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"Starling and Lyre"

Oliver Baumgarten

/ 4 Minuten zu lesen

Szenenfoto aus "Starling and Lyre". (© Mosfilm)

Nach ihrer erfolgreichen Arbeit während des Zweiten Weltkriegs setzen die beiden verheirateten Sowjetspione Ludmila und Fedor ihre Arbeit in der Bundesrepublik fort. Dort dringen sie in höchste Unternehmerkreise vor, wo von Amerikanern unterstützte Wirtschaftsbosse Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu neuem Glanz verhelfen wollen - und das notfalls mit militärischen Mitteln auch gegen die Sowjetunion?

Skvorets i Lira / Starling and Lyre wurde 1974 in der Sowjetunion fertiggestellt. Der Film wurde sehr teuer produziert, aufwendig ausgestattet und opulent in CinemaScope gedreht. Der Regisseur Grigori Aleksandrov, einer der großen Altmeister des sowjetischen Kinos, hatte einst an der Seite des legendären Sergej Eisenstein als Ko-Regisseur an Oktjabr / Oktober (UdSSR 1927) und Staroje i nowoje / Die Generallinie (UdSSR 1929) gearbeitet, ehe er 1934 mit Vesiolyje rebjata / Lustige Burschen das sogenannte Red Hollywood einläutete und erfolgreiche Musical-Comedies im Geiste Hollywoods drehte. Die weibliche Hauptrolle in Skvorets i Lira ist mit Ljubov Orlova besetzt, einem großen Star, einer altgedienten Filmdiva, die im Übrigen mit Aleksandrov liiert war. Mit Skvorets i Lira entstand 1974 demnach eine veritable Großproduktion, geschaffen für ein breites, internationales Publikum.

Der Film in DatenStarling and Lyra

Originaltitel: Skvorets i Lira
Sowjetunion 1974, 142 Min., OmeU

Regie: Grigori Aleksandrov
Darsteller: Lyubov Orlova, Pyotr Velyaminov, Nikolai Grinko u. a.

Doch nach seiner Fertigstellung und einigen wenigen Vorführungen wurde der Film rasch wieder aus den russischen Kinos verbannt. Bis in die 1990er-Jahre, als er erstmals im russischen Fernsehen lief, wurde er nicht wieder aufgeführt und auch nach der Fernsehausstrahlung gab es keine öffentlichen Kinovorführungen.

Warum verschwand dieses so aufwendig produzierte Werk sang- und klanglos in den Archiven? Doch vorab zum Plot des Films: Skvorets i Lira erzählt von einem verheirateten sowjetischen Agentenpaar, Ludmila (Codename Lira, womit das Musikinstrument Leier gemeint ist) und Fedor Grekov (Codename Skvorets, auf deutsch der Vogel Star), die während des Zweiten Weltkriegs sehr erfolgreich als undercover-Spione in Deutschland arbeiten. So erfolgreich, dass ihre Mission auch nach Kriegsende von russischer Seite fortgesetzt wird, wenngleich sich beide lange Zeit nicht sehen und Lira nichts vom Schicksal des Geliebten weiß, der nach der deutschen Kapitulation im Westteil Berlins geblieben war. Beide dringen nun bis in die höchsten Unternehmerkreise vor, in denen von Amerikanern gesteuerte, mächtige Lenker wirken, die Deutschland notfalls mit militärischen Mitteln zu neuem Glanze verhelfen wollen.

Es gibt mindestens zwei Erklärungsansätze für die langjährige Absenz des Films. Der erste ist möglicherweise im Alter der Hauptdarstellerin begründet. Die bereits erwähnte Filmdiva Ljubov Orlova spielt Lira, eine Figur, die im Film eine Entwicklung von ca. zwanzig Jahren durchläuft. Zu Beginn der Erzählung ist Lira etwa dreißig Jahre alt. Tatsächlich war die Schauspielerin aber bereits über siebzig, was auch damals bei der Rezeption des Films schon zu Glaubwürdigkeitsproblemen geführt haben dürfte. Außerdem wirkte der Film altmodisch, schien handwerklich nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, war also weit entfernt von dem, was das sowjetische Kino Mitte der 1970er-Jahre ansonsten zu bieten hatte.

Dass jedoch allein qualitative Mängel für den Startverzicht des Films ausschlaggebend gewesen sein sollen, ist sehr unwahrscheinlich. Vielleicht ist der zweite Erklärungsansatz überzeugender, denn Skvorets i Lira ist sicherlich einer der ideologisch härtesten Filme des Kalten Krieges. Der Film erzählt von Amerikanern, die mit Hilfe ehemaliger Wehrmachtsoffiziere und deutscher Business-Leute den Dritten Weltkrieg planen. Ein US-amerikanischer Verbindungsmann vertritt im Film beispielsweise die These, die USA hätten den Zweiten Weltkrieg zwar gewonnen, allerdings gegen das falsche Land – gegen Deutschland und nicht gegen Russland. Diese direkte Suggestion kriegerischer Absichten der Westmächte gegen die Sowjets wird mit großer Ernsthaftigkeit thematisiert. Skvorets i Lira hatte mit S. K. Svigun, der an hoher Stelle für den KGB tätig und auch für Kriegsspionage zuständig war, einen prominenten Berater.

Der Film sollte ursprünglich im Herbst 1974 nach einem Screening vor dem Zentralkomitee der KPdSU ins Kino kommen, doch kurz zuvor ereignete sich mit der Guillaume-Affäre und dem Rücktritt Willy Brandts einer der brisantesten deutsch-deutschen Spionageskandale. Da die Filmhandlung zu deutlich an jenen realen Vorfall erinnerte und die Machthaber im Osten nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf die Affäre ziehen wollten, wurde Skvorets i Lira ins Archiv verbannt. Aus heutiger Sicht erstaunt die ideologische Härte des Films besonders, da Mitte der 1970-er Jahre ein politisches Tauwetter zwischen den Mächten und eine Annäherungspolitik an den Westen vorherrschte, in deren Sinne Skvorets i Lira absolut nicht funktioniert hätte.

Somit stellt dieser Film ein extremes Beispiel offener propagandistischer Ausrichtungen dar. Warum sich das Genre des Agentenfilms wunderbar für derartige Tendenzen eignet, zeigt der Film ebenfalls sehr gut. Beide Agenten arbeiten – das ist im osteuropäischen Spionagefilm sehr oft zu finden – jahrelang undercover im Westen, in der gegnerischen Gesellschaft, der sie sich anpassen und deren Ideologie sie unterwandern müssen. Es ist wohl kaum eine geeignetere Figur denkbar als der Agent, der derart praktisch das ideologisch Unterlegene und moralisch Verfehlte einer Gesellschaftsordnung aufzeigen kann, indem er gezwungen ist, sich zu Tarnungszwecken genau jene Lebensweise anzueignen. In anderen Filmen hat diese Repräsentationsweise allerdings einen unbeabsichtigten Nebeneffekt: Ihre schwelgerische Darstellung des kapitalistischen Lotterlebens bot der Ost-Bevölkerung die seltene Möglichkeit, einen Blick auf das zu erhaschen, worauf sie selbst zu verzichten gezwungen war. Durch seine starke propagandistische Einfärbung ist dies beim russischen Genre-Beispiel Skvorets i Lira sicherlich nicht der Fall.