1921/22
Produktionsland: Deutschland
Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
Laufzeit: 94 Minuten
Format: Stummfilm (1:1:33)
Altersfreigabe: FSK: 12
"Nosferatu – Tönt dies Wort Dich nicht an wie der mitternächtliche Ruf eines Totenvogels? Hüte Dich, es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten ..."
Darsteller/innen
Graf Orlok/Nosferatu: Max Schreck
Thomas Hutter: Gustav von Wangenheim
Ellen, Hutters Frau: Greta Schröder
Knock, ein Häusermakler: Alexander Granach
Reeder Harding, Hutters Freund: Georg H. Schnell
Ruth, Hardings Schwester: Ruth Landshoff
Inhalt
Wisborg, eine norddeutsche Hafenstadt im Jahre 1838. Das jungverheiratete Ehepaar Thomas und Ellen Hutter führt ein beschauliches Alltagsleben, bis Thomas im Auftrag seines Arbeitgebers, des Häusermaklers Knock, nach Transsilvanien reisen soll, um dem dort ansässigen Grafen Orlok ein Haus zu verkaufen.
Trotz der Bedenken seiner Ehefrau macht sich Hutter zum Schloss des Grafen auf. Selbst die Warnungen der transsilvanischen Bauern, denen er auf der Reise begegnet, können ihn nicht davon abhalten.
Das Schloss entpuppt sich als ebenso unheimlich wie der Graf selbst, der Hutter, als er sich beim Abendessen mit dem Brotmesser am Finger verletzt, gierig die Wunde aussaugt. Am nächsten Morgen entdeckt der junge Mann zusätzlich Bissspuren am Hals.
Fasziniert vom Bild Ellens, das Hutter bei sich trägt, unterschreibt Orlok den Kaufvertrag. Er sperrt seinen Gast ein und reist mit einer Fuhre Särge auf einem Segelschiff nach Wisborg. Nachdem er sich vom Blut der Schiffsbesatzung ernährt und alle Seeleute ermordet hat, kommt Orlok unbemerkt in der Hafenstadt an. Mit den Särgen hat er auch Ratten eingeschleppt, die eine Pestseuche in der Stadt verbreiten.
Inzwischen gelingt es Hutter, aus dem Schloss des Grafen nach Wisborg zu fliehen. Ellen, die im Gepäck ihres Mannes ein Buch über Vampire findet, ahnt was vorgefallen ist. Aus dem Buch entnimmt sie, dass nur eine Frau "reinen Herzens" das Böse, das der Vampir in die Stadt gebracht hat, aufhalten kann. Deswegen gibt sie sich für eine Nacht dem Vampir hin, der in seinem Blutrausch die Zeit vergisst und deswegen beim Sonnenaufgang zu Staub zerfällt. Ellen hat sich geopfert und damit dem Sterben in der Stadt ein Ende bereitet.
Hintergrund und Drehorte
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ist der einzige Film der Produktionsfirma Prana-Film.
Einer der beiden Produzenten, der Filmarchitekt und Okkultist Albin Grau, interessierte sich für Vampirgeschichten, seitdem ihm ein serbischer Bauer im Ersten Weltkrieg von der Existenz Untoter erzählt hatte. Bram Stokers bekannter Roman "Dracula" erschien ihm die geeignete Vorlage für einen kommerziell verwertbaren Filmstoff, doch unterließ er es, die Verfilmungsrechte dafür zu erwerben. Deshalb ließ er von Henrik Galeen, der zuvor schon die Drehbücher für die schauerromantischen Erfolgsfilme Der Student von Prag (D 1913) und Der Golem, wie er in die Welt kam (D 1920) geschrieben hatte, die Geschichte, Handlungsort und alle Namen abändern. Als Regisseur konnte Grau, der auch Bauten und Kostüme des Films gestaltete, das aufstrebende Regietalent F. W. Murnau gewinnen.
Die dreimonatigen Dreharbeiten zu Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens begannen im Juli 1921. Die Studioaufnahmen fanden in Berlin statt, die Außenaufnahmen in Lübeck, Wismar, auf der Insel Sylt, im Tegeler Forst und in der Hohen Tatra in den Karpaten. Viele Drehorte wie die Salzspeicher in Lübeck, dem Wisborger Domizil des Grafen Orlok, oder den Innenhof der Heiligen-Geist-Kirche in Wismar, wo Hutters Abreise gedreht wurden, kann man heute noch besichtigen.
Die Premiere fand am 4. März 1922 im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin statt.
Der Film war – trotz vieler guter Kritiken und groß angelegter Werbekampagne – ein finanzieller Misserfolg, da er nur in wenigen, kleineren Kinos abgespielt werden durfte. Die UFA, die neben ihrer Produktionstätigkeit das Monopol auf große Lichtspielhäuser besaß, wollte durch ihr Abspielveto die Produzenten-Konkurrenz klein halten. Im Uraufführungsjahr strengte zudem Bram Stokers Witwe Florence erfolgreich eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung an. Die Prana-Film war somit finanziell ruiniert und zusätzlich gezwungen, das gesamte Filmmaterial zu vernichten.
Glücklicherweise blieben einige Kopien des Films im Ausland erhalten, die in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend der Ursprungsfassung zusammengefügt, aufwändig restauriert und von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung 2005 bis 2006 auch technisch überarbeitet und digitalisiert wurden.
Filmfiguren
Die Figuren aus Stokers Roman wurden großteils beibehalten, erhielten jedoch deutsch klingende Namen:
Graf Dracula wird Graf Orlok (Nosferatu).
Im Roman ist der Vampir Dracula ein eleganter und hochmütiger Aristokrat und als viktorianische Erotikfantasie angelegt. Graf Orlok hingegen
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"ist und bleibt der Nosferatu, ein poetischer Nachtmahr, ein ewiges – und in seiner Einsamkeit und der Gier nach dem warmen Blut beinahe bemitleidenswertes – Schreckgespenst: die dunkle Kehrseite des vermeintlich behaglichen deutschen Biedermeier, das sich hier zunächst einmal in friedlichen Kleinstadtgassen, verspielten Gartenszenen und überladenen Interieurs manifestiert."
(Zitat aus:
Jonathan und Mina Harker werden Thomas und Ellen Hutter, die das romantische Ideal des Biedermeiers, wie man es auf Bildern von Carl Spitzweg findet, verkörpern.
Anwalt Hawking und der irre Dracula-Jünger Renfield verschmelzen in der Figur des Maklers Knock, und aus dem Kapitän der Empusa wird der Kapitän der Demeter, der sich gegen den an Bord befindlichen Vampir wehrt, dann aber doch sterben muss.
Die im Roman vorkommenden drei weiblichen Vampire sowie die Figur Lucys, im Roman Minas Freundin, werden komplett gestrichen. Der Vampirjäger Van Helsing kommt nur gegen Ende, inhaltlich stark abgeschwächt und auf zwei Rollen verteilt (Professor Bulwer und Doktor Siewer) vor, die nur Berater, bzw. Arztfunktion haben.
Besetzt wurden die meisten Rollen mit erfahrenen Bühnenschauspielern/innen.
Filmnarration und Symbolik
In enger Zusammenarbeit mit Murnau verlegte Drehbuchautor Galeen die Handlung von Stokers Roman von London und Whitby in die fiktive norddeutsche Kleinstadt Wisborg. Die Pestepidemie und das Ende der Geschichte (der Vampir zerfällt zu Staub) wurden hinzuerfunden.
Ebenfalls verändert wurde der erotische Kontext, der sich nun in einer Dreieckskonstellation manifestiert. Die biedermeierliche, eher geschwisterlich dargestellte Beziehung des Ehepaars Hutter verändert sich mit Hutters Reise zum Grafen Orlok. Er erfährt dort sexuelle Triebhaftigkeit und Begehren beim animalischen Nosferatu (das Aussaugen der Fingerkuppe beim Abendessen und die nächtlichen Bisse in den Hals), dem er sich ausgeliefert fühlt. Dies flößt ihm zugleich Furcht und Lust ein, wie man der Mimik und Gestik des Hutter-Darstellers Gustav von Wangenheim entnehmen kann. Auch Ellen Hutter lebt sexuelle Fantasien in einer Mischung aus moralischem Pflichtgefühl und Begehren mit dem Grafen aus. Die ausgelebte Triebhaftigkeit bezahlen sowohl Ellen wie auch Graf Orlok mit dem Tod.
Am Ende rettet jedoch die Frauenfigur Ellen Gesellschaft und Ehemann vor dem sich ausbreitenden Verderben und dem damit einhergehenden moralischen Verfall, und zwar paradoxerweise indem sie Triebhaftigkeit zulässt. Diese Wendung stellt eine emanzipatorisch deutbare Veränderung der Romanvorlage durch das Drehbuch dar. Denn in Bram Stokers "Dracula" vernichtet ein Männertriumvirat in selbstherrlicher Weise den Vampir – Frauen sind dort nur schmückendes Beiwerk ohne eigenen Willen.
Montage
Wie auch in Der letzte Mann und Faust ist Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens auf den ersten Blick eine vorhersehbare, volksmärchenhaft aufgebaute Erzählung. Doch durch den Einsatz von Parallelmontagen (Szenen mit Hutter und Orlok auf dem Schloss wechseln sich mit Szenen mit Ellen in Wisborg ab) lässt Murnau sein Publikum über die genaue zeitliche Einordnung der einzelnen Geschehnisse im Unklaren. So beschwört er sowohl inhaltlich als auch durch eine – für damalige Zeit ungewöhnlich – schnelle Schnittfolge eine traumwandlerische Atmosphäre herauf.
Wie in Stummfilmen gebräuchlich werden einzelne Erzählstränge durch Zwischentexte eingeführt und damit auch verbunden.
Bildsprache – Produktionsdesign, Lichtführung und Viragierung
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens gehört zu den Klassikern des expressionistischen Films der Weimarer Zeit und arbeitet doch mit anderen Mitteln als zum Beispiel Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1919, R: Robert Wiene). Üblicherweise wurde die im Expressionismus erwünschte Künstlichkeit durch verzerrt wirkende Studiokulissen abgebildet.
Murnau drehte hingegen, abgesehen von den Innenaufnahmen im fiktiven Wisborg, an Originalschauplätzen, die er so stark künstlerisch verfremdete, dass sie eine eigene Expressivität entfalten.
Die Landschaftsaufnahmen werden durch ausgefeilte Bildkompositionen (als Vorlagen für einige Bildausschnitte und Einstellungen wie den Meeres- und Schiffsszenen dienten zum Beispiel Gemälde von Caspar David Friedrich und Arno Böcklin, die Wisborger Biedermeierszenen im Hause Hutter waren an Gemälde von Moritz von Schwindt angelehnt) zu grafischen Strukturen, welche die Zuschauenden zweifeln lassen, ob die dargestellten Schauplätze real oder künstlich sind. Zusätzlich verwendet Murnau weitere bis dahin selten genutzte filmische Mittel: Die unheimliche Atmosphäre der nächtlichen Kutschfahrt zum Schloss wird durch Verwendung einer Negativbildsequenz erreicht, die beinahe wie ein Röntgenbild wirkt.
Filmstill aus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (© Friedrich- Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden)
Filmstill aus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (© Friedrich- Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden)
Wenn Graf Orlok durch Wände geht, wird dies mit Hilfe von Doppelbelichtung erreicht.
Architektur und Darsteller/innen funktionieren häufig zusammen als grafische Gebilde. Graf Orloks krumme Nase, seine krallenartigen Finger und seine gebeugte Haltung korrespondieren mit den Formen der Torbögen oder mit grabähnlichen Öffnungen, Fenstern und Durchgängen. Sein Schatten fällt häufig groß und verzerrt auf Wände oder Menschen. Passend dazu ist das kontrastreiche Make-up des Darstellers Max von Schreck gestaltet.
Sein kahler Schädel mit bleichem Gesicht, seine buschigen Augenbrauen, seine spitz auslaufenden Ohren sowie seine langen, spitzen Zähne und nicht zuletzt sein durchdringender Blick machen ihn zu einer besonders furchterregenden Figur der Filmgeschichte. Die Lichtführung ist, wie im expressionistischen Film vorherrschend, im sogenannten Low-Key-Stil gehalten.
Die Schattenführung wird dabei besonders betont und weiße Elemente im überwiegend dunklen Bild lassen das Auge die harten Lichtkontraste besonders deutlich wahrnehmen. Einfärbungen des Bildes (Viragieren) werden wie damals im Stummfilm üblich verwendet: Die Innenräume sind tagsüber in Sepiabraun gehalten, nachts in Goldorange.
Morgenszenen in sind hellrot und Nachtszenen in unterschiedlichen Blautönen. In der Gesamtschau ergibt sich eine alptraumähnliche Horrorvision, bei der das fremdartige Grauen konterkarierend an alltäglichen Orten und Naturschauplätzen stattfindet.
Begleitmusik
Die Begleitmusik zu Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens schrieb Hans Erdmann. Seine eigens für den Film komponierte Musik nannte er "Fantastisch romantische Suite". Je nach Figurencharakter oder Atmosphäre des Films wurden die zehn Einzelstücke mit den Attributen "idyllisch, lyrisch, spukhaft, stürmisch, vernichtet, wohlauf, seltsam, grotesk, entfesselt und verstört" (Angaben aus dem Begleitheft der DVD von Transit-Film, S. 11f., keine Jahresangabe) eingesetzt.
Die Partitur galt lange als verschollen und wurde Mitte der 1980er-Jahre von Berndt Heller aufgefunden, zusammengesetzt und zur Filmrestaurierung passend mit Orchester eingespielt. Inzwischen gibt es weitere Filmkompositionen zu Murnaus Film, wie die modern anmutende Komposition des Spaniers José Maria Sánchez-Verdú aus dem Jahr 2003, die gelegentlich auf Filmfestivals oder zu Sondervorführungen live eingespielt wird.
Nachfolgefilme / Intermedialität
Unter dem Titel Die zwölfte Stunde – Eine Nacht des Grauens erschien in Deutschland 1930 eine nachträglich vertonte und von Waldemar Roger bearbeitete Fassung, die zusätzliches Filmmaterial, neue Szenen sowie ein Happy End (entnommen aus Murnaus erstem Filmakt) enthielt. Diese Fassung wurde von Murnau nicht autorisiert und nennt weder im Vor- noch im Abspann seinen Namen.
Werner Herzog drehte mit Nosferatu – Phantom der Nacht (BRD/F 1978) ein Farbfilm-Remake, das er als Hommage an Murnau verstand. Sein (sprechender) Vampir wird von Klaus Kinski melancholisch und daseinsmüde gespielt. Herzog übernahm viele von Murnaus Einstellungen, verlieh der Filmerzählung jedoch ein pessimistisches Ende: Thomas Hutter (bei Herzog Jonathan Harker) verwandelt sich selbst zum Vampir.
Viele Filme zitierten Max Schrecks bizarres Make-up, wie zum Beispiel die fliegenden Vampire in Tim Burtons Animationsfilm Nightmare Before Christmas (USA 1993).
Eine Reminiszenz an Murnau und den Stummfilm stellt der Moment in Interview with the Vampire (Interview mit einem Vampir, USA 1994, R: Neil Jordan) dar, in dem der Vampir Louis (Brad Pitt) nach Hunderten von Jahren wieder einen Sonnenaufgang sehen kann und zwar bei einer abendlichen Kinovorführung von Murnaus Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen, gefolgt von einer kurzen Sequenz aus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens.
Eine besonders skurrile Verbeugung vor Murnaus Vampirklassiker stellt Shadow of the Vampire (GB/USA/LUX 2000) dar, der in fiktiver Form die Dreharbeiten zu Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens erzählt und suggeriert, dass der filmverrückte Murnau (gespielt von John Malkovich) mit Max Schreck (gespielt von Willem Dafoe) einen echten Vampir besetzt haben soll. Unter Verwendung von zahlreichen stilistischen Übernahmen aus Murnaus Film steht dieser Vampirfilm zugleich als Parabel für die ausbeuterische ("blutsaugerische") Arbeit des Filmemachens.