Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nach den Worten meines geschätzten Vorredners darf auch ich Sie ganz herzlich zur Filmreihe "The Celluloid Curtain. Europe's Cold War in Film" willkommen heißen. Es freut mich außerordentlich, dass wir heute hier im Berliner Zeughauskino zusammengekommen sind, um gemeinsam eine kleine Zeitreise anzutreten – zurück in eine Welt, die dem kulturellen und auch politischen Gedächtnis in Deutschland und Europa mehr und mehr zu entgleiten droht: Fünfzig Jahre – ein halbes Jahrhundert also – ist es nun her, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik den Befehl dazu gab, mitten in Berlin eine über 150 Kilometer lange Betonmauer zu errichten. Damit wurde die DDR-Bevölkerung endgültig in einen gefährlichen, mit Überwachungstürmen, Hundestaffeln und Minenfeldern versehenen Käfig gesperrt und es begann die schmerzlichste und bis 1989 anhaltende Phase der deutschen Teilung.
Insgesamt starben mehrere Hundert Menschen bei ihrem verzweifelten Versuch, die Grenzen der DDR in Richtung Westen zu überqueren. Allein an der Berliner Mauer wurden (laut Angaben des Zentrums für Zeithistorische Forschung) mindestens 136 Menschen getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Und weil kein Staatssystem so viel Angst vor dem Freiheitsdrang seiner Bürgerinnen und Bürger hat wie das totalitäre, schwebte über allem und jedem ein paranoider Generalverdacht des Verrats. Die erschreckenden Zahlen sprechen eine eindrucksvolle Sprache: In Bezug auf die Einwohnerzahl bildete das Ministerium für Staatssicherheit, dessen Hinterlassenschaften wir noch heute aufarbeiten, mit einer Quote von einem hauptamtlichen Mitarbeiter auf 180 Einwohner – dies der Stand im Jahr 1989 – den größten geheimdienstlichen Apparat der Weltgeschichte! Man muss sich das vorstellen: Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung standen circa 91.000 hauptamtliche und über 174.000 inoffizielle Mitarbeiter in Stasi-Diensten. Zusammengerechnet übertrifft das die heutige Einwohnerzahl von Städten wie Augsburg oder Chemnitz! Mit Fug und Recht lässt sich also behaupten: Es wurde spioniert, was das Zeug hält – und dabei richtete sich das Interesse nicht nur auf regimekritische Tendenzen in der eigenen Bevölkerung. Hoch spannend war auch alles, was nach sozialistischer Doktrin mit dem ideologischen Erzfeind zu tun hatte: den USA, den NATO-Staaten, der Bundesrepublik.
Der Westen war kaum minder aktiv, was die Bespitzelung des politischen Gegners auf der anderen Seite des heute sprichwörtlich gewordenen Eisernen Vorhangs anging. Denn dieser "Iron Curtain", den der britische Premierminister Churchill 1945 als politische Trennlinie zwischen Ostsee und Mittelmeer zu erkennen glaubte, war nicht völlig undurchlässig: Gerade hier in Berlin, an dessen vielleicht feinster Nahtstelle, tummelten sich Agenten des westdeutschen BND ebenso wie Kollegen der US-amerikanischen CIA oder des britische MI6. In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts war die pulsierende Vier-Sektoren-Stadt das unangefochtene Spionagezentrum Europas: Hier gruben Briten und Amerikaner unter dem Decknamen "Operation Gold" einen Tunnel vom West- in den Ostteil, um die Telefonleitungen sowjetischer Truppen abzuhören, und hier wurde auch der berühmte Agenten-Austausch auf der Glienicker Brücke arrangiert. Zu einem örtlichen Symbol des Kalten Krieges avancierte in der Weltöffentlichkeit aber vor allem der berühmte ehemalige Grenzübergang "Checkpoint Charlie", der mir, da ich für die Bundeszentrale für politische Bildung spreche, auch heute noch sehr präsent ist: Vor einem Jahr bezog unsere Berliner Dienststelle ihr neues Quartier in unmittelbarer Nähe des Postens, der heute für Besucher aus aller Welt ein beliebtes Touristenziel ist. Das weltbekannte Schild mit der viersprachigen Aufschrift "Sie verlassen den amerikanischen Sektor" hängt nun in unserer Eingangshalle – Verpflichtung genug für die bpb, die Geschichte des Kalten Krieges immer wieder zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen.
Nun kann diese Geschichte, die 1962 mit der Kubakrise nur knapp an der atomaren Katastrophe vorbeischlitterte, auch als Kodierung des innerdeutschen Verhältnisses gelesen werden – und gleichsam als Resonanzfläche der gegenseitigen Wahrnehmungen in West und Ost. Die Klischees, die sich dabei im Laufe der Zeit im kollektiven Bewusstsein festgesetzt haben, lassen sich wohl nirgends besser nachvollziehen als im kulturellen und gerade auch im populärkulturellen Bereich, wo vor allem der Film als Leitmedium des 20. Jahrhunderts eine hervorgehobene Stellung einnimmt: Wer einmal einen älteren James-Bond-Film gesehen hat, der glaubt zu wissen, wie man sich das Leben damals in den Warschauer-Pakt-Staaten vorzustellen hat: grau und freudlos, maßlos militarisiert und generalüberwacht. Umgekehrt wurden dem östlichen Kino-Publikum zu jener Zeit mit Vorliebe wankelmütige, selbstgefällige und pflichtvergessene Repräsentanten des Westens präsentiert, skrupellose Tycoons und dekadente Hedonisten. Gerade durch solche ideologischen Vereinnahmungen liefern die Spionagefilme von einst einen anschaulichen Eindruck von den schablonenhaften Denkmustern des Kalten Krieges: Schon ein kurzer Blick auf die Filmgeschichte und auch auf die Filme der Reihe "The Celluloid Curtain" lehrt, wie vielgestaltig und verschlungen die Bezüge sind – zwischen dem tatsächlichen historisch-politischen Wirken der Agenten und ihren Leinwand-Missionen. So beruht die Geschichte des Films For Eyes Only – Streng geheim, der übermorgen gezeigt wird, auf der ganz realen Geschichte des Stasi-Spions Horst Hesse, die aber frei dramatisiert und damit weltanschaulich instrumentalisiert wurde: Aus Hesse wurde so ein standhafter Verfechter der sozialistischen Idee namens Hansen, dem es mit Gewitztheit und Geschick gelingt, hinterhältige Angriffspläne des Westens auf die DDR sicherzustellen – Angriffspläne, deren Existenz bis heute übrigens nie belegt wurde. Beispiele wie diese finden sich viele: Vor einigen Jahren etwa nahm der ehemalige DDR-Spion Rainer Rupp im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" für sich in Anspruch, einst durch die Lieferung von Informationen einen Atomkrieg verhindert zu haben. Sein Tarnname lautete damals "Topaz" – in Anlehnung an Alfred Hitchcocks berühmten gleichnamigen Spionagethriller aus dem Jahr 1969.
Unbestritten: Die Namen von Hitchcock und natürlich auch von James Bond haben die Geschichte des Agentenfilms geprägt. Doch möchte die Filmauswahl von "The Celluloid Curtain" vor allem die Vielschichtigkeit des Agentenfilm-Genres zeigen, das weit mehr kennt als nur Martini schlürfende Gentleman-Spione. Vom spannenden Thriller bis zur skurrilen Groteske und vom packenden Actionspektakel bis zum nachdenklichen Drama werden so auch in Vergessenheit geratene, absolut sehenswerte Vertreter des Genres nach langer Zeit wieder auf der großen Kinoleinwand gezeigt. Die Bundeszentrale für politische Bildung konnte in der Vergangenheit immer wieder die Erfahrung machen, dass gerade der Film als audiovisuelles Medium nicht nur für Zwecke des Erinnerns besonders geeignet ist, sondern vor allem auch Jugendlichen den Zugang zu historischen und politischen Themen erleichtert. Daher war es uns ein besonderes Anliegen, neben der Filmreihe ein pädagogisch begleitetes Schulprogramm sowie eine prominent besetzte Podiumsdiskussion anzubieten. In diesem Zusammenhang darf ich Sie auch auf den Büchertisch mit inhaltlich relevanten Publikationen der bpb hinweisen, der im Foyer aufgebaut ist und – da bin ich sicher – vielfältige Anregungen zu weiterer Lektüre bietet.
Ganz herzlich möchte ich mich an dieser Stelle bei unseren Kooperationspartnern und -partnerinnen bedanken, besonders bei der Initiatorin des Projekts, Frau Claudia Amthor-Croft vom Goethe-Institut London. Ebenso gilt unser großer Dank Herrn Jörg Frieß, dem Leiter des Zeughauskinos, der "The Celluloid Curtain" hier in Berlin freundlicherweise als Gastgeber beherbergt und gemeinsam mit uns/dem Filmbereich der Bundeszentrale für politische Bildung das diskursive Begleitprogramm der Filmreihe in Berlin gestaltet hat. Mit beiden Institutionen kooperieren wir schon seit vielen Jahren ausgesprochen gern und erfolgreich – ebenso wie mit EUNIC Berlin, der Gemeinschaft der europäischen Kulturinstitute, die uns bei der Organisation von Filmkopien und Untertiteln tatkräftig unterstützt hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in gewisser Weise ist der Spion – sozusagen als Kehrseite des gläsernen Bürgers – das Leitbild unserer Zeit. Nur, dass wir in der Ära des Internets keinerlei technisch ausgefeilte Gadgets mehr benötigen, um an Informationen zu gelangen. Es reichen Suchmaschinen und soziale Netzwerke wie Google und Facebook. Wie das Beispiel WikiLeaks eindrücklich gezeigt hat, werden Enthüllungen jetzt im großen Stil online verkündet. Heute sitzt der Agent am Schreibtisch und vor dem Computer, anstatt sich bei Nacht und Nebel im schwarzen Tarnanzug durch gefährliches Gelände zu schleichen. Lehnen Sie sich also zurück und tauchen Sie ein in eine Zeit, in der das noch anders war – zumindest in den Traumwelten des Kinos. Ich wünsche der Veranstaltung ein gutes Gelingen und uns allen interessante Denkanstöße. Viel Vergnügen bei "The Celluloid Curtain"!
Vielen Dank!
- Es gilt das gesprochene Wort -