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"Das Thema Deutschland zieht sich wie ein roter Faden durch die Lieder" | "Liebe, D-Mark und Tod" | bpb.de

"Liebe, D-Mark und Tod" "Liebe, D-Mark und Tod" - Filmbesprechung Interview mit Cem Kaya Schlaglichter auf das deutsch-türkische Kino Dissonante Diaspora: Die Musik Türkeistämmiger in Deutschland seit den 1990ern. Ein Rückspulversuch Arbeitsblatt zu "Liebe, D-Mark und Tod" Redaktion

"Das Thema Deutschland zieht sich wie ein roter Faden durch die Lieder"

Ulrich Gutmair

/ 5 Minuten zu lesen

Regisseur Cem Kaya im Interview über seinen Dokumentarfilm "Liebe, D-Mark und Tod" – und wie die Musik von Türkeistämmigen vom migrantischen Leben in Deutschland erzählt.

Regisseur Cem Kaya bei der Berlinale 2022 (© radioeins / rbb)

Was war persönlich für Sie das Motiv, Liebe, D-Mark und Tod zu machen?
Cem Kaya: Unser gemeinsames Anliegen – ich spreche auch im Namen meiner Ko-Autoren Mehmet Akif Büyükatalay und Ufuk Cam – war, diesen unerzählten Teil der bundesrepublikanischen Musikgeschichte einer breiten Masse an Menschen zugänglich zu machen. Es geht uns um Sichtbarkeit und Empowerment.

Ihr Film handelt von der Musik der Türkeistämmigen in Deutschland. Zugleich erzählt er die Geschichte der türkischen Migration seit den 1960er-Jahren. Wollten Sie vor allem einen Film über diese Migrationsgeschichte machen oder ging es Ihnen zuerst um die Musik?

Das kam zusammen. Es geht nicht um türkische Musik, sondern um Musik der Türkeistämmigen, das ist wichtig. Wenn man sich die Texte anhört, und zwar vom ersten Barden Metin Türköz bis zum Hip-Hop und Pop von heute, zieht sich das Thema Deutschland wie ein roter Faden durch die Lieder. Das ist – selbst wenn es gar nicht intendiert war – politisch. Das hier gelebte Leben wird abgebildet. Wenn es um Deutschland geht, geht es immer um "Gurbet", also um die Fremde. Metin Türköz erzählt im Film: "Als ich zu Ford kam, gaben sie mir statt einer normalen Matratze eine Strohmatratze. Toilette und Dusche sind in den Werken, haben sie gesagt." Diese Ungleichbehandlung bringt er in seine Musik hinein. Wenn wir die Musik losgelöst von der Geschichte der Migration behandelt hätten, wäre das nur ein halber Film geworden.

Metin Türköz klagt über "Almanya, Almanya" und hält fest: "Das Schlimmste ist, dass du die Sprache nicht verstehst. Sie fluchen über dich, und du sagst: Ja. Sie beleidigen dich, und du sagst: Ja. Das einzige Wort, das wir kannten, war: Ja."
Der Vorwurf an die Gastarbeiter lautete immer: "Die wollen die Sprache nicht lernen." Die arbeiten Akkord! Wann sollen sie lernen? Die sind abends kaputt. Manche gingen abends trotzdem noch in die Volkshochschule, um Deutsch zu lernen.

Haben Sie in Ihrer Familie diese Musik gehört?
In den 80er-Jahren waren wir immer von Musik umgeben, zu Hause, auf der Fahrt in die Türkei und auch auf Feierlichkeiten wie Hochzeiten oder anderen Festen. Ich bin in Franken groß geworden, da haben wir Live-Musik meist auf den Hochzeiten gehört, das war wie auf ein Konzert gehen. Meine Eltern waren zu jung für Asik Metin Türköz, das hat ihre Elterngeneration gehört.

In einem der vielen faszinierende Auszüge aus alten deutschen TV-Reportagen fragt der Interviewer einen jungen "Gastarbeiter" aus Karlsruhe: "Würden Sie auch zu einem Konzert Udo Jürgens gehen?" Der Mann antwortet, badisch gefärbt: "Hajo, natürlich."
Daran kann man sehr schön sehen, dass der Diskurs um Integration ein Scheindiskurs ist. Die Leute reden sofort im Dialekt der Region, in der sie leben. Für sie geht es nicht um deutsch sein, türkisch sein, eingedeutscht sein. Es geht immer ums Lokale. Das heißt also, der Türke in Berlin fühlt sich als Berliner, und die Türkin in Stuttgart fühlt sich als Stuttgarterin.

Musik diente den "Gastarbeiter/-innen" als Vehikel der Selbstermächtigung. Ihr Film zeigt aber auch ausführlich, wie türkische "Gastarbeiter/-innen" bei wilden Streiks, etwa beim Autozulieferer Pierburg oder bei Ford in Köln, um ihre Rechte kämpften.
Bei Pierburg hat es funktioniert, bei Ford nicht. Der Streik bei Pierburg war so erfolgreich, weil Pierburg in Neuss 80 Prozent aller Vergaser in Deutschland gebaut hat. Das heißt, wenn die Bänder in Pierburg stillstehen, steht irgendwann die ganze Autoindustrie still. Bei Ford haben sich die deutschen Arbeiter distanziert. Die Polizei knüppelte die Streikenden nieder und Gewerkschafter machten die Durchsage: "Das sind alles Kommunisten. Hört nicht auf die Anführer des Streiks." Baha Targün, einer der Streikführer bei Ford – er hatte schnell Deutsch gelernt – wurde von deutschen Medien als Zielperson auserkoren. Er musste seinen Schnurrbart abrasieren, weil er auf der Straße angegriffen wurde als Kommunist. Und dann wurde er ausgewiesen.

Was waren die größten Schwierigkeiten bei der Recherche?
Die Archivarbeit war nicht schwierig, aber aufwendig. Zunächst der Zugang zu den Archiven, öffentlich-rechtliches Fernsehen in unterschiedlichen Bundesländern, Privatarchive, Foto- und Audioarchive. Da wir nicht nur nach Musikthemen gesucht haben, sondern auch den gesellschaftlichen und politischen Kontext erzählen wollten, mussten wir fast alles über migrantisches Leben recherchieren. Das ergab dann ein riesiges Konvolut an Archivmaterial, das wir katalogisieren, verschlagworten und zuordnen mussten. Bereits während des Schnittprozesses mussten wir uns um die Klärung der Rechte kümmern, was sehr arbeitsintensiv war.

Gab es "Entdeckungen" beim Recherchieren, von denen Sie überrascht waren?
Es gab in Deutschland unterschiedliche Szenen in unterschiedlichen Städten. Die musikalische Landschaft in Berlin ist anders als die in Köln zum Beispiel. Das hat auch damit zu tun, aus welchen Regionen der Türkei Migration in die jeweiligen Regionen Deutschlands stattgefunden hat. Celle bei Hannover etwa hat eine große jezidische Population, dort ist ihre Musik dominant.

Wie hat sich die Finanzierung des Films gestaltet?
Die Finanzierung war recht klassisch. Zwei Produktionsfirmen (filmfaust aus Köln und Film Five aus Berlin, Anmerk. der Red.) in Koproduktion mit WDR, RBB und Arte. Dann fast alle öffentlichen Fördereinrichtungen wie Filmstiftung NRW, BKM, Deutscher Filmförderfonds und Filmförderungsanstalt. Das Projekt wurde sehr wohlwollend aufgenommen.

Welche Idee lag Ihrem Schnitt zugrunde?
Ich habe mich vom Archivmaterial inspirieren lassen im Schnitt. Manchmal findet man Material, das sich geradezu aufdrängt, oder Filme sprechen zueinander. Darin liegt ein Zauber. Ich mag disruptive Schnitte, Überraschungsmomente und Humor, den ich bisweilen durch Schnitte erzeuge.

Wie reagieren Jugendliche auf den Film?
Auf meiner Kinotour durch Deutschland habe ich viel Feedback von Jugendlichen auf den Film bekommen. Auch die Jugendfilmjury der Filmbewertungsstelle hat den Film sehr gut besprochen. Die Jugendlichen mit Migrationsgeschichte finden es toll, etwas über ihre eigene Vergangenheit und die ihrer Eltern und Großeltern zu erfahren und sie sind sehr dankbar für einen Film, der das mit Humor macht. Die deutschen Jugendlichen sind meist baff, weil sie diesen Teil der deutschen Geschichte gar nicht kennen. Der Film kommt bei allen sehr gut an.

Warum ist Filmbildung wichtig? Welche Rolle kann Ihr Film in diesem Zusammenhang spielen?
Filmbildung stärkt die Medienkompetenz. Reflexion des Gesehenen sensibilisiert die Jugendlichen für den Film als Kunstform. Aber man übt auch das Kritisieren und das Artikulieren dieser Kritik. Das sind Social Skills, die man später in jeder Lebenslage gebrauchen kann. Aus welchen konkreten Gründen heraus gefällt mir das oder auch nicht? Außerdem machen Filme meist Spaß und können manche Themen besser vermitteln als klassischer Unterricht.

Dieses Interview erschien erstmals am 29.09.2022 auf kinofenster.de, dem Onlineportal für Filmbildung der Bundeszentrale für politische Bildung.

Fussnoten

Ulrich Gutmair schreibt über Pop und Geschichte und ist Kulturredakteur bei der taz