Regie: Jasmin Herold
Deutschland 2018
Dokumentarische Form, 80 Minuten
Dark Eden Der Albtraum vom Erdöl
/ 4 Minuten zu lesen
Als Jasmin Herold nach Kanada reist, um dort einen Dokumentarfilm über die Gewinnung von Bodenschätzen zu drehen, kann sie kaum glauben, wie viele Menschen aus aller Welt in Fort McMurray, der Hauptstadt der Ölsandförderung, leben und arbeiten, in der oftmals das Atmen schwerfällt, weil die Luft von Chemikalien und Öldämpfen gesättigt ist. "Es scheint eine Überlebensstrategie der Menschen hier zu sein, nicht zu wissen, was man sieht," beschreibt sie ihren ersten Eindruck. Dabei sind die riesigen Förderanlagen und die rauchenden Schlote überall sichtbar. In der kanadischen Provinz Alberta befindet sich eines der größten, wirtschaftlich nutzbaren Ölsandvorkommen der Welt. Ölkonzerne wie Syncrude haben in der vorher unberührten Wildnis seit den 1980er-Jahren das weltweit größte Industrieprojekt errichtet. Die Menschen kommen her, weil sie gut bezahlte Jobs finden. Doch die Arbeit ist gefährlich. In einem aufwändigen Vorgang wird das Öl aus dem Teersand gefiltert. Dabei werden krebserregende, hormonverändernde und stark wassergefährdende Gifte freigesetzt.
"Dark Eden" konzentriert sich auf die Menschen, die diese Industrie am Laufen halten: das deutsch-russische Ehepaar Markus und Olga, die es in der Stadt zu Wohlstand gebracht haben, der Ölsandlobbyist Robbie, der nicht müde wird, die Vorteile der Industrie zu preisen, der Sudanese Barnabas, der mit seinem Lohn als Reinigungskraft die in der Heimat lebende Familie ernährt, und eine alteingesessene indigene Familie, die erlebt, wie sich die Natur verändert und ihre jüngste Tochter an einem Gehirntumor erkrankt. Der Film wurde ungeplant zu einer Langzeitbeobachtung, denn auch Jasmin Herold blieb in Fort McMurray, weil sie sich in den ortsansässigen Theatermacher Michael verliebte. Von der fremden Beobachterin wurde die Regisseurin zur Einwohnerin und Nachbarin ihrer Protagonisten/-innen. Damit veränderte sich ihre Perspektive auf das Geschehen, denn zunehmend war sie persönlich involviert und selbst betroffen.
Dark Eden - Filmausschnitt
Nicht nur deshalb ist "Dark Eden" kein aktivistischer Film, sondern ein nachdenklicher und sehr persönlicher Essay über Lebensentscheidungen und Verantwortung. Im Mittelpunkt stehen nicht die beunruhigenden Fakten zur Ölsandindustrie, sondern die Menschen, die in einer wahren "Goldgräberstimmung" waren, als Herold nach Fort McMurray kam. Der Ölpreis war hoch und Risiken wurden klein geredet. Am Anfang zeigt der Film ein Leben im "Ölrausch". Kritische Stimmen werden zunächst kaum laut, auch da so gut wie alle Einwohner/-innen direkt oder indirekt von der Ölgewinnung abhängig sind. Doch gerade die stille Beobachtung des Alltags führt dazu, dass sich ein beklemmendes Gefühl breit macht. Alarmierende Statistiken werden abgewiegelt, die wenigen kritischen Nachfragen in den Interviews bleiben ohne Antwort. Schließlich beginnt selbst die Regisseurin an ihrem Standpunkt zu zweifeln. In ihrem persönlichen Off-Kommentar hinterfragt sie das eigene Anliegen und überlegt, ob sie möglicherweise zu negativ eingestellt sei.
Tatsächlich weist die reduzierte und eher düstere Filmmusik und die Panoramaaufnahmen der zerstörten Landschaften rund um die Stadt von Anfang an darauf hin, dass hier ohne Zweifel Raubbau an Menschen und Natur betrieben wird. Dennoch braucht es offensichtlich eine Katastrophe, damit die Menschen in Fort McMurray aufwachen. Zunächst wird bei Herolds Lebensgefährten Michael Krebs diagnostiziert und die kanadischen Ärzte sehen kaum Heilungschancen. Als dann der Ölpreis stark fällt, werden aus den hartgesottenen Öl-Enthusiasten plötzlich Zweifelnde. Im gleichen Jahr gerät ein Waldbrand völlig außer Kontrolle und zerstört große Teile der Stadt. Die Menschen müssen aus ihren Häusern vor den Flammen fliehen, viele stehen danach vor den rauchenden Ruinen ihrer Existenz. Erst jetzt realisieren sie, dass sie dabei sind, den hohen Preis für ihre konsumorientierte und wenig nachhaltige Lebensart zu bezahlen.
Die Dramaturgie des Films schlachtet diesen Wendepunkt nicht aus, sondern nutzt die Wucht der Erkenntnis, um die Frage nach der Verantwortung direkt ans Publikum weiterzugeben. Jasmin Herolds Stimme aus dem Off erinnert uns daran, dass viele alltägliche Gegenstände wie Autos, Zahnbürsten, Kleidung und sogar Nahrungsmittel Erdöl enthalten. Deutschland zählt zu den zehn Ländern mit dem höchsten Verbrauch der Erde: Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von Erdöl betrug 2018 rund 1,25 Tonnen pro Einwohner/-in. Der bildgewaltige Film transportiert die Erkenntnis, dass auch wir für die Zustände auf Kanadas Ölfeldern verantwortlich sind, ohne Anklage, aber mit großer Eindringlichkeit.
Anders als "Youth Unstoppable" (R: Slater Jewell-Kemker, CA 2018), einem Dokumentarfilm, der aus dem Inneren der Jugendklimabewegung berichtet und auch teilweise in Fort McMurray gedreht wurde, konzentriert sich "Dark Eden" auf die ganz normalen Menschen und ihre persönlichen Beweggründe. Dennoch ergänzen sich beide Filme, weil sie letztlich zum gleichen Schluss kommen: Die Phase des ewigen Wachstums sei vorbei und habe die Menschheit bis an den Rand des Abgrunds geführt. Wenn der Raubbau an der Natur und die Klimaerwärmung nicht gestoppt würden, sei eine Erholung von Umwelt und Atmosphäre kaum noch möglich.
Beide Filme zeigen, wie das menschliche Handeln die Natur zerstört und den Klimawandel vorantreibt und wie gravierend die Folgen für die Betroffenen bereits heute sind. Jasmin Herold verknüpft die apokalyptischen Bilder aus Fort McMurray mit einem Appell an das Publikum, den eigenen Lebensstil zu hinterfragen, selbst aktiv zu werden und so der Zerstörung unserer gemeinsamen Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten.
Luc-Carolin Ziemann ist Kuratorin, Autorin und Filmvermittlerin mit Schwerpunkt auf Dokumentarfilm. Unter anderen wirkt sie seit mehr als zehn Jahren am DOKLeipzig Filmfestival mit.
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