Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die DVD als Medium der Filmvermittlung | Audiovisuelle Filmvermittlung | bpb.de

Audiovisuelle Filmvermittlung Überblick: Geschichte und Formen Varianten Audiovisueller Filmvermittlung Die DVD als Medium der Filmvermittlung Filmvermittlung auf DVD: Fragmente in Beziehung setzen Filmvermittlung im Fernsehen Der WDR Filmtip: Das Verstehen als sinnliches Vergnügen Filmvermittlung im Museum: "Film ist Übersetzungsarbeit" Filmvermittlung im Museum: "Filmausschnitte haben ein Eigenleben" Filmemacher Harun Farocki: Bildforscher und Filmvermittler Filmemacher Harun Farocki: "Drückebergerei vor der Wirklichkeit" Der Experimentalfilm als Mittler zwischen Kunst und Film Experimentalfilm: "Einen Film Bild für Bild anschauen" Filmvermittlung im Internet: Der Betrachter als Schöpfer Audiovisuelle Filmvermittlung in der Praxis Gespräche über Filmvermittlung Interview mit Christina Nord Interview mit Martin Koerber Interview mit Harun Farocki Interview mit Dirk Schaefer Links Redaktion

Die DVD als Medium der Filmvermittlung

Bettina Henzler

/ 6 Minuten zu lesen

Ein neues Medium bietet immer auch neue didaktische Möglichkeiten. In Frankreich wurde unter Leitung des Filmwissenschaftlers Alain Bergala eine DVD-Reihe entwickelt, die das digitale Medium innovativ nutzt, um Film als Kunstform zu vermitteln.

Durch die Bereitstellung eines non-linearen Zugriffs bietet die DVD facettenreiche Möglichkeiten für die Filmvermittlung. (© R.B. / PIXELIO)

Die neuen Möglichkeiten, die die DVD für die Filmvermittlung und Filmpädagogik bietet, hat Alain Bergala früh erkannt und mit der DVD-Kollektion "L´Eden cinéma" erprobt. Der französische Filmwissenschaftler und Pädagoge konzipierte die DVD-Reihe für Schulen 2000-2002 im Rahmen des französischen Bildungsprogramms "Les arts à l´école" (dt. Die Künste an die Schule) für den damaligen Bildungsminister Jack Lang. Das Programm sah vor, Kindern von klein auf die Begegnung mit Kunstwerken und Künstlern in der Schule zu ermöglichen – darunter neben Theater, Musik, Architektur u.a. auch das Kino. Denn die Kunst – so die These Jack Langs – trägt gerade weil sie im Widerspruch zum schulischen Alltag steht wesentlich zur Persönlichkeitsbildung des Einzelnen bei.

Bergala konzipierte die DVD nicht als Ersatz, sondern vielmehr als notwendige Ergänzung zu der Begegnung mit Filmen im Kino und zu der Erfahrung der künstlerischen Praxis bei der Realisierung von Filmen in der Schule. Die DVD-Bibliothek sollte den individuellen und vertieften Umgang mit Filmen in der Schule ermöglichen.

Kino als Kunst

Ursprünglich waren 100 DVDs geplant, 28 DVDs konnten bis zur Einstellung des Programms durch die aktuelle französische Regierung produziert werden. Es handelt sich um DVDs zu einzelnen Filmen, DVDs zu bestimmten Fragestellungen (z.B. Perspektive, Schauspieler, Kino und Theater) und DVDs zu verschiedenen Film-Genres (z.B. Dokumentarfilm, Animationsfilm, Kurzfilm). Bei der Auswahl des Filmmaterials und der Konzeption der DVDs stand der von Bergala in seinem Essay Interner Link: "Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo" programmatisch formulierte Ansatz der Vermittlung des Kinos als Kunstform im Vordergrund. Es handelt sich ausschließlich um ästhetisch herausragende Filme, von der Stummfilmzeit bis heute, von Afrika bis Amerika, von experimentellen Filmen bis zu klassischem Hollywoodkino. Oft ist die Filmauswahl überraschend, denn sie orientiert sich weniger an den "Meilensteinen" der Filmgeschichte, als an der Vielfalt des Kinos, an Motiven, Themen und Formen, die junge Menschen ansprechen können und nicht zuletzt an den Vorlieben seiner Herausgeber: So wird die Montage an Dziga Vertovs "Chelovek s kino-apparatom" (Der Mann mit der Kamera) behandelt, von Fritz Lang ist "Moonfleet" (Das Schloss im Schatten) im Programm, von Pier Paolo Pasolini "Il vangelo secondo Matteo" (Das Evangelium des Matthäus), von Agnès Varda "Les Glaneurs et la Glaneuse" (Die Sammler und die Sammlerin) und von Michel Ocelot "Azur et Asmar", Djibril Diop Mambétys "La petite vendeuse de soleil" findet sich neben Burlesken von Buster Keaton oder Charlie Chaplin.

Verbindungen knüpfen – als Lernprozess

Wie Interner Link: Bergalas Ausführungen zur Filmvermittlung auf DVD veranschaulichen, ist die hypertextuelle Verknüpfung Ausgangspunkt seiner Konzeption der pädagogischen DVD: Sie eröffnet die Möglichkeit, nicht nur mit ganzen Filmen zu arbeiten, sondern leicht auf einzelne Ausschnitte zuzugreifen und diese in Beziehung zu anderen Filmausschnitten, anderen Bildern, anderen Materialien zu setzen. Da das menschliche Denken assoziativ funktioniert - wir den Bildern, die wir sehen, immer Bilder aus unserem eigenen Gedächtnis hinzufügen – kommt die Netzstruktur dieses Mediums dem Lernprozess entgegen. Zudem ermöglicht sie, Filme in vielfältigen Kontexten zu positionieren, ohne auf ein statisches Konzept der Film- oder Kunstgeschichte zurückgreifen zu müssen.

Beispielhaft für diesen Ansatz ist die DVD "Petit à petit, le cinéma", die von Nathalie Bourgeois als Einführung in die Filmkunst zusammengestellt wurde. Die DVD enthält ca. 40 Ausschnitte und Filme, die zum einen nach kindgerechten Themen gruppiert sind, wie Zirkus, Tiere, Musik, Trickfilme, andere Welten. Zum anderen werden Verkettungen dieser Ausschnitte nach bestimmten formalen oder motivischen Kriterien vorgeschlagen. Die Verkettung "Vu d´en haut, vu d´en bas" (dt. Von oben gesehen / von unten gesehen) beispielsweise zeigt Filme und Filmausschnitte aus dem russischen Zeichentrickfilm "Der Igel im Nebel" (R: Juri Borissowitsch) , aus Lumière-Filmen, aus Chaplins "The Circus" (Zirkus) und dem klassischen Hollywoodfilm "Die unglaubliche Geschichte des Mr. C" (The incredible shrinking man, R: Jack Arnold), die in unterschiedlicher Weise die Kameraperspektive einsetzen, um Blicke, Größenverhältnisse und Gefühle zu inszenieren. So kann direkt vom Material ausgehend, im Vergleich der verschiedenen Filmausschnitte die Funktionsweise und Wirkung der Kameraperspektive erarbeitet werden. Ein Portfolio an motivähnlichen Bildern - Zirkus-Gemälden von Léger und Matisse, Zeichnungen von Alice im Wunderland oder mongolischen Elefanten, Fotos von Henri Cartier-Bresson, Darstellungen von Puppentheatern oder Fantascopen (Frühformen des bewegten Bildes) ermöglichen zudem, Beziehungen zur Kunst und Fotografie herzustellen und den Bild-Charakter der Filme besonders hervorzuheben. Gemeinsam mit "Le point de vue", Bergalas DVD zur Perspektive im Kino, setzt "Petit à petit, le cinéma" die Idee der kommentarlosen Verknüpfung von Materialien als Ausgangspunkt für den individuellen Lernprozess konsequent um. Abgesehen von einem knappen Begleitheft gibt es keine Erläuterungen, die die Aufmerksamkeit der Nutzer lenken und damit auch festlegen würden. Jeder kann individuell auf Entdeckungsreise durch die angebotenen Schätze des Kinos gehen.

Andere DVDs bieten dagegen Bonusmaterialien an, die die Arbeit mit den Fragmenten selbst vorführen: So analysiert Bergala in seinem filmvermittelnden Film "L´épreuve du sous-terrain" eine Schlüsselsequenz des Films "Moonfleet" (Das Schloss im Schatten, R: Fritz Lang). Auf der DVD zu "Mes petites amoureuses" (Meine kleinen Geliebten, R: Jean Eustache) kommentiert Anne Huet in einem Off-Dialog mit Kindern die Verkettung von Filmausschnitten zu dem Motiv des Geldes. Und "Khane-ye doust kodjast?" (Wo ist das Haus meines Freundes, R: Abbas Kiarostami) wird durch einen Film zur persischen Miniaturmalerei in den Kontext der iranischen Bild-Tradition gestellt.

Veranschaulichung der Film-Produktion

Auf der DVD "L´acteur au cinéma" (dt. Der Schauspieler im Kino) wird unter dem Menupunkt "Der Schauspieler im modernen Kino" einerseits eine kommentarlose Verkettung von Filmausschnitten (u.a. aus Renoirs "Boudu"/ Boudu – Aus den Wassern gerettet, Rosselinis "Stromboli", Bergmanns "Sommaren med Monika"/ Die Zeit mit Monika, Godards "À bout de souffle"/ Außer Atem) präsentiert. Andererseits gibt es zu jedem Filmausschnitt auch einen Off-Kommentar, in dem Bergala das Spiel des Schauspielers erläutert. Diese DVD widmet sich damit einem weiteren Schwerpunkt in Bergalas Filmpädagogik: Der Analyse des Schaffensprozesses. Um Filme zu verstehen, so Bergalas in "Kino als Kunst" formulierte These, muss man die Besonderheiten des filmischen Produktionsprozesses kennen, muss man das Zusammenspiel von Zufall, (ökonomischen und technischen) Beschränkungen, Realität und künstlerischem Gestaltungswillen mitdenken. So lassen die Filme über die Dreharbeiten Jacques Doillons mit der 4-jährigen Hauptdarstellerin des Films "Ponette" oder über Jean Renoirs Arbeit mit Schauspielern anschaulich werden, wie aus einer engen Interaktion zwischen Regisseur und Schauspieler eine Film-Figur entsteht und dass gerade das scheinbar natürliche Spiel eines Kindes Ergebnis harter Arbeit ist.

Andere DVDs bieten einfache, interaktive Spiele, die es ermöglichen, die Entscheidungen beim Filmemachen nachzuvollziehen. Wo ist die Kamera? Auf der DVD zu dem Western "The Searchers" (Der schwarze Falke, R: John Ford) können die Kamerapositionen eines Filmausschnitts in einer Lageskizze angegeben werden, die richtige Wahl wird mit einem Bravo! belohnt. Andere interaktive Spiele zur Wahl der Filmmusik, zur Ton-Synchronisation, zur Raum-Gestaltung und zur Entstehung einer Bewegung aus Einzelnbildern sind auch auf der DVD zum Animationsfilm (Le cinéma d´animation) versammelt. Diese umfangreiche Doppel-DVD widmet sich dem dritten Schwerpunkt in Bergalas filmpädagogischen Konzept: der Realisierung von Filmen im Unterricht. Sie enthält neben 30 Animationsfilmen und dem zugehörigen Portfolio an Bildern zwei Filme, die die technischen Voraussetzungen und die einzelnen Schritte einer Animation erläutern, und zwei weitere Filme, die die schrittweise Realisierung eines Animationsfilms in einer Klasse dokumentieren. Die Ergebnisse dieser Arbeit, die von zwei Animationskünstlern angeleitet wurde, zeugen von dem großen kreativen Potential einer aktiven Film-Arbeit mit Kindern.

Diese Stichprobe aus der französischen DVD-Kollektion "L´Eden cinéma" sollte Bergalas Grundkonzept der DVD und die Vielfalt in der Umsetzung zeigen. Er und seine Mitarbeiter/innen nutzen die Möglichkeiten der hypertextuellen Verknüpfung, um Filmmaterialen und Filmwissen in den unterschiedlichsten Formen zusammenzuführen und miteinander kommunizieren zu lassen. Neben Filmen, Filmausschnitten, Bildern und interaktiven Spielen finden sich dort auch Interviews mit Regisseuren und Darstellern (u.a. Michel Ocelot, Abbas Kiarostami), Perlen des filmvermittelnden Films (von Jean Douchet, Bernard Eisenschitz, Alain Bergala) sowie Porträts und Dokumentationen, die ästhetische, historische und kulturelle Kontexte aufzeigen. Einzigartig ist dabei die Verbindung von einem hohen Anspruch an das Kino mit einer Vielfalt an kreativen Zugangs- und Vermittlungsformen, die ein interaktives, dialogisches Prinzip verwirklichen. Die DVDs bieten sich – als Forschungsfeld Kino – für alle Altersgruppen an: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Laien wie Fachleute können hier ihre Freude an Filmen und ihren vielfältigen Beziehungen finden. "L´Eden cinéma" zeigt, was in der Filmvermittlung möglich ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Bettina Henzler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen. In ihrer Doktorarbeit befasste sie sich mit der französischen Filmpädagogik im Kontext europäischer Filmvermittlung. Zusammen mit Prof. Winfried Pauleit hat sie u.a. "Film als Kunst" von Alain Bergala und "Vom Kino lernen. Internationale Perspektiven der Filmvermittlung" herausgegeben.