werkstatt.bpb.de: Die Auswirkungen von KI-Tools wie ChatGPT werden auch an den Universitäten aktuell kontrovers diskutiert. Welche Debatten gibt es dazu an Ihrer Hochschule?
Anna Faust: Unterschiedliche. Diejenigen, die einen technischeren Background haben, diskutieren vor allem über den Zugang zu Ressourcen und Rechenkapazitäten und wie man überhaupt eine Infrastruktur für Forschende und Studierende schafft. Ansonsten kommen auch rechtliche Fragen auf.
Das ist bei vielen KI-Tools ein Spagat zwischen Datenschutzkonformität und der Aufgabe, die Studierenden für ein zukünftiges Berufsleben mit KI-Kompetenz auszubilden. Und je nach Fachbereich ergibt sich die Frage, wie man diese Kompetenz überhaupt integriert und die Lehrveranstaltungen fachübergreifend koordiniert. Am Hype um ChatGPT sieht man das ganz gut. Da muss man gucken, dass die Studierenden nicht auf einmal fünf Seminare zum Thema ChatGPT vor sich haben.
werkstatt.bpb.de: Welcher Aspekt fehlt Ihnen in der Debatte aktuell noch?
Anna Faust: Für mich ist das Thema Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch beim Aufbau der technischen Infrastruktur wichtig. Das ist ein Punkt, den ich auf einem politischen Level in der Diskussion noch nicht sehe. Und auch zu überlegen: Wo ist KI eigentlich sinnvoll? Darauf sollten wir uns konzentrieren, um nicht einfach Massen an Energie für ein Rechenzentrum, dessen Kühlung, die Berechnung usw. zu vergeuden.
werkstatt.bpb.de: Spielen KI-Tools an Ihrer Hochschule in Bezug auf Prüfungen eine Rolle?
Anna Faust: Ja und nein. Wenn man sich mit Studierenden unterhält, dann ist textgenerierende KI als Tool schon bekannt und wird auch genutzt. Dementsprechend hoch ist auf der anderen Seite die Sorge bei Lehrenden, dass Prüfungsformate geändert werden müssen. Wir haben allerdings festgestellt, dass die meisten Prüfungsformate nach wie vor in Präsenz mit Papier oder mündlich stattfinden – darauf hat KI natürlich nicht so einen großen Einfluss.
werkstatt.bpb.de: Wo zeigen KI-Tools denn eine Wirkung?
Anna Faust: Wenn man an Hausarbeiten denkt, ist das ein Thema. Da diskutieren wir, ob man ein komplett anderes Prüfungsformat wählen muss. Wir regen die Lehrenden an zu überprüfen, welche Kompetenzen sie ihren Studierenden vermitteln möchten und wie sie die am besten abprüfen können.
werkstatt.bpb.de: Sie nutzen die aktuelle Diskussion also auch als Chance, um Prüfungsformate nochmal neu zu denken.
Anna Faust: Dass die Hausarbeit eine oft gewählte Prüfungsform ist, heißt nicht, dass sie auch immer geeignet ist. Aber was ist die Alternative? Natürlich kann ich 200 Studierende nicht auf einmal mündlich abprüfen. Das ist kapazitätsmäßig nicht möglich. Welche Lösung dann praktikabel ist, muss individuell von Kurs zu Kurs entschieden werden.
Man kann durch den Einsatz von KI-Tools aber auch die Lernziele erweitern. Zum Beispiel hinsichtlich einer neuen Tool-Kompetenz – das kann auch das Ziel einer Prüfung sein. Dann bleibt die Hausarbeit bestehen. Lehrende müssen sich überlegen, wie ihre Studierenden die Verwendung von KI kenntlich machen sollen und ob sie sich zusätzlich eine Reflexion zum Einsatz der Tools wünschen. Externer Link: Doris Weßels hat beispielsweise den Vorschlag gemacht, dass angegeben werden sollte, wenn und warum Chat GPT eingesetzt wird und warum an anderen Stellen nicht.
werkstatt.bpb.de: Wie sieht es abseits von textgenerierenden KI-Tools aus? Ist das auch ein Thema?
Anna Faust: Wir denken auch in andere Richtungen. Zum Beispiel in den Studiengängen, die eher technisch versiert sind oder in denen programmiert wird.
Ein großer Schwerpunkt ist dabei, Studierenden im Lernprozess schnell und qualitativ hochwertiges Feedback zu geben, damit deren Lernkurve schneller steigt. Wir haben uns entschieden, mit einem JupyterHub zu arbeiten, einem browserbasierten Open-Source-Tool, das das Erstellen und Freigeben von Dokumenten ermöglicht, die Live-Code, Visualisierungen und Text enthalten. So wird es möglich, an Stelle von Hausarbeiten sogenannte Computational Essays als Prüfungsformat zu nutzen, also eine Art Hausarbeit, welche auch ausführbaren Code enthält. Mit Hilfe von Autograding-Tools
werkstatt.bpb.de: Was ist Ihre Vision: Wie werden KI-Tools die Prüfungskultur langfristig verändern?
Anna Faust: Vision ist ein gutes Schlagwort. Es ist tatsächlich eine Vision: Ich erhoffe mir, dass die Hausarbeit als Prüfungsformat bestehen bleibt, weil das Schreiben als Übung mehr Ziele hat als nur eine Form wissenschaftlichen Schreibens einzuhalten. Das hat mit dem Denkprozess selbst zu tun: KI-Technologie macht alles schneller. Etwas selbst zu schreiben ist demgegenüber eine gute Bremse für das Gehirn, die uns zwingt, mehr mitzudenken und nicht nur zu steuern und auszuführen. Den Unterschied können Studierende in Schreibwerkstätten erfahren, die sowohl text-generierende KI als auch KI-freies Schreiben thematisieren.
Abseits von den Prüfungen sehe ich auch, dass die Digitalität der Hochschule an vielen Stellen deutlich verbessert werden muss. Ich glaube, dass KI dabei helfen kann, eine Hochschule zu kreieren, die ganz vielen verschiedenen Gruppen einen Bildungsweg aufzeigen kann. Neben dem Externer Link: AI-SKILLS Projekt, in dem ich tätig bin, gibt es an der HU Berlin zum Beispiel das Externer Link: IMPACT- Projekt, das sich mit Learning Analytics und individueller Lernpfadgestaltung und Feedback beschäftigt. Da ist das Ziel, als Universität alle Studierenden zu qualifizieren und ihnen optimale Wege aufzuzeigen, je nachdem, wie ihre Präferenzen oder Lebensbedingungen sind.
werkstatt.bpb.de: Welche Risiken sehen Sie in Bezug auf die Prüfungsformen?
Anna Faust: Ich glaube, dass das größte Risiko ist, die Diskussion um die Prüfungen zu täuschungsorientiert zu führen und dabei zu vergessen, dass Studierende an die Universität kommen, um etwas zu lernen und dafür auch eine Motivation haben. Es wird immer Leute geben, die versuchen zu schummeln. Die werden auch immer einen Weg finden. Ich glaube daher, das bestmögliche Eingehen auf die Lernmotivation sollte im Mittelpunkt stehen.
Und allgemein sollte man den Einsatz von ChatGPT nicht als Täuschungsversuch, sondern als Tool betrachten. Schließlich muss man als Anwenderin oder Anwender die Ergebnisse überprüfen, ein Konzept erdenken und das Tool richtig lenken – durch Prompting oder passenden Input. Es werden also auch bestimmte Fertigkeiten trainiert.
werkstatt.bpb.de: Gibt es einen Bereich, über den Sie sich Sorgen hinsichtlich des Einsatzes der KI-Tools machen?
Anna Faust: Ja, in Bezug auf die Kapazitäten der Lehrenden. Für mich ist es deutlich geworden, dass die Leute wirklich Interesse an dem Thema haben – egal aus welchem Fachbereich. Aber ihnen fehlen oft die zeitlichen Ressourcen. Die sind Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet und mit Forschung und Lehre schon gut ausgelastet. Jetzt kommt diese riesige Welle an KI-Tools und neuen Anforderungen auf sie zu. Wann sollen die sich mit so vielen Tools, ihren Grundlagen und Voraussetzungen beschäftigen?
werkstatt.bpb.de: Wie können Lehrende und Lernende an den Hochschulen unter diesen schwierigen Voraussetzungen dennoch im Umgang mit KI bestärkt werden?
Anna Faust: Wir können natürlich nicht verlangen, dass alle mitmachen. Trotzdem sollte auch Hochschulehrenden eine grundlegende KI-Kompetenz vermittelt werden. Es gibt durch den Externer Link: DigComp der EU auch die Vorgabe, dass mündige Bürgerinnen und Bürger entstehen sollen – und der Bereich der KI wird darin ausdrücklich erwähnt. Wir müssen diese Aufgabe also irgendwie bewältigen.
Wie bekommt man also eine Rechtssicherheit hin, dass das in Kursen angeboten werden kann, ohne dass sich Lehrende etwa mit Blick auf die Datenschutzgrundverordnung fragen müssen: „Darf ich das oder darf ich das nicht?“ Momentan hängen sie fest an der Anforderung: „Ich soll was vermitteln, aber darf es nicht auf die Art und Weise, die am einfachsten wäre.“ Da wären europäische Alternativen wünschenswert, die auf einem ähnlichen Niveau sind wie ChatGPT und bei denen zusätzlich die Datensicherheit sichergestellt ist.
werkstatt.bpb.de: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Leonie Meyer.