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"Liebe, D-Mark und Tod" - Filmbesprechung | "Liebe, D-Mark und Tod" | bpb.de

"Liebe, D-Mark und Tod" "Liebe, D-Mark und Tod" - Filmbesprechung Interview mit Cem Kaya Schlaglichter auf das deutsch-türkische Kino Dissonante Diaspora: Die Musik Türkeistämmiger in Deutschland seit den 1990ern. Ein Rückspulversuch Arbeitsblatt zu "Liebe, D-Mark und Tod" Redaktion

"Liebe, D-Mark und Tod" - Filmbesprechung

Ulrich Gutmair

/ 4 Minuten zu lesen

Der Dokumentarfilm richtet den Blick auf ein faszinierendes, bislang kaum erschlossenes Kapitel bundesdeutscher Popkultur: Die Musik Türkeistämmiger von den 1960er-Jahren bis zur Jahrtausendwende.

Rüştü Elmas in "Liebe, D-Mark und Tod" (© filmfaust / Film Five)

Liebe, D-Mark und Tod – der Titel von Cem Kayas Dokumentarfilm ist von einem Lied der Berliner Band Ideal inspiriert. Den Text dazu schrieb Aras Ören. Der Schriftsteller lebt seit den 1960ern-Jahren in Berlin und hat das Leben der türkischen "Gastarbeiter/-innen" in seiner "Berliner Trilogie" besungen. Ören nannte sein Gedicht für Ideal Aşk Mark ve Ölüm. Er beschreibt darin das harte Leben eines "Gastarbeiters", der erkennen muss, dass die D-Mark eine "falsche Liebe" war.

Cem Kaya, selbst als "Gastarbeiterkind" 1976 in Schweinfurt geboren, widmet sich in seinem Film der Musik der aus der Türkei stammenden Menschen, die seit dem Anwerbekommen von 1961 in die Bundesrepublik kamen. Liebe, D-Mark und Tod zeichnet die Entwicklung dieser eigenständigen Musiktradition bis in die 2000er-Jahre nach. Zugleich erzählt der Regisseur damit die Geschichte jener Menschen, die im Bewusstsein kamen, lediglich einige Jahre in Deutschland zu verbringen, um zu arbeiten und Geld zu verdienen. Liebe, D-Mark und Tod ist somit auch eine Geschichte der türkischen Einwanderung nach Deutschland.

Lieder über Sehnsucht und Enttäuschung

Kaya hat erstaunliches Archivmaterial zu Tage gefördert. So zeigt er am Anfang türkische Frauen, die sich noch in der Türkei ärztlich untersuchen lassen müssen, bevor sie nach Deutschland fahren können. Zum archivalischen Material gehören einerseits Aufnahmen vor allem zeitgenössischer Dokumentarfilme und Fernsehbeiträge, andererseits Aufnahmen von Volks- und Popmusik, die in Deutschland entstanden sind. Kaya montiert das historische Material mit einer Vielzahl von Interviews mit Sänger/-innen, Musiker/-innen, aber auch mit den Betreibern von Hochzeitssälen. Diese spielten für die Musiker/-innen nicht nur als Auftrittsmöglichkeiten eine wichtige Rolle, sondern auch weil sie dort gute Gagen und teils exorbitante "Trinkgelder" bekamen.

Die Sängerinnen und Sänger sangen anfangs Lieder, die von der Sehnsucht nach der Heimat handelten – hatten doch die meisten Ehefrauen, Ehemänner, Kinder und Eltern zurückgelassen. Sie thematisierten aber auch ihre Erfahrungen in Deutschland. Viele der frühen Lieder erzählen von der Enttäuschung darüber, dass die von den Anwerbern gemachten Versprechungen nicht der Realität entsprachen. Oftmals waren die Arbeitsbedingungen hart, die Löhne aber niedriger als die der deutschen Kollegen/-innen.

1973 kommt es daher zu einer Serie wilder Streiks unter anderem bei Ford, denen Cem Kaya einen gebührenden Platz einräumt. Er belehrt nicht, sondern zeigt auf humorvolle Weise, dass der Wille zur Selbstbehauptung, der sich in den Liedern äußert, recht bald auch politischen Ausdruck findet. Die Gegenüberstellung von deutschen TV-Beiträgen und der Musik der „Gastarbeiter/-innen“ macht deutlich: Unabhängig von den guten Intentionen der deutschen Reporter blickt die Kamera immer in eine Richtung – auf die "Ausländer".

Eine Geschichte der türkischen Community in Deutschland

Am Beginn stehen melancholische Musikstile wie die Gurbetçi-Lieder (Lieder aus der Fremde). Die erfolgreichste Künstlerin dieser Phase war Yüksel Özkasap, die "Nachtigall von Köln", die Millionen von Schallplatten vor allem in Deutschland, aber auch in der Türkei verkaufte. Ihre Musik erschien wie die von Aşık Metin Türköz, der sozialkritische und gleichermaßen humorvolle Lieder schrieb ("Guten Morgen, Maystero"), auf dem deutschen Plattenlabel Türküola.

Alleine von ihren Singles hat Yüksel Özkasap im Durchschnitt 700.000 Exemplare verkauft, so Cem Kayas Recherche. Ihr Jahresrekord im Jahr 1978 waren vier Millionen verkaufte Tonträger. Von der deutschen Plattenindustrie erhielt sie neun Goldene Schallplatten für Single-Verkäufe und zwei Goldene Schallplatten für Longplays. Die Musik wurde anfangs auf Vinyl, später auf Kassetten vertrieben. Letztere waren deutlich billiger herzustellen, auch waren Kassettenrekorder seit den späten 1970er Jahren weit verbreitet. Türküola verkaufte seine Musik in eigenen Läden im gesamten Bundesgebiet und in den Niederlanden. Die Kassetten wiederum wurden in darauf spezialisierten Shops und überall dort verkauft, wo es türkische Kundschaft gab, also auch im Gemüseladen. Im Film kommt auch ein Ehepaar zu Wort, das noch heute einen Kassettenladen betreibt. Wenn eine neue Kassette eines beliebten Sängers oder einer Sängerin erschien, kauften Kunden manchmal gleich mehrere Exemplare, um sie Freunden oder Verwandten zu geben. All das zeigt, welch großen Stellenwert diese Musik für die türkische Gemeinschaft in Deutschland hatte.

Anfangs richteten sich die Lieder an die türkeistämmige Community, später sang ein Sänger wie Ozan Ata Canani auch auf Deutsch, um ein deutsches Publikum zu erreichen. Auch der seit 1979 im deutschen Exil lebende türkische Rockstar Cem Karaca nahm mit seiner Band Die Kanaken ein Album in deutscher Sprache auf. Die Reichweite innerhalb der deutschen Gesellschaft blieb aber begrenzt. Die Situation änderte sich erst mit dem Rap in den 1990er-Jahren. Der Hip-Hop von Fresh Familee, King Size Terror oder Islamic Force wurde nun auch außerhalb der Community wahrgenommen. Von da an nimmt das Thema Rassismus und Gewalt gegen Migranten und Asylsuchende deutlich Raum in der Musik ein. Die Trennung der Publika wurde überwunden, als der R&B-Sänger Muhabbet nicht nur die Enkel/-innen von „Gastarbeiter/-innen“, sondern generell Jugendliche in Deutschland ansprach.

Cem Kaya setzt Schwerpunkte in den 1960er-, 1970er- und 1990er-Jahren. Die Zeit dazwischen wird schnell überflogen, auch die Gegenwart wird nur kurz angerissen. Angesichts der Fülle des Materials kann man das allerdings dem Film kaum vorwerfen. Kaya hat ihn schnell und abwechslungsreich montiert, die Musik gibt den Bildern den Takt vor. Der Film zeigt pointiert, wie die Musik die jeweils drängenden Probleme der Zeit reflektiert. Mit seiner hohen Schnittfrequenz kommt Liebe D-Mark und Tod den Sehgewohnheiten junger Menschen entgegen. Er vermittelt grundlegendes Wissen über die Anfänge der deutschen Einwanderungsgesellschaft – über eine Zeit, die noch deutlich unsere Gegenwart prägt.

Credits

"Liebe, D-Mark und Tod" (Dokumentarfilm)
Deutschland 2022


Kinostart: 29. September 2022
Verleih: Rapid Eye Movies
Regie: Cem Kaya
Drehbuch: Cem Kaya, Mehmet Akif Büyükatalay
Mitwirkende: İsmet Topçu, Yüksel Özkasap, Metin Türköz, Cavidan Ünal, Hatay Engin, Cem Karaca, Boe B, Dede Deli, Derya Yıldırım u.a.
Laufzeit: 96 min.
Format: Digital, Farbe, Schwarz-Weiß, Deutsch, Türkisch, Englisch mit deutschen und englischen Untertiteln
FSK: ab 12
Altersempfehlung: ab 14

Dieser Artikel erschien erstmals am 29.09.2022 auf kinofenster.de, dem Onlineportal für Filmbildung der Bundeszentrale für politische Bildung.

Fussnoten

Ulrich Gutmair schreibt über Pop und Geschichte und ist Kulturredakteur bei der taz