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Dokumentarfilme mit Mission | "Plastic Planet" | bpb.de

"Plastic Planet" Filmbesprechung Interview mit Werner Boote Dokumentarfilme mit Mission Die Macht der KonsumentInnen Arbeitsblatt zu "Plastic Planet" Anregungen für den Unterricht

Dokumentarfilme mit Mission

Philipp Bühler

/ 5 Minuten zu lesen

Klimawandel, Wirtschaftskrise oder Globalisierung: Immer mehr Dokumentarfilme setzen sich mit globalen Problemen und ihren Folgen auseinander.

Plastic Planet, Szenebild (© thomaskirschner.com/Farbfilm Verleih)

Erfolg mit Kritik

Hunger, Klimawandel, Umweltkatastrophen, der Zusammenbruch der Finanzmärkte – die Liste der globalen Bedrohungen wird scheinbar mit jedem Tag länger. Zugleich steigt die Zahl engagierter Dokumentarfilme, die im komplexen Geflecht von Wirtschaft, Politik und Umwelt Orientierung bieten wollen und ihre Analysen mit einem Appell an das Publikum verbinden. So wie Regisseur Werner Boote in Plastic Planet (Österreich, Deutschland 2009) unsere Haltung zum allgegenwärtigen Plastik herausfordert, ermahnen auch andere Filmemacher/innen zu generellem ökologischem Umdenken oder zu einer konkreten Veränderung des persönlichen (Konsum)verhaltens. Aus diesen oftmals marktkritischen Filmen ist selbst schon wieder ein kleiner Erfolgsmarkt für die Kinokassen geworden. Sie befassen sich mit Umwelt und Gesellschaft, dem Finanzwesen oder der Ernährungsindustrie und entdecken zwischen diesen Bereichen manchmal überraschende Zusammenhänge. Unterschiede liegen vor allem in der didaktischen Herangehensweise, die neben der Konzentration auf die vermittelten Inhalte einen wichtigen Teil der kritischen Betrachtung bilden sollte.

Eine kurze Historie

Im Kino sind Dokumentarfilme mit Mission ein junges Phänomen und ohne den Erfolg der Filme von Michael Moore undenkbar. Wie Boote in Plastic Planet bringt auch Moore sich in seine Filme ein, bedrängt als "agent provocateur" die Mächtigen und generiert dabei durch humorvolle Rhetorik und die Selbststilisierung als "kleiner Mann" ein betont "kumpelhaftes" Verhältnis zum Publikum. Nach diesem Muster widmete er sich in Bowling for Columbine (USA 2002) dem Einfluss der US-Waffenlobby, in Sicko (USA 2007) dem amerikanischen Gesundheitswesen sowie zuletzt in Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte (USA 2009) den Ursachen der globalen Finanzkrise. Fast alle Kritiker/innen betrachten seine Aufrufe zum Widerstand als bunte Mixtur aus schlichter Polemik und subjektiven Halbwahrheiten; zugleich nehmen viele aber auch die Wirkung dieser Methode auf ein Millionenpublikum bewundernd zur Kenntnis.

Kritik als Selbstversuch

Mit Super Size Me (USA 2004) treibt der Filmemacher Morgan Spurlock den Körpereinsatz ins Extrem. Unter medizinischer Anleitung ernährt er sich einen Monat lang ausschließlich mit Produkten der amerikanischen Fast-Food-Kette McDonald's und erfährt dabei das erschreckende Ansteigen seiner Cholesterin-, Fett- und Leberwerte. Die im schnellen und etwas geschwätzigen MTV-Stil vorgetragene Kritik richtet sich direkt an die von einer regelrechten Übergewichtsindustrie bedrohten "Kids"; abseits des bizarren Selbstversuchs bietet der Film aber durchaus wertvolle Informationen zu den Verkaufsstrategien der Fast-Food-Konzerne, den Gefahren einseitiger Ernährung sowie der Alternative gesunden Essens etwa in Schulkantinen.

Klimakrise: Das Ende ist nah

Über Ursachen und Folgen der globalen Erderwärmung informiert Al Gore – ehemaliger US–Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger - in dem Vortragsfilm Eine unbequeme Wahrheit (USA 2006). In Abgrenzung vom spekulativen Moore-Stil nutzt er seine Prominentenpersönlichkeit als sachlicher Vermittler wissenschaftlich belegter Fakten, ohne dabei jedoch auf Pathos zu verzichten. Seine vor Publikum gehaltene "reisende Dia-Show" präsentiert Probleme wie Klimawandel und Polkappenschmelze als Abfolge von Vorher-Nachher-Aufnahmen aus Katastrophengebieten, Temperaturkurven und statistischen Diagrammen. Gerade der trockene, aber mit leiser Ironie gewürzte Stil des mit Zeigestock ausgestatteten "Lehrers der Nation" untermauert das ernsthafte Anliegen. Der von Regisseur Davis Guggenheim betreute Film ist damit geeignet, auch "Klima-Skeptiker/innen" zu überzeugen. Eben dieses Ziel verfolgt auch 11th Hour – 5 vor 12 (The 11th Hour, Nadia Conners, Leila Conners Peterson, USA 2007). Mit dem Filmstar Leonardo DiCaprio als Sprecher, einer unüberschaubaren Menge von Interviewpartnern/innen und der stakkatohaften Aneinanderreihung von Katastrophenbildern setzt der Film auf die Überwältigung durch Schrecken. Das allzu durchschaubare "Hollywood-Konzept" leidet an einem Mangel an Meinungsvielfalt sowie an aufgezeigten Alternativen.

Ausschnitt aus Darwins Alptraum (© Arsenal Filmverleih)

Ohne Kommentar

Gleich mehrere kapitalismuskritische Filme verlassen sich auf die aufklärende Wirkung ihrer – allerdings durchaus suggestiven – Bildmontagen. Mit einem monothematischen Ansatz beobachtet Darwins Alptraum (Österreich, Frankreich, Belgien 2004) eine ökologische Katastrophe am afrikanischen Viktoriasee. Das Aussetzen des Nilbarsches hat kleinere Fischarten vernichtet und den See umkippen lassen. Der durch den Export des begehrten Raubfisches nach Europa geschaffene Wohlstand kommt den Einheimischen jedoch nicht zugute. Regisseur Hubert Sauper kombiniert düstere Bilder mit Aussagen verschiedener Seiten, lässt aber am Zusammenhang der erschütternden Fakten keinen Zweifel aufkommen. Stattdessen wird ein Grundmuster erkennbar: Die zu Wort kommenden Opfer wecken Empathie, die beschwichtigenden Aussagen der diversen Interessenvertreter Empörung.

Der zerstörerische Kapitalismus

Ähnlich verfährt auch Erwin Wagenhofer in We Feed the World – Essen global (Österreich 2005). Am Beispiel bretonischer Fischer, afrikanischer Tomatenpflücker in Spanien oder rumänischen Hybridweizens zeigt der Film die Auswüchse einer vollends industrialisierten Lebensmittelindustrie. Als moralische Instanz erläutert der UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler den Zusammenhang von Profitmaximierung und Welthunger. Wagenhofers Kommentar beschränkt sich auf Texttafeln mit Ortsangaben oder knappen statistischen Daten. In Let's Make Money (Österreich 2008) überträgt Wagenhofer sein Konzept auf die internationale Finanzwirtschaft. In einem assoziativen Verfahren legt er etwa anhand der Immobilienkrise in Spanien oder dem Lohndumping europäischer Investoren in Indien Wesenszüge eines zerstörerischen Kapitalismus offen. Der behauptete Zusammenhang der verschiedenen Themen wirkt allerdings so suggestiv wie beliebig. Ferner werden komplexe Begriffe wie "Private Equity Fonds" oder "Hedgefonds" kaum veranschaulicht und positive Folgen der Globalisierung gänzlich unterschlagen. Dennoch lohnt auch hier jedes der Beispiele, bei passender Vorbereitung, einer eingehenden Betrachtung.

Filmausschnitt aus Unser täglich Brot (© Alamode Film)

Die Verantwortung des Konsumierenden

Einen eher experimentellen Ansatz wählt Nikolaus Geyrhalter in Unser täglich Brot (Österreich 2005). Ohne jede Erläuterung präsentiert er die Produktionshallen der modernen Ernährungsindustrie als Orte der totalen Entfremdung des Menschen von seiner Nahrung. In statischen Kameraeinstellungen und schnurgeraden Plansequenzen werden Pflanzen maschinell besprüht, tote Schweine und lebende Küken über Fließbänder transportiert. Das Tier wird reduziert zur Ware, der Mensch herabgewürdigt zum Tötungsgehilfen und Konsumierenden. Geyrhalters Film zeigt unbekannte Orte, von denen wir insgeheim wissen und stellt ohne Worte die entscheidenden Fragen direkt an uns Konsumenten/innen: Wollen wir diese Zustände verantworten? Wie wollen wir leben?

Position beziehen

Trotz des gemeinsamen Aufklärungswillens unterscheiden sich Dokumentarfilme mit "eingebauter" Appellfunktion in ihrer Methodik. Es ist jedoch wenig sinnvoll, den subjektiven Ansatz eines Michael Moore gegen die neutrale Haltung des kommentarlosen Films auszuspielen. Während der persönlich auftretende Filmschaffende seine Meinung auch angreifbar macht, nutzt die anonyme Methode durch Bildauswahl und Schnitt lediglich andere Möglichkeiten der filmischen Manipulation (wobei auch Moore auf suggestive Bildmontagen keineswegs verzichtet). Gerade der kommerzielle Dokumentarfilm ist darauf angewiesen, eindeutig Position zu beziehen und den Gestus der Neutralität auch als strategisches Mittel einzusetzen. Ein wichtiges Kriterium für die Glaubwürdigkeit bildet zuletzt die Frage, ob ein Film neben dem Aufruf zu Empörung oder Mitgefühl auch praktikable Alternativen aufweist. Konsumverweigerung bleibt stumpf ohne politisches Handeln, Fatalismus ist keine Lösung. Dass diese vielfach preisgekrönten Filme immer mehr Resonanz erfahren, ist ein gutes, wenn auch nicht beruhigendes Zeichen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 27.01.2010 auf Externer Link: kinofenster.de, dem Onlineportal für Filmbildung der Bundeszentrale für politische Bildung und Vision Kino.

Philipp Bühler ist Filmpublizist und Autor von Filmheften der bpb.