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Little Yellow Boots | Umwelt im Dokumentarfilm | bpb.de

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Little Yellow Boots Die Welt ist noch zu retten!?

Jan-Philipp Kohlmann

/ 4 Minuten zu lesen

Regie: John Webster
Finnland/Deutschland/Russland/Lettland/Norwegen 2017
Dokumentarische Form, 95 min

Aufgrund des steigenden Meeresspiegels sind bereits Gräber eines Friedhof in Majuro (Marschall Inseln) in den Pazifik gespült worden. (© "Little Yellow Boots", Foto: John Webster)

Es beginnt mit dem Geräusch von Wellen, noch bevor ein Bild zu sehen ist. Wellen wecken Assoziationen: Sie können die Urgewalt der Natur oder die Gezeiten – und damit auch eine astronomische, über die Erde hinausgehende Dimension – ins Gedächtnis rufen. "Little Yellow Boots" möchte wohl beides andeuten. Wenn die ersten Einstellungen des Films etwas überraschend Straßenaufnahmen zeigen, schimmert mit einer langsamen Überblendung das Meer durch die Bilder und zwei surreal anmutende Gummistiefel stapfen durch New York. Manhattan unter Wasser – eine Erinnerung an Hurrikan Sandy (2012) und eine Vorahnung künftiger Katastrophen. Der Filmemacher John Webster hat für einen Dokumentarfilm über globale Umweltprobleme einen persönlichen Zugang gewählt. Der Voice-Over-Kommentar des Films ist voller Reflexionen über seine Familie – und adressiert an seine noch ungeborenen Nachfahren: "Irgendwann in den 2060ern wirst Du, meine Urenkelin, geboren werden." In einer dramatisierten Strandszene gibt eine junge Darstellerin der fiktiven Urenkelin namens Dorit sogar ein Gesicht. Webster, 1957 in Finnland als Kind britischer Immigranten geboren, konfrontiert sich und andere Menschen in "Little Yellow Boots" mit Fragen zur Generationengerechtigkeit: Hinterlassen wir zukünftigen Generationen, ja sogar unseren eigenen Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt? Müssten wir selbst, da wir schon viel von den ökologischen und sozialen Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung wissen, nicht auch persönlich mehr dagegen tun? Die globale, von Jugendlichen initiierte Bewegung Fridays for Future formuliert diese Gedanken längst nicht mehr als Frage, sondern als dringenden Appell an die Politik und die Elterngeneration

Auch wenn "Little Yellow Boots" vor allem einen Interner Link: ethischen Diskurs führt, der ökologische Entwicklungen aus anthropozentrischer Perspektive betrachtet, präsentiert der Film am Anfang zumindest ein paar wissenschaftliche Prognosen zur Zukunft des Planeten. Dafür besucht Webster das auf langfristige Vorhersagen spezialisierte Unternehmen Swiss Re, das zum Beispiel Wahrscheinlichkeiten berechnet, welche Städte und Regionen in den nächsten Jahrzehnten zunehmend von Überschwemmungen bedroht sein werden. "Es ist unvermeidlich, dass der Meeresspiegel in diesem Jahrhundert um mindestens einen Meter steigen wird", sagt Websters Erzählerstimme, während das Animationsmodell eines überfluteten Hamburgs zu sehen ist. "Höchstwahrscheinlich sogar um noch viel mehr."

Das Problem des ansteigenden Meeresspiegels könnte man freilich präziser und differenzierter darstellen; je nach Szenario unterscheiden sich die Prognosen in der Höhe des Anstiegs – und die Folgen betreffen nicht nur Menschen, sondern zahlreiche Ökosysteme. Während thematisch verwandte Dokumentarfilme wie "2040 – Wir retten die Welt" (AUS 2019) von Damon Gameau eher auf Informationsdichte im dynamischen Erzählformat, also Infotainment setzen, will Webster auf naturwissenschaftliche Details gar nicht hinaus. Die Tendenz ist beim Klimawandel klar und wissenschaftlich unumstritten; dass die Folgen dieser Entwicklung auch für die Menschen fatal sind, zeigt sich längst. Auf geradezu melancholisch-kontemplative Weise fragt "Little Yellow Boots" vielmehr: Interner Link: Wie gehen wir nun damit um?

People’s Climate March in New York (2014) (© Little Yellow Boots/Foto: John Webster)

Dass dieses Wir trügerisch ist, weil Menschen an unterschiedlichen Orten mehr oder weniger akut betroffen sind, will Webster durch Episoden auf verschiedenen Kontinenten aufzeigen; von New York über Finnland, von der sibirischen Industriekolonie Kusbass bis zu den Marshall-Inseln. Zu Hause in Finnland fragt er seine Frau am Küchentisch einmal, wie besorgt sie auf einer Skala von eins bis zehn über den Klimawandel sei. Vier bis fünf, sagt Anu Webster; Gesundheit, ein stabiles Einkommen und Zufriedenheit bei der Arbeit seien ihr wichtiger.

Ob diese Szene authentisch dokumentarisch oder für die Kamera nachgestellt ist, bleibt ungewiss. Zweifellos spielt für Anus Prioritätensetzung eine Rolle, dass die Unterschiede der akuten ökologischen Bedrohung zwischen – zum Beispiel – Finnland und den Marshall-Inseln groß sind. In diesem Kontext verweist "Little Yellow Boots" auch auf ein Externer Link: Verhaltensexperiment des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2013, das ernüchternde Resultate aufzeigt, inwiefern Menschen zugunsten des Klimas zu persönlichem Verzicht bereit sind. Aber ist globaler Klimaschutz wirklich vor allem eine Frage des individuellen Konsums? Da Webster seine Mitwirkenden, vom Klimaforscher James E. Hansen bis zum russischen Bergbauarbeiter, vor allem nach persönlichem Verantwortungsbewusstsein fragt, berührt sein Film nur selten systemische Aspekte der Weltwirtschaft.

Die Episode über die Marshall-Inseln ist als Beispiel ökologischer und politischer Ungleichheit und aufgrund einer eindrücklichen Protagonistin die anschaulichste des Films. Die über 1.000 Inseln der ozeanischen Republik liegen im Durchschnitt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel; die Folgen des Klimawandels sind schon jetzt Flutwellen, Trinkwasserknappheit und längere Dürreperioden. "Little Yellow Boots" porträtiert die Marshaller Aktivistin Kathy Jetnil-Kijiner und dokumentiert ihr Externer Link: emotionales Plädoyer für Klimagerechtigkeit vor der UN-Versammlung in New York . Ihre Rede hat sie als Brief an ihre neugeborene Tochter verfasst. Statt sich direkt an die Repräsentanten der Staatengemeinschaft zu wenden, appelliert Kathy Jetnil-Kijiner so indirekt, dass die Zukunft ihrer Tochter – und ihrer Heimat – in der politischen Verantwortung aller Nationen liegt. Doch wird sie, die Vertreterin eines Inselstaats mit gut 50.000 Einwohner/-innen, mehr bei den Anwesenden erreichen als einen ungewöhnlich langen Applaus?

Jan-Philipp Kohlmann leitete von 2017 bis 2019 die Redaktion der filmpädagogischen Webseite kinofenster.de. Seit 2020 ist er als freier Autor und Redakteur tätig.