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Appelle für die Zukunft: Strategien und Ästhetiken des aktuellen Dokumentarfilms mit Umweltthemen | Umwelt im Dokumentarfilm | bpb.de

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Appelle für die Zukunft: Strategien und Ästhetiken des aktuellen Dokumentarfilms mit Umweltthemen

Thomas Klein

/ 8 Minuten zu lesen

Szenenbild aus dem Spielfilm "The Day After Tomorrow" (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library)

Mit "An Inconvenient Truth" (Regie: Davis Guggenheim, USA) stabilisierte sich 2005 ein Genre des Dokumentarfilms, das sich mit Umweltthemen und den Folgen des Klimawandels beschäftigt. Die Dokumentation der "Traveling Global Warming Show" des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, gewann den Oscar für den besten Dokumentarfilm und bewies, dass der Dokumentarfilm bestens geeignet ist, das Publikum für den menschengemachten Klimawandel zu sensibilisieren oder gar zum Handeln zu animieren. Das Medium Film für Umweltthemen einzusetzen, wurde auch durch Roland Emmerichs Spielfilm "The Day After Tomorrow" (USA 2004) befördert, der von einer fiktional stark überhöhten zukünftigen Klimakatastrophe handelt. Vor allem in den USA erschienen danach Filme, die sich ebenfalls mit dem Klimawandel ("The 11th Hour", Regie: Nadia Conners und Leila Conners Petersen, USA 2007), der Nutztierhaltung ("Earthlings", Regie: Shaun Monson, USA 2005) oder dem Fracking ("Gasland", Regie: Josh Fox, USA 2010) auseinandersetzten.

Im europäischen Kino hat Vergleichbares stattgefunden. Im deutschsprachigen Raum stellte Erwin Wagenhofer in "We feed the world – Essen global" (AT 2005) eindringlich und mit großem Erfolg beim Publikum die Folgen der Industrialisierung der Lebensmittelproduktion dar. In "Water Makes Money" (DE 2010) versuchten die Hamburger Filmemacher Leslie Franke und Herdolor Lorenz nachzuweisen, wie große Konzerne wie Veolia und Suez daraufhin gearbeitet haben, in vielen Ländern das Monopol über die lebensnotwendige Ressource Wasser zu erlangen. In Deutschland erfolgte dies in vielen Städten durch die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP). Es lassen sich weitere Filme angeben, die belegen, dass im Dokumentarfilm der 2000er-Jahre wesentliche Handlungsfelder nachhaltiger Entwicklung auf die Agenda gelangten. Dies setzte sich in den 2010er-Jahren fort und erfuhr eine Ausdifferenzierung, die es zulässt, von einem Genre des Nachhaltigkeits-Dokumentarfilms zu sprechen. In diesem Artikel soll es genau um dieses Genre gehen. Anhand repräsentativer Beispiele insbesondere des deutschsprachigen Films werden thematische Schwerpunkte dieser Gruppe von Filmen vorgestellt und diskutiert. Inwiefern wird etwa auf Generationengerechtigkeit und Globalisierung eingegangen? Ferner werden Unterschiede zwischen künstlerischen, investigativen und aktivistischen Filmen benannt. Damit einher geht die Herausarbeitung der wesentlichen dramaturgischen Strategien und Ästhetiken dieser Filme.

Das Szenenbild zeigt Arbeiter/-innen auf einem Feld mit industrieller Bewässerungsanlage in Sierra Leone . (© "Landraub" / Langbein & Partner Media)

Themen und Schwerpunkte

Die Dokumentarfilme der letzten zehn Jahre erweitern die zuvor etablierten Themenschwerpunkte, nicht selten als Reaktionen auf gesellschaftliche Diskurse und Debatten. Fragen der Ernährung durch den Fokus des problematischen Umgangs mit Lebensmitteln im globalen Norden werden in "Taste the Waste" (DE 2011) ins Zentrum gestellt. Vor dem Hintergrund weltweit ungleich verteilter Ernährungsressourcen zeigt Valentin Thurn die Verschwendung von Lebensmitteln, die tonnenweise im Müll landen.

"More than Honey" (CH 2012) reagierte auf das verstärkt wahrgenommene Bienensterben und versuchte aufzuzeigen, welche Auswirkungen dies für den Menschen und die Landwirtschaft hat. Filmemacher Markus Imhoof veranschaulicht die wichtige Funktion der Bienen beim Bestäuben von Pflanzen und vermittelt so ihre überlebenswichtige Funktion für den Menschen. Fragen der Ernährung stehen auch im Zentrum von Kurt Langbeins Film "Landraub" (AT 2015). In Ländern des globalen Südens wird Landwirtschaft im großen Stil betrieben, um bestimmte Produkte wie Palmöl oder Soja zu erwirtschaften. Darunter leiden die dort ansässigen Bauern, weil ihnen jenes Land "geraubt" (im Englischen "land grabbing") wird, das sie bis dato für ihre eigene und lokale Versorgung bestellt haben. In "Bauer unser" (AT, 2016) wiederum beschäftigt sich Robert Schabus mit den Titel gebenden Bauern in österreichischen Landwirtschaftsbetrieben und damit, wie sich der wirtschaftliche Druck auf ihre Produktion auswirkt. Volker Koepp porträtiert in "Landstück" (DE 2015/2016) die im Nordosten Brandenburgs gelegene Uckermark und zeigt, wie die konventionelle Landwirtschaft diese Kultur- und Naturlandschaft bedroht.

Jährlich bewegt die Menschheit mehrere Milliarden Tonnen Erde, um Bauland zu schaffen, Infrakturprojekte zu verwirklichen oder wie hier Kohle abzubauen. (© "Erde" / NGF)

Die Kritik am verschwenderischem Umgang mit natürlichen Ressourcen und den Folgen dieser oft irreparablen Eingriffe in die Umwelt stehen auch im Zentrum von Dokumentarfilmen wie Nicholas Geyrhalters "Erde" (AT 2019) und Jasmin Herolds und Michael David Beamishs "Interner Link: Dark Eden – Der Albtraum vom Erdöl" (DE 2017/18). Dabei werden bestimmte Praktiken des Rohstoffabbaus fokussiert wie der Ölsand-Abbau in Alberta, Kanada ("Dark Eden") und der Braunkohletagebau und Kupferabbau in mehreren Regionen der Welt ("Erde"). Das Thema Energie ist das Steckenpferd von Carl. A. Fechner, der in mehreren Filmen darstellt, dass eine Energiewende möglich ist (z.B. "Power to Change – Die Energie Rebellion", DE 2016 / "Climate Warriors", DE 2018), Wirtschaft und Politik diese aber verhinderten. Auch das Thema Klimawandel steht weiterhin auf der Agenda von Dokumentarfilmer/-innen. In "Guardians of the Earth" (DE 2018) dokumentieren Philip Antoni Malinowski und sein Team die Weltklimakonferenz 2015 in Paris (COP 21) und zeigen den Prozess der Verhandlungen bis zum bedeutsamen Klimaabkommen. Als vorläufiges Fazit lässt sich festhalten, dass Kinodokumentarfilme im deutschsprachigen Raum die Schwerpunkte Ernährung, Landwirtschaft und Ressourcenverbrauch erkennen lassen.

Prämissen und Eckpfeiler einer nachhaltigen Entwicklung

Bereits 2005 zeigte der österreichische Regisseur Erwin Wagenhofer in "We feed the World", dass für das Verständnis der Nahrungsmittelproduktion der globale Zusammenhang von Bedeutung ist. 2019 ging es in seinem Film "But Beautiful" darum, wie Menschen in unterschiedlichen Ländern jenseits vom kapitalistischen Mainstream leben, um kommenden Generationen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Dies kommt vor allem in der Episode über das Ehepaar Graf zum Ausdruck, die im Norden von La Palma von Erträgen einer Permakultur weitgehend autark leben kann. Auch wenn die Kinder der Familie nicht zu Wort kommen, ist erkennbar, wie hier zukünftige Generationen von neuem Anwendungswissen profitieren können.

Szenenbild aus dem Film "Now", der junge Protagonistinnen und Protagonisten aktueller Klimabewegungen porträtiert. (© W-Film)

Während Globalisierung häufig thematisiert wird, um globale Wertschöpfungsketten nachzuvollziehen und die globale Zerstörung der Erde zu veranschaulichen, erfährt die Frage der Generationengerechtigkeit im deutschsprachigen Dokumentarfilm vergleichsweise wenig Beachtung. In der Regel wird implizit darauf eingegangen oder es ergibt sich aus dem Dargestellten, so etwa in "Guardians of the Earth", da das Thema (der Generationengerechtigkeit) explizit auf der Agenda der dargestellten Pariser Klimakonferenz stand. Inzwischen wird Generationengerechtigkeit stärker in Filmen thematisiert, in denen die junge Generation zum Protagonisten avanciert. Dies ist etwa in der internationalen Produktion "I am Greta" (SWE 2020) unter Beteiligung deutscher Fernsehsender der Fall, in der die Geschichte der Klimaaktivistin Greta Thunberg erzählt wird oder in "Now" (DE 2020) von Jim Rakete, der sechs junge Klimaaktivisten/-innen und ihre Protestbewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände, Plant for the Planet oder Extinction Rebellion porträtiert und so die Vielfalt der jungen Umweltbewegung vor Augen führt. Intergenerationale Beziehungen spielen dennoch kaum eine Rolle, weil der Austausch von Eltern und Kindern nicht in die Darstellung integriert wird. Dadurch bleiben komplexe Wechselprozesse unausgesprochen.

Strategien und Ästhetiken: Dystopie und Utopie

In den Kinodokumentarfilmen fallen zwei Narrative auf, die auch grundsätzlich in Erzählungen zum Anthropozän vorzufinden sind: die Katastrophe und die große Transformation. Man könnte sagen, Kinodokumentarfilme beschäftigen sich sowohl in dystopischer als auch utopischer Form mit der Gegenwart und Zukunft der Menschheit. Wie bereits dargelegt, tendieren neuere Filme, wie Nikolaus Geyrhalters "Erde" und "Die Epoche des Menschen - das Anthropozän" (CA 2018) von Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynsky, zu dystopischen Bildern der Eingriffe des Menschen in die Ökosysteme der Erde.

6.000 Müllsammmler und Müllsammlerinnen durchstreifen täglich die größte Müllhalde Kenias in Dandora unweit von Nairobi. (© "Die Epoche des Menschen - das Anthropozän" / Happy Entertainment)

Dies schlägt sich filmästhetisch in der exzessiven Verwendung von Vogelperspektiven – auch unter Einsatz von Kameradrohnen – und Panoramaeinstellungen nieder, die dem Publikum beeindruckende Auf- und Übersichten bieten. Auch in "Dark Eden" finden sich solche Bilder, in denen die Natur nahezu vollständig getilgt wurde: Furchen ziehen sich wie Wunden durch die kanadische Landschaft. Im Unterschied dazu formulieren "But Beautiful", "Zeit für Utopien" (Regie: Kurt Langbein, AT 2017) oder "Climate Warriors" Geschichten des Gelingens, mit Protagonisten/-innen, die ihre Lebensweisen bereits hin zu einer Transformation geändert haben beziehungsweise explizit mit Blick auf die Verwirklichung von Utopien agieren.

Zwischen Kunst und Aktivismus

Unter den bisher genannten Filmemacherinnen und -machern ist das Anliegen insbesondere von Carl. A. Fechner, Valentin Thurn und Leslie Franke sichtbar, das Publikum mit ihren Filmen zu einem Umdenken zu bewegen. Dies erfolgt mit Blick auf eine Energiewende (Fechner), bezüglich des Umgangs mit Lebensmitteln (Thurn) oder investigativ, indem versucht wird, Fakten über den Handel mit Wasser zutage zu fördern und sich gemeinsam mit dem Publikum darüber zu empören (Franke). Sie verstehen sich nicht nur als Filmschaffende mit künstlerischem Anspruch, sondern auch als Botschafter/-innen wenn nicht gar als Aktivisten/-innen für ihre Themen wie Energiewende, nachhaltige Ernährung und Klimaschutz. Zu erkennen ist dies unter anderem auch daran, dass die Filme häufig in Kampagnen eingebunden sind. So hat Valentin Thurn ergänzend zu "Taste the Waste" ein Buch zum Thema veröffentlicht und wesentlich zur Entstehung der Food-Sharing-Bewegung in Deutschland und Europa beigetragen. Vergleichbares gilt für "Die grüne Lüge" (AT 2018) des Dokumentarfilmers Werner Boote und der Journalistin Kathrin Hartmann zum Thema Greenwashing.

Im Gegensatz zu Werner Boote treten die meisten Filmemacher/-innen dabei nicht direkt in Erscheinung, sondern lassen die porträtierten Akteure und Expert/-innen zu Wort kommen: Sie thematisieren stellvertretend die Umweltsünden, politische Fehlentscheidungen sowie alternative Lebensentwürfe und tragen so wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Filme bei.

Barbara und Erich Graf leben fast autark auf La Palma, Spanien. (© "But Beautiful" / Pandora Film Verleih)

Umweltdokumentarfilme und politische Bildung

Grundsätzlich lässt sich für die hier behandelten deutschsprachigen Dokumentarfilme im Zeitraum der 2010er-Jahre bis in die Gegenwart feststellen:

  1. In vielen Filmen wird explizit Kritik an nicht nachhaltigen (wirtschaftlichen) Strukturen und Akteuren/-innen geäußert. Appelle an eine gesellschaftliche Transformation sind oft aktivistisch gerahmt.

  2. Es gibt Filme, die mit der Kraft von Bildern (und Musik) operieren und appellieren und solche, die eher auf die Vermittlung von Informationen und Fakten bauen. Beide Ansätze zielen darauf, Emotionen, oft Empörung beim Publikum zu erzeugen.

  3. Die Zahl der Filme, die versuchen alternative Lebensweisen zur Darstellung zu bringen und damit das Publikum mit Best-Practice Beispiele vertraut zu machen, nimmt zu.

Ergänzend zu ihrer grundsätzlichen medienpolitischen Relevanz werden die Filme durch die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Themen nachhaltiger Entwicklung zu wertvollen Quellen und Materialien für die politische Bildungsarbeit sowie für die Umweltbildung. Dies manifestiert sich unter anderem darin, dass zu vielen der Filme von Filmverleihern, Stiftungen oder von staatlichen Institutionen Unterrichtsmaterialien erscheinen, in denen ästhetische wie thematische Besonderheiten für schulische und außerschulische Vermittlungskontexte aufbereitet werden. Darüber hinaus eignen sich Dokumentarfilme mit Umweltthemen für Lernprozesse im Allgemeinen, von der Schule bis zum nonformalen und informellen Lernen. Sie formulieren Politiken von Bildern, Erzählungen und Informationen zu wesentlichen Themen unserer Gegenwart und Zukunft und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung in der Nachhaltigkeitsdebatte.

Dr. Thomas Klein ist freiberuflicher Medienwissenschaftler, Filmkritiker und Referent für Bildung für nachhaltige Entwicklung und Medienkompetenz. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen und praxisorientierten Tätigkeiten ist das Erzählen von Geschichten über die Zukunft.