Wie hat sich das digitale Lehr- und Lernkonzept ihrer Schule in den letzten Jahren gewandelt?
Patrick Bronner: Die Entwicklung des siebenstufigen Medienkonzeptes wurde im Jahr 2015 mit Endgeräten begonnen, die alle Lehrerkräfte und Schülerinnen und Schüler in ihren Schultaschen haben: Smartphones. Zunächst waren wir von den vielen neuen digitalen Möglichkeiten des Smartphone-Einsatzes im Unterricht sehr angetan. Vor diesem Hintergrund wurden im Jahr 2016 alle Klassenzimmer mit einer einfachen Medientechnik für Bring-Your-Own-Device (BYOD)
In sieben Schritten zum Tablet-Medienkonzept für das zeit- und ortsunabhängige Lernen:
Schritt 1: Schülerprojekt Smartphone (Mai 2015)
Ausstellung: Smartphones im Unterricht? Schülerinnen und Schüler zeigen was möglich ist!
Schritt 2: BYOD Smartphone Schulversuch (Schuljahr 2015/16)
Erprobung des Smartphone-Einsatzes im regulären Unterricht nach BYOD.
Schritt 3: BYOD Medienausstattung der Klassenzimmer (November 2016)
BYOD Medienausstattung aller Räume mit Beamer, Streaming-Box & WLAN-Gerät.
Schritt 4: Lehrer-Tablets (September 2017)
Hochwertige Lehrer-Tablets (iPad Pro) mit Stift & Tastatur für alle Kolleginnen und Kollegen.
Schritt 5: Schüler-Tablets (seit Januar 2018)
Sukzessive 1:1 Ausstattung der Klassenstufen 8 bis 10 ohne Elternfinanzierung.
Schritt 6: Vereinheitlichung der drei Betriebssysteme (Januar 2019)
Vereinheitlichung aller Endgeräte und der Computerausstattung auf ein Betriebssystem.
Schritt 7: Etablierung von neu gestalteten Lernräumen (geplant: 2021)
Räume zur Förderung von Kommunikation, Kollaboration & Eigenständigkeit.
Die Vorbehalte der Lehrerinnen und Lehrer bei der Nutzung ihrer privaten Smartphones sprachen Sie bereits an. Was sind weitere Gründe dafür, dass das Friedrich-Gymnasium Freiburg das BYOD-Modell mittlerweile ablehnt?
Patrick Bronner: Der Einsatz von privaten Smartphones führte im Unterrichtsalltag zu zahlreichen Problemen: Zwei Betriebssysteme, unterschiedliche Sensor-Ausstattungen der Endgeräte, fehlender Speicherplatz, Mobilfunkverbindung ohne Internetschutzfilter, Weigerung der Eltern, Apps mit GPS-Berechtigung zu installieren, Schutz von personenbezogenen Schülerdaten, Wahrung der Persönlichkeitsrechte, Vermischung von Privat- und Dienstgerät, Umgang mit kostenpflichtigen Apps sowie vor allem die Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Digitale Bildung, insbesondere an einer öffentlichen Schule, darf nicht von der finanziellen Situation der Eltern abhängig sein. Aber es gab pro Klasse immer ein bis zwei Lernende, die kein eigenes Smartphone besaßen und somit im Unterricht nicht individuell, zum Beispiel in der Lernplattform, arbeiten konnten. Probleme gab es auch mit älteren Smartphone-Modellen: Diese waren aufgrund mangelnder Sensor-Ausstattung nicht mit den schulischen Virtual-Reality-Einsteckbrillen kompatibel. Zunächst haben wir versucht, viele der Herausforderungen durch Leihgeräte, App-Installations-Regeln und externe Smartphone-Sensoren zu kompensieren. Eine dauerhafte und vernünftige Lösung konnten wir aber leider nicht finden. Mittlerweile wurden unsere Klassenstufen 8 bis 10 mit 1:1-Tablets ohne Elternfinanzierung ausgestattet. Für die Klassen 5 bis 7 und die Oberstufe stehen fahrbare Tablet-Wagen zur Verfügung, die je nach Bedarf in die Klassenzimmer geschoben werden können. Der Bildungserfolg muss von der sozialen Lage entkoppelt sein, weshalb wir trotz der positiven Erfahrung anderer Schulen auf eine Elternfinanzierung von 1:1-Tablet-Klassen bewusst verzichten.
Was sind die Vorteile schuleigener Tablets in Kombination mit einem Tablet-Medienkonzept?
Patrick Bronner: Der Vorteil von schuleigenen Tablets im Vergleich zum BYOD-Smartphone ist der größere Bildschirm, mit dem längere Recherchen, genauere Analysen und komplexere Aufgabenstellungen möglich sind. Kostenpflichtige Apps können von der Schule zentral eingekauft und auch im Fernunterricht über eine Mobilgeräteverwaltung temporär auf allen Tablets einer Klasse installiert werden. Die Schule kann beliebige Restriktionen auf alle Geräte aufspielen und für jede Klasse individuell anpassen. Über eine App fürs virtuelle Klassenzimmer können die Lehrenden auf ihrem Lehrer-Tablet alle Bildschirme der Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer auf einmal beobachten. Ich sehe im Kleinformat alle 30 Tablet-Bildschirme meiner Schülerinnen und Schüler und weiß so ungefähr, was diese auf ihrem Gerät machen. Außerdem kann ich Dokumente mit einem Klick an alle verteilen bzw. einsammeln. Der eigentliche Vorteil des Tablet-Medienkonzepts ist jedoch die Möglichkeit zum zeit- und ortsunabhängigen Lernen. Dazu haben wir von Anfang an auf folgende Bausteine gesetzt:
eine günstige und minimalistische, festinstallierte Medientechnik in den Klassenzimmern (Beamer, Streaming-Box und WLAN-Gerät)
eine hochwertige, flexible 1:1-Ausstattung aller Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler (bislang Klassen 8 bis 10) mit Tablets
einen leistungsfähigen Schulserver mit Open-Source Cloud (Nextcloud)
Mail-Adressen für alle Lehrerkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern (Kopano)
einen Schul-Chat mit Videokonferenz für Kleingruppen (Nextcloud TALK)
Glasfaseranbindung
sowie ein Tablet-Support-Konzept.
Wie wurde das Kollegium am Friedrich-Gymnasium von dem Tablet-Medienkonzept und der digitalen Projektarbeit überzeugt?
Patrick Bronner: Der Prozess ist entsprechend des Bottom-Up-Prinzips direkt von den "Innovatoren" und den "Early Birds" im Kollegium ausgegangen. Die Herausforderung besteht darin, die "Späte Mehrheit"
Und wie hat sich das Tablet-System während der Corona-bedingten Schulschließungen bewährt?
Patrick Bronner: Während des Lockdowns wurde das Lehrer-Tablet statt auf den Beamer im Klassenzimmer in die Videokonferenz gespiegelt. Die aus dem Unterricht gewohnten digitalen Lehr- und Lernwerkzeuge der Tablets waren somit orts- und zeitunabhängig vorhanden und konnten ohne "Medienbruch" sofort im Fernunterricht weiter von zu Hause aus eingesetzt werden. Auch die im Klassenzimmer verwendeten Externer Link: Lehr- und Lernkonzepte zur Wirksamkeit, zur Kompetenzorientierung und zur Personalisierung des digital angereicherten Unterrichts konnten wir mit wenigen Änderungen erfolgreich auf den Fernunterricht übertragen. Trotz der digitalen Euphorie, der sehr guten technischen Ausstattung und einer leistungsfähigen Videokonferenz-Plattform zeigte sich aber auch bei uns nach zirka sechs Wochen Fernunterricht, dass die pädagogische Reichweite von digitalen Anwendungen Grenzen hat. Immer mehr vermisst wurde das menschliche Miteinander im Klassenzimmer, der Umgang mit Emotionen sowie die Dynamik im realen Lehrer-Schüler-Gespräch. Sehr deutlich wurde uns Lehrerenden in der Zeit des Lockdowns, dass die soziale Dimension des Präsenzunterrichts niemals durch Videokonferenzen, ausgeklügelte Algorithmen in Lernplattformen und künstliche Intelligenz ersetzt werden kann.
Zum Interviewpartner:
Externer Link: Dr. Patrick Bronner ist Lehrer am Externer Link: Friedrich-Gymnasium Freiburg, Fachberater für Physik am ZSL-Freiburg und Ausbilder für Physik am Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Freiburg. Für die von ihm angestoßene und begleitete Entwicklung des BYOD-Medienkonzepts erhielt das Friedrich-Gymnasium den Externer Link: Deutschen Lehrerpreis 2016 in der Kategorie "Unterricht innovativ". Weitere Informationen unter Externer Link: https://www.patrickbronner.de