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"Laufe Junge Lauf" – Subjektive Verlusterfahrung als Geschichtszeugnis | "Lauf Junge Lauf" | bpb.de

"Lauf Junge Lauf" "Laufe Junge Lauf" – Subjektive Verlusterfahrung als Geschichtszeugnis Hintergrund – Du musst deinen Namen vergessen Hintergrund – "Den Krieg durch die Augen eines Kindes sehen" Interview mit Pepe Danquart Video / Trailer Arbeitsblatt Links Redaktion

"Laufe Junge Lauf" – Subjektive Verlusterfahrung als Geschichtszeugnis

Andreas Busche

/ 3 Minuten zu lesen

"Lauf Junge Lauf" schildert die dreijährige Flucht des jüdischen Waisenjungen Srulik während der Besetzung Polens durch das nationalsozialistische Regime. Regisseur Pepe Danquart hat einen bewegenden Film zum Thema Holocaust gedreht, in dessen Mittelpunkt der Überlebenskampf eines jungen Menschen steht, der im Zweiten Weltkrieg seine Familie und seine Identität verliert - und der nach Kriegsende erst wieder lernen muss, seine Herkunft zu akzeptieren.

Plakat zum Film "Lauf junge Lauf" (© NFP marketing & distribution)

In großer Entfernung schleppt sich ein kleiner Junge durch den tiefen Schnee. Schließlich bricht er erschöpft vor der Tür eines einsamen Bauernhauses zusammen. Die Bäuerin holt ihn zu sich herein und pflegt ihn, bis er wieder zu Kräften kommt. Das Schicksal des Jungen, der sich ihr als Jurek vorstellt, ist der Frau nicht unbekannt. In den letzten Kriegsjahren hatten viele polnische Kinder ihre Eltern verloren. Gruppen von Waisenkindern lebten heimlich in den Wäldern und waren von der Hilfsbereitschaft ihrer Mitmenschen abhängig. Srulik, so der richtige Name des Jungen, hat aber noch ein weiteres Geheimnis: Er ist Jude und damit ständig in Gefahr, von deutschen Soldaten aufgegriffen und interniert zu werden. Doch nicht nur vor den Soldaten muss Srulik sich in Acht nehmen. Auch einige antisemitische Polen sind bereit, ihn für eine Belohnung an die Deutschen auszuliefern. Also lernt er mit Hilfe seiner Retterin Magda, seine jüdische Herkunft zu verleugnen, indem er sich fortan als polnischer Waisenjunge ausgibt. In einer Zeit größter Unsicherheit muss er aufgeben, was ihm noch Halt verleiht: seine Identität.

Der Film "Lauf Junge Lauf" des deutschen Regisseurs Pepe Danquart erzählt auf bewegende und einfühlsame Weise vom Schicksal eines jüdischen Jungen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs. Ein besonderes Gewicht erhält Danquarts Film durch den Umstand, dass Sruliks Geschichte auf den Erlebnissen des Holocaust-Überlebenden Yoram Fridman beruht, der den Zweiten Weltkrieg als Kind bei verschiedenen Menschen versteckt überstand. Am Ende des Films zeigt Danquart den inzwischen 79-jährigen Fridman im Kreise seiner Familie in Israel. Damit unterstreicht er die Authentizität der Geschichte und spannt gleichsam den erzählerischen Bogen von der Filmhandlung zur Lebensgeschichte seines Protagonisten.

"Lauf, Junge, Lauf" erzählt seine Geschichte im Stile eines Abenteuerfilms. Größere Zeitsprünge in der Handlung werden durch vereinzelte Jahresangaben markiert, zudem geben die Blätter des Waldes über den Verlauf der Zeit Auskunft. Ansonsten blendet Danquart die historischen Ereignisse jener Zeit weitgehend aus. Der Zuschauende ist ähnlich wie Srulik, der sich nur an den Jahreszeiten orientieren kann, aus der Zeit gefallen. Dieses Gefühl wird durch einige Rückblenden, die sich mit einem gleißenden Licht in das Bewusstsein des Jungen brennen, noch verstärkt.

Indem "Lauf Junge Lauf" die historischen Zusammenhänge der Judenverfolgung in Europa nicht ausdrücklich thematisiert, sondern sich in erster Linie auf Sruliks Flucht konzentriert, gelingt Danquart ein umso genaueres Bild der Verlusterfahrung durch den Holocaust. Nicht die Gewalt steht hier im Vordergrund (der Tod der Eltern ist lediglich im Off zu hören), sondern die schmerzhafte Abwesenheit von Vater und Mutter, die durch verschiedene Frauen- und Männerfiguren nur teilweise kompensiert werden können. Seine stärksten Momente hat der Film allerdings, wenn die Kinder, die meist ähnliche Erfahrungen gemacht haben (oder den Waisenjungen großzügig in ihre eigenen Familien einladen), unter sich sind. Dieses Gemeinschaftsgefühl, das "Lauf, Junge, Lauf" immer wieder durch Bilder von gemeinsamer Arbeit und gegenseitiger Unterstützung beschwört, ist das emotionale Zentrum von Danquarts Film. Das hohe Maß an Empathie, dass der Zuschauende für die Geschichte Sruliks aufbringt, verdankt sich in erster Linie der lebensnahen Darstellung der Zwillingsbrüder Andrzej und Kamil Tkacz. Ihre große schauspielerische Ausdruckskraft verleiht der Figur Sruliks eine starke emotionale Glaubwürdigkeit, die sich auf den gesamten Film überträgt.

Andreas Busche arbeitet seit fünfzehn Jahren als freier Journalist und Filmkritiker in Berlin, war zwischenzeitig als Filmrestaurator in Holland tätig und ist derzeit verantwortlicher Redakteur von Externer Link: www.kinofenster.de