Der Distanzunterricht im Zuge der Corona-Krise hat dem Thema "Hybrides Lernen" bzw. "Blended Learning" (BL) große Aufmerksamkeit beschert. Dabei geht es mittlerweile weniger darum, ob digitales Lernen an Schulen (bzw. Universitäten) eine feste Anwendung in der Lehre findet. Die Kernfragen drehen sich stärker um die Art und Weise, wie man innerhalb des Lernprozesses sogenannte Kompetenzen des 21. Jahrhunderts verankern kann, nicht zuletzt damit Lernende und Studierende besser auf die Arbeitswelt vorbereitet werden.
Warum Blended Learning? Die folgenden Beispiele orientieren sich an einem Blended-Learning-Modell, das im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts Externer Link: CreatINNES erarbeitet wurde. Im Mittelpunkt stand dabei die Umsetzung eines zielgruppenorientierten, lernzielorientierten und kontextspezifischen Lernprogramms (bzw. Schulungsprogramms). Auch wurde untersucht, in welchen Kontexten BL-Modelle vorwiegend zur Anwendung kommen. Das von einer Forschungsgruppe um Petyo Budakov entwickelte Modell fördert dem Projektleiter zufolge in der außerschulischen Bildung, insbesondere in der Erwachsenenbildung, spürbar die projektbezogene Arbeit.
Bei der Entwicklung konnte die Gruppe auf Erfahrungen aus dem Unternehmensbereich zurückgreifen. So sind Technologie-Unternehmen schon länger mit dem hybriden Arbeiten vertraut. Gleichzeitig hat die Corona-Krise offengelegt, dass Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen größere Schwierigkeiten haben, sich an neue Technologien wie Digitalisierung, Virtualisierung oder Künstliche Intelligenz anzupassen. Diese Firmen mussten wendiger und schneller werden, um die Selbstorganisation und Eigeninitiative ihrer Mitarbeitenden zu stärken und um diese laufend weiterzubilden. In ähnlicher Weise lassen sich diese Herausforderungen auf die Situation des bisweilen noch traditionell arbeitenden Bildungssektors (von Grundschulen bis hin zu Hochschulen und Universitäten) übertragen. Blended Learning kann hier Abhilfe schaffen.
Beim Blended Learning werden digitale und analoge Verfahren miteinander verkoppelt, um so vor allem digitale Kompetenzen zu fördern. In dem hier entwickelten BL-Modell steht der Präsenzunterricht weiterhin an zentraler Stelle. Die Bedeutung der Online-Phase hängt wiederum stark von der Strukturierung der Aufgaben ab. Ausgangspunkt ist der Aufbau in Form von Lernzyklen, die sich an dem 5-Stufen-Modell von Gilly Salmon orientieren (Abb.1). Es beruht auf Tätigkeiten, die den Ansprüchen einer konstruktivistisch orientierten Lernumgebung gerecht werden, d.h. auf Lernerfahrungen, die Intelligenz, Verstand, Gebrauch von Sprache sowie logisches und rationales Denken fördern.
Zwei Dinge sind dabei essenziell: Zum einen werden wie beim Design Thinking alle Lösungen aus der Nutzerperspektive gedacht. Man soll zunächst verschiedene Lernprofile von Nutzerinnen und Nutzern identifizieren und Rückschlüsse auf das jeweilige Lernverhalten und die Lernbedürfnisse der Zielgruppe zulassen. Zum anderen sollte sich Blended Learning bestenfalls an dem Prinzip der 4K orientieren – Kommunikation, Kreativität, Kollaboration und kritisches Denken (Abb. 2). Diese vier Kompetenzen sind etwa nach Auffassung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die wichtigsten Lernziele, die in Gegenwart und Zukunft erreicht werden sollten. Waren die 4K, in denen Wissen, Können und Wollen enthalten sind, in der schulischen Bildung bislang von nachrangiger Bedeutung, sollten sie bei der Entwicklung eines BL-Modells immer mit berücksichtigt werden.
Der Entwurfsprozess eines Blended-Learning-Zyklus in drei Phasen
Die Erstellung eines Blended-Learning-Zyklus gliedert sich grundsätzlich in drei Phasen:
Sorgfältige Planung des Zyklus
Entwicklung von Unterrichtsmaterialien
Hochladen der entwickelten Materialien auf eine E-Learning-Plattform
Mit Hilfe von Leitfäden muss der oder die Lehrende zunächst Richt-, Grob- und Feinlernziele sowie Lern- und Lehrmethoden mit den Auswertungskriterien präzisieren. In dieser ersten Phase lohnt es sich, die folgenden Fragen zu beantworten:
Welches Lernziel soll vermittelt werden?
Welche Zielgruppen sollen in die BL-Arbeit einbezogen werden?
Welche Art von BL-Modell (das Rotationsmodell, das Flexmodell, das eigene Blend, das angereicherte Modell) möchten wir durchführen und wie können wir das jeweils didaktisieren?
Welche Erfahrungen (falls vorhanden) haben die Lernenden mit neuen Technologien im Lernumfeld?
Auf welche Art und Weise werden die Lernenden Online-Ressourcen nutzen?
Wie kann man die Leistungen der Lernenden überprüfen?
Die zweite Phase ist am zeitaufwändigsten und eintönigsten – denn es muss viel Zeit für die Analyse, Auswahl und ggf. auch den Entwurf geeigneter technologiebasierter Unterrichtsmaterialien aufgewandt werden. Man sollte zunächst den Anteil der Aktivitäten im Klassenzimmer und in Online-Phasen betrachten: welche von ihnen sollten eine dominierende Rolle spielen und in welchem Umfang? Dann sollte man daran denken, dass die Lernenden unterschiedliche Vorlieben für Lernstile und -strategien haben. Die meisten Studierenden, die ich tagtäglich unterrichte, gehören der Generation Z (1996 bis 2010 geboren) an. Sie möchten fast ausschließlich mittels digitaler Geräte lernen und erwarten, dass Lernressourcen jederzeit und überall verfügbar sind. Die Lernenden bevorzugen das sogenannte "Microlearning", also das Lernen in kleineren Abschnitten.
Darüber hinaus sollten Materialien und Übungen für das BL-Modell in verschiedenen Formaten entwickelt werden. Es empfiehlt sich der Einsatz verschiedener Plattformen – einschließlich Social Media. Materialien können sein: Ein einfaches Handy-Video, ein Slidecast oder ein schriftlicher Steckbrief. Die wichtigsten Techniken sind der Austausch von Materialien, Telefon, Chat sowie Forenarbeit und Einzel-Rückmeldungen sowie Tools, die unter freien Lizenzen (z. B. E-Workbooks, Learning-Apps) oder als kommerzielle Materialien von Verlagen zur Verfügung gestellt werden. Mit der richtigen Didaktisierung können auch Schulungen eingebunden werden, die von Schulen, Universitäten, E-Learning-Abteilungen und Lehrerfortbildungszentren entwickelt wurden.
Bei der dritten Phase, dem Upload der Materialien und Übungen auf die Lernplattform, gilt es folgende Schritte zu beachten:
Festlegung klarer Regeln für die Lernenden in Bezug auf die Arbeit über die Plattform
Bereitstellung des Unterrichtsprogramms für die Lernenden in Form von Papier und/oder digital
Verständigung über Kommunikationsmethoden mit Lernenden, z. B. E-Mail, Chat, Videokonferenz, die einen Kontakt Lehrer/-in-Schüler/-in und Schüler/-in-Schüler/-in bei Fragen oder Zweifeln sowie bei unvorhergesehenen Problemen (kein Internetzugang) gewährleisten
Lernende mit dem Einloggen auf der Plattform vertraut machen
Wir kratzen mit diesen Methoden letztlich nur an der Spitze des Eisberges. Zumal die aktuellen Corona-Zeiten neue Stolpersteine schaffen und BL-Modelle Gefahr laufen, beispielsweise technisch schlechter ausgestattete Lernende oder solche, deren Eltern im Home Office zum Multitasking gezwungen sind, auszugrenzen. Das alles bildet sich innerhalb der Online-Umgebungen nur als "Schwarzes Loch" ab. Wir müssen daher einen Weg finden, ungeachtet dieser Herausforderungen digitale Inputs und Gruppenarbeit zu ermöglichen. Technische Tools und digitale Kompetenzen stellen hierfür nur die Grundlage dar. Die Digitalisierung der Bildung wird weiter fortschreiten und Blended Learning kann als Erweiterung des Präsenzunterrichts zukünftigen didaktischen Herausforderungen gerecht werden.