahmen inszeniert. Ein Ideal des aufzeichnenden Dokumentierens war noch nicht ausgeprägt und die Grenze zwischen fiktionalem und dokumentarischem Film noch nicht etabliert.
Kolonialfilme und rassistische Ideologie
Ab 1912 etablierte sich in Deutschland vergleichbar mit anderen Ländern das Kino als Medium mit eigenen Lichtspieltheatern im Stil von Theatern und einem Verleihsystem. Davor wurden Filme in Wanderkinos auf Jahrmärkten oder in engen Ladenkinos angeboten. Die technische Apparatur und die Projektion bewegter Bilder war selbst schon eine Attraktion. Ein wichtiges Sujet waren die Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Kolonien des Deutschen Reiches in Afrika und Asien. Die sogenannten Kolonialfilme zeigten exotisierende Bilder von fremd erscheinenden Welten, wie sie bereits mit sogenannten Völkerschauen in Tierparks etabliert worden waren. Die Filme der Deutschen Kolonialgesellschaft dienten beispielsweise dazu, den Nutzen und die Attraktivität der Kolonien sowie eine rassistische Ideologie zu propagieren. Viele Filme verherrlichten den weißen Jäger als furchtlos Handelnden, die einheimischen Lastenträger hingegen ergriffen beispielsweise bei der Begegnung mit Raubtieren die Flucht. Der Alltag und die Kultur der lokalen Bevölkerung interessierten die Regisseure damals nicht. Eine Ausnahme war Hans Schomburgk, der sich vom Afrikaforscher und Tierjäger und -fänger zum Filmemacher und Buchautor wandelte. Früh machte er sich für Natur- und Artenschutz stark. Schomburgks interessierte sich zunehmend für indigene Völkern und ihre Kulturen. Er bestritt dabei die Überlegenheit der weißen Rasse, obwohl er selbst Teil des kolonialen Verwaltungsapparats war. Zwischen den beiden Weltkriegen entstanden Filme, die den verlorenen Kolonien nachtrauerten und die Idee wachhalten wollten, dass das Deutsche Reich Kolonien benötige. Dazu gehören beispielsweise "Heia Safari!“ (1927) von Martin Rikli oder "Das Sonnenland Südwest-Afrika“ (1926) von Hans-Dietrich von Trotha. Der Film "Die Weltgeschichte als Kolonialgeschichte“ (1927) von Hans Cürlis, der im Auftrag der deutschen Kolonialgesellschaft gedreht wurde, soll nach Angabe des Regisseurs in einem Jahr über zwei Millionen Zuschauende im Kino und in Schulen, vor allem aber bei Sonntag-Matinee-Vorstellungen erreicht haben. Die sozialdemokratische Zeitung ‚Vorwärts‘ kritisierte 1927: "Ganz übergangen wurde das Los der Eingeborenen unter der Kolonialherrschaft; einige Eingeborene erschienen nur als malerische Staffage in den Landschaftsbildern“ und wirft dem Film einen "nationalistisch-imperialistischen Charakter“ vor.
Expeditionsfilme und Zoos
Film-Expeditionen waren teuer. Oft wurde so viel Material gedreht, dass daraus mehrere Filme montiert werden konnten. Zusätzliches Geld erbrachte der Verkauf von gefangenen Tieren an Zoos. Bei ihrem Transport nach Deutschland starben viele der Tiere, deren Kadaver ebenso wie erjagte Tiere an naturwissenschaftliche Institutionen verkauft wurden. Die Verbindung der Filmexpeditionen zu den Ende des 19. Jahrhunderts in den Großstädten entstehenden Zoos war eng. Dort wurden wiederum oft Tierfilme gedreht. Man ersparte sich die strapaziösen Reisen und die an Menschen gewöhnten Tiere waren im Gehege viel leichter zu filmen. Den Kolonial- und Expeditionsfilm dominierten Männer, aber mit Lola Kreutzberg, die zahlreiche Filme drehte und produzierte, der Weltreisenden Clärenore Stinnes und der Ethnologin Gulla Pfeffer waren auch Frauen aktiv, die in der Regel ganz auf sich allein gestellt ihre Filme realisierten. Die Grenze zwischen authentischen und inszenierten Aufnahmen war nicht immer leicht zu erkennen. In den USA hatte sich Robert Flaherty schon in den 1910er-Jahren mit seinen Jagdfilmen einen Namen gemacht, bevor er seinen Klassiker "Nannook of the North“ über den Alltag der Inuit ins Kino brachte. Um eine starke Geschichte erzählen zu können, inszenierte er ‚authentische‘ Bilder: So sollte Nanuk sein Gewehr weglegen und wieder mit einer Harpune auf Walrossjagd gehen. Außerdem war er mit seiner Film-Ehepartnerin in Wirklichkeit gar nicht verheiratet.
Ufa-Kulturabteilung setzt Maßstäbe
Auf den internationalen Kinoerfolg von "Nanook“ reagierte die Ufa-Kulturabteilung mit "Milak, der Grönlandjäger“ (1927). Nachdem Lehr- und Unterrichtsfilme nicht den erhofften Erfolg brachten, konzentrierte sich die Ufa-Kulturabteilung auf den ‚Beiprogrammfilm‘ fürs Kino, der neben der Wochenschau als Einstimmung auf den Hauptfilm gezeigt wurde. Dazu zählen erfolgreiche Titel wie "Der Hirschkäfer“ (1921) und "Die Wunderwelt des Blauen Golfes“ (1925) beide von Ulrich K.T. Schulz. Ab dem 1. Juli 1926 wurde der kurze Kulturfilm indirekt gefördert. Wenn ein Kulturfilm durch die Preußische Bildstelle oder die Bayerische Lichtspielstelle mit einem Prädikat ausgezeichnet wurde, hatte der Kinobetreiber für die gesamte Vorführung nur eine reduzierte Vergnügungssteuer zu zahlen. Die Ufa-Kulturabteilung entwickelte eine führende Rolle in der Produktion von Natur- und Tierfilmen und der Visualisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie richtete eigene Gehege, Terrarien und Aquarien ein, um die Tiere jederzeit filmen zu können. Dabei kamen die neuesten Techniken für Mikro- und Makroaufnahmen, Zeitraffer und -lupe sowie Ton- und Farbfilm zum Einsatz. Ab 1923 arbeitete dort Herta Jülich als Expertin für mikroskopische Aufnahmen.
In der Weimarer Republik war das Kino populär und erreichte jede Woche ein Millionenpublikum. Die Nationalsozialisten setzten Kulturfilme in Einzelfällen auch dazu ein, um ihre rassistische Ideologie zu verbreiten. In "Das Erbe“ (1935) von Carl C. Hauptmann wird im Ufa-Kulturfilmstudio der Kampf zweier Hirschkäfer aufgenommen. Der Stärkere setzt sich durch und dies wird im Film in Sinne der faschistischen Weltanschauung direkt auf den Menschen übertragen. In "Der Ameisenstaat“ (1935) und "Der Bienenstaat“ (1937) wird der totalitäre Staat ideologisch zu einem Idealsystem überhöht, in dem jedes Insekt seinen Platz hat und seine Arbeit pflichtbewusst erfüllt. Neben diesen wenigen eindeutigen propagandistischen Filmen gab es in der NS-Zeit hunderte von kurzen, unpolitischen Produktionen in der Tradition des Kulturfilms der Weimarer Republik.
Kontinuitäten nach 1945
Nach 1945 ist die Kulturfilmproduktion bis Ende der 1950er-Jahre durch starke Kontinuitäten geprägt. Dies betrifft die schwerfällige 35 mm-Technik, den ästhetischen Stil sowie die ausgewählten Themen. Viele der Natur- und Tierfilmer setzten ihre Arbeit fort. Der Expeditionsfilmer Hans Schomburgk veröffentlichte Bücher, produzierte den abendfüllenden Film "Frauen, Masken und Dämonen“ (1948), indem er Material seiner früheren Expeditionen kompilierte. Alfred Ehrhardt spezialisierte sich auf Natur- und Kulturfilme und realisierte bis 1972 über 50 Filme, die sich ästhetisch an fotografischen Stilen mit starken schwarz-weiß Kontrasten orientierten. Der Biologe Ulrich K.T. Schulz setzte weiterhin auf neue Techniken, um das dem Auge eigentlich Verborgene mit Hilfe von Mikro-, Makro-, Teleobjektiv- oder Zeitrafferaufnahmen zu zeigen. Dabei arbeitete er weiterhin eng mit der Expertin für Mikrokinematographie Herta Jülich zusammen. Zwischen 1948 und 1955 drehte er zahlreiche Tierfilme für die Hamburger Roto-Film mit Unterwasserfilmen der Nordsee und des Mittelmeers. Ab 1956 baute er die biologische Fachabteilung des DEFA-Studios für populärwissenschaftliche Filme in Babelsberg auf.
Tierfilmer werden durchs Fernsehen zu Berühmtheiten
In Westdeutschland startete die ARD Ende 1952 mit einem regulären Fernsehprogramm von wenigen Stunden am Tag. 1963 kam das ZDF hinzu, ab 1964 die Dritten Programme mit regionaler Ausrichtung und Ausstrahlung. Bis zur Einführung des Privatfernsehens 1984 gab es also nur drei öffentliche-rechtliche Sender. Entsprechend hoch waren die Einschaltquoten. Das Fernsehen avancierte schnell zum Leitmedium und löste das Kino in seiner Funktion als Ort der audiovisuellen Berichterstattung über das Tagesgeschehen ab. Auch Tier- und Naturfilme wurden zunehmend für eine Verwertung im TV produziert. Es wuchs eine junge Generation von Filmemacherinnen und Filmemachern heran, die sich stärker dem neuen Medium Fernsehen öffnete. Der Wiener Meeresforscher Hans Hass realisierte beispielsweise nach zahlreichen Kinoerfolgen ab 1959 die 18-teilige Serie "Expeditionen ins Unbekannte“. Heinz Sielmann ("Expedition ins Tierreich“, 1965-1991) und Bernhard Grzimek ("Ein Platz für wilde Tiere“, 1956-1987) zählen zu den bis heute bekanntesten Tierfilmern des frühen Fernsehens. Der Wunsch, die Öffentlichkeit für Natur- und Tierschutz zu sensibilisieren verband sie mit Eugen Schuhmacher, der sowohl Kinofilme drehte als auch ab 1958 die Fernsehserie "Auf den Spuren seltener Tiere“ (37 Folgen) für den Bayerischen Rundfunk realisierte. Inzwischen ging es den Tierfilmern nicht nur darum, exotische Tiere, sondern auch um die Bedrohung ihrer Lebensräume und den Verlust der Artenvielfalt zu zeigen. Schon 1952 macht Schumacher das Publikum in "Natur in Gefahr“, der im Auftrag des Bayerischen Innenministeriums als Oberster Naturschutzbehörde entstand, auf die Zerstörung der Fauna in der Bundesrepublik durch den Bau von Staudämmen, die Begradigung von Flüssen, die Abholzung der Wälder oder die Einrichtung von Mülldeponien aufmerksam.
Dokumentarfilmer Eugen Schuhmacher wirbt schon 1952 für einen nachhaltigen und respektvollen Umgang mit der Natur. Der gesamte Film ist im digitalen Verleihsangebot des DFF verfügbar.
Der Filmemacher war davon überzeugt: "Nur wer die Tiere genauer kennt, weiß, wie schön und wie interessant sie sind, wertvoll und unersetzlich in unserer technisierten, nur auf Fortschritt bedachten Zeit. Eine zukünftige Welt ohne sie wäre leer und arm.“ (Schumacher 1970, S. 372). Allerdings war die Idee des Naturschutzes in den 1950er-Jahren noch nicht mehrheitsfähig und die Mahnungen wurden von Politik und Gesellschaft nicht ernst genommen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Natur- und Tierfilm von Expeditions- und Reisefilmen über die Kultur-, Lehr- und Wissenschaftsfilme, zu den ersten Kinohits wie beispielsweise "Interner Link: Serengeti darf nicht sterben“ (DE 1959) und den erfolgreichen Tierserien im aufkommenden Fernsehen. Das Verhältnis der Menschen zu den Tieren hat sich in diesen Jahrzehnten verändert. Zunächst waren exotische Tiere spektakulär, dann beschäftigten sich viele Filmeschaffende intensiver mit ihnen und erkannten die Bedrohung ihrer Lebenswelt. Fiktionale Fernsehserien wie "Lassie“ (1954 - 1973), "Flipper“ (1964 – 1967), "Fury“ (1955 – 1960) vermenschlichten die Tiere zusehends und ließen den Wunsch wachsen, sie selbst zu besitzen. Der Schutz der Artenvielfalt und die Bedrohung der Natur sollten auch in den nächsten Jahrzehnten wichtige Themen im Dokumentarfilm bleiben.
Bibliografie
Jan Berg: Zur Natur der Filmbilder in Naturfilmen. In: Jan Berg, Kay Hoffmann (Hg.): Natur und ihre filmische Auflösung. Timbuktu-Verlag: Marburg 1994, S. 185-198.
Wolfgang Fuhrmann: Filmaufnahmen in Afrika. ‚Lebende Bilder‘ aus den deutschen Kolonien. In: Uli Jung, Martin Loiperdinger (Hg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 1 Kaiserreich 1895-1918. Reclam Verlag: Stuttgart 2005, S. 149-160.
Matthias Steinle: "Als Fliegenfänger verkaufen“? Zum westdeutschen Kultur- und Dokumentarfilm der fünfziger Jahre. In: Segeberg, Harro (Hg.). Mediale Mobilmachung III, München: Wilhelm Fink 2009.
Eugen Schuhmacher: Ich filmte 1000 Tiere. Frankfurt/M., Berlin: Ullstein 1970.Kerstin Stutterheim: Gezüchtet und geopfert. Der Tier und Naturfilm. In: Klaus Kreimeier, Antja Ehmann, Jeanpaul Goergen (Hg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 2 Weimarer Republik 1918-1933. Reclam Verlag: Stuttgart 2005, S. 173-186.
Kerstin Stutterheim: Natur- und Tierfilme. In: Peter Zimmermann, Kay Hoffmann (Hg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3 ‚Drittes Reich‘ 1933-1945. Reclam Verlag: Stuttgart 2005, S. 152-165.
Gerlinde Waz: Heia Safari! Träume von einer verlorenen Welt. Expeditions-, Kolonial- und ethnografische Filme. In: Klaus Kreimeier, Antja Ehmann, Jeanpaul Goergen (Hg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 2 Weimarer Republik 1918-1933. Reclam Verlag: Stuttgart 2005, S. 187-203.
Kay Hoffmann ist seit 2007 Studienleiter im Bereich Wissenschaft im Haus des Dokumentarfilms. Als freischaffender Filmpublizist arbeitet er seit 1982 unter anderem für die Fachzeitschriften Filmecho/Filmwoche und Film & TV Kamera.
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