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Sir Alfred Joseph Hitchcock | Klassiker sehen – Filme verstehen | bpb.de

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Sir Alfred Joseph Hitchcock

Philipp Bühler

/ 6 Minuten zu lesen

Alfred Hitchcock (© Photo by Hulton Archive/Getty Images)

geboren am 13.8.1899 in Leytonstone,
Großbritannien, gestorben am 29.4.1980 in
Los Angeles, USA

"Im Spielfilm ist der Regisseur ein Gott, er muss Leben schaffen. Wenn man einen Film macht, muss man eine Unmenge von Eindrücken, Ausdrucksformen, Gesichtspunkte verknüpfen. Wir sollten absolut frei sein, zu tun, was wir wollen, solange es nicht langweilig wird. Ein Kritiker, der mir etwas von Wahrscheinlichkeit erzählt, hat keine Phantasie."

(Alfred Hitchcock, zitiert aus: François Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S. 90, München 2003, 4. Auflage)

Kurzbiografie

Alfred Hitchcock, jüngster Sohn eines Gemüsehändlers, ist ein stilles Kind, die Familie katholisch, die Mutter dominant. Früh filminteressiert und zeichnerisch begabt, wird er Anfang 1920 Titelzeichner im Londoner Studio der späteren amerikanischen Produktionsgesellschaft Paramount.

Schon 1924 ist er oft zugleich Szenarist, Architekt, Regieassistent und Cutter. Im selben Jahr bringt ihn eine Koproduktion mit der UFA nach Potsdam-Babelsberg. In Deutschland beeindrucken ihn die Filme von Ernst Lubitsch und Fritz Lang. Kurz darauf macht ihn sein erster Film The Lodger (Der Mieter, GB 1927) schlagartig bekannt. Hitchcock entwickelt seine eigene Kunst des Thrillers und dreht mit Blackmail (Erpressung, GB 1929) einen der ersten britischen Tonfilme. Im Jahr 1939 holt ihn der Produzent David O. Selznick nach Hollywood.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Misserfolgen markieren die Filme Rear Window (Das Fenster zum Hof, USA 1954) und The Birds (Die Vögel, USA 1963) seine Glanzperiode. Daneben machen ihn seine fürs US-Fernsehen produzierten Fernsehreihen Alfred Hitchcock Presents (USA 1955-1962) und The Alfred Hitchcock Hour (USA 1962-1965) einem noch größeren Publikum bekannt. Seinen letzten Film dreht er 1979 mit Family Plot (Familiengrab, USA).

Am 29. April 1980 stirbt Alfred Hitchcock nach langjähriger Krankheit in Los Angeles.

Überblick über das Werk

Hitchcock drehte ein halbes Jahrhundert lang – von der Stummfilmzeit, Anfang der 1920er-Jahre, bis in die zweite Hälfte der 1970er – künstlerisch und kommerziell erfolgreiche Filme in Großbritannien und in den USA. Die meisten seiner 53 Spielfilme waren Kriminalfilme, die sich nur grob in Phasen einteilen lassen.

In den frühen britischen Agententhrillern der Zwischenkriegszeit entwickelt Hitchcock das Szenario einer unsichtbaren Bedrohung. In Themen wie Spionage und Geheimnisverrat spiegeln sich nationale Ängste vor dem kommenden Krieg, eine realistische Darstellung ist jedoch bereits hier der Spannung untergeordnet. Der hitchcocksche Suspense (s. Glossar "Spannungsformen") wird zum Markenzeichen. Gemeint ist eine starke Einbeziehung des Publikums, mit dessen Gefühlen Hitchcock, wie er es im Gespräch mit Truffaut ausdrückte, "wie auf einer Orgel" spielt.

In Hollywood – nach dem Zweiten Weltkrieg – bekommen seine stark handlungsbezogenen Filme eine persönlichere Note. Große Stars wie James Stewart, Cary Grant, Ingrid Bergman oder Grace Kelly werden stärker als zuvor zu Identifikationsfiguren. Ein unerwarteter Einbruch des Bösen in den Alltag, ein Verbrechen oder Komplott, bringt normale Menschen aus dem Gleichgewicht.

Zugleich machen Hitchcocks elegante Inszenierung und sein zunehmend makabrer Humor die Angst zum Vergnügen. Gegen Ende seiner Karriere widmete er sich in Agentenfilmen wie Topaz (Topas, USA 1969) wieder politischeren Themen, mit weit weniger Erfolg.

GlossarSpannungsformen

Alfred Hitchcock setzte in seinen Filmen auf Suspense (engl. für: Gespanntheit). Dabei lässt er die Zuschauer/innen vordergründig mehr als den Filmhelden wissen, zugleich schweben sie in Bezug auf den Ausgang des jeweiligen Ereignisses auch in gespannter Unsicherheit. Hitchcock selbst nannte "die Bombe unter dem Tisch", von der nur das Publikum weiß, nicht aber die Filmfiguren, als bestes Beispiel.

Vom Suspense unterscheidet er Surprise (engl. für: Überraschung): Während Surprise eine unerwartete Wendung charakterisiert, meint der Begriff Suspense die Erwartung eines Ereignisses ohne sein zwangsläufiges Eintreffen. Eine dritte Spannungsform ist Mystery (engl. für: Geheimnis) oder auch Whodunit (Who has done it), bei dem erst am Ende herauskommt, wer der Täter oder die Täterin ist. Die letztere, klassische Variante fand Hitchcock uninteressant und hat sie weitgehend vermieden.

(Vgl.: Martin Ganguly: Filmanalyse, Klett, Stuttgart/Leipzig 2011, S.46)

Motive und Stil

Von Teilen der Kritik wurde der erfolgreiche "Spannungsregisseur" Hitchcock lange als bloßer Handwerker betrachtet. Seine Stoffauswahl festigte diesen Ruf: Anstelle tiefgründiger Buchvorlagen aus dem Bereich der Weltliteratur bevorzugte er populäre Krimierzählungen bis hin zur Trivialliteratur.

An einer realistischen Handlung oder gesellschaftskritischen Analysen war ihm wenig gelegen. Deutlichster Ausdruck dafür war der an sich nutzlose sogenannte MacGuffin (s. Glossar "MacGuffin"), um den diese den-noch kreist. Die tieferen persönlichen Motive seiner Auswahl erschließen sich erst mit Blick auf das Gesamtwerk.

GlossarMacGuffin

MacGuffin ist ein von Alfred Hitchcock geprägter Begriff, der ein Element einer Filmhandlung beschreibt, das eher nebensächlich ist, aber die Spannung erhöht oder die Handlung vorantreibt. Das kann ein geheimnisvoller Koffer, ein Geheimplan oder eine Randfigur sein.

Vgl. kinofenster.de – Externer Link: http://www.kinofenster.de/lehrmaterial/glossar/MN

Bilder statt Worte – die Stummfilmtradition

Hitchcocks wichtigstes Kriterium war der visuelle Aspekt. Hierin war er aus seiner Lehrzeit beim Stummfilm geprägt. Nicht nur die Handlung, möglichst auch die intimsten Gedanken der Figuren müssen auf der Leinwand erkennbar sein.

Hitchcocks Motive sind tatsächlich zuallererst Gegenstände – ein Messer, ein verräterischer Ring, ein Koffer voll Geld –, die subjektive Nahaufnahmen (engl.: close-up) deutlich ins Blickfeld rücken. Ihr Anblick bewirkt bei den Figuren Reaktionen, die auch das Publikum nachvollziehen kann. Der Wechsel zum Tonfilm änderte nichts an diesem Prinzip. Nie, so war Hitchcock überzeugt, dürften erklärende Dialoge das Bild ersetzen.

Motive und Obsessionen

In Hitchcocks Filmen gibt es zahlreiche wiederkehrende Motive, die immer wieder als "Obsessionen" beschrieben wurden: die dominante Mutter, die Furcht vor Polizei und Gefangenschaft, der unschuldig verfolgte Mann, die mysteriöse Frau, dazu Fragen von Sexualität, Macht, Luxus und Geld.

Der berühmteste Ausdruck dieser Obsessionen ist die elegante "Hitchcock-Blondine". Sie verkörpert Hitchcocks Frauenideal einer versteckten und darum umso anziehenderen Sexualität. Trotz aller Züge einer Femme fatale ist sie, anders als im Film Noir, selten Täterin. Häufiger erscheint sie als attraktives – und passives – Opfer, um das das Publikum bangt, oder als kluge Gefährtin des Helden.

Die Schauspielerinnen Tippi Hedren, Janet Leigh und Grace Kelly erfüllten in der Regel eine dieser Funktionen in mehreren Filmen, nicht immer aber Hitchcocks enorme Erwartungen: Insbesondere seine Auseinandersetzungen mit Tippi Hedren sind legendär.

Im Gegensatz dazu sind Männer meist als Normalbürger gezeichnet. Typischerweise verstrickt sie die Handlung in ein Komplott, das mit ihrem bürgerlichen Leben nichts zu tun hat. Dunklen Mächten und einer inkompetenten Polizei schutzlos ausgeliefert, ziehen sie nur durch Eigeninitiative und – natürlich sorgsam konstruierte – Zufälle den Kopf aus der Schlinge. Allein Hitchcocks ebenso charakteristischer (schwarzer) Humor verschleiert dieses zutiefst pessimistische Weltbild, das in allen seiner Filme zum Ausdruck kommt.

Zwischen Eleganz und Experiment – Der Hitchcock-Stil

Hitchcocks besonderer Stil besteht in der Anordnung dieser Motive – Handlung, Figuren, Gegenstände – im filmischen Raum. Lange, wortlose Expositionen ziehen das Filmpublikum in das Geschehen. Nach dem Prinzip der "inneren Montage" – eine Kombination von weiten Blickwinkeln, langsam-suggestiven Kamerafahrten und sich in Staffelungen erschließenden Räumen – erhalten die Bilder oft eine traumartige Qualität, was auch in Vertigo wiederholt zu beobachten ist. Hitchcocks Obsessionen entpuppen sich als menschliche Urängste, die sein Kino offenlegt.

Hitchcocks kühnste Experimente mit diesem Stil sind heute Filmgeschichte. So drehte er mit Cocktail für eine Leiche (1947) mithilfe geschickter Kameraführung und Bildmontage einen abendfüllenden Spielfilm ohne sichtbaren Schnitt.

Den perfekten Ausdruck für den Voyeurismus des Kinos fand er in Das Fenster zum Hof (1954): Durch sein Kameraobjektiv beobachtet ein im Rollstuhl sitzender Fotograf einen Mord. Eine spektakuläre Neuerfindung als Horrorregisseur gelang ihm mit Psycho (1960): Der bewusst auf billigem Schwarz-Weiß und ohne Stars gedrehte Schocker zeigt den berühmten, in 70 Einstellungen gedrehten Mord in der Dusche und wurde nicht nur zu seinem größten kommerziellen Erfolg, sondern setzte neue Maßstäbe innerhalb des Genres.

Stolz erzählte Hitchcock Truffaut, dass es ihm bei diesem Film darauf ankam, "durch eine Anordnung von Filmstücken, Fotografie, Ton, lauter technische Sachen, das Publikum zum Schreien zu bringen." Die aufsehenerregende Animation angriffslustiger Möwen in Die Vögel (1963) festigte seinen Ruf als heimtückischer Meister des Schreckens. Für alle Filme jedoch gilt sein Motto: "Das Drama ist ein Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat."

Hitchcocks Einfluss

Das Interesse an der Filmkunst und der Person Alfred Hitchcocks ist heute ungebrochen – 2012 kam beispielsweise der Spielfilm Hitchcock (USA/GB 2012, R: Sacha Gervasi) über die Dreharbeiten zu Psycho ins Kino. Vor allem aber wurde Hitchcock zum erklärten Vorbild vieler namhafter Regisseure.

Bekannte Beispiele für die Verwendung von Suspense und MacGuffin sind etwa Carol Reeds The Third Man (Der dritte Mann, GB 1949) oder Billy Wilders Witness for the Prosecution (Zeugin der Anklage, USA 1957). Die französischen Regisseure Henri-Georges Clouzot und Claude Chabrol entlehnten, wie Truffaut, ebenfalls Spannungs- und Stilelemente von Hitchcock.

Zu anderen zeitgenössischen Regisseuren, die thematisch oder stilistisch von ihrem britischen Vorgänger beeinflusst wurden, gehören Steven Spielberg, Martin Scorsese, David Lynch, Brian de Palma und David Fincher.

Filmografie Alfred Hitchcock (Auswahl)

  • The Lodger (Der Mieter, GB 1927)

  • The Man who knew too much (Der Mann, der zuviel wusste, GB 1934, Gleichnamiges Remake: USA 1956)

  • The Thirty-Nine Steps (Die 39 Stufen, GB 1935)

  • Rebecca (USA 1940)

  • Spellbound (Ich kämpfe um dich, USA 1945)

  • Notorious (Berüchtigt, USA 1946)

  • Strangers on a Train (Der fremde im Zug, USA 1951)

  • Dial M for Murder (Bei Anruf Mord, USA 1954)

  • Rear Window (Das Fenster zum Hof, USA 1954)

  • Vertigo (Vertigo – Aus dem Reich der Toten, USA 1958)

  • North by Northwest (Der unsichtbare Dritte, USA 1959)

  • Psycho (USA 1960)

  • The Birds (Die Vögel, USA 1963)

  • Frenzy (GB 1972)

Zum Weiterlesen und Schauen

Fussnoten