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Subgenre Utopien und Dystopien | Klassiker sehen – Filme verstehen | bpb.de

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Subgenre Utopien und Dystopien

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Stadtbild im Film "Metropolis". (© Metropolis / Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden)

Die Utopie (griech.: "Nicht-Ort") bildet seit Thomas Morus’ Abhandlung "Utopia" (1516) ein vor allem literarisches Genre, das im Film nur selten aufgegriffen wird. Die Idee einer konfliktfreien Gesellschaft ist dramaturgisch kaum ergiebig, auch aus diesem Grund entpuppen sich utopische Entwürfe meist als Alpträume. Weit häufiger finden sich pessimistische Zukunftsvisionen in Form der Dystopie (griech.: "schlechter Ort"). Häufige Merkmale sind totalitäre Herrschaftssysteme, die Ausbeutung ärmerer Schichten durch eine privilegierte Klasse, Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung und eine allgemeine Hoffnungslosigkeit. Als Warnung vor Fehlentwicklungen spiegeln sich in Dystopien oft reale politische und soziale Missstände der Gegenwart. So nahm bereits METROPOLIS (1927) Bezug auf das soziale Elend in der Weimarer Republik, die einschüchternde Wolkenkratzerarchitektur lässt sich zudem als Warnung vor einer "Amerikanisierung" der deutschen Gesellschaft verstehen.

Die Blaupause aller Dystopien lieferte 1949 George Orwell mit seinem Roman "1984". Die gleichnamige Verfilmung NINETEEN EIGHTY-FOUR (1984, GB 1984, R: Michael Radford), im Jahr der Handlung erschienen, blieb der Vorlage treu. Gezeigt wird ein totalitärer Überwachungsstaat, regiert vom unsichtbaren "Großen Bruder" ("Big Brother"). Das Reich Ozeanien befindet sich in einem permanenten Krieg, über den das "Ministerium für Wahrheit" ausschließlich Lügen verbreitet. Absurde Kommunikationsnormen wie "Neusprech" und "Doppeldenk" dienen der Gedankenkontrolle, der sich der Held Winston zu entziehen versucht. Im folgenden Jahr nahm Terry Gilliam mit seiner schwarzen Komödie BRAZIL (GB 1985) ebenfalls auf "1984" Bezug und warnte vor einer außer Kontrolle geratenen Bürokratie. Auch mit einem an die 1940er-Jahre angelehnten Produktionsdesign blieben beide Filme nah an der Buchvorlage: Sie sollten aussehen wie ein Science-Fiction-Film aus der Zeit George Orwells (s. auch Glossar Retrofuturismus, S. X).

Andere Filme beziehen das Unbehagen aus ihrer Nähe zur vertrauten Realität. Seine futuristische Vision ALPHAVILLE, UNE ÉTRANGE AVENTURE DE LEMMY CAUTION (LEMMY CAUTION GEGEN ALPHA 60, F 1965) etwa drehte Jean-Luc Godard ohne Spezialeffekte in den Straßen von Paris. Ähnlich verfuhr sein Nouvelle Vague-Kollege François Truffaut in FAHRENHEIT 451 (GB 1966), die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ray Bradbury über eine Gesellschaft, die Bücher verbrennt. Meist jedoch betreiben Dystopien einen großen Aufwand zur Realisierung fantastischer Zukunftswelten, in denen neue Technologien die Freiheit immer weiter einschränken und den Menschen zur Nummer degradieren. Beispiele sind George Lucas‘ Big-Brother-Version THX 1138 (USA 1971) und die Gentechnik-Parabel GATTACA (USA 1997, R: Andrew Niccol) mit ihren aseptisch-glatten Oberflächen, die Cyberspace-Vision MATRIX (USA 1999, R: Lana und Lilly Wachowski) sowie die mit DIE TRIBUTE VON PANEM – THE HUNGER GAMES (USA 2012, R: Gary Ross) begonnene Trilogie über eine Zukunftsdiktatur, die Jugendliche modernen Gladiatorenkämpfen aussetzt. Typisch für diese Filme ist auch die – oft religiös konnotierte – Figur des Erlösers oder der Erlöserin, die die Verblendungsmechanismen der "schönen neuen Welt" durchschaut und die Umstände bekämpft.

Selten war der gesellschaftskritische Impuls der Dystopie so provokant wie in A CLOCKWORK ORANGE (UHRWERK ORANGE, GB 1971). Regisseur Stanley Kubrick zwingt das Publikum zur Sympathie mit dem gewaltbesessenen Anti-Helden Alex, den die Regierung einer ebenso brutalen Gehirnwäsche unterzieht. Die Erlösung wird versagt.

Humor findet sich in Dystopien naturgemäß selten, etwa im Film SLEEPER (DER SCHLÄFER, USA 1973), in dem Regisseur Woody Allen die sexuellen Neurosen der 1970er-Jahre persifliert. Um in der Zukunft aufzuwachen, wurde der von Allen selbst gespielte Protagonist in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt. Dieses abgewandelte Zeitreisemotiv findet sich auch in der höchst erfolgreichen PLANET DER AFFEN-Serie. Das Original PLANET OF THE APES (PLANET DER AFFEN, USA 1968, R: Franklin J. Schaffner) zeigt eine Zivilisation, in der Menschen auf der "untersten" Stufe der Gesellschaft vegetieren. Sprache, Naturwissenschaft und Technik liegen in der Hand der regierenden Primaten. Die bissige Gesellschaftssatire endet mit der bestürzenden Erkenntnis des Astronauten Taylor, dass es sich beim Affenplaneten um die in der Zwischenzeit zerstörte Erde handelt.

Solche Endzeitvisionen bilden einen weiteren Zweig der Filmdystopie, der seit den 1970er-Jahren verstärkt aufgegriffen wird. Filme wie LAUTLOS IM WELTRAUM (USA 1972), MAD MAX (AUS 1977, R: George Miller), WATERWORLD (USA 1995, R: Kevin Reynolds, Kevin Costner), THE DAY AFTER TOMORROW (USA 2004, R: Roland Emmerich) und THE ROAD (USA 2009, R: John Hillcoat) spiegeln moderne Ängste vor nuklearer Vernichtung, Umweltzerstörung und Klimawandel. Das Genre des postapokalyptischen oder Endzeitfilms zeigt eine große Nähe zum Katastrophenfilm: Möglichkeiten politischen Handelns und Widerstands sind nicht mehr gegeben, der Kampf gilt dem nackten Überleben. Die Science-Fiction hat hier jede Utopie verloren.

GlossarRetrofuturismus

Als Retrofuturismus bezeichnet man den zeitgenössischen Blick auf Zukunftsvorstellungen der Vergangenheit. Als Produkt ihrer Zeit können sie heutzutage überholt und lächerlich wirken, aber auch einen besonderen Zauber entfalten. Ein Beispiel sind die 1960er-Jahre-Kostüme und simplen Effekte in RAUMSCHIFF ENTERPRISE, das 1966-69 produziert wie auch veröffentlicht wurde und dessen Erzählung im 23. Jahrhundert spielt, oder dessen deutsche Kopie RAUMPATROUILLE ORION. In der Betrachtung und Wertschätzung von Science-Fiction spielt dieser nostalgische Blick eine wichtige Rolle. Eine bewusste Form des Retrofuturismus ist der Steampunk, bei dem moderne Geräte mit dem Ornament des Jugendstils kombiniert werden, zu sehen etwa in der Jules-Verne-Verfilmung 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER (USA 1954, R: Richard Fleischer). Dieser seltene Fall von "vergangener Science-Fiction" – der Film spielt zur Lebenszeit Vernes, also im 19. Jahrhundert – wirkt paradoxerweise bis heute nicht gealtert. Der Begriff des Retrofuturismus wird auch in Mode und Architektur verwendet.

Fussnoten