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KI-Paradoxien verstehen und auflösen Den schulischen Umgang mit den Widersprüchen künstlicher Intelligenz gestalten

Joscha Falck

/ 11 Minuten zu lesen

Der Lehrer, Schulentwickler und KI-Experte Joscha Falck analysiert neun paradoxe Effekte des Einsatzes künstlicher Intelligenz an Schulen und zeigt Wege, wie sich Herausforderungen meistern lassen.

Geschwindigkeits-, Entlastungs-, Kooperations- und weitere Paradoxien: KI-Herausforderungen für Schulen auf einen Blick. (Joscha Falck) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de

Während künstliche Intelligenz das Potenzial hat, Lernprozesse zu verbessern und Lehrkräfte zu entlasten, treten im Schulalltag paradoxe Effekte auf: Entlastung, Kompetenzen, Motivation und einige andere Bereiche stehen in einem oft widersprüchlichen Verhältnis zu den Erwartungen an die Technologie. Für die Analyse der Herausforderungen, die KI für das Bildungssystem mit sich bringt, kann es hilfreich sein, diese Widersprüche in den Blick zu nehmen. Es gehört zum kollektiven Lernprozess, mit ihnen umzugehen und an ihrer Auflösung zu arbeiten. Welche Paradoxien das sind und mit welchen Lösungsansätzen ihnen konstruktiv begegnet werden kann, soll im Folgenden beleuchtet werden.

Neun schulbezogene KI-Paradoxien

1. Das Entlastungsparadoxon

Ohne Frage können KI-Systeme dazu beitragen, Lehrkräfte in vielerlei Hinsicht zu entlasten. Gleichzeitig tritt dieser Effekt nur ein, wenn eine gewisse Einarbeitungsleistung erbracht wird. Diese kommt als On-top-Aufgabe und zusätzliche Belastung zu anderen Verpflichtungen hinzu und wird deshalb häufig aufgeschoben oder abgelehnt. Denn man muss erst einmal über den Berg kommen, bevor man den neuen Horizont erblickt.

Mögliche Lösungsansätze: Lehrkräfte kommen nicht darum herum, sich aktiv mit KI-Technologie auseinanderzusetzen. Frei nach Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel, kommt es gerade bei Sprachmodellen und KI-Tools in Lernprozessen darauf an, selbst aktiv zu werden und diese auszuprobieren. Gleichwohl macht es einen Unterschied, ob Lehrkräfte mit dieser Aufgabe allein gelassen werden oder ob ihnen schulart- und fächerspezifische Fortbildungen angeboten werden. Eine Mischung aus Online- und Präsenzangeboten, synchronen und asynchronen sowie lokalen, regionalen und überregionalen Veranstaltungen erleichtert einerseits den Einstieg in das neue Themengebiet. Andererseits ergibt es Sinn, KI als Schulentwicklungsthema an der einzelnen Schule zu bearbeiten, sich gezielt und auch gegenseitig fortzubilden bzw. gemeinsam Tools auszuprobieren und sich darüber auszutauschen. Das macht nicht nur mehr Spaß, sondern ist auch wirksamer, weil der Transfer auf die eigene Arbeit vor Ort mitgedacht wird bzw. Teil der Fortbildung ist. Wenn es dann noch gelingt, an anderer Stelle zu entlasten (z.B. durch Bürokratieabbau, eine systematische De-Implementierungsstrategie oder den Verzicht auf andere Veranstaltungen an der eigenen Schule), können Lehrkräfte motiviert werden, die neuen Herausforderungen anzunehmen. Dass die viel zitierten Entlastungseffekte durch KI eintreten können, lässt sich mittlerweile auch empirisch belegen. So zeigte die Studie „Generative Künstliche Intelligenz in Unterricht und Unterrichtsforschung – Chancen und Herausforderungen“ (Neumann et al. 2024) deutliche Potenziale beim Erstellen von Lernplänen, Lernmaterialien und Aufgaben.

2. Das Kompetenzparadoxon

Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler benötigen ein hohes Maß an Kompetenzen (sprachliche Fähigkeiten, Prompting, kritisches Denken etc.), um KI-Systeme sinnvoll und zielführend einsetzen zu können. Gleichzeitig entwickeln sich verschiedene Fähigkeiten erst dann, wenn die entsprechenden Systeme aktiv genutzt und Routinen entwickelt werden. Ein Nacheinander ist angesichts der Vielschichtigkeit von KI-Kompetenzen nur schwer vorstellbar.

Mögliche Lösungsansätze: Für Lehrende und Lernende stellt sich die Herausforderung gleichermaßen. Sie lässt sich durch Räume des gemeinsamen und (möglichst) geschützten Ausprobierens und durch die gemeinsame Reflexion der gemachten Erfahrungen, idealerweise durch die Rückkopplung an vereinbarte Kriterien, bewältigen. Im Schulkontext können Lehrkräfte zudem gezielt Fortbildungen zum Ausprobieren nutzen. Damit Schülerinnen und Schüler Zeit für begleitetes Experimentieren haben, kann KI sowohl als Lerngegenstand als auch als Werkzeug in den Unterricht eingebracht werden. Mit Neugier und einer offenen Haltung, in der sich auch Lehrkräfte als Lernende begreifen, kann der Unterricht so zu einer Art Experimentierfeld werden, um gemeinsam die Kompetenzen aufzubauen, die (unter anderem) für das Leben in einer von KI geprägten Welt notwendig sind. Welche das im Detail sind, wird von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren sowie Initiativen mit verschiedenen Modellen dargestellt (vgl. Next Education 2023, Lorenz 2023, UNESCO 2024). Was sie eint, ist ein vielschichtiger Blick auf neuartige KI-Kompetenzen.

3. Das Toolparadoxon

Lehrkräfte wissen, dass es nicht auf einzelne KI-Werkzeuge ankommt. Entscheidend sind vielmehr der sich wandelnde Bildungsauftrag, Zukunftskompetenzen und das Lernen in einer von KI-geprägten Welt. Gleichzeitig ist der Diskurs überwiegend von einem „Jetzt-kann-KI-Charakter“ geprägt. Wir müssten mehr über das Lernen reden, benötigen aber Werkzeuge, um uns Bildung und Lernen neu zu erschließen.

Mögliche Lösungsansätze: Laut Einschätzungen der Professur "Digitalisierung und Bildung" der Pädagogischen Hochschule Schwyz sollten Lehrkräfte in Bezug auf den Einsatz von KI-Chatbots in der Schule ihren Fokus eher auf Konzeptwissen als auf Versionswissen legen (vgl. Honegger 2023). Um sich dieses Konzeptwissen beizubringen, eignet sich im ersten Schritt das Sichten, Ausprobieren und Reflektieren von Tools. Im nächsten Schritt können Lehrkräfte didaktische und pädagogische Fragen in den Blick nehmen. Entscheidend ist dabei, sich nicht vom Innovationsdruck des technologiegetriebenen KI-Diskurses hetzen zu lassen. Stattdessen lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten, sich auf den schulischen Bildungsauftrag zu besinnen und anhand konkreter Einsatzszenarien zu erproben, wo welche Tools auf welche Weise didaktisch sinnvoll eingesetzt werden können. In Fortbildungen und auch im öffentlichen Diskurs kann es durchaus sinnvoll sein, diese Reflexion einzufordern. Für Schule und Unterricht ist der zweite Schritt letztlich wichtiger als der erste, auch wenn Perspektiven auf das Lernen schwerer zu vermitteln und auch schwerer zu verinnerlichen sind als die Frage nach der Anwendung eines Tools.

4. Das Kooperationsparadoxon

Lehrkräfte wie Schülerinnen und Schüler empfinden die Arbeit mit KI als entlastend, gewinnbringend und sinnvoll für verschiedenste Einsatzgebiete (Vorbereitung, Lernen, Aufgabenbewältigung etc.). Gleichzeitig scheitert die gemeinsame Akzeptanz im Unterricht an vielen Stellen. Misstrauen und Skepsis verhindern, dass Co-Konstruktionsprozesse mit KI als kollektive Arbeitsweise zur Gewohnheit werden. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass Schülerinnen und Schüler die Nutzung von KI verschleiern, um sich nicht dem Vorwurf des Betrügens auszusetzen. Auf individueller Ebene findet Kooperation statt, aber letztlich bleibt jeder in seiner eigenen Sphäre gefangen.

Mögliche Lösungsansätze: Eine vertrauensvolle und offene Lernkultur mit KI kann nur entstehen, wenn KI-Tools als Werkzeuge für Lernprozesse zugelassen werden. Dies erfordert Anleitung, Regeln, eine systematische Einführung und eine regelmäßige Reflexion der Arbeits- und Lernprozesse – idealerweise in Verbindung mit weiterführenden Aufgabenstellungen. Dabei sollen sowohl die Zukunftskompetenzen als auch der sinnvolle Umgang mit KI-Tools selbst in den Blick genommen werden. Grundlage dafür sind Vertrauen und eine offene Haltung, die das gemeinsame Lernen in einer sich verändernden Welt in den Fokus rückt. Dass sich Lernende dies mehrheitlich wünschen und dabei durchaus einen kritischen und differenzierten Blick auf das Thema KI haben, zeigt auch ein Blick in die Studie „Pioniere des Wandels“ der Vodafone Stiftung (2024).

5. Das Motivationsparadoxon

KI-Systeme können die Motivation von Schülerinnen und Schülern steigern, indem sie personalisierte Unterstützung, sofortiges und individuelles Feedback und flexible Lernumgebungen bieten. Gleichzeitig kann der Einsatz von KI zu einem Rückgang der Eigeninitiative (engl. Skill Skipping), möglicherweise sogar zu einem Kompetenzabbau (engl. Deskilling) und/oder einem Gefühl der Abhängigkeit von der Technologie führen. Während KI das Lernen erleichtert, kann die intrinsische Motivation, sich Herausforderungen eigenständig zu stellen, geschwächt werden.

Mögliche Lösungsansätze: Lehrkräfte stehen vor der Herausforderung, dem Alter der Lernenden entsprechende Aufgaben unter Einbeziehung von KI zu entwickeln und zu erproben. KI-Werkzeuge können zur Bearbeitung der Aufgaben teilweise oder vollumfänglich eingesetzt werden – je nach didaktischer Zielsetzung und Thema. So lernen Schülerinnen und Schüler, wann und bei welchen Teilschritten sie KI-Systeme sinnvoll einsetzen können. Vermieden werden sollte jedoch, dass die Lernenden bei der Verwendung von KI allein gelassen werden und/oder solche Tools unsystematisch und ohne begleitende Reflexion eingeführt werden. Wie auch in anderen Lernfeldern kommt es darauf an, das eigene Lernen, die Motivation und die Fähigkeit zur Selbstregulation in den Blick zu nehmen. Ohne Frage wird es weiterhin Arbeitsschritte geben, in denen KI-Systeme nicht verwendet werden. Durch das Begründen, Erklären und gemeinsame Reflektieren der Nutzung von KI können Schülerinnen und Schüler die Prozesse des eigenen Kompetenzaufbaus besser verstehen. Ein derart angeleiteter Einsatz von KI kann auch einer möglichen Entfremdung entgegenwirken, die entstehen kann, wenn junge Menschen sich von der Schule abwenden, weil das institutionelle Lernen weder nachvollziehbar erklärt wird noch zu ihrer Lebenswelt und ihren eigenen Bedürfnisse und Zielen passt.

6. Das Gerechtigkeitsparadoxon

KI-Systeme bieten Chancen für mehr Bildungsgerechtigkeit, da sie weitgehend kostenlos und unabhängig vom Elternhaus zur Verfügung stehen, um Lernende individuell zu fördern. Gleichzeitig profitieren hauptsächlich diejenigen von KI, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen und die Systeme – dank entsprechender Kompetenzen – für sich zu nutzen wissen. KI wirkt dabei als ein weiterer Verstärker von Ungleichheiten. So kann der Einsatz von KI dazu führen, dass die einen mit zahlreichen individuellen Entfaltungsmöglichkeiten davonziehen, während die anderen noch weiter abgehängt werden.

Mögliche Lösungsansätze: Ungerechtigkeitseffekte lassen sich in der Schule nur schwer vermeiden oder vollständig kompensieren. Bildungseinrichtungen können jedoch eine Menge tun, um Effekte von KI, die Ungerechtigkeit verstärken, zumindest abzuschwächen. Dazu gehört das kostenlose Bereitstellen entsprechender (datenschutzkonformer) Tools für alle Lernenden. Eine solche Bereitstellung von Tools kann auch als Brücke fungieren, damit alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bekommen, durch adaptive Lernsysteme und KI-Feedback beim Lernen bestmöglich und individuell unterstützt werden. Gelingt die Einführung solcher Systeme nicht, droht laut Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, eine Verschärfung des sogenannten „Digital Divide“ (dt. Digitale Kluft). Sie unterstreicht, dass Schulen proaktiv handeln und KI-basierte Lehr- und Lernprozesse aktiv integrieren und weiterentwickeln sollten, um die KI-Kompetenz aller Schülerinnen und Schüler zu fördern und Chancengleichheit zu gewährleisten (vgl. Dies. 2023). Neben der finanziellen Unterstützung der Schulen sind hier auch staatliche Maßnahmen zur Entwicklung länderübergreifender Systeme erforderlich.

7. Das Geschwindigkeitsparadoxon

Betrachtet man das Tempo der KI-Innovationen, müsste sich das Bildungssystem in kürzester Zeit und kontinuierlich auf verschiedenen Ebenen an die neuen Gegebenheiten anpassen. Gleichzeitig vergehen bei Anpassungsprozessen in der Institution Schule Jahre und mitunter auch Jahrzehnte, bis Infrastruktur und Know-how aufgebaut werden. Diese Zeit steht jedoch nicht zur Verfügung, sodass Bildungseinrichtungen mit veralteten Systemen und überholten Konzepten arbeiten müssen, obwohl neue und fortschrittlichere Technologien verfügbar wären.

Mögliche Lösungsansätze: Bildungseinrichtungen und ihre Akteurinnen und Akteure können derzeit mit dem Innovationstempo von KI kaum Schritt halten. Mit Blick auf das Versionswissen über verschiedene Tools, die Dynamik der Innovationswellen und die sich gegenseitig verstärkenden Effekte durch immer mehr Anbieter, Neben- und Folgeprodukte sowie neue Sparten, die von KI durchdrungen werden, kann das aber auch nicht der Anspruch sein. Neben der Fokussierung auf den KI-bezogenen Bildungsauftrag (Lernen über, mit, durch, trotz und ohne KI, vgl. Falck 2023) könnte es eine gewinnbringende Strategie sein, dass sich Schulen auf pädagogische Ziele konzentrieren. Die dafür notwendige Agilität drückt sich nicht in der Fähigkeit aus, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten, sondern in der qualitativen pädagogischen Interpretation der neuen Möglichkeiten und ihrer Anpassung für den Schulalltag. Dies kann nur gelingen, wenn auf allen Ebenen des Bildungssystems den KI-Entwicklungen agil begegnet und ein interdisziplinärer Austausch als notwendige Ressource verstanden wird. Offenheit und stetige Weiterbildung sind dafür ebenso Voraussetzung wie das Bereitstellen von finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen. Ein gelungenes Beispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Bündelung von Kompetenzen stellt die Arbeit des „Virtuellen Kompetenzzentrums: Künstliche Intelligenz und wissenschaftliches Arbeiten“ (VK:KIWA) unter der Leitung von Doris Weßels dar.

8. Das Administrationsparadoxon

Die Ebenen der Bildungsadministration erkennen die Notwendigkeit, dass Schulen auf die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz reagieren müssen. Gleichzeitig gelingt es nicht, die Schulen ausreichend mit der notwendigen Infrastruktur, mit datenschutzkonformen Zugängen zu KI-Tools und/oder Anpassungen im Prüfungsrecht auszustatten. Die geringe Dynamik in Verwaltungsstrukturen steht dem Einsatz von KI entgegen, obwohl genau dieser gefordert wird.

Mögliche Lösungsansätze: Die Ebenen der Bildungsverwaltung sind ebenso wie die Schulen selbst lernende Systeme. Für sie ist nicht nur das Tempo technologischer Entwicklungen eine Herausforderung, sondern auch der daraus resultierende Handlungsdruck. Die vielschichtigen Prozesse benötigen daher schlicht Zeit. Gleichwohl werden unter dem ständigen Druck, auf neue Entwicklungen reagieren zu müssen, die Stellen sichtbar, an denen das deutsche, föderal organisierte Bildungssystem nur suboptimal agiert und agieren kann. Das zeigt sich etwa in der in meinen Augen verbesserungswürdigen Abstimmung zwischen den Ländern bei der Veröffentlichung von Leitfäden und Handlungsempfehlungen, in den unterschiedlich gelenkten Investitionen, Fördermitteln (und Investitionsvolumina), in den unterschiedlichen Datenschutzrichtlinien, in den verschiedenen (staatlich bereitgestellten) LLM-Chatbots, in neuen Pilotversuchen und zahlreichen Projekten, deren Synergieeffekte unzureichend genutzt werden. Hier könnten Ressourcen zielgerichteter gebündelt und so mehr Klarheit geschaffen werden. Angesichts der Wucht der Disruption durch KI bräuchte die zu bewältigende Aufgabe mehr übergeordnete Koordination, z.B. durch einen nationalen Bildungsgipfel, mehr Steuerung durch die Bundesregierung und einen erweiterten Kompetenzbereich der Kultusministerkonferenz (KMK) als oberstes Bildungsgremium. Das gilt letztlich nicht nur für den Bereich KI, sondern auch für die anderen gravierenden Probleme des deutschen Bildungssystems (eine bedenkliche Entwicklung der PISA-Ergebnisse, gravierende Mängel bei der Lesekompetenz von Viertklässlern, jährlich Tausende Jugendliche ohne Schulabschluss bei gleichzeitigem Fachkräftemangel, massiver Lehrkräftemangel, der Investitionsstau im Bereich der Schulgebäudesanierung etc.).

9. Das Erkenntnisparadoxon

Verständlicherweise wünschen sich viele Beteiligte valide Forschungsergebnisse, die zeigen, welcher Einsatz von KI in welcher Weise wirksam ist. Gleichzeitig lassen sich diese Erkenntnisse nur rückwirkend durch die Untersuchung einer bereits veränderten Praxis generieren. Um neue Evidenzen zu gewinnen, sind wir gezwungen, neue Felder des Lehrens und Lernens ohne forschungsgeleitete Orientierung auszuprobieren und zu erkunden.

Mögliche Lösungsansätze: Einerseits liegen bereits zahlreiche Forschungsergebnisse zu den Wirkungen von KI in Schule und Unterricht von deutschen und internationalen Universitäten, Arbeits- und Autorengruppen sowie verschiedenen Stiftungen vor. Ebenso unübersichtlich wie die zahlreichen KI-Tools sind jedoch auch die Publikationen aus der Lehr- und Lernforschung. Für Lehrkräfte und einzelne Schulen ist es aufgrund fehlender Kapazitäten nicht oder kaum möglich, die relevanten Ergebnisse zu sichten, zu filtern und in die Praxis zu übertragen. Hier bräuchte es mehr Ressourcen im Bereich des Wissenschaft-Praxis-Transfers, z.B. durch staatliche Stellen oder entsprechend eingerichtete Abteilungen. Ein gelungenes Beispiel ist das „Clearing House Unterricht“ der TU München, eine Transferstelle zwischen empirischer Bildungsforschung und Schulpraxis, die bereits Forschungsergebnisse zu Chatbots im Unterricht zusammengefasst hat (Arvaneh 2024). Andererseits können Schulen ihre Unsicherheiten angehen, indem sie ihren Unterricht selbst zum Experimentierfeld machen, Erfahrungen sammeln und das entsprechende Vorgehen in einem gemeinsamen und transparenten Prozess reflektieren. Die Evaluation kann aber nur gelingen, wenn die Perspektive der Lernenden selbst und der gesamten Schulfamilie in den Blick genommen wird. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, kleinere lokale, regionale und größere überregionale Schul- und Pilotversuche in die Wege zu leiten und diese wissenschaftlich zu begleiten.

Fazit

Alle beschriebenen Aspekte sind komplex und multikausal. Gleichzeitig stellen sie einen Aufruf zum Handeln dar: Auf allen Ebenen des Bildungssystems ist Bewegung gefragt, um Antworten auf die KI-bezogenen Entwicklungen zu finden. Die Analyse der Paradoxien und die Skizzierung der zahlreichen Handlungsmöglichkeiten können helfen, ein tieferes Verständnis für die aktuellen Herausforderungen in der Bildungslandschaft zu entwickeln und im besten Fall dazu beitragen, die Widersprüche aufzulösen.

Der Beitrag ist eine erweiterte Version des Blog-Artikels „KI-Paradoxien – Widersprüche im Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Schule“ von Joscha Falck. Der ursprüngliche Text kann hier nachgelesen werden: Externer Link: https://joschafalck.de/ki-paradoxien/

Weitere Inhalte

Joscha Falck ist Mittelschullehrer und Schulentwicklungsmoderator in Mittelfranken. Darüber hinaus ist er als Fortbildner, Referent, Blogger und Autor tätig. Im März 2024 ist sein zweites Buch zum Thema Künstliche Intelligenz in Schule und Unterricht erschienen.