bpb.de: Hallo Jan Haft, heute möchten wir über Umweltthemen und Ihre Naturfilme sprechen. Sie arbeiten seit vielen Jahren als Regisseur, Autor und Kameramann erfolgreich für das Fernsehen. Ihr dritter Kinodokumentarfilm "Die Wiese - ein Paradies nebenan" widmet sich einem Lebensraum direkt vor unserer Haustür. Was steckt hinter diesem Projekt?
Jan Haft: Der Wiesen-Film widmet sich einem relativ unbekannten Naturschutzphänomen, nämlich dem bedrohtesten Lebensraum, den wir bei uns im Land haben: Das ist tatsächlich die Blumenwiese. Bedroht dahineingehend, wenn man die Rate des Verschwindens als Maßstab zugrunde legt. Da gibt es ganz hochoffizielle Zahlen vom Bundesamt für Naturschutz und anderen, die belegen, dass die reich blühende Blumenwiese mit den ganzen Vögeln und Insekten drin um 99 Prozent zurückgegangen ist in ganz wenigen Jahrzehnten: Ein Umstand, den man gar nicht so wahrnimmt.
Wiesen sind nicht nur Biotope, sondern auch Kulturlandschaft. Und ein Stück Heimat. Ist Heimatbewusstsein eine effektive Triebfeder für Natur und Umweltschutz in ihren Augen?
Ja. Das Heimatbewusstsein unterliegt ja auch Schwankungen und Moden, unglücklicherweise auch politischen Moden. Das heißt, politische Strömungen vereinnahmen gerne - da will ich gar nicht weiter darauf eingehen - den Heimatbegriff gerade von rechter Seite. Wir sind jetzt im Moment an der Fertigstellung von einem Film namens "Heimat Natur". Also wir machen explizit gerade einen, wenn man so möchte, Heimatfilm, der sich den Lebensräumen hierzulande widmet, von den Bergen bis zur Küste, und mal guckt, wie geht es diesen Lebensräumen? Es ist nämlich so, dass in der medialen Berichterstattung die Leute ganz unterschiedliche Sachen erzählt bekommen und je nachdem, welche Filter man dann selber als Bürger hat, nimmt man unterschiedliche Wahrheiten wahr. Und da war unsere Idee mit einem Kinofilm, der auch Überläge hat, fast 100 Minuten lang ist, durch die heimischen Landschaften und Lebensräume zu streifen und dem Kinozuschauer ein bisschen Orientierung zu geben und abzuwägen: Was ist gut gelaufen oder was läuft gerade gut? Was ist nicht so gut gelaufen? Und auch einen Ausblick zu geben, was täte uns gut, damit wir sozusagen in eine ökologisch wertvolle heile Zukunft steuern?
Zurück zu ihrem Film „Die Wiese ein Paradies nebenan“. Ein anderer Punkt, der in dem Film herausgearbeitet wird, ist, dass die industrielle und intensive Landwirtschaft ein großer Risikofaktor für das Fortbestehen von Wiesenlandschaften in Deutschland ist. Warum ist das so?
Die Ökologie um uns herum war früher ein Produkt der Natur und war später ein unvermeidliches Beiprodukt der Landwirtschaft, die ihre Grenzen hatte. Man konnte früher die Wiesen nur zweimal im Jahr mähen. Wenn man sie öfters gemäht hat, war es kein Verhältnis mehr zwischen Ertrag und Aufwand. Und dann ist irgendwann die technologische Entwicklung in der Landwirtschaft soweit gediehen und die Möglichkeiten sind soweit ausgeschöpft worden und fortentwickelt worden – die Landschaft ist industrialisiert worden –, dass man dieses System so verändern konnte, dass die Produktivität enorm angestiegen ist, aber gleichzeitig die ökologische Potenz in sich zusammengekracht ist. In dem Moment, wo man angefangen hat, die Wiesen 3, 4, 5, 6 bis heute 7-mal zu mähen und jedes Mal mit vergorenem Tierkot, mit Gülle, ganz stark zu düngen, da sind die gesamten Tiere und auch die Kräuter und die feinen Gräser aus den Wiesen schlagartig verschwunden gewesen. Wenn eine Wiese intensiviert bewirtschaftet wird, wird in Nullkommanichts aus einem sehr artenreichen Lebensraum – in einer Blumenwiese haben 3.000 Tier und Pflanzenarten ihr Zuhause – zu einem Grasacker, indem man die dort lebenden Organismen an ein, zwei, drei Händen abzählen kann.
Und welche politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um ein umweltfreundliches Wirtschaften attraktiv für die Landwirte zu machen?
Die Landwirte hängen ja samt und sonders von den Subventionen ab. Ohne die Subventionen würden die Landwirte zu einem großen Anteil sofort von der Bildfläche verschwinden. In etwa 40 Prozent seines Einkommens kriegt der Landwirt heute sozusagen geschenkt vom Steuerzahler als Subvention. Und damit ist diese Subvention ein ganz enorm potentes Steuermittel. Und heute steuert diese Subvention die Landwirte dahin, dass sie möglichst viel Fläche in Bewirtschaftung bringen. 20 Prozent der landwirtschaftlichen Industrie- und Großbetriebe greifen 80 Prozent der Subventionen ab, und jedes Jahr sterben kleine bäuerliche Betriebe. Als ich Kind war, gab es ungefähr dreimal so viele Bauernhöfe in Deutschland wie heute. Und es kann ja nicht sein. Die Kleinen haben viel bessere Möglichkeiten, die Landschaft kleinräumig zu gestalten. Hier auf einen alten Baum Rücksicht zu nehmen, da hinten den Weiher vielleicht auszusparen, irgendwo rum zu mähen. Wenn ich ein Bauer mit 30, 40 Hektar bin – die durchschnittliche landwirtschaftliche Betriebsgröße in Bayern und Baden-Württemberg beispielsweise – kann ich sowas viel eher machen, als wenn ich einen Großbetrieb mit tausend, zweitausend Hektar habe. Da muss ich vielleicht mehr über den Kamm gebürstet wirtschaften.
Sehen Sie denn aufgrund z.B. solcher Bewegungen wie Fridays For Future ein Stück weit optimistisch in die Zukunft, was Artenvielfalt, Umwelt- und Klimaschutz angeht?
Ich bin ja selber Vater von Kindern, die bei den Fridays-For-Future-Demos mitgemacht haben. Das haben wir natürlich auch unterstützt: Plakate malen und hinfahren und mitgehen. Was mir daran besonders gut gefällt ist, dass momentan wieder eine politisch wachere und interessierte Jugend heranwächst. Natürlich auch durch die Berichterstattung in den Medien mobilisiert, sag ich mal. Aber es scheint mir so, dass es seit den 80er Jahren, wo die Friedensdemos waren und die Naturschutzbewegung stark war, stark abgeflacht ist. Und dass es jetzt wiederkommt, finde ich ganz wichtig. Und ich könnte mir vorstellen, dass die Fridays-For-Future-Bewegung, die Jugendlichen auf der Straße, die fürs Klima streiken, letztlich einen positiven Einfluss hatte auf die Rate der Wiederherstellung von lebendigen Moorlandschaften.
Warum sollten gerade junge Menschen ihre Filme sehen und worin sehen sie ihre Verantwortung als Filmemacher?
Das interessante am Naturfilm ist ja, dass die Zuschauerschaft sich aus dem ganzen Altersspektrum potentiell zusammensetzt. Übrigens auch dem ganzen Bildungsspektrum, dass wir in der Gesellschaft haben und auch quer durch das ganze politische Spektrum geht. Man kann also mit Naturfilmen jeden theoretisch erreichen. Und die Jungen sind natürlich eine liebe Zielgruppe, weil die das Leben vor sich haben und es natürlich eines jeden Naturfilmers, glaube ich, Wunsch ist und Traum ist, dass er zur Verbesserung der Welt beitragen kann und den Jungen etwas mit auf den Weg gibt. Es lohnt sich tatsächlich, das ist kein so dahingesagter Spruch, sich mit der Natur vor der Haustüre zu beschäftigen, weil es tatsächlich ein Kosmos ist, nicht erst im Regenwald und nicht erst in der Savanne und weit weg. Es ist vor der Haustür ein Kosmos, bei dem man Bauklötze staunt, wenn man da ein bisschen tiefer einsteigt, was es da alles zu entdecken gibt. Und deswegen sollte jeder, dem auch nur ansatzweise langweilig ist, mal vor die Tür gehen und die Augen aufmachen.
Ja, vielen Dank für das Gespräch.
Ihnen auch. Danke schön. Tschüss.
Es handelt sich, um eine leicht gekürzte Transkription des Audio-Interviews.
Das Interview führte Karl-Leontin Beger. Redaktion: Katrin Willmann
Schnitt und Mischung: Oleg W. Stepanov