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Fortbildung "Interkulturelle Filmbildung" für Autor/-innen | Interkulturelle Filmbildung | bpb.de

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Fortbildung "Interkulturelle Filmbildung" für Autor/-innen Konzept: Martina Döcker und Alejandro Bachmann

Martina Döcker Alejandro Bachmann

/ 5 Minuten zu lesen

1. Perspektive: Film und Text (90 Minuten)

* Spiel: Figuren bewegen sich durch den Raum.
Idee: Durch das Koordinationsspiel aus dem Schauspieltraining wird konkret erfahrbar, welche Perspektive spezifische Figuren/Typen auf die Umgebung, größer gesagt, auf die Welt haben. So wird spürbar, dass jeder Mensch eine ganz spezifische Perspektive auf die Realität hat.
Vorgehensweise: Jede/r Teilnehmer/in überlegt sich eine Figur und deren Bewegungsart, -ablauf und Mimik/Gestik. Dann bewegt sich jede/r einzelne als diese bestimmte, möglichst eindeutige Figur (Tausendsassa, Greis/in, Melancholiker/in, Dandy, Frohnatur etc.) stumm durch den Raum. Dabei versuchen die Teilnehmer/innen zu fühlen, wie sie als diese Figur, die Umgebung wahrnehmen. Figurentausch nach etwa 1 Minute, Weitergehen als die andere Figur. Wieder stellt sich die Frage, wie die Perspektive der neuen Figur auf die Umgebung ist.

* Textauszug aus "Die große Wanderung", Hans Magnus Enzensberger
(Enzensberger, Hans Magnus: Die Große Wanderung – 33 Markierungen, Suhrkamp 1994, Seite 11-13 "Das Zugabteil")
Idee: Enzensbergers treffende Schilderung des Verhaltens von Passagier/-innen in einem Zugabteil setzt die Neigung von Menschen zum sogenannten "Othering" in Szene, allein oder im Verbund mit anderen. Als Hintergrund zu unserem Nachdenken über Interkultur im Film kann dieser Textausschnitt von 1992 sehr erhellend sein.
Vorgehensweise: Gemeinsame Lektüre, freie Diskussion über den Text und über die Frage, in welcher Hinsicht er zum Thema der Fortbildung passt.

* Filmausschnitt aus "Imitation of Life" (Douglas Sirk, USA 1959, 00:02:11-00:07:12)
Idee: Wie verfasse ich einen interkulturell sensiblen Text, in dem die filmsprachlichen und narrativen Perspektiven eines Filmwerks reflektiert werden? Inwiefern kommt dabei die eigene Perspektivität zum Ausdruck? In welchen Formulierungen entdecken wir diese verschiedenen Perspektiv-Ebenen? Dies konkret auszuprobieren, erfahrbar zu machen und zu reflektieren, ist Ziel dieses Teils der Fortbildung.
Vorgehensweise: In der Exposition des Filmes lernen sich die Figuren Laura Meredith (Schauspielerin, gespielt von Lana Turner) und Annie Johnson (gespielt von Juanita Moore) sowie ihre beiden Töchter am Strand von Coney Island kennen. Die Teilnehmer/innen haben die Aufgabe, den Filmausschnitt wie einen Kurzfilm zu behandeln und darüber einen Text in fünf Sätzen zu schreiben: Was erzählt das Werk und wie wird dies ästhetisch vermittelt? Zwei Texte werden vorgelesen und hinsichtlich der Perspektive der Figuren sowie der Autor/-innen im Plenum besprochen.


2. Drei Perspektiven: Sehen und (Ver-)lernen (90 Minuten)

* Filmausschnitt aus "Elephant Man" (David Lynch, USA 1980, 00:54:44-01:00:08)
Idee: Hier zeigen wir, dass die interkulturelle Perspektive auch in einem eher phantastischen Filmgenre zu finden ist. Besonders wichtig ist dabei die Akzeptanz des Nicht-Wissens, sowohl bei den Figuren, als auch bei uns als Publikum. Dies in den verschiedenen Facetten herauszuarbeiten, ist ein Ziel dieser Session.
Vorgehensweise: Es wird die Szene gesichtet, in der John Merrick im Hause Treves eingeladen ist. Anschließend wird diskutiert, wie der Film Perspektive gestaltet: Wie verdeutlicht er die Perspektive Merricks, wie die der Gastgeberin, wie unsere Zuschauerperspektive? Die zweite Sichtung geht der Frage nach, wie bei den Filmfiguren (das) Nicht-Wissen (auch als ein wichtiger Aspekt von Interkultur) dramaturgisch (Echoszenen, Spiegelungen) in Szene gesetzt wird. Freies Gespräch, Herausarbeiten verschiedener zentraler Thesen.

* Filmausschnitt aus "Moonlight" (Barry Jenkins, USA 2016, 00:16:08-00:19:12)
Idee: Der kurze Ausschnitt vermittelt einen Vorgang, der auch für die interkulturelle Haltung wesentlich ist: die Akzeptanz des Nicht-Könnens und Nicht-Wissens als Voraussetzung für eine positive Entwicklung. Vergessen können, wer man glaubt zu sein; Vertrauen setzen in den anderen.
Vorgehensweise: Wir sichten den Ausschnitt einmal (der Junge Chiron wartet vor Juans Haus, zusammen gehen sie zum Meer, Chiron lernt schwimmen), schreiben in Stichwörtern die Affekte und Gedanken auf, die der Ausschnitt in uns auslöst. Im Anschluss folgt ein offenes Gespräch über den Filmausschnitt. Welche (Kamera-) Perspektive haben wir auf den Filmausschnitt? Welche weiteren Perspektiven bekommen wir über die Narration und die Figuren vermittelt? Es folgen drei Stills aus dem Ausschnitt, um zu reflektieren, in welchen Etappen die positive Entwicklung bei Chiron (vom Nicht-Können bis zum Erlernen) verläuft.

3. Multiple Perspektiven (90 Minuten)

* Filmausschnitt aus "Ciao Cherie" (Nina Kusturica, AT 2018, 00:00:00-00:08:41)
Idee: In der dritten Einheit des Tages soll es um die Reflexion der eigenen Haltung beim Verfassen von Texten über Filme gehen (Synopsen, Ankündigungen, Programmfolder, etc.). Diese Texte sollen einen Film als Ganzes bzw. seine Geschichte nicht auf eine Lesart reduzieren und auch die eigene, schreibende Position hinterfragen. Der gewählte Ausschnitt aus Nina Kusturicas CIAO CHERIE scheint dafür besonders geeignet. Er blickt auf Menschen, die aus verschiedensten Gründen einen CallShop im 16. Wiener Gemeindebezirk aufsuchen, und etabliert dabei nicht eine Struktur des "Eigenen" und des "Fremden". Zunächst führt der Film ohne jede Zuschreibung jede seiner Figuren ein und lässt dabei vieles im Unklaren. Damit ist er einerseits schwer zu kategorisieren und lässt andererseits sehr viel Raum für Projektionen auf Seiten der Betrachter/innen.
Vorgehensweise: Nach einigen kurzen Kommentaren zu Fragen des Labeling (die Reduktion von Personen auf eine Eigenschaft) und der Problematik von Eigen- und Fremdbild-Schemata, sehen wir uns die ersten rund 10 Minuten von CIAO CHERIE an. Danach werden die Teilnehmer/innen gebeten, einen kurzen Ankündigungstext für ein Programmheft (ca. 5 Sätze/ca. 400 Zeichen) zu schreiben, der den Ausschnitt wie einen Kurzfilm behandelt. Nach ca. 20-25 Minuten werden drei Teilnehmer/innen gebeten, ihre Texte vorzulesen und gemeinsam zu diskutieren. Auch hier geht es dezidiert nicht darum, die "richtige" Art des Schreibens zu erarbeiten oder festzulegen. Vielmehr steht eine Sensibilisierung für die Implikationen im Vordergrund, die mit Begriffen und Formulierungen hervorgerufen werden, die – auch ungewollt – möglicherweise nur einen bestimmten Teil der Menschen ansprechen, Vorurteile reproduzieren oder rassistisch sind.

4. Perspektiv-Verschiebung (90 Minuten)

Idee: Eine der zentralen Fragen bei der Erstellung von didaktischen Materialien für die Filmvermittlung, die auch an der Sensibilisierung für eine interkulturelle Haltung mitwirken sollen, betrifft die Perspektive: Diese bezieht sich zum einen auf die Reflexion der eigenen Position/en innerhalb einer Gesellschaft (aus welcher Rolle/ welchen Rollen heraus schreibe ich über Filme), zum anderen aber auch auf die Frage, welche Materialien ich zur Bearbeitung einer Fragestellung anbiete (welche Materialien sind mir zugänglich, welche nicht, wo und warum muss ich außerhalb des mir Vertrauten recherchieren?)
Vorgehensweise:
Nacheinander wird mit folgenden Medien gearbeitet:
* Musikvideo “The Blaze – Territory” (Jonathan & Guillaume Alric, F 2017, 05:38 min)
* Textauszug aus "Melancholie der Bromance" (Christian Pausch) https://fm4.orf.at/stories/2863789/
* Textauszug aus "What if we let it up to Arab artists to be the ones to tell their (hi)story" (Mohamed Sqalli)
https://medium.com/@mohamedsqalli/what-if-we-let-it-up-to-arab-artists-to-be-the-ones-to-tell-their-hi-story-ca8a65fd8712
* Musikvideo "Yema", (7liwa feat Balti, MA 2018, 03:38 min)


Durch dieses Vorgehen kann deutlich werden, auf wie viele verschiedene Weisen Menschen auf ein und dasselbe Musikvideo (THE BLAZE – TERRITORY) blicken. Zum einen, durch die Reaktionen der Teilnehmer/innen, die diese Repräsentation arabischen Lebens sehr unterschiedlich auffassen und beurteilen. Zum zweiten durch den Vergleich von einem Text, der im Kontext eines österreichischen Jugendradiosenders erschien mit einem Interview mit einem arabischen Künstler. Und schließlich im Vergleich zweier Musikvideos (TERRITORY und YEMA), die sich sowohl musikalisch als auch thematisch nah sind, und doch sehr unterschiedliche Bilder zeichnen.

Fussnoten

Martina Döcker lebt und arbeitet als Filmautorin und Hochschullehrerin in Berlin. Sie unterrichtet Film an der Filmakademie Baden-Württemberg und Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Ihre Dokumentarfilme waren auf Festivals, im Kino und im Fernsehen zu sehen.

Alejandro Bachmann ist Kulturarbeiter mit Schwerpunkten im Vermitteln von und Schreiben über Film sowie in der Zusammenstellung von Filmprogrammen. Er ist Teil der Auswahlkommission der Diagonale – Festival des Österreichischen Films und der Duisburger Filmwoche. Er war langjähriger Leiter des Bereichs Vermittlung, Forschung und Publikationen des Österreichischen Filmmuseums.