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„Man muss nur mit offenen Augen durch die Schule gehen.“

Emmanuel Krüss Leonie Meyer

/ 6 Minuten zu lesen

Lehrer Emmanuel Krüss postet als @emulution auf Instagram und TikTok Sketche zu seinem Alltag an der Grundschule und äußert sich regelmäßig politisch. Wie passt das zusammen?

Auf TikTok teilt Emmanuel Krüss mit seinen über 800 Tausend Followern, was ihn im Schulalltag und privat bewegt. (© TikTok @emulution)

werkstatt.bpb.de: Wie bist du dazu gekommen, neben deinem Job als Grundschullehrer TikTok- und Instagram-Creator zu werden?

Emmanuel Krüss: Um ehrlich zu sein, habe ich das nicht geplant – wie viele Menschen, die in dieser Branche tätig sind. Während der Corona-Pandemie habe ich auf TikTok versucht, meine Beiträge immer mehr mit Schule, dem Lehrerdasein und den Dingen, die ich wichtig finde, zu verweben. Da habe ich gemerkt, dass meine Follower es interessant fanden, wenn ich mich antirassistisch positioniert oder etwas Gesellschaftskritisches gesagt habe. Ich mag diese Mischung aus den überdrehten Inhalten, die unterhalten und denen, die zum Nachdenken anregen. Das sind auch die Themen, die mich beschäftigen. Wenn ich mal nicht inspiriert bin, tanke ich den Speicher in meinem Alltag als Lehrer auf. Man muss nur mit offenen Augen durch die Schule gehen und findet viele lustige, erzählenswerte Sachen.

werkstatt.bpb.de: Kannst du dir vorstellen, hauptberuflich als Content Creator zu arbeiten oder schlägt dein Herz für das Lehren?

Emmanuel Krüss: Die Arbeit als Lehrer empfinde ich nicht wirklich als Job. Natürlich ist es sehr harte Arbeit. Die Kinder brauchen viel Aufmerksamkeit, aber sie geben mir auch super viel. Während man als Content Creator Klickzahlen hat, die einem das Ego pushen, kann man als Lehrer die Entwicklungsschritte von Kindern beobachten. Das ist ein Wert, den man gar nicht materialistisch beschreiben kann.

Social Media ist sehr dynamisch. Es gibt Tage oder Monate, in denen du sehr gefragt bist, aber auch Zeiten, in denen Inhalte nicht so viel Reichweite generieren. Ich bin ein sehr sicherheitsbedürftiger Mensch und ich würde es persönlich nehmen, wenn gewisse Inhalte nicht mehr laufen. Diese Unsicherheit würde mir auf Dauer nicht gut tun.

werkstatt.bpb.de: Wen willst du mit deinen Videos erreichen?

Emmanuel Krüss: Da gehe ich eigentlich von meinem eigenen Mitteilungsbedarf aus. Ich mache mir nicht so viele Gedanken, wen das erreicht. Aber es ist so, dass ich auf Instagram eher Menschen in meinem Alter – andere Lehrkräfte oder Eltern – erreiche und auf TikTok etwas jüngere Menschen.

werkstatt.bpb.de: Wie wichtig ist es dir, Videos zu gesellschaftspolitischen Themen zu veröffentlichen?

Emmanuel Krüss: Ich bin der Meinung, wenn ich schon so eine Plattform habe, dann kann ich sie auch für meine Überzeugungen einsetzen. Natürlich muss ich da auch immer aufpassen, weil mit der Reichweite eine Erwartungshaltung der Follower einhergeht, die meine politische Positionierung betrifft. Ich bin ein Mensch mit eigenen Positionen und finde es ermüdend, wenn sich Filterblasen bilden und Menschen nur noch ihre Meinung bestätigt sehen wollen. Bestimmt teilen meine Zielgruppe und ich viele Einstellungen, aber eben nicht alle. Deswegen bin ich auch immer vorsichtig mit dem, was ich sage – zum Beispiel zu aktuellen Konflikten.

werkstatt.bpb.de: Hast du das Gefühl, als Projektionsfläche für bestimmte politische Haltungen zu dienen?

Emmanuel Krüss: Ja, total. Das kann auf verschiedenen Ebenen passieren. Ich soll in meiner Rolle als Lehrer, als Schwarze Person und als Mann bestimmte Meinungen bestärken. Manche Menschen fordern zum Beispiel in Privatnachrichten von mir, dass ich mich zu bestimmten Themen auf eine bestimmte Weise positionieren soll.

werkstatt.bpb.de: Du thematisierst auf deinen Kanälen auch deine eigenen Rassismuserfahrungen und kombinierst das mit einem humoristischen Ansatz. Warum wählst du diesen Ansatz?

Emmanuel Krüss: Mein Coping-Mechanismus ist es, über erlebte Dinge zu lachen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen viel empfänglicher sind, wenn man ihnen einen Grund zum Lachen und gleichzeitig einen Grund zum Nachdenken und Fühlen gibt. Es ist heutzutage leicht, etwas zu sagen, was zwar nicht böse gemeint, aber nicht richtig und verletzend ist. Wenn man darauf hingewiesen wird, fühlt man sich schnell in die Defensive gedrängt. Verpackt man Kritik mit einer coolen Punchline (dt. Pointe), hebelt man diese Abwehrmechanismen schnell aus. Ich versuche nicht mit dem Finger auf andere Menschen zu zeigen.

Gleichzeitig wurde ich in der Vergangenheit dafür kritisiert, dass durch meine lustige Art die Kernbotschaft meiner Posts verloren gehen würde. Außerdem habe ich manchmal einfach nicht die zeitlichen oder emotionalen Ressourcen für witzige Videos und positioniere mich dann eher spitz oder sarkastisch. Und: Man kann auch nur so lange Witze über etwas machen, bis man selbst genervt oder zu stark betroffen ist. Zum Beispiel in Bezug auf die Correctiv-Recherche. Da habe ich mich dann schon gefragt: Wollt ihr wirklich, dass wir [Anm. d. Red.: People of Color aus Deutschland] gehen?

werkstatt.bpb.de: Mit deinen gesellschaftspolitischen Inhalten auf TikTok und Instagram machst du dich auch angreifbar. Welche Reaktionen bekommst du?

Emmanuel Krüss: Es gibt sehr viele Menschen, die mir Mut zusprechen und die meine Videos teilen. Das freut mich, gleichzeitig finde ich es aber auch schade, dass diese Art von Inhalten so viel Reichweite generiert. Ich wäre glücklicher, wenn ich etwas Lustiges machen kann und das genauso viel Unterstützung erhalten würde. Aber es ist eben so, dass sich negative Inhalte auf Social Media schneller verbreiten.

Worüber ich mir Gedanken mache, ist, dass mir als Lehrkraft von der Gesellschaft eine Vorbildfunktion zugeschrieben wird. Je nachdem, wo man arbeitet, muss man dann aufpassen. Ich kenne Kolleg*innen, die auf Social Media aktiv sind, denen es von ihrer Schulleitung untersagt wird, sich öffentlich zu gewissen Themen zu positionieren. Ich mache mir deshalb manchmal Sorgen, dass Menschen, die mir negativ gegenüberstehen, mir wegen Dingen, die ich online sage, die Möglichkeiten nehmen wollen, arbeiten zu gehen oder mein Privatleben zu leben.

werkstatt.bpb.de: Hast du so etwas schon mal erlebt?

Emmanuel Krüss: Im Internet sind viele Menschen mutig – im negativen Sinne. Da habe ich auch schon Nachrichten mit expliziten Gewaltandrohungen erhalten. Ansonsten habe ich sehr viel Glück. An der Schule, an der ich arbeite, gibt es eine tolle Elternschaft. Sicherlich finden nicht alle gut, was ich auf Social Media teile. Aber ich habe das Gefühl, dass die meisten sehr wohlgesonnen sind und meinen Content aus der Distanz zumindest akzeptieren können. Im Kollegium sieht es ähnlich aus. Wir haben so unterschiedliche Erfahrungsschätze und Standpunkte von Lehrkräften, und trotz der Schere zwischen der neuen Lehrkräftegeneration, die ins Schulsystem kommt, und den Veteranen in dem System bleiben wir offen und versuchen einander zu verstehen. Auch von meiner Schulleitung wird mir sehr viel Vertrauen entgegengebracht.

werkstatt.bpb.de: Finden die Themen, die du auf Instagram und TikTok behandelst, auch in deinem Unterricht an der Grundschule statt?

Emmanuel Krüss: Ein Klassenzimmer ist wie ein kleiner Taschenspiegel der Gesellschaft. Man findet Themenfragmente, die in der Gesellschaft gerade heiß diskutiert werden, im Klassenzimmer wieder. Zum Beispiel wenn ein Schulkind eine Palästinaflagge malt. Als Lehrkraft darf ich nach dem Beutelsbacher Konsens meine Position aufzeigen, aber niemanden überwältigen. Wenn solche Fragmente im Unterricht auftauchen, habe ich in den fünf Stunden, die ich eine Klasse in der Woche unterrichte, keine Chance solche Themen umfassend aufzubereiten. Allgemeine Dinge wie Rassismus bespreche ich aber schon.

werkstatt.bpb.de: Erlebst du auch Rassismus im Klassenzimmer? Wie reagierst du darauf?

Emmanuel Krüss: Meine Klassen sind sehr divers, dementsprechend muss ich nicht so viele Schüler*innen mit rassistischen Perspektiven abholen. Es gab aber beispielsweise ein Kind in der vierten Klasse, zu dem ich eigentlich eine gute Verbindung hatte, das rechtspopulistische Parolen verbreitet hat. Das hat mich sehr schockiert und traurig gemacht, weil ich mir dachte: „Ich bin doch dein Lehrer und du siehst doch, was ich mitbringe.“ Das Kind an sich ist natürlich unschuldig, aber es ist die harte Realität, dass solche Aussagen in manchen Elternhäusern etabliert sind. Ich bin dann trotzdem froh, dass ich dieses Kind als Lehrkraft begleiten konnte und es hoffentlich mit einem sensibilisierten Blick die weitere Schulkarriere begeht.

werkstatt.bpb.de: Wie blickst du auf Rassismus im Bildungssystem?

Emmanuel Krüss: Ich beobachte, dass eine Sensibilisierung zunimmt – auf Seite der Schüler*innen, aber auch bei Lehrer*innen. Man merkt, dass die Aufklärungsarbeit Früchte trägt. Auf der anderen Seite gibt es immer noch Alltagsrassismus, wenn Personen im Schulsystem zum Beispiel bestimmte Begrifflichkeiten weiterhin verwenden, wenn es um Lebensmittel wie Schokoküsse geht. Ich denke das wird noch etwas dauern, bis sich das ändert.

werkstatt.bpb.de: Vielen Dank für deine Einblicke.

Das Interview führte Leonie Meyer.

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Emmanuel Krüss unterrichtet als Grundschullehrer die Fächer Deutsch, Englisch, Musik und Theater und ist als Content Creator auf TikTok und Instagram aktiv. Online gibt er auf humorvolle Weise Szenen aus seinem Schulalltag wieder und spricht über gesellschaftspolitische Themen, die ihn beschäftigen.

Leonie Meyer war von 2021-2024 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt auf den Wechselwirkungen von Sozialen Netzwerken und Politik bzw. politisch-historischer Bildung. Leonie Meyer hat einen Hintergrund in der Politikwissenschaft und studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.