Eine Übersicht aus dem Jahr 1976 über den Anteil ausländischer Studierender an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in West-Berlin (dffb) in den ersten zehn Jahren seit ihrer Gründung 1966 benennt 54 von insgesamt 258 Studierende, also etwa 20 Prozent. In der Mehrzahl stammen sie anfangs aus der Schweiz, weil es dort noch keine Kunst- geschweige denn Filmhochschule gab, und fast ebenso viele waren seit 1967 aus Griechenland vor der Militärdiktatur geflohen. Später kamen die ausländischen Filmstudierenden aus so unterschiedlichen Kontexten wie beispielsweise den Befreiungskämpfen für Interner Link: Namibia, wie Kampopo Uazuvara Ewald Katjivena, der deutschen Siedler-Neokolonialismus aus direkter Erfahrung kannte, oder der Theaterarbeit und dem Germanistikstudium, wie der in Baltimore geborene Skip Norman. Gelegentlich wurde auf den Aufnahmeprüfungsbögen vermerkt: “3. Welt.“ Einige konnten schon auf ausgeprägte literarische Karrieren verweisen, so etwa Irena Vrkljan aus Jugoslawien, Gaston Bart-Williams aus Sierra Leone oder Tsitsi Dangarembga aus Zimbabwe.
Sie gerieten mitten hinein in ein Deutschland der Auseinandersetzungen um Externer Link: 1968 – ihre solidarische, gelegentlich aber auch skeptische Sicht darauf ist ein interessantes Korrektiv zu den gängigen Aufarbeitungen. Mittels ihrer Übungsfilme und in den Diskussionen und Zusammenarbeiten mit ihren Kommiliton*innen an der dffb fanden sie eine En-passant-Sicht, die gelegentlich als Vergrößerungsglas auf die Bundesrepublik in ihrer spezifischen West-Berlin-Ausformung wirkte. Auffällig ist bei einzelnen Filmen die Auseinandersetzung über Blickregime und Bildverhältnisse. Die Arbeiten sind vielgestaltig, oft unter prekären Umständen entstanden und in den dffb-Jubiläen häufig vergessen. Für einige dieser Studierenden wird das dffb-Studium zum Ausgangspunkt für eine internationale Karriere.
Unter den 35 aufgenommenen Studierenden im ersten Jahrgang der dffb sind drei Frauen – Helke Sander, die Schauspielerin Gerda Kramer und die 1930 in Belgrad geborene Schriftstellerin und Fernsehautorin Irena Vrkljan. Letztere hatte in ihrer Heimat bereits 33 Prosatexte und einen Gedichtband verfasst sowie etliche Künstlerporträts für das jugoslawische Fernsehen gedreht. Ihre drei Berlin-Filme, die während des dffb-Studiums entstanden, sind getragen von poetisch-kritischer Melancholie. Die sichtbaren Zerstörungen in der Stadt und die sich formierende Studentenbewegung beobachtet sie vor der latenten Folie ihrer eigenen Kriegserfahrungen sowie der Okkupation und Zerstörung in Jugoslawien. Im Studium setzt sie sich mit Filmen aus der NS-Zeit auseinander: "Hierzulande ist ein Schwächebekenntnis eine peinliche Angelegenheit. Trotzdem wage ich einen für ein Filmseminar vielleicht unbrauchbaren Satz: ich bin schlicht gesagt krank geworden von den Filmen der Zeit von 33 bis 45. Es ist eine zugespitzte Empfindlichkeit, vielleicht ein Selbsttest." In Vrkljans erstem Film mit dem Arbeitstitel FAROQUI DREHT beobachtet sie Harun Farocki bei der Arbeit an Externer Link: DER WAHLHELFER (1967), das Porträt eines FDP-Wahlhelfers, dessen Frau und Kind in Algerien warten. Farocki wird hier zum rasenden Filmemacher, er "jagt idiotischen Einzelheiten nach" (Farocki), Vrkljan schneidet dazu fröhliche Hollywoodmusical-Musik. Zum Thema wird die Inszenierung der "dokumentarischen Wahrheit", mit einer Kameraeinstellung durch Farockis Brille auf die Mattscheibe des Schneidetischs wie auch durch seine dramaturgischen Überlegungen: das Vorlesen der Frantz-Fanon-Texte "schneid ich raus".
Frantz Fanons Grundlagenwerk der antikolonialen Bewegung, Interner Link: Die Verdammten dieser Erde, war 1966 in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp erschienen, drei Jahre später dann neu aufgelegt in der kritischen Reihe rororo aktuell. In Helke Sanders Externer Link: BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1967/68) werden Texte von Frantz Fanon aus dem Off eingesprochen, und zwar von Sanders Kommilitonen und Kameramann Externer Link: Skip Norman. Norman ist bei weitem der produktivste Student der frühen dffb-Jahre. An 27 Produktionen arbeitete er während seines Studiums mit. Als seinen eigentlichen Lehrer betrachtete er seinen Studienkollegen Holger Meins, an den er sich in einem Externer Link: Gespräch mit Gerd Conradt (2002), ebenfalls Ex-Kommilitone, erinnert: "There was no real racism in Berlin, in the academy at the time. But there was a kind of standoffish-ness for people who had not really had any experience with a black person. And with time that would dissipate, because I would participate in discussions and people would get to know each other. Holger seemed relaxed, he seemed to have experience outside of his own culture."
Skip Normans zweiter Film an der dffb, Externer Link: BLUES PEOPLE (1969), schildert Blick- und Machtverhältnisse im Reich der Colour Line. Fast vier Minuten lang ist nur ein Schwarzbild zu sehen und ein Bluesstück zu hören. Nach dieser bildkritischen Vorbereitung folgt die erste Einstellung: ein Durchblick, wie durch einen Sehschlitz mit weichen Rändern sind die Augen eines schwarzen Mannes zu sehen, im Off ein flirtiver Anmachdialog, frei basierend auf LeRoy Jones’/Amiri Barakas Theaterstück The Dutchman. Im Bild das Hinterteil einer weißen Frau. Wer starrt eigentlich wen an? Nackte Körper, Sexkörper, Geschlechtsteile, schwarz und weiß: "The end of Man is his beauty“. Die Geburt des Blues aus der Sklaverei, aus der weißgewaschenen Plantage. Fotos von Lynchverbrechen mit glotzendem weißem Publikum, Morde und Metaphern, Bessie Smith. Norman gelingt eine verdichtete und verstörende Darstellung der segregatorischen Abgründe in Begehrensverhältnissen. Der viel beachtete Film erhielt das Prädikat “besonders wertvoll“, lief im deutschen Wettbewerb der Kurzfilmtage Oberhausen und wurde nach der Weigerung des Bayerischen Rundfunks ihn auszustrahlen daraufhin untersucht, ob es sich um Pornografie handele.
Die aus Kenia stammende Studentin Wanjiru Kinyanjui stellt in ihrem Film A LOVER AND A KILLER OF COLOUR (1988) noch einmal die Frage nach den Liebes- und Rassismusverhältnissen anhand des Porträts einer Schwarzen Malerin. Deutlicher wird Kinyanjui dann in BLACK IN THE WESTERN WORLD (1992): Ein langes Gespräch mit ihrer Kommilitonin Tsitsi Dangarembga aus Zimbabwe zu ihren Erfahrungen an der dffb und in Deutschland artikuliert bestehende Macht- und Repräsentationsverhältnisse vor und nach der Wende.
Interner Link: Raoul Peck aus Haiti, der bereits einige Jahre in Kinshasa gelebt hatte, kommt 1982 an die dffb. Sein erster Film LEUGT (1983) ist ein Fotofilm über die Lüge und die Politik der Lüge, entstanden unter dem Eindruck des Ronald-Reagan-Besuchs in der Bundesrepublik im Juni 1982. Danach entsteht in einem Seminar mit Agnès Varda ein kurzer Essay, der auf eindrucksvolle Weise die verstockte Stimmung im West-Berlin der Kohl-Ära aufgreift: MERRY CHRISTMAS GERMANY (1984). Mit Zwischentiteln und unterschiedlichen Materialien, darunter Aufnahmen vom kriegszerstörten Berlin, Parlamentsreden auf Video, staatstragenden Verlautbarungen in Zeiten der Friedensbewegung, Demonstrationen, einem schrägen Blick auf eine Rolltreppe und Aufnahmen der dunstigen West-Berliner Skyline baut er ein seltsam latentes Porträt einer wie betäubt wirkenden Gesellschaft im Rausch der Weihnachtseinkäufe.
Eine Geschichte geplanter und nicht realisierter Produktionen würde das Bild ergänzen. So versuchten etwa Helke Sander und ihre im Libanon geborene israelische Kommilitonin Edna Politi zwei Jahre lang vergebens, verschiedene Fernsehsender für den Film ROTE TAGE über die Thematik der Menstruation zu interessieren. Raoul Peck plante nach dem Studium einen Film über Kemal Altun, der sich in Berlin wegen der drohenden Auslieferung an die türkische Militärdiktatur umgebracht hatte. In einem Externer Link: Interview anlässlich der Berlinale-Aufführung seines Films I AM NOT YOUR NEGRO 2017 sagt er: “Wenn ich in Deutschland geblieben wäre, wäre ich nicht derselbe Filmemacher geworden. Ich habe gefühlt – und das war einer der Gründe wegzugehen –, dass es in Deutschland für mich eine gläserne Decke gibt“.