Skandinavien galt bisher in Deutschland als eine der Regionen, die dem digitalen Wandel nicht skeptisch oder gar abwehrend gegenübertrat, sondern ihn vielmehr umarmt hat. Doch nun mehren sich die Reportagen über eine Rolle rückwärts in Dänemark und Schweden. Der Tenor lautet: Es ist zu viel; wir haben übertrieben. Grund genug, einmal genauer hinzuschauen, welche Gründe für den partiellen Kurswechsel bei der Digitalisierung der Schule angeführt werden.
Die Ausgangslage
Unterricht ist in Schweden und Dänemark weitgehend digitalisiert. Dies bedeutet, dass in nahezu allen Landesteilen ein gutes Internet zur Verfügung steht, Klassenräume mit Smartboards und Schülerinnen und Schüler wie Lehrkräfte mit Notebooks ausgestattet sind. Über Lernplattformen wird der gesamte Unterricht gestaltet. Von der Planung, über die Durchführung bis zur Evaluation und Testung kann also digital unterrichtet werden. Externer Link: Dänemark hat zu diesem Zweck auch in die Programmierung von Lehrmitteln investiert. Darüber hinaus haben beide Länder das Digitale in allen Fächern zum Thema gemacht; sei es im Sinne des Einsatzes von digitalen Werkzeugen, in Bezug auf das Erlernen von Programmierkenntnissen oder auch in der kritischen Reflexion gesellschaftlicher und politischer Auswirkungen der Digitalisierung. Werden Lernplattformen im Unterricht eingesetzt, dann können Lehrkräfte darüber bspw. verfolgen, welche Aufgaben einzelnen Schülerinnen und Schülern schwerfallen und wo sie Hilfe oder weiterführende Aufgaben benötigen. Schulbücher, Stifte und Papier wurden so weitgehend für die Schule obsolet.
Doch diese "Digitalisierungseuphorie" im Schulbereich wurde nun in beiden Ländern durch verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen gebremst.
In Dänemark wiederum hatten die Ergebnisse der PISA-Erhebung 2022 zu einem Umdenken in der Bildungspolitik geführt. Demnach gaben 72 Prozent der dänischen Schülerinnen und Schüler an, in fast jeder Unterrichtsstunde digitale Instrumente zu nutzen, während dies in den anderen 81 OCED-Ländern nur 16 Prozent angaben.
Welche Argumente werden gegen die Digitalisierung an Schulen in Schweden und Dänemark angeführt?
Das Karolinska-Institut stützt sich in seiner Stellungnahme auf verschiedene Studienergebnisse. Das zentrale Argument ist eine Kritik an der vorherrschenden Art und Weise, digitale Geräte im Unterricht einzusetzen. Die Autorinnen und Autoren heben hervor, dass an schwedischen Schulen nicht mit digitalen Lernmitteln unterrichtet und gelernt werde, die eigens für den Unterricht entwickelt wurden, sondern das Internet als Ressource im weitesten Sinne genutzt würde – ohne Leitlinien für Schulen. Dies führe zum einen dazu, dass die Schülerinnen und Schüler dazu angehalten werden, nach Antworten auf Fragen zu suchen, um ihre je eigene Position oder Meinung zu untermauern. Als Nebeneffekt stelle sich so die Vorstellung ein, dass Faktenwissen etwas Relatives sei. Zum anderen sei dieses als "selbsterforschendes Lernen" charakterisierte didaktische Modell mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden, der tendenziell zu einem oberflächlichen statt zu einem vertieften Lesen und Aufnehmen der Informationen führe. Medizinisch-psychologisch argumentiert das Karolinska-Institut, dass viele, insbesondere jüngere Schulkinder kognitiv noch nicht in der Lage seien, sich Wissen selbstständig anzueignen.
Neben dieser Kernkritik werden weitere Aspekte angeführt, wie bspw. das Ablenkungspotenzial des Internets, die Externer Link: WHO-Richtlinie zur Bildschirmnutzung von Heranwachsenden sowie die Hemmung von Interaktionen und sprachlicher Entwicklung.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
Als Gegenmaßnahme wird dafür plädiert, den schwedischen Unterricht wieder auf den Wissenserwerb über gedruckte Schulbücher und das Fachwissen der Lehrkräfte auszurichten, ohne allerdings anzugeben, ob dies für alle Klassenstufen gelten sollte.
In Dänemark fokussiert man sich dagegen vor allem auf die Entwicklung von Leitlinien für den digitalen Unterricht. Als Konsequenz aus den PISA-Ergebnissen veröffentlichte die dänische Agentur für Bildung und Qualität 2024 zwölf Empfehlungen für Grundschulen.
Vermittlung wieder in den Mittelpunkt stellen
Betrachtet man die Medienberichterstattung zur vermeintlichen Rolle rückwärts in Sachen Digitalisierung an Schulen in Schweden und Dänemark, so fällt auf, dass es noch zu wenig Wissen darüber zu geben scheint, welche Vor- und Nachteile analoge wie digitale Instrumente für das Unterrichten und Lernen von Heranwachsenden haben. So finden sich in den Externer Link: Medienbeiträgen Aussagen von Lehrerinnen, dass die Lesegeschwindigkeit ihrer Schüler zurückgegangen sei oder von Schülerinnen, dass sie weniger lesen würden und sich stattdessen vom Computer mehr vorlesen ließen.
Konkrete Untersuchungen dazu fehlen allerdings noch. Und auch das Karolinska-Institut weist auf fehlende Studien hin und drängt darauf, wissenschaftlich geprüfte digitale Lernmittel zu entwickeln. In diese Richtung scheint sich auch Deutschland zu positionieren. So hob die Ständige Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz in ihren Externer Link: Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel von 2023 hervor, dass bspw. "bei Selbstlernzeiten evidenzbasierte, qualitätsgeprüfte, kognitiv aktivierende digitale Aufgabenformate und Materialen zur Verfügung" gestellt werden sollten (SWK 2023, S. 23), die bislang kaum oder gar nicht vorliegen.
Viel wichtiger als die Diskussion um das Für und Wider digitaler Geräte im Unterricht ist jedoch die Frage, wie und durch welche Aufgaben Schülerinnen und Schüler mit den Themenbereichen des Unterrichts verwickelt werden und wie ihnen pädagogisch-didaktisch die Aneignung von Wissen und das Verstehen von Zusammenhängen gelingen kann. Im Zentrum steht dann wieder das, was durch die Lehrkraft vermittelt werden soll. Lehrkräfte sollten dazu möglichst alle Register an verfügbaren Geräten, Materialien und didaktischen Settings nutzen und sich nicht auf einen alleinigen Zugang – sei der nun digital oder analog – begrenzen. Um aber die bereits existierenden digitalen Lernmittel einschätzen zu können, bedarf es der didaktischen Prüfung.