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Filmvermittlung im Fernsehen

Michael Baute Michael Baute und Stefan Pethke

/ 6 Minuten zu lesen

In den 60er Jahren sorgte das Fernsehen für eine sonst weitestgehend abwesende Vermittlung von Filmgeschichte. Aus einer anfänglichen Formenvielfalt entwickelte sich zunehmend ein verlängerter Arm der Filmindustrie. Nur einige wenige anspruchsvolle Formate existieren noch heute.

Das Treiben rund um den roten Teppich nimmt einen Großteil der Beschäftigung mit Film im Fernsehen ein. (© AP)

Die Fernsehanstalten in der Bundesrepublik Deutschland haben seit den 1960er Jahren zahlreiche Sendungen und Formate produziert, die in unterschiedlicher Form und aus verschiedenen Perspektiven das Kino zum Thema haben. Die dafür zuständigen Redaktionen verstanden ihre Aufgabe anfänglich auch darin, eine Kinemathek im Fernsehen zu bilden. "Echte" Kinematheken gab es in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren noch keine bzw. sie entstanden erst ganz allmählich, so dass viele deutsche Cineasten und Kinobegeisterte begierig auf solche Fernsehangebote zurückgriffen. Jenseits von Quotendruck, bar jeder Konkurrenz durch Privatsender und bei entsprechend erschwinglichen Marktpreisen konnte die Existenz einer globalen Filmgeschichte ins Bewusstsein der Zuschauer gehoben werden. Das Fernsehen sorgte für eine ansonsten zumeist abwesende Filmbildung.

Neue und alte Filme zeigen und zu Autoren- und Genre-Reihen anordnen war dabei nur ein Aspekt. Der andere: Über Filme informieren und eigene cinephile Sendungen herstellen. Vor allem in den 1970er und 80er Jahren, vor der Einführung des Privatfernsehens, zeigten diese "filmkundlichen" Sendungen eine große Formenvielfalt der Ansätze zur filmischen Filmbetrachtung. Zahlreiche Filme entstanden in dieser Zeit, die eigenständige künstlerische Reflexionen über das internationale Kino und seine Geschichte darstellten. Die Sendungen begleiteten in der Regel die von der Redaktion zusammengestellten Filmreihen. Es waren vertiefende, informierende, kommentierende und analysierende Sendungen über Regisseure, Filmländer und Genres, deren Ausgangsmaterial zumeist Filmausschnitte, Interviews und historische Aufnahmen waren, die mithilfe von Montage und Kommentar gestaltet waren.

Ein Beispiel dafür, wie der Ankauf von Filmen und fernsehlogistische Herausforderungen filmkundliche Programme generiert haben, bildet das Format "Film Aktuell". Diese vom WDR produzierte ARD-Reihe kam zustande, weil durch unterschiedliche Längen der am Sonntag Nachmittag eingesetzten Spielfilme systematisch Lücken im Programmschema aufrissen. Diese Lücken wurden dann mit ebenfalls unterschiedlich langen Beiträgen zu den jeweiligen Filmen aufgefüllt. Ein Großteil dieser Beiträge besaß eine erstaunliche analytische Dichte und Lebendigkeit in der Vermittlung von Filmgeschichte und -ästhetik.

Heute dagegen behandelt der Großteil der Fernsehsendungen über das Kino nicht vorrangig die Filmgeschichte, sondern widmet sich der Berichterstattung und Begleitung des aktuellen Kino- und Filmfestivalgeschehens. Die Spannbreite reicht dabei von einzelnen kurzen journalistischen Beiträgen in Kulturmagazinen wie "Aspekte" (ZDF), "Titel, Thesen, Temperamente" (ARD) oder "Kulturzeit" (3sat) bis zu Filmmagazinen wie "Der Filmvorführer" (RBB), "Kino Kino" (BR) oder "Kennwort Kino" (ZDF). Ein Vorläufer dieser Magazine war das von 1970 an ausgestrahlte, ursprünglich österreichische Format "Apropos Film". Diese Sendereihe, eher anekdotisch-boulevardesker Natur, die vor allem aus Interviews mit international renommierten Schauspielern und Regisseuren bestand und häufig von den über das Jahr verteilten Filmfestivals berichtete, wurde erst 2002 abgesetzt – eine der längsten Laufzeiten für Sendungen mit Filmorientierung im deutschsprachigen Fernsehen. Vor allem aufgrund der normierten Kürze der einzelnen Magazinbeiträge (zwischen zwei und fünf Minuten) hatten und haben diese Sendungen primär einen Nachrichtencharakter.

Avancierte Filmbetrachtung statt Filmboulevard

Äußerst selten sind regelmäßige filmvermittelnde Sendungen im Fernsehen zu sehen. Reihen, die mehr wollen als das Ankündigen von Kino-Neustarts und das Berichten über Stars, die auf roten Teppichen zu Filmpremieren schreiten. Tiefergehende Filmkritik und -vermittlung im TV führt weitestgehend ein Schattendasein. Anhand von zwei Formaten, die beide der WDR herstellt und die dort beide bis heute, wenn auch mit prekärem Status, weiterbestehen, lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen an die avanciertere Filmbetrachtung im Fernsehen skizzieren:

Der Interner Link: "Filmtip" wurde 1978 von Helmut Merker ins Leben gerufen, der die Reihe bis zu seiner Pensionierung 2007 redaktionell betreute. In unregelmäßiger Frequenz wird das Format bis heute weitergeführt. Im "Filmtip" werden aktuelle Filme oder Wiederaufführungen von Kritikern audiovisuell kommentiert. In den mehr als dreißig Jahren seines Bestehens wurden über 350 "Filmtips" ausgestrahlt. Die Reihe versteht sich als Autorensendung ohne Interviews, in der die Auseinandersetzung mit dem Werk im Vordergrund steht und keine Service-Leistungen zum Kinostart erbracht werden. Die Eingriffe ins Material beschränken sich auf die Auswahl von Ausschnitten und Standbildern. Innerhalb einer Szene sollte nicht geschnitten werden, über Dialogen gibt es keinen Off-Kommentar (dafür benutzt man Sequenzen von Standbildern). Ausschnitte aus unterschiedlichen Werken werden mit einer Schwarzblende getrennt. Die Nacherzählung tritt zugunsten von Reflexionen über Aspekte filmischer Inszenierung zurück. Hervorgehoben werden die einzelne Einstellung, der besondere Schnitt, Gesten, Blicke, Kamerabewegungen, Licht- und Farbdramaturgie, Erzählstrukturen, kurz: das Gemachte am Kino. In Einzelfällen handelt der "Filmtip" auch von der Entwicklung eines Schauspielers oder der Variation eines Genres.

Im Kontrast zum Autorenprinzip des "Filmtips" steht das von Reinhard Wulf betreute und seit 1990 bestehende 3Sat -"Kinomagazin" für einen Ansatz, der gelegentlich mit dem Wort Redakteursprinzip umschrieben wird. Im "Kinomagazin" kommt einzig und allein der Filmemacher zu Wort (bzw. bei Arbeiten zu anderen Gewerken innerhalb der Filmherstellung der jeweilige Protagonist), auf einen Off-Kommentar verzichtet diese Form grundsätzlich. Filmausschnitte und Interviewauszüge begegnen sich in einfachem Wechsel. In Ausnahmefällen, wenn die Interviews bei Dreharbeiten geführt wurden, bekommen die Beiträge zusätzlich die Anmutung einer Dokumentation von Schaffensprozessen.

Bemerkenswerterweise hat das stärker standardisierte "Kinomagazin" eine Tendenz zu einer bestimmten Sorte Autorenfilm entwickelt, während das Autorenprinzip des "Filmtips" einen offeneren Zugang zu allen denkbaren, auch populären Stoffen zu erleichtern scheint. Das "Kinomagazin" mit seinen selbst auferlegten Beschränkungen ist auf Filme bzw. Szenen angewiesen, die ohne hinzugefügte Erläuterungen auskommen. Filme mit einem komplizierten Plot haben es ohne zusammenfassende Nacherzählung schwer. Tatsächlich tendiert die Sendung zu den filmischen, nicht handlungsentscheidenden, sondern eher stimmungskonstituierenden Momenten eines Films, ohne Wortwechsel bzw. mit wenig Dialog. Und weil der Autorentext aus dem Off tabu bleibt, muss außerdem Sorge getragen werden, dass die Interviews in keinen Spezialistenjargon abrutschen. Es ist dem Format anzumerken, dass es sich gegen eine Gefahr des Schwadronierens, des exzessiven und spekulativen Interpretierens richtet, die dem Autorenprinzip innewohnt. Dafür nimmt es in Kauf, in der Interviewführung bemüht zu wirken, weil ja schließlich alle benötigten Informationen aus den Wortbeiträgen der Interviewten gewonnen werden müssen. Gleichzeitig darf es aber auch nicht zu Redundanzen kommen zwischen Rede und als Ausschnitt vorgesehenem Bild. Gewünscht werden im Grunde Filmemacher, die abstrakt und trotzdem verständlich formulieren können, wobei sich die Abstraktion der Aussage konkret an einer Szene festmachen lässt. Einerseits erhält der Zuschauer so einen eindeutigen Hinweis, hat aber auch eine Eigenleistung zu erbringen, weil er selbst zwischen dem abstrakten Wort und dem konkreten Bild vermitteln muss. Dennoch: ein Drahtseilakt, kein entspannt umherschweifendes Gespräch.

Beiden Sendereihen ist die große Aufmerksamkeit für die Rolle von Filmausschnitten für die filmische Filmkritik gemeinsam: Wie wählt man sie aus? Wie lang sollen sie sein? Wo wird geschnitten? Welches Verhältnis zum Wort wird angestrebt: Illustrierung? Beweisführung? Beglaubigung? Gleichzeitig sind diese Fragen auch für die Erstellung des Beitrags bedeutsam, der in der Reibung zwischen entliehenem Bild und persönlicher Interpretation entsteht, als Komposition der Einzelelemente Ausschnitt, Standbild und Interview- bzw. Autorentext. Dabei geht es auch darum, eine vor allem im Vergleich zur geschriebenen Kritik der Tagespresse intensivere Materialdurchdringung auszustellen: In diesen Arbeiten stehen Archive und ein Schneidetisch zur Verfügung, der Gegenstand der Analyse kann wie in einem Labor genau studiert werden.

Filmvermittlung vs. Profitorientierung

Unverzichtbare Voraussetzung dafür ist die volle Verfügbarkeit über den zu besprechenden Film. Es hat mit den neueren Gepflogenheiten der Filmwirtschaft zu tun, dass dies keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Im Gegenteil ist es bei der Auseinandersetzung mit Film im Fernsehen (und anderswo) eher die Ausnahme. Die Normalität sieht heutzutage so aus, dass die Filmverleiher mit Unterstützung von Marketing-agenturen die Filmausschnitte auswählen, aufbereiten und den Verbreitungsmedien als vorgestaltetes Informationspaket, als sogenanntes "Electronic Press Kit" (EPK), zur Verfügung stellen. In diesem Umstand kommen gewiss die strukturellen Probleme der Filmwirtschaft genauso zum Ausdruck wie die allgemeinen Veränderungen nicht nur der nationalen, sondern auch der Weltgesellschaft – das Fernsehen spiegelt diese Vorgänge und fungiert als Schnittstelle, in deren Wirkungsbereich sich beide Entwicklungen treffen. Individuelle und kritische Zugänge zu einzelnen Werken werden erschwert. An ihre Stelle tritt in der gegenwärtigen Medienlandschaft eine zunehmende Normierung zugunsten eines reibungslosen Informationsflusses.

Zudem stiegen die Preise für Filmlizenzen und Filmausschnitte sprunghaft an. Das Programm an Spielfilmen und mit ihnen jenes an filmkundlichen Sendungen musste entsprechend zurückgefahren werden (obwohl die Anzahl ausgestrahlter Filme im deutschen Fernsehen im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch ausfällt).

In einem Milieu, in dem als maßgebliche Kriterien für richtiges Handeln die Einschaltquote und die erzielten Werbeeinnahmen gelten, steigt der Legitimationsdruck gerade für das Staatsfernsehen. In einer Periode zunehmender Popularisierung haben es analytische Formate schwer. Die Einteilung in Sendeplätze, minutiös gegliedert durch eine zum Teil auf die Sekunde vorausberechnete Slot-Struktur, lässt sie in der Regel in die späten Segmente oder eben ganz aus der Programmplatzierung fallen. Die zunehmend direkten Einfluss ausübende Hauspolitik der Sender bekommt auch ein durchkonzipiertes Redakteursfernsehen zu spüren. Die pessimistischen Prognosen für das Kino einerseits und für eine Cinephilie im Fernsehen andererseits haben entsprechend Hochkonjunktur.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Michael Baute ist Medienarbeiter und Autor. Er ist Mitherausgeber des Buches "Minutentexte-The Night of the Hunter" und schreibt für u.a. Jungle World, Starship, kolik.film. In dem von der bpb geförderten Projekt "Kunst der Vermittlung: Aus den Archiven des filmvermittelnden Films" fungierte er als künstlerischer Leiter.