Nur einen einzigen Satz brauchte Billy Wilder, um Shirley MacLaine für "Das Appartement" (The Apartment, 1960) zu gewinnen: "Es geht um einen jungen Kerl, der in einem großen Unternehmen dadurch aufsteigt, dass er sein Appartement an Vorgesetzte für jenes altbekannte traditionelle amerikanische Ritual, das Nachmittags-Stelldichein genannt wird, vermietet." Und für Jack Lemmon brauchte er nicht einmal den, da der den Regisseur vom vorhergehenden gemeinsamen Film "Manche mögens heiß" (Some Like It Hot, 1959) bereits kannte. Im Grunde ist die Geschichte von "Das Appartement" die unsichtbare Kehrseite eines anderen Films: Als Billy Wilder "Begegnung" (Brief Encounter, 1945) von David Lean sah, dachte er, dass es interessant wäre, mehr über jenen Mann zu erfahren, der den beiden Liebenden sein Bett und seine Wohnung für ihre heimlichen Treffen zur Verfügung stellte, und hinterher unter die vorgewärmten Laken schlüpfte. Darin spürt man schon den subversiven Schalk, mit dem sich Wilder an das durchaus schlüpfrige und für damalige Verhältnisse ausgesprochen gewagte Thema machte.
In der Regel hatte Wilder schon beim Drehbuchschreiben ein Bild der Schauspieler vor Augen, denen er zusammen mit seinem langjährigen Koautor I.A.L. Diamond dann die Rollen auf den Leib schneiderte. Genaue Passform und exaktes Timing waren dabei oberstes Gebot, jeder Satz wurde mit einem scharfen Messer auch noch vom kleinsten Stückchen überschüssigen Fettes befreit. Eine Vorstellung davon bekommt man, wenn man das Gespräch liest, in dem sich die beiden 1976 im American Film Institute darüber mokieren, dass sich heutzutage keiner mehr um gute Drehbücher schere, dass ein Film wie "Shampoo" (R: Hal Ashby, 1975) "nur mit Verve aus drastischer Sprache, nackten Kehrseiten und Gott weiß was sonst noch" zusammengeschustert sei. In der Tat war das Entstehungsjahr von "Das Appartment" auch das Geburtsjahr der Nouvelle Vague, mit der ein ganz neuer, frischer Wind in die Kinos der Welt wehte.
In "Das Appartment" verkörpert Jack Lemmon einen der traurigsten und zugleich rührendsten Helden in Wilders Universum: C.C. Baxter ist eine sehr kleine Schraube im sehr großen Bürogetriebe einer New Yorker Versicherungsgesellschaft mit dem schönen Namen Consolidated Life. Überhaupt haben die Namen bei Wilder immer einen besonderen, eigenwilligen Charme. So verdankt Lemmon beispielsweise die zwei "C"s seines Rollennamens Wilders langjährigem Regieassistenten C.C. Coleman, der Boss der Versicherung teilt sich den Namen Sheldrake mit zwei anderen Männern in Wilders Werk, und auch sonst reihen sich zauberhaft bizarre Namensgebungen wie Fran Kubelik, Mel Eichelberger, Joe Dobisch, Karl Matuschka und Miss Olsen in die lange Liste all der anderen Bewohner von Wilders Welten, Namen, die immer auch ein wenig europäischen Flair in die amerikanischen Filme des in Österreich-Ungarn geborenen Regisseurs schmuggeln.
Baxter, der keinen Vornamen zu haben scheint – was auch damit zu tun hat, dass er im Grunde kein Privatleben hat, in dem er einen solchen bräuchte – ist der archetypische Mensch in der Masse des modernen amerikanischen Lebens. Nicht zufällig gehörte "Ein Mensch der Masse" (The Crowd, R: King Vidor, 1928) zu Wilders Lieblingsfilmen. Szenenbildner Alexandre Trauner, der große Illusionär der Räume, der schon die Sets von "Ariane - Liebe am Nachmittag" (Love in the Afternoon, 1957) und "Zeugin der Anklage" (Witness for the Prosecution, 1957) für Wilder entworfen hatte, half mit all seinen Innen- und Außenräumen dabei, Baxter mitten in der Acht-Millionen-Stadt New York zum einsamsten Menschen des Universums zu machen. Das Großraumbüro, in dem wir Baxter zum ersten Mal begegnen, vor seiner Rechenmaschine am Tisch mit der Nummer 861 im 19. Stock, gehört zu den eindrucksvollsten Sets der Filmgeschichte. In ganz Amerika hatte Trauner vergeblich nach dem größten Büro der Welt gesucht, bevor er sich entschloss, es selbst zu bauen. Und dabei reichte ihm auch die nur 60 mal 60 Meter große, mittlere Halle bei Goldwyn. Mit raffinierten perspektivischen Tricks erschuf er die Illusion einer Halle mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes und rund 5.000 Arbeitspulten. Von der dritten Reihe an ließ er die Tische immer kleiner werden, setzte nach hinten zu immer kleinere Komparsen daran, bis in den letzten Reihen nur noch Pappkameraden an winzigen Tischchen saßen. Die Tiefenwirkung verstärkte er zusätzlich mit den perspektivisch zusammenlaufenden Reihen der Neondeckenbeleuchtung.
In dieser kafkaesken Welt der Entfremdung sitzt C.C. Baxter wie eine emsige Ameise im Bau, während er aus dem Off sein Leben in ein paar präzisen Sätzen resümiert. Ein Leben, in dessen großem Zusammenhang er ein kleines unbedeutendes Nichts darstellt. Und würde er sich seinen Vorgesetzten gegenüber nicht so entgegenkommend zeigen, er säße wohl auch noch die nächsten 20 Jahre auf demselben Platz. Er hat einen Job und ein Appartement und keine großen Ansprüche. Alles könnte eigentlich ganz gut sein, hätte er nicht eines Tages einem Kollegen seine Wohnung zur Verfügung gestellt, damit dieser sich für den Abend umziehen kann. Bald gibt es eine ganze Riege von verheirateten Männern, die sein Appartement nicht nur zum Umziehen, sondern vielmehr zum Ausziehen, für außereheliche Abenteuer nutzen – nachmittags, abends, nachts. Und weil Baxter, den die Nutznießer seiner Wohnung immer nur Buddy Boy nennen, nicht Nein sagen kann und im Grunde ja auch gar kein Leben hat, das es wert wäre, verteidigt zu werden, mutiert er zum Obdachlosen, der vor seiner Tür in der Kälte darauf wartet, sein eigenes Bett nutzen zu dürfen – nachdem er sich erst einmal in seinem eigenen Reich als Zimmermädchen und Kellner betätigen musste. Aufkeimenden Widerstand ersticken die feinen Herren aus den Chefetagen mit großzügigen Beförderungsversprechungen. Ganz oben steht er da auf den Statistiken zur Arbeitseffizienz, was allein schon ein Witz ist, weil man in diesem Film niemanden jemals seiner Arbeit nachgehen sieht: Die Telefonistinnen treffen Verabredungen, Baxter koordiniert den Nutzungsplan seines hochfrequentierten Appartements, während die Vorgesetzten das nächste Abenteuer arrangieren, die Chefsekretärin schmiedet Racheränke, und an Weihnachten tanzen in Wilders moderner Konsumversion von Sodom und Gomorrha alle bei einer spontanen Büroparty auf den Tischen. Generell wird beruflicher Aufstieg nicht verdient, sondern gegen Gefälligkeiten verschachert, und wenn sich C.C. Baxter später, nach seiner großzügigen Beförderung, eifrig daran macht, neue Ideen zu entwickeln, dann winkt sein Chef (Fred MacMurray) nur beschwichtigend ab, nicht zuletzt, weil auch er vor allem mit seinen außerbetrieblichen Vergnügungen beschäftigt ist.
Nicht nur in der weißkalten Anonymität des Großraumbüros ist Baxter allein und einsam, sondern auch in seinem warmen, kleinen Junggesellenappartement. Endlich dort angekommen, muss er zunächst die Spuren seiner Untermieter beseitigen, bevor er es sich mit einem TV-Diner auf der Couch bequem macht. Doch auch der elektronische Gefährte enttäuscht ihn, denn immer neue Werbeblöcke verzögern das Glück mit Greta Garbo in "Menschen im Hotel" (Grand Hotel, R: Edmund Goulding, 1932). Als er sich schließlich resigniert ins Bett legt, klingelt auch noch das Telefon, und einer seiner Vorgesetzten drängt darauf, das Appartement für ihn und eine Eroberung mit Monroe-Appeal zu räumen. So macht er unablässig gute Miene zu bösem Spiel, und Jack Lemmon beherrscht den Tanz auf dem schmalen Grat von Lächerlichkeit und Würde, zwischen Ehrlosigkeit und Ehrenhaftigkeit, genauso, wie Wilder die harsche Kritik an der amerikanischen Gesellschaft mit einer liebevollen Zärtlichkeit für seine Charaktere verbindet. Die Thonet-Möbel, die in der ganzen Wohnung stehen – sogar das Bett ist noch aus gebogenem Holz –, werden dabei zur Metapher für die Art und Weise, in der sich auch Baxter ständig für andere verbiegen muss.
So wie hier sein Schlaf unterbrochen wird, ergeht es Baxter den ganzen Film lang. Nichts kann er jemals zu Ende bringen, jede Absicht, alles wird schon im Stadium der Vorfreude abgebrochen: Der Fernsehfilm wird ihm durch die Werbung verleidet. Zur Vorführung von The Music Man, einem Musical, in dem sich der Handlungsbogen von "Das Appartement" spiegelt, erscheint seine Begleitung Miss Kubelik (Shirley MacLaine) gar nicht erst. Als sie sich später in seiner Wohnung von ihrem Selbstmordversuch erholt, schläft sie mitten im Kartenspiel ein, und das romantische Dinner für zwei wird durch einen Kinnhaken ihres Schwagers rüde unterbrochen. Wenn es zu guter Letzt dann tatsächlich so aussieht, als könne Baxter wenigstens einmal so etwas wie ein banales Kartenspiel beenden, so gilt das unter diesen Umständen schon als veritables Happy End.
Die Komik ist bei Wilder und Diamond ein Spiel gegen die Erwartungen: Nichts ist in diesem Film, was es scheint, niemand tut, was der Zuschauer erwartet, und ununterbrochen sitzen die Menschen Missverständnissen und falschen Vorspiegelungen auf. Als der im doppelten Sinne verschnupfte Baxter eines Tages nach einer der besagten Nächte zum Chef gerufen wird, hofft er darauf, die Früchte seines Entgegenkommens zu ernten. Doch statt einer Beförderung stellt Mr. Sheldrake ihn für sein nebenberufliches Tun zur Rede, worauf Baxter vor allem erleichtert reagiert, weil ihm das komplizierte Spiel längst über den Kopf wächst. Eifrig verspricht er sofortige Besserung, bis er begreift, dass es auch Sheldrake nur darum geht, Baxters Wohnungsschlüssel, dessen Bewegungen er in den Wochen zuvor verfolgt hat, für sich zu nutzen. Der Schlüssel, der von Hand zu Hand gereicht, unter Türmatten abgelegt, vertauscht und verwechselt und in Briefumschlägen verschickt wird, verwandelt sich dabei auf hintersinnige Weise in ein Handelsgut, in eine Währung, mit der sich Baxter seinen Aufstieg, und damit wiederum den Schlüssel zur Toilette in der Chefetage erkauft. Ein besonders perfider Dreh der Autoren ist, dass es sich bei der Dame, mit der Sheldrake das Appartement nutzen möchte, natürlich ausgerechnet um Miss Kubelik handelt – das Fahrstuhlmädchen, um das sich Baxter zwischen eifriger Beflissenheit und diskreter Zurückhaltung bemüht –, was dieser freilich erst viel später erfahren wird, in einer raffiniert konstruierten Szene. So wie im ganzen Verlauf des Films die Schlüssel wird hier ein kleiner Taschenspiegel zum stummen Boten. Wie so viele andere Schönheitsutensilien der diversen Damen ist auch dieser zerbrochene Spiegel bei Baxter liegen geblieben. Als Miss Kubelik ihn einige Stunden, nachdem Baxter ihn Mr. Sheldrake zurückgegeben hat, nun wieder zu ihm herüberreicht, damit er die Wirkung seines neuen Hutes der Marke young executive darin begutachten kann, wird ihm schmerzlich klar, dass seine Angebetete nicht so unschuldig ist, wie er glauben wollte. Allein der Versuch, die Szene zu beschreiben, macht sie unendlich viel länger und umständlicher und offenbart, wie knapp und präzise Wilder seine Filme choreografierte, unterstützt von Jack Lemmon und Shirley MacLaine, zwei begnadeten Komödianten, die all die widersprüchlichen Nuancen des Gefühls in Bruchteilen von Sekunden über ihre Gesichter ziehen lassen, hochfliegendes Glück neben niederschmetternder Enttäuschung, naive Hoffnung neben hilfloser Resignation. Statt dabei mit raffinierten Fahrten und eleganten Schwenks zu reüssieren, bleibt Wilder als Regisseur ausgesprochen diskret: "Ich will eigentlich, dass die Leute in meinen Filmen vergessen, dass es da eine Kamera und einen Regisseur gegeben hat. Sie sollen vergessen, dass das da eine Leinwand ist, worauf sie blicken. Sie sollen meinen, sie seien mit den Personen der Handlung im selben Zimmer oder auf derselben Straße." Das Handwerk sollte bei ihm immer hinter der Geschichte und den Charakteren zurücktreten; banale Alltagsdinge werden dagegen zu vieldeutigen Metaphern für Lebensstil und Gefühlsverfassung erhöht: der zerbrochene Taschenspiegel, in dem sich die unglücklich liebende Miss Kubelik genauso sieht, wie sie sich fühlt, ebenso wie der Tennisschläger, den C.C. Baxter in seinem improvisierten Junggesellenleben zum Nudelsieb umfunktioniert.
Den Dingen ist dabei allemal mehr zu trauen als den Worten, die stummen Gegenstände sprechen eine direktere und ehrlichere Sprache als die Menschen: Das rastlose Treiben in Baxters Wohnung zieht das Interesse der Nachbarn an, all die ausschweifenden Damenbesuche, der Partylärm und das Bettgeflüster führen dazu, dass der ausgesprochen keusche und kontaktarme Jedermann für einen ruchlosen Verführer gehalten wird, was der sich wiederum geschmeichelt gefallen lässt, statt das Missverständnis richtig zu stellen. Dabei nehmen die schönen Worte und Wendungen den Charakter von Masken und Kostümen an, die er sich ausleiht und überstreift, um wichtiger, erfolgreicher, glücklicher zu wirken: "Sie kennen das ja", beklagt sich da in einem Moment Mr. Sheldrake, "man trifft sich ein-, zweimal mit einem Mädchen, nur so zum Spaß, und schon erwartet sie, dass man sich von seiner Frau scheiden lässt", und im nächsten Moment probiert Baxter den Satz an seinem Nachbarn, dem ebenso abschätzigen wie bewundernden Arzt (Jack Kruschen), aus und nimmt so eine Attitüde der Abgebrühtheit an, die in krassem Gegensatz zu seinem harmlosen Image steht. Wie Pingpongbälle werden die Sätze aufgehoben und weitergeschossen, bis am Ende Baxter nicht mal dazu kommt, seine eigenen, zuvor sorgfältig eingeübten Sätze zu sagen, weil ihm Mr. Sheldrake mit seinen Kubelik-Heiratsabsichten zuvorkommt: "I´m going to take her off your hands." Die Hülle des Scheins ist so unglaublich dünn, dass manchmal ein kurzer Blick oder eine knappe Bemerkung genügen, um sie zum Reißen zu Bringen. Präzise greifen die Zahnrädchen des Drehbuchs ineinander und machen den Film zu einer Achterbahnfahrt des Gefühls, zwischen himmelhochjauchzendem Glück und niederschmetternder Enttäuschung, die immer wieder nur einen Wimpernschlag voneinander getrennt sind. Einen Moment lang findet man Baxter ziemlich kläglich und lächerlich, nur um ihn im nächsten wieder tief ins Herz zu schließen.
Natürlich ist es pure Berechnung, dass Wilder die Geschichte zwischen Weihnachten und Silvester spielen lässt, an jenen Tagen zwischen den Jahren, an denen die Realität der Empfindungen durch die Erwartungen an das Fest noch gesteigert wird, die Einsamen noch einsamer sind und die Traurigen noch trauriger. Wie unter dem Brennglas wird die Wucht der Gefühle verstärkt, wenn Miss Kubelik mit ihrer Enttäuschung über die Herzlosigkeit des Geliebten ringt, der sie wie eine Hure mit 100 Dollar abfertigt und dagegen ihr liebes Geschenk ganz pragmatisch zurücklässt, um den familiären Frieden zu Hause nur ja nicht zu gefährden. Lustvoll inszeniert Wilder Fred MacMurray gegen sein gediegenes Image zum berechnenden Monster, das selbst vom Selbstmordversuch seiner Mätresse wenig beeindruckt ist. Das Weihnachtsfest ist bei Wilder nur noch schnöder Konsum und ausschweifende Party, selbst Santa Claus (Hal Smith) straft jedes romantische Idyll Lügen, wenn er sich am Tresen der Bar hemmungslos betrinkt, während draußen sein Schlitten in zweiter Reihe parkt.
Erst als sich Baxter entschließt, Mensch zu sein, wie ihm sein Nachbar geraten hat (wenn auch aus anderen Gründen), erst als er sich ausklinkt aus den Handelsbeziehungen, in denen jedes echte Gefühl und jeder wahre Wert ad absurdum geführt werden, erhält er eine Chance auf das wahre Glück. An diesem einsamen Silvesterabend, zwischen den Trümmern seines Lebens, bekommt er schließlich doch noch Gesellschaft. Vorher wird allerdings noch einmal ein unschuldiges Geräusch falsch interpretiert, denn die heraneilende Miss Kubelik hält das Knallen des Champagnerkorkens für einen tödlichen Schuss. Nach all dem Ärger und all den Wirren und Wechselbädern ist den lieben Seelen dieses Films allerdings nicht einmal ein finaler Kuss vergönnt, ja noch nicht einmal eine Berührung: "Shut up and deal", sagt Shirley MacLaine nur, in jenem zweitschönsten letzten Satz, nach "Nobody´s perfect" in "Manche mögens heiß".
Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences vergab insgesamt fünf Oscars, drei davon für Wilder persönlich, als Regisseur, Autor und Produzent. Die Perfektion von "Das Appartement" hat er nach eigenem Urteil danach nie wieder erreicht.