Die am 19. Juli 1966 gegründete Hochschule für Fernsehen und Film, München, nahm am 7. November 1967 in den Fächern "Film", "Information, Dokumentation und Bildung" sowie "Künstlerische Produktion im Fernsehen" ihren Lehrbetrieb auf. Unter den aus 290 Bewerber*innen ausgewählten 55 Studierenden des ersten HFF-Jahrgangs, so war damals in einer Zeitungsmeldung zu lesen, waren "15 junge Frauen und elf Ausländer" . Von den "Ausländern" – allesamt Männer – kamen je drei aus Österreich und der Schweiz sowie je einer aus Ungarn, Griechenland, der Türkei, Marokko und Ghana.
Nach einer formalen Überprüfung auf Basis der Hochschulakten verlieren diese Angaben jedoch ihre scheinbare Eindeutigkeit: So besaß etwa der in der Aufzählung genannte ungarische Student, wenngleich in Ungarn geboren und aufgewachsen, zum Zeitpunkt der Einschreibung an der Hochschule die deutsche Staatsangehörigkeit, war also juristisch kein "Ausländer", während eine Studentin mit finnischer Staatsangehörigkeit in der Aufzählung nicht auftaucht, weil sie zum Zeitpunkt der Einschreibung zudem die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, die sie jedoch erst zwei Jahre zuvor durch Heirat erworben hatte. Hinsichtlich der Filme ausländischer Student*innen an der HFF München stellt sich also bereits bei der Betrachtung des ersten Jahrgangs die grundsätzliche Frage, wie sehr sich das "Ausländisch-Sein", das in erster Linie ein Rechtsverhältnis bezeichnet, als kulturanalytische Kategorie eignet. Waren die ausländischen Student*innen nur vorübergehend in deutscher Gesellschaft sich befindende Durchreisende, denen das Land und die Sprache fremd blieben, und sind ihre Filme damit allesamt "Passagen-Werke"?
Legt man allein das validierbare Kriterium der Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Einschreibung an der HFF zugrunde, so bleiben Biografien wie die oben angeführten unberücksichtigt: Student*innen, die im Ausland geboren und sozialisiert wurden und trotz deutscher Staatsangehörigkeit Deutschland und die deutsche Sprache erst als Erwachsene kennenlernten. Umgekehrt gibt es unter den ausländischen Student*innen einige, die in Deutschland geboren wurden oder aufwuchsen, Deutsch zumindest als Zweitsprache lernten und eine deutsche Hochschulzugangsberechtigung erwarben. Rechtlich blieben sie Ausländer*innen, kulturell besehen sind sie "Interner Link: Bildungsinländer*innen". Die meisten Bildungsinländer*innen, die im Zeitraum von 1967 bis 1992 an der HFF studierten, hatten die Staatsangehörigkeit eines der Länder, mit denen die BRD in den 1950er- und 1960er-Jahren Externer Link: Anwerbeabkommen geschlossen hatte. Ihre Eltern waren Interner Link: "Gastarbeiter*innen" aus Spanien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei. Einer der wenigen Filme der HFF, welcher sich in jenen Jahren mit dieser Elterngeneration beschäftigt, ist EMIGRAZIONE (1979) von Nino Jacusso, der mit seinen Eltern als Kind von Italien in die Schweiz gezogen war. In seinem Abschlussfilm schildert er die Situation seiner zu Arbeitsmigranten gewordenen Eltern und zieht zugleich eine dokumentarische "Bilanz über 20 Jahre im Ausland".. Kenan Ormanlar, ein türkischer Student des ersten HFF-Jahrgangs, der erst mit 23 Jahren nach Deutschland kam, hat diese Elterngeneration in dem Film GASTARBEITER AUS DER TÜRKEI bereits 1969 porträtiert.
Die ausländischen Student*innen fanden vereinzelt über persönliche Kontakte der Filmhochschüler*innen untereinander, öfter jedoch über Stipendien ihren Weg an die HFF. Zudem scheint das Goethe-Institut, in dessen Auftrag die hauptamtlichen Professoren der HFF jener Jahre, Wolfgang Längsfeld und Klaus Schreyer, viele Informationsreisen unternahmen und Aufbauseminare im Ausland veranstalteten, ein wichtiger Multiplikator gewesen zu sein. Eine kursorische Recherche der Filme ausländischer Studierender an der HFF – die wohlgemerkt mehr Fragen aufwirft als beantwortet – führt zu einem überraschenden Ergebnis: Sehr oft haben ausländische Filmemacher*innen nicht ihre Erfahrung mit dem deutschen Gastland filmisch umgesetzt, sondern realisierten zumindest ihre Abschlussfilme in ihren Herkunftsländern. Über die Gründe dieser Rückkehr kann einstweilen nur spekuliert werden; vermutlich hat es mit dem internationalen Bildungsauftrag zu tun, dem sich die bereits seit ihrer Gründung im CILECT-Verband organisierte Hochschule verpflichtet fühlte. Und doch gibt es auch ausländische Filmemacher*innen, die mit ihren Filmen in Deutschland blieben und ihre Erfahrungen mit der deutschen Gesellschaft explizit und teils autobiografisch reflektierten. Ein Beispiel ist Externer Link: NINA (1971) der DAAD-Stipendiatin Zdenka Macharácková aus der Tschechoslowakei über die Beobachtungen einer tschechischen Emigrantin, der es schwer fällt, sich in Deutschland zurecht zu finden; ein anderes Externer Link: DIE WEISSEN ZIGEUNER (1974) von Jiři Skarvan, der sich ebenfalls mit der Geschichte eines tschechischen Emigranten und seinem Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen, beschäftigt. Auch Externer Link: DAS LICHT AM FERNEN HORIZONT (1986) von Mathew Kuzhippallil über einen Inder, der "trotz bitterer Erfahrungen versucht" in Deutschland "seine Selbstachtung zu bewahren", entspricht dieser Charakterisierung; ebenso Externer Link: INTEGRATION (1975), eine filmische Zusammenarbeit des Briten Hugh Bush Crum und des Tansaniers Francis Musebeni, deren Titel ein Schlagwort vorwegnahm, das vor allem nach 1989 inflationär gebraucht wurde.
Diese und viele andere Filme würde man gerne einmal sehen, und man wüsste auch gerne, was es mit dem Film Externer Link: EINSAMKEIT – PORTRÄT EINES JUNGEN MENSCHEN (1979) des iranischen Studenten Hossein Darbahan oder mit Externer Link: GUTEN NIE WIEDERSEHEN (1984) von Ismail Amir el Mahi auf sich hat – allein es ist nicht möglich: Sehr viele HFF-Filme aus diesen Jahren sind nicht mehr vorführbar oder gar verschollen und es fehlt bislang an Mitteln und Kapazitäten, sie zu suchen und zu restaurieren. Wie es damals war, als Gast in deutscher respektive Münchner Gesellschaft zu leben, kann man im Moment leider nur in vereinzelten Filmen sehen. Externer Link: THEY CALL IT LOVE (1970) von King Ampaw, der in den HFF-Unterlagen beschrieben wird als ein Film "über die Außenseiterrolle eines Nichtintegrierten, der in seiner deutschen Umwelt mit dem, ‚was sie Liebe nennen’, auf die feine Art ausgenutzt und diskriminiert wird", stellt der deutschen Gesellschaft kein gutes Zeugnis aus: materialistisch, oberflächlich, nur flüchtige Begegnungen zulassend. Diese Gesellschaft – zumindest die Mikrogesellschaft, die hier gezeigt wird – lädt kaum zum Verweilen ein.