Virtual Reality (VR) und Augmented Reality
Dabei bleibt zu beachten, dass sich rund um VR und AR ein vielfältiger Markt entwickelt hat, der auch den Bildungssektor als Kunden gewinnen will. Frei lizensierte AR- oder VR-Anwendungen, die für den Unterricht nutzbar sind, gibt es bisher kaum. Der Gefahr, dass durch Angebote für den Bildungssektor die Kundinnen und Kunden von morgen gewonnen, Daten der Nutzerinnen und Nutzer gesammelt, Kundenprofile zusammengestellt und in In-App-Werbeflächen vermarktet werden, sollte man sich bewusst sein und dies in medienpädagogischen Angeboten mit den Schülerinnen und Schülern kritisch reflektieren. Wird dies beachtet, so können VR- und AR-Anwendungen als Einstieg, Arbeitsmittel oder zur Übung und Wiederholung genutzt werden, je nach Lerngruppe, dem Unterrichtsthema und dem Inhalt der App. Und natürlich muss man für etwas "Besonderes" auch immer etwas mehr Zeit einplanen. Die folgenden Anwendungen und Apps sind Teil meines eigenen Unterrichts an einer Realschule in Niedersachsen.
VR und AR im Alltag
Schnell etwas abmessen, aber kein Maßband zur Hand? Mit AR-Apps, wie der Externer Link: Maßband-App oder der Externer Link: Measure App für das Smartphone ist das heute kein Problem mehr. Im Ausland ohne Sprachkenntnisse unterwegs sein? Programme wie der Google Übersetzer können dank der Kameraoption helfen, unbekannte Schriftsysteme und Sprachen zu lesen. Wer dagegen eine Klassenfahrt plant, kann mit Google Street View und Expeditionen schon vorher die Umgebung und mögliche Ausflugsziele erkunden. "Seeing AI" von Microsoft unterstützt dagegen sehbeeinträchtigte Menschen im Alltag, in dem es Farben, Gegenstände, Barcodes, Text oder Alltagsszenen "liest" und sie als Audio(-beschreibung) zur Verfügung stellt.
VR und AR in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern
Die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer (Erdkunde, Geschichte, Politik) können in besonderem Maße vom Einsatz von VR und AR profitieren. Artefakte, Gebäude, Orte, Verschwundenes und Natursehenswürdigkeiten in den Unterricht einzubeziehen, spielte in diesen Fächern schon immer eine wichtige Rolle.
Der Rundgang durch das Regierungsviertel und den Bundestag ist mit Externer Link: Bundestag 360° nun auch ohne Berlin-Besuch möglich. Auch das Externer Link: Europäische Parlament kann mit einer virtuellen Reise besucht werden.
Mit der App Externer Link: Civilisations AR von der BBC werden Artefakte untergegangener Völker im Klassenzimmer real. Ob der Stein von Rosetta, ein korinthischer Helm oder die geschnitzte Maske Noohlmahls aus Kanada – wenn die Ausstattung vorhanden ist oder Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Geräte nutzen dürfen, ist alles mit nur wenigen Klicks im Klassenzimmer einsetzbar.
In der App Externer Link: Google Expeditionen werden besondere Orte der Erde per Virtual Reality erfahrbar. Den Grand Canyon erkunden, das Guggenheim Museum besuchen, im Amazonas paddeln oder vor den Galapagos Inseln tauchen – die Möglichkeiten sind vielfältig. Ausgehend von dem Erlebten können Themen ebenfalls problematisiert werden, zum Beispiel der Umgang mit indigenen Völkern im Amazonas, mit Natur und Umwelt oder die Veränderung der Erde durch endogene, exogene und anthropologische Faktoren. Für den Geschichtsunterricht bieten die Externer Link: Zeitfenster Apps ganz neue Möglichkeiten: Durch AR werden die Räume von heute mit Bildern und Quellen vergangener Zeiten erweitert. Auf einer Karte sucht man nach verfügbaren "Zeitfenstern". Vor Ort erkennt die Kamera die Szenerie und es lässt sich ein solches "Zeitfenster" öffnen. Durch anpassungsfähige Bildüberblendung kann man zwischen heute und damals hin und her springen. Man bleibt am gleichen Ort, aber scheint in den Zeiten zu wechseln. Neben Bildern werden Quellen wie Dokumente, Audio- und Videoaufnahmen passend angeboten. Dies funktioniert auch ohne vor Ort zu sein, indem man zum Beispiel eine Panoramaaufnahme von heute zum "Zeitfenster" für die Lernenden reproduziert und mit dieser dann die Möglichkeit der Bildüberblendung nutzt.
Auch die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten bieten zunehmend VR- und AR-Inhalte an. Die App Externer Link: WDR AR holt Darstellungen von Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs und Zeitzeugen der Geschichte von Anne Frank in den Klassenraum. Die Anwendung Externer Link: WDR 360 VR bringt uns den Kölner Dom greifbar nah. ZDF VR bietet Erlebnisse wie den Dokumentarfilm "Rooms", eine Reise zur historischen Oasenstadt Palmyra, die im syrischen Bürgerkrieg stark beschädigt wurde. Ein Angebot innerhalb der App Externer Link: History 360° ermöglicht virtuelle Ausflüge zum Mond, zum Mars oder zum Tempelhofer Feld.
Die deutschen Lehrbuchverlage halten sich mit dem Einsatz von VR und AR in Lehr- und Lernmaterialien (noch) etwas zurück. Ein Start-up aus Österreich verbindet mit der Areeka App schon jetzt Bilder in klassischen Bildungsmedien mit AR-Inhalten. Das alte Ägypten wird mit Hilfe eines Arbeitsheftes lebendig. Auch in normalen Schulbüchern hinterlässt Areeka mehr und mehr augmentierte Bilder, um den Schülerinnen und Schülern andere Blicke in die Unterrichtsthemen zu bieten. Die Abbildungen in den Schulbüchern dienen dabei als "Marker" für 3D-Modelle, die von der App erkannt werden, um das verknüpfte 3D-Modell zu laden.
VR & AR in den naturwissenschaftlichen Fächern
Die Naturwissenschaften arbeiten schon immer mit Modellen, Schemata und Visualisierungen. VR und AR können dieses Spektrum erweitern.
Die bereits erwähnte App von Externer Link: Areeka hat auch im MINT-Bereich einen Schwerpunkt. Der innere Aufbau des Menschen, Tiere unserer Erde, geometrische Körper u.v.m. sind inzwischen augmentiert und können im Unterricht eingesetzt werden. Den menschlichen Körper kann man auch mit der App Externer Link: Virtuali-Tee und dem passenden T-Shirt mit einer animierten und kommentierten Tour erkunden. Die vorbereiteten Themen (Blutkreislauf, Verdauung und Bewegungsapparat) sind umfangreich erklärt und interaktiv gestaltet.
Für Grundschülerinnen und -schüler bieten MergeCubes, Würfel aus Schaumstoff, die mit der passenden App lebendig werden, interessante AR-Erlebnisse. Mit Hilfe der App Externer Link: Galactic Explorer lässt sich das Sonnensystem erforschen, mit Externer Link: Mr. Body können die Schülerinnen und Schüler einen stilisierten menschlichen Körper und seine inneren Organe erkunden – freibeweglich in der eigenen Hand.
AR-Anwendungen können den Mathematikunterricht veranschaulichen. (Steffen Jauch) Lizenz: cc by-sa/3.0/de
AR-Anwendungen können den Mathematikunterricht veranschaulichen. (Steffen Jauch) Lizenz: cc by-sa/3.0/de
Frei lizensierte, kostenlose Materialsammlungen und Werkzeuge für den MINT-Bereich findet man unter anderem auf der Plattform Externer Link: oer.schule. AR- und VR-Anwendungen sind hier noch wenig vorhanden. Für den Unterricht der Oberstufe in Mathematik kann jedoch Externer Link: Geogebra AR eine sinnvolle Erweiterung sein. Es visualisiert Geraden- und Ebenengleichungen in einem XYZ-Koordinatensystem direkt auf die Schulbank beziehungsweise in den Klassenraum. Damit können die Dimensionen besser gesehen und wahrgenommen werden.
VR und AR selbstgemacht
Um Schülerinnen und Schülern das Verstehen und Reflektieren ihrer Medienwelt zu ermöglichen, sollten sie eigene VR- und AR-Inhalte gestalten. Das kostenpflichtige Externer Link: CoSpacesEDU bietet einen Baukasten aus 3D-Objekten, Animationen und blockbasierter grafischer Programmierung an
Fazit
Schon jetzt gibt es unzählige Apps, die den Unterricht um VR und AR erweitern können. Viele sind (noch) kostenlos. Einige funktionieren nur mit kostenpflichtigem Zusatzmaterial, das die reale mit der virtuellen Welt verbindet. Vergleichbar ist dies mit dem Zusatzmaterial, das die Schulbuchverlage zu ihren Schulbüchern anbieten. Ähnlich den Verlagen haben sich im VR- und AR-Sektor bereits Firmen etabliert, die ihre Produkte mehr und mehr kommerzialisieren und meist zeitgleich im Businessbereich tätig sind. Leider gibt es augenblicklich keine offenen Standards oder Plattformen zum Erstellen und Austausch von VR und AR-Inhalten, wie man es zum Beispiel beim 3D-Druck von Externer Link: Thingiverse kennt. Bei der Gestaltung eigener Angebote ist man so aktuell noch abhängig vom jeweiligen Anbieter der Entwicklungsumgebung und unterliegt dessen Nutzungsbedingungen. Der Kauf von Aurasma durch HP und das anschließende Deaktivieren der alten Aurasma-Accounts durch HP zeigen eindrücklich, was dies für die Praxis bedeutet. Dies könnte durch die Entwicklung eines staatlich geförderten nationalen VR- und AR-Studios, ähnlich wie es Norwegen mit H5P gelungen ist, behoben werden.
Erfreulicherweise sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit zahlreichen Angeboten, die zudem eine inhaltliche Tiefe aufweisen, bereits jetzt aktiv. Ein Ausbau dieser Angebote ist gerade für den sensiblen Bildungsbereich wünschenswert, da vor allem Augmented Reality zukünftig immer mehr Bildungsmedien erweitern und das Lernen der Schülerinnen und Schüler verändern wird.