Gar nicht so einfach, mit einem Skateboard auf Kopfsteinpflaster zu fahren. Leipzig war Anfang der 1980er-Jahre voll davon. "Eigentlich kannst du ja auf solchen Straßen gar nicht rollern, aber das war egal. Immer drauf stehen, schepperdidepper, und durch", erzählt Torsten Schubert, genannt "Goofy". Er ist Jahrgang 1969, mit zwölf Jahren hat er die Bretter entdeckt, die für ihn fortan die Welt bedeuten sollten. Vor acht Jahren zog der sportlich wirkende Leipziger nach Berlin und skatet selbstredend immer noch – jetzt mit einem richtigen Board und mit Knie- und Unterarmschützern, um die alten Knochen zu schonen. Früher war das nicht so wichtig: "Schutz, ach, na ja", sagt Schubert, "das hatten wir damals lange nicht". Und natürlich hatte man auch keine teuren Profi-Boards vom legendären Skateboard-Hersteller Titus aus Münster, sondern selbstgebaute und höchstpersönlich angepinselte Rollbretter: "Ich hab zum Beispiel Mickey Mouse und solche Sachen drunter gemalt", erinnert sich Schubert.
Vom Rennrad aufs Skateboard
Mickey Mouse war in der DDR der 1980er-Jahre ein Sinnbild für den Klassenfeind. Politik spielte bei Schuberts Skate-Leidenschaft dennoch eine untergeordnete Rolle: "Am Anfang war es nur die Faszination an dieser Art der Bewegung. Dazu kam im Hinterkopf: Man hat es sich selbst ausgesucht, es ist keine Leistungssportart, und wenn es einer verbietet, dann geht man eben woanders hin". Skater hatte Schubert zum ersten Mal 1976 in einer ZDF-Dokumentation gesehen, wegen schlechten Empfangs allerdings "nur bruchstückhaft". Dennoch, erinnert er sich, hatte das für ihn sofort einen Wow-Effekt.
Schubert ist in einer sportlichen Familie aufgewachsen, seine Eltern unterrichteten Sport als Zweitfach, er selbst fuhr Rad auf Leistungssportniveau. Mit fliegenden Fahnen stieg er aufs Skateboard um und stieß damit auf Unverständnis im Elternhaus, und – vielleicht, weil es eben aus dem Westen kam – auf Ablehnung bei den Lehrkräften. Verboten wurde das Skaten jedoch nie: Es gab sogar eine Zeit, in der der DDR-Staat versuchte, den Sport aufzunehmen. Bei der ersten DDR-Meisterschaft in Ost-Berlin mit Teilnehmenden aus dem Westen, "wurden wir ostdeutschen Skater zur Seite genommen und von angeblichen Sportfunktionären aufgeklärt, dass das doch unsere DDR-Meisterschaft sei, und wir uns die nicht vom Klassenfeind wegnehmen lassen sollten. Den Kontakt zu den Westdeutschen sollten wir unbedingt vermeiden". Die Sportfunktionäre versuchten es auch mit Angeboten für ein besser organisiertes Training. Aber Goofy und seinen Gleichgesinnten ging es genau um das Gegenteil: um die Freiheit, wo und wann immer zu skaten, und eben nicht einem durchstrukturierten Kader anzugehören.
Vereinnahmungsversuche
"Goofy" lernt seine ersten Ollies. Leipzig im Spätsommer 1987 (© Thorsten "Goofy" Schubert)
"Goofy" lernt seine ersten Ollies. Leipzig im Spätsommer 1987 (© Thorsten "Goofy" Schubert)
So skatete Torsten Schubert mit seinem Bruder und seiner Clique weiter durch die 1980er-Jahre. Allmählich fanden auch Skater-Magazine und andere Devotionalien aus dem Westen über Ost-Berlin den Weg nach Leipzig. Eine kleine Politisierung seines Hobbys fand für den ruhigen 43-Jährigen erst kurz vor der Wende statt: "Als ich 1988 zur NVA (Anm. d. Red.: Nationale Volksarmee) eingezogen wurde und nicht mehr zur Euroskate nach Tschechien durfte, vermutlich weil man Angst hatte, ich könne ausbüchsen, war klar, das läuft gegen den Baum. Wenn mir einer das Skateboarden verbietet, dann stimmt etwas nicht".
Schubert nahm die Repressalien des Staates als solche wahr, merkte auch, wie das System versuchte, den Skateboardsport auf Staatslinie einzustimmen. So wurde etwa das DDR-Rollbrett Germina Speeder auf den Markt gebracht und an den Treffpunkten der Szene ließ sich regelmäßig die Staatssicherheit blicken. "Es gab eine Tendenz zur Beobachtung", erklärt Schubert, seine eigene Stasi-Akte habe er allerdings noch nicht eingesehen, wobei er sich jedoch nicht sicher ist, ob es eine Akte über ihn gibt.
Gemeinsamkeiten in Ost und West
Bevor er selbst und die Leipziger Skater-Szene wegen ihres Hobbys konkrete Konsequenzen gespürt hätten, erzählt Schubert, sei die Mauer gefallen. Endlich konnten die DDR-Skater und Skaterinnen – jedenfalls mit dem nötigen Kleingeld – an all die Originale in Equipment, an Musik, Mode und Zeitungen kommen, die sie bislang nur aus der Ferne kannten. Vor der Wende hatte dieser Sport in der DDR, aus Mangel an Utensilien wie cool bedruckte T-Shirts und Basecaps oder dem aus den USA stammenden Skatepunk als musikalische Untermalung, eine sehr individualistische, zusammen gewürfelte Note. Schubert erzählt von geflickten und geklebten Turnschuhen und Hosenträgern, die die zu großen Westjeans hielten. Nach dem Mauerfall passten sich die Skater und Skaterinnen visuell an den Westen an, ohne fraglos alles zu übernehmen: Denn es ging ihnen vor allem um Spaß und Bewegung – genau wie den Skate-Fans im Westen. Nach wie vor ist das Skatenboarden nicht im Mainstream, sondern in einer ganz eigenen Szene angesiedelt, die als Attribute Waghalsigkeit und gemeinsames Erleben hat. Es ist eine Szene, die – wie einst in der DDR – im aktiven Bereich überwiegend Männer interessiert, was sie in gewisser Weise zeitlich begrenzt: Irgendwann will man vielleicht doch auch mal ein Mädchen kennenlernen.
Politisierung im Rückblick
Erst als Erwachsener wurde Schubert bewusst, dass die Eingrenzung durch den DDR-Staat, die organisierten Tagesabläufe eines sportlichen Kindes, das "Ganz-gut-auf-Linie-getrimmt-Sein" genau diese Gegenreaktion, diesen Freiheitswillen und damit die Leidenschaft für den Nischensport hervorbrachten. Ganz unpolitisch war das Skateboardfahren für ihn also nicht. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ging es ihm dann auch weniger um die Unterschiede verschiedener Sozialisationen als um die Gemeinsamkeiten, die Skater und Skaterinnen in Ost- und Westdeutschland, in Europa und den USA erleben: das gemeinsame Fahren, das gegenseitige Unterstützen und Anfeuern bei besonders ausgefeilten Tricks und Figuren.
Für andere mag der Sport von Anfang an bereits an eine stärkere politische Aussage gekoppelt gewesen sein: In dem Film "This Ain't California" (Marten Persiel, Deutschland 2012), bei dem Schubert nicht nur beratend, sondern auch vor der Kamera mitgewirkt hat, sei die DDR-Skaterszene "sehr realistisch dargestellt". Ihm gefällt, dass er "bis auf wenige dramaturgisch-künstlerische Überhöhungen unseren, also meinen und den der anderen DDR-Skatern, Aussagen folgt". Übertrieben sei nicht, was im Film über die Vereinnahmung und Observierung des ungewöhnlichen Lebensstils erzählt wird: "Man hat versucht, uns in den geregelten, sozialistischen Sportbetrieb zu integrieren und damit kontrollierbarer zu machen." Außerdem habe "in Sichtweite unseres Leipziger Skatespots seit Mitte '88 immer ein Polizeiwagen" gestanden. Allerdings habe sich niemand besonders darum geschert.
Torsten Schubert, der kürzlich sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen hat, hat sich seine Hingabe an das Skateboardfahren bewahrt. In Leipzig hat er lange Zeit Skater-Veranstaltungen mit organisiert, in Berlin trifft er die alte Szene regelmäßig zum gemeinsamen Fahren, und zwar ausschließlich auf geeigneten Plätzen. Über Kopfsteinpflaster muss der Mittvierziger schon lange nicht mehr schrabbeln.