Unter den international anerkannten iranischen Filmautoren ist Abbas Kiarostami fast der einzige, der Zeit seines Lebens in Iran gelebt hat und das Land nie verließ. Doch Filme nach seinen Vorstellungen kann auch Kiarostami inzwischen nicht mehr in seiner Heimat drehen. Seinen bislang letzten Film, "Die Liebesfälscher" (Copie conforme, 2010), drehte er als europäische Produktion in der Toskana.
Auf den ersten Blick hat "Die Liebesfälscher" keinen Bezug zu Iran. Doch die Beziehungsgeschichte zwischen einem britischen Schriftsteller und einer französischen Antiquitätenhändlerin knüpft an Kiarostamis Film "Der Bericht" (Gosaresch, 1977) an. Kurz vor dem Zusammenbruch des Schah-Regimes zerbricht die Ehe eines korrupten Beamten im Finanzministerium. Doch wer kennt "Gosaresch", wer die iranische Filmgeschichte vor 1979?
Aufbruch trotz Zensur
Erstmals breite internationale Anerkennung fand der iranische Film mit Dariusch Mehrdschuis "Die Kuh" (Gaw, 1969), der oft als Auftakt des neuen iranischen Spielfilms erachtet wird. Der mehrfach preisgekrönte Klassiker erzählt die Geschichte eines armen Bauern, der nach dem Tod seiner über alles geliebten Kuh geisteskrank wird. Mehrdschui gehört zu jener Generation von Filmschaffenden, die zu einem großen Teil im Ausland studiert hat. Zurück in der Heimat, blies den damals um die 30 Jahre alten Filmautoren eine steife Brise ins Gesicht. Ihre Filme, die sich stark an der Alltagsrealität im Land orientierten, riefen die Zensur des Schah-Regimes auf den Plan. Mehrdschuis "Die Kuh" wurde erst nach dem Einfügen eines Vorspanns frei gegeben, der die geschilderte Armut Jahrzehnte zurückdatierte.
Vollständig verboten wurden die Dokumentarfilme, die Kamran Schirdel zwischen 1965 und 1967 gedreht hatte. Kaum einem anderen Filmautor gelang es vorher oder nachher, so unverhohlen und geistreich die alltäglichen Schattenseiten des Schah-Regimes am Beispiel von Prostitution, Armut oder Machtmissbrauch an den Pranger zu stellen. "Die Nacht, in der es regnete" (Un schab ke barun umad, 1967) geht einer Zeitungsmeldung über einen Jungen nach, der nachts bei strömendem Regen ein Zugsunglück verhindert haben soll. In der mit schwarzem Humor gespickten Gegenüberstellung sich widersprechender Aussagen löst sich die Heldentat in Nichts auf. War alles nur Propaganda?
Vor allem in den 1970er-Jahren entstanden der Zensur zum Trotz viele Filme, die das iranische Filmschaffen erneuerten und den Weg für den internationalen Erfolg des nachrevolutionären Films ebneten. Das Symbolhafte oder die minimalistische Erzählweise, für die viele Filme der 1980er und 1990er-Jahre bewundert werden, gehen zurück auf Filme der 1970er-Jahre. 1973 drehte Parwis Kimiawi mit "Die Mongolen" (Mogholha) seinen Spielfilmerstling, eine teils surreale Geschichte, die das Vordringen des Fernsehens in ländliche Gebiete der Invasion der Mongolen im 13. Jahrhundert gegenüberstellt. 1976 folgte "Der Steingarten" (Bagh-e sang'i), in dem ein taubstummer Schafhirt einen Steingarten errichtet, den seine Mitmenschen als Pilgerstätte betrachten, bis sie selbst zu Stein werden. Auf der Berlinale erhielt "Der Steingarten" den Silbernen Bären.
Ebenfalls einen Silbernen Bären erhielt Sohrab Schahid Saless für "Stilleben" (Tabi'at-e bidschan, 1974). Der Film handelt von einen Mann, der sein Leben lang einen unbedeutenden Bahnübergang bewacht und nach 30 Jahren entlassen wird. Die lakonische, minimalistische Darstellung des eintönigen Alltags, der in Trostlosigkeit mündet, findet sich in vielen späteren Filmen, etwa jenen von Abbas Kiarostami, der im gleichen Jahr den Kinderfilm "Der Reisende" (Mossafer) drehte.
Dem Vergessen anheim gegeben
Nach der Gründung der islamischen Republik im Jahre 1979 wurde die vorrevolutionäre Filmproduktion dem Vergessen anheim gegeben. Dies geschah in der Absicht, das Filmschaffen nach 1979 als kulturpolitische Leistung der islamischen Republik darzustellen und Bezüge zur früheren Filmproduktion zu unterbinden.
In den Augen der religiös argumentierenden Revolutionäre war Film zunächst unislamisch und damit verwerflich. Wenig später wurde die Frage aufgeworfen, die bis heute nicht beantwortet ist: Was zeichnet einen Film aus, der den religiösen Vorgaben des Islam entspricht? In der Folge wurden die bestehenden Zensurvorgaben geändert und fortwährend den jeweiligen Ansichten der politischen Führung angepasst. Männer und Frauen haben sich im Film so zu verhalten wie im Alltag der islamischen Republik: Die strengen Kleidervorschriften gelten auch hier, und dies selbst in häuslichen Szenen, wo Frauen nicht mit dem Kopftuch essen oder ins Bett gehen. Jegliche explizite Darstellung von Erotik oder Sexualität ist nach der Revolution tabu.
Indes gibt es auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Zensurvorgaben vor und nach der Revolution: Kritik am Staat oder den Machthabern war zu allen Zeiten ein Tabu. Die Darstellung sozialer Missstände führte insbesondere vor, aber auch nach der Revolution schnell zu Problemen mit der Zensurbehörde. Zu allen Zeiten mussten iranische Filmschaffende Wege finden, um ihre Filme durch die Zensur zu bringen. Oder wie es der iranische Regisseur Rafi Pitts neulich auf den Punkt brachte: "Unsere Filmsprache hat sich aus der Zensur heraus entwickelt."
Nach der Revolution passte sich ein Teil der Filmschaffenden den neuen Vorgaben an, ein anderer Teil wählte den Weg über den allegorischen Kinderfilm und ein dritter Teil drehte aus Überzeugung regimetreue Filme. Der bekannteste Vertreter dieser dritten Gruppe ist in den ersten Jahren nach der Revolution Mohsen Machmalbaf. Doch zehn Jahre nach der Gründung der islamischen Republik zog er mit "Die Hochzeit der Auserwählten" (Arusi-je chuban) eine bittere Bilanz.
Auf die im Scheinwerferlicht aufblitzenden Slogans des Revolutionsführers zu Beginn des Films folgt die Geschichte eines psychisch gestörten Fotografen, der nach seiner Rückkehr von der Kriegsfront eine Tochter aus reichem Haus heiraten soll. In aller Direktheit zeigt der Film, dass die Verheißungen der Revolution bloße Worte geblieben sind. Die reiche Familie verdient ihr Geld über den Schwarzmarkt und mafiose Beziehungen. Die Armen sind so arm, wie sie es vor der Revolution waren. Machmalbaf unterstreicht dies durch eine Szene mit Obdachlosen, die einer Szene aus einem Dokumentarfilm von Kamran Schirdel aus den 1960er-Jahren nachempfunden ist. Eine derart scharfe Kritik war damals nur Machmalbaf möglich, weil ihm als früher überzeugtem Kämpfer für die Sache der Revolution mehr Äußerungsfreiheit eingeräumt wurde.
Aufbruch und Optimismus
Mehr Freiheiten für Filmschaffende brachte erst die Ära von Präsident Mohammad Chatami, wenngleich weiterhin Filme der Zensur zum Opfer fielen. So wurde das Material von Babak Payamis "Stille zwischen zwei Gedanken" (Sokut bein-e do fekr, 2003) während der Postproduktion beschlagnahmt: Ein Henker erhält vom religiösen Dorfoberhaupt den Auftrag, eine zum Tode Verurteilte zu entjungfern, damit die Frau nach der Hinrichtung in der Hölle und nicht im Himmel landet.
Wer sich von heiklen politischen oder religiösen Themen fernhielt, konnte ab Ende der 1990er-Jahre vieles von dem thematisieren, wovon Filmschaffende in den beiden Dekaden davor nur träumen konnten: von der Lebenslust Jugendlicher und Gewalt in der Ehe bis zu Armut oder Drogen. Explizite Bilder und Handlungen lösten die oft allegorische Erzählweise ab, stilisierte Filmfiguren machten einer realistischen Zeichnung Platz.
Den Kampf zwischen den Geschlechtern greift Fareidun Dscheirani im B-Movie-Thriller "Rot" (Qermes, 1999) auf. Aus Rache ersticht eine Frau ihren Ehemann mit einem Fleischermesser, da dieser sich als eifersüchtiges Ekel entpuppt hat. Realität und Potenzial der iranischen Frau zeigt "Zwei Frauen" (Do san, 1999) von Tahmineh Milani, die viele Jahre auf eine Drehgenehmigung warten musste. Der Film über die Studienfreundinnen Fereschteh und Roja war in Iran ein Kassenschlager, aber auch ein Politikum, da das Thema den Konservativen ein Dorn im Auge war. Manidscheh Hekmat erzählt in ihrem Erstling "Frauengefängnis" (Sendan-e sanan, 2002) vom Aufstand in einem Frauengefängnis. Anhand verschiedener Biografien rollt die Regisseurin die Ursachen auf, die zur Verurteilung der Frauen geführt haben. "Nicht die Verurteilten sind kriminell, sondern die Gesellschaft und jene, die die Gesellschaft anführen", sagte Hekmat.
2002 präsentierte Rachschan Bani-Etemad ihren Dokumentarfilm "Unsere Zeit" (Rus-e gar-e ma) über Jugendliche im iranischen Präsidentschaftswahlkampf 2001 und eine Frau, die sich als Kandidatin aufstellen lassen will. "Freiheit wird einem nicht geschenkt, man muss sie sich holen", äußerte die Filmautorin damals und gab sich zuversichtlich: Es werde nicht gelingen, die erreichten Freiheiten zurückzunehmen.
Imagepflege
Bani-Etemad, die sich 2009 per Internetvideo für die Meinungsäußerungsfreiheit der Filmschaffenden aussprach, sollte sich täuschen. Nach der Wahl von Mahmud Ahmadineschad und dessen Wiederwahl 2009 wurden die Freiheiten zunichte gemacht. Viele Filmschaffende gingen ins Exil wie Bahman Farmanara oder Rafi Pitts, die in ihren Filmen "Erdverbunden" (Chak-e aschena, 2008) und "Der Jäger" (Schekartschi, 2009) die Entwicklung vorweggenommen hatten. Andere wurden zu drakonischen Strafen verurteilt wie Dschafar Panahi und Mohammad Rassulof, ja sogar der konservative Mohammad Nurisad, weil er es gewagt hatte, das Vorgehen der Regierung gegen die grüne Bewegung zu kritisieren. Politisch relevante Filme konnten nur noch mit Videokameras oder Handys gedreht werden.
Dass Asghar Farhadi 2010 das Beziehungsdrama "Nader und Simin – Eine Trennung" (Dschoda'i-je Nader as Simin) drehen konnte und die Aufführungsbewilligung erhielt, ist indes keine Überraschung. Detailreich und realistisch schildert der Film eine verfahrene private Situation, die implizit ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Doch es ist kein politischer Film: Warum etwa Simin das Land verlassen will, bleibt unerwähnt, aber nachvollziehbar. "Nader und Simin – Eine Trennung" wurde bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2011 mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Goldenen Bären für den Besten Film. Dass Iran den Film ins Rennen um den Auslandsoscar® sandte, ist auch Imagepflege: Das Bild des alles zensierenden Staates soll Lügen gestraft werden.