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„Schau nicht weg und gewöhne dich nicht daran!“ Handlungsempfehlungen für den Umgang mit menschenfeindlichen Parolen im digitalen Raum

Anja Besand

/ 5 Minuten zu lesen

Ein Hakenkreuz auf dem Schulhof wird sanktioniert, im Netz gehen verfassungswidrige Symbole schnell unter. Wie können Lehrende auf Menschenfeindlichkeit im digitalen Raum reagieren und ihre Schüler und Schülerinnen dafür sensibilisieren? Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung, nennt im Gastbeitrag sechs Stolpersteine, die es aus ihrer Sicht zu vermeiden gilt.

Mit menschenfeindlichen Parolen, Bildern oder Zeichen umzugehen, ist nie leicht. Die Herausforderung beginnt schon damit, diese zu identifizieren. Ab wann ist eine migrationskritische Äußerung menschenfeindlich? Wie gehen wir als Lehrkräfte, Multiplikator_innen im Kontext von politischer Bildung mit Zuschreibungen und Stereotypen in Memes oder Karikaturen um?

Im digitalen Raum wird die Sache nicht leichter. Oft tauchen hier diskriminierende Äußerungen, Symbole oder Bilder ohne jeglichen Kontext auf und werden nicht gemeldet , weil die übrigen beteiligten Personen und Mitlesenden sich nicht angesprochen oder zuständig fühlen. Oft wird in diesem Zusammenhang vergessen, dass rassistische, antisemitische, sexistische oder allgemein menschenverachtende Äußerungen im digitalen Raum dann unwidersprochen stehen bleiben. Der Historiker Timothy Snyder hat in seinem Buch „Über Tyrannei – zwanzig Lektionen für den Widerstand“ anschaulich beschrieben, welche Wirkung es hat, wenn Hasskommunikation – auch in symbolischer Form – unwidersprochen bleibt. Er rät: „Übernimm Verantwortung für das Antlitz der Welt. Die Symbole von heute ermöglichen die Realität von morgen. Achte auf die Hakenkreuze und die anderen Zeichen des Hasses. Schau nicht weg und gewöhn dich nicht daran. Entferne sie selbst und setze damit ein Beispiel für andere.“ (Snyder 2017, S. 31) Das gilt im Besonderen für Menschen, die in der schulischen oder außerschulischen politischen Bildung tätig sind – auch wenn es nicht immer leicht ist.

In einer gemeinsamen Publikation zum Umgang mit menschenfeindlichen und revisionistischen Zwischenfällen im Bildungsraum Schule (vgl. Behrens/Besand/Breuer 2021) haben zwei Kollegen und ich Handlungsweisen identifiziert, die im pädagogischen Umgang mit Menschenfeindlichkeit vermieden werden sollten. Diese beziehen sich allerdings auf Situationen, in denen reale Begegnungen möglich sind. Deshalb möchte ich hier einige dieser sogenannten Stolpersteine im Hinblick auf ihre Eignung im digitalen Raum reformulieren. Aus dem ursprünglichen Set von elf Stolpersteinen scheinen mir unter diesem Gesichtspunkt sechs besonders bedeutungsvoll zu sein.

Anja Besands Stolpersteine im Umgang mit Menschenfeindlichkeit in digitalen Umgebungen. (© Anja Besand)

Stolperstein 1: Indifferent bleiben, sich an Normalisierung beteiligen

Es ist leicht, eine menschenfeindliche Äußerung im digitalen Kontext zu übersehen – da ist schließlich eine Menge los. Die Frage, die sich für Aktive im Feld der schulischen wie außerschulischen politischen Bildung auftut, ist oft sogar: Soll und darf ich als Lehrkraft in den Klassen- oder Gruppenchat überhaupt hineinschauen? Ist das nicht ein informeller Raum des Austausches, der ohne pädagogische Aufsicht und Überwachung auskommen soll und muss? Diese Frage ist überaus nachvollziehbar und doch kann es uns nicht egal sein, wenn es im Klassenchat von antisemitischen oder rassistischen Äußerungen nur so wimmelt. Auf dem Schulhof oder nach der Schule im Eiscafé wäre uns das auch nicht egal – sofern wir von solchen Zwischenfällen erfahren. Als oberste Maxime gilt deshalb grundsätzlich: Auf menschenverachtende Aussagen und Verhalten sollte nicht mit Stillschweigen reagiert werden, auch wenn die Situationen herausfordernd sind. Keine Reaktion signalisiert den übrigen beteiligten Personen und Mitlesenden, dass man gewillt ist, antidemokratische Interventionen zu überhören oder sie zu bagatellisieren. Ein regelmäßiger Blick auf die digitalen Kommunikationsplattformen der jungen Menschen, mit denen pädagogisch gearbeitet wird, ist daher wichtig, alleine deshalb, weil im Zusammenhang mit menschenfeindlichen Äußerungen Opfer und Betroffene nicht übersehen werden dürfen.

Stolperstein 2: Opfer/Betroffene übersehen

Die Konjunktur rechtspopulistischer Ideen hat die politische Bildung in den letzten Jahren vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Das Selbstbewusstsein und die emotionale Wucht, mit der bestimmte Bevölkerungsgruppen ihre politische Frustration sichtbar machen, hat nicht nur in der Politik vielfältige neue Formate für Dialog und Bürgergespräche entstehen lassen. Weniger in den Blick geraten in diesem Zusammenhang die Opfer rassistischer, sexistischer, homophober oder menschenverachtender Anfeindungen. Ähnliches gilt für schulische Kontexte. Politische Bildung konzentriert sich stark auf Prävention oder Reaktion und ist damit stark mit Täter_innenperspektiven beschäftigt. Deshalb raten wir dringend dazu, Betroffenenperspektiven bei der Reflexion pädagogischer Strategien immer mit in den Blick zu nehmen .

Stolperstein 3: Vermeintliche Neutralität

In der politischen Bildung existiert mit dem Interner Link: Beutelsbacher Konsens eine tief verankerte und klare Vorstellung davon, inwiefern politische Überwältigung zu vermeiden ist und Kontroversität gewährleistet werden kann. Leider ergeben sich in diesem Zusammenhang aber auch Missverständnisse. In diesem Sinne ist es wichtig zu betonen, dass der Beutelsbacher Konsens nicht mit politischer Neutralität gleichzusetzen ist. Vielmehr ist er im Sinne des Grundgesetzes wertgebunden. Demnach kann und sollte man sich im Bildungskontext auf demokratische Werte wie Pluralismus und Menschenrechte berufen.. Antipluralistische, extremistische, menschenfeindliche (z. B. rassistische) Positionen müssen und dürfen deshalb nicht als gleichberechtigt in Kontroversen behandelt werden.

Stolperstein 4: Legitimationsfalle

Insbesondere in Zeiten, in denen die liberale Demokratie vor Herausforderungen steht, gerät die politische Bildung schnell in die Defensive und versteigt sich in der Legitimation bestehender Strukturen und Verfahren . Lehrkräfte und Multiplikator_innen in der politischen Bildung könnten sich in diesem Sinne und angesichts einer populistisch vorangetriebenen Medien- und Wissenschaftsskepsis genötigt sehen, in Bildungsveranstaltungen die Leistungsfähigkeit des politischen Systems zu betonen, öffentlich-rechtliche Medien zu preisen und ein Hohelied auf die Europäische Union anzustimmen. Legitimation ist aber nicht die Aufgabe politischer Bildung in der Demokratie. Sie sollte deshalb nie im Bestehenden verhaftet bleiben, sondern immer offen sein, sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen (wertgebunden) zu stellen und nach neuen Lösungen zu suchen.

Stolperstein 5: Überreagieren

Handeln ist wichtig. Indifferenz muss vermieden werden . Gleichzeitig ist es auch wichtig, nicht überzureagieren. Provokationen sollten als solche erkannt und herausgestellt werden . Wenn emotionale Herausforderungen auftauchen, Äußerungen oder ein bestimmtes Verhalten vielleicht sogar geplant eingebracht werden, ist es wichtig, Grenzen zu setzen und gleichzeitig eine gewisse professionelle „Coolness“ zu bewahren. Auch ein Einordnen in „Freund-Feind“-Kategorien ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich. In pädagogischen Situationen bleibt es wichtig, wo immer möglich den Kontakt zu Menschen zu halten.

Stolperstein 6: Umfassende Verbote/Offline gehen

In digitalen Umgebungen fallen Hemmschwellen besonders leicht. Wer sich auf X (ehemals Twitter) oder TikTok umschaut, muss gar nicht erst nach antisemitischen oder anderen menschenfeindlichen Äußerungen suchen. Sie sind überall. Deshalb neigen pädagogische Fachkräfte nicht selten dazu, sich von digitalen Kommunikationsplattformen gänzlich abzuwenden und diese auch in pädagogischen Handlungssituationen zu vermeiden, wenn nicht gar zu verbieten. Dabei geht es oft um die Sorge, die Lernenden mit menschenfeindlichen Phänomenen quasi „bekannt zu machen“. Lehrkräfte und Multiplikator_innen der politischen Bildung können jedoch davon ausgehen, dass sich die jungen Menschen, mit denen sie pädagogisch arbeiten, längst auf diesen oder anderen Plattformen bewegen und Menschenfeindlichkeit in zahlreichen Äußerungsformen kennen. Die einzige Frage, die zählt, ist deshalb, ob ihre Zielgruppe in digitalen Kontexten wirklich alleine gelassen werden sollte.

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Prof. Dr. Anja Besand ist seit 2009 Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der Technischen Universität Dresden. Ihre Habilitationsschrift und Promotion hat sie zum Verhältnis ästhetischen und politischen Lernens verfasst.