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Vom DigitalPakt Schule zum "ZukunftsPakt Digitalisierung": Für eine nachhaltigkeits-orientierte digitale Bildung

Tilman Santarius

/ 6 Minuten zu lesen

Lernende müssen darauf vorbereitet werden, unsere Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten, meint Gastautor Tilman Santarius. Eine digitale Bildung, die Nachhaltigkeitsdenken fördert, sollte seiner Ansicht nach individuelle, gesellschaftliche und politische Kritik- und Denkräume eröffnen.

Ein Blick in die Glaskugel: Damit unsere Gesellschaft im digitalen Zeitalter lebenswert bleibt, braucht es einen ZukunftsPakt Digitalisierung, findet Gastautor Tilmann Santarius. (© Marc Schulte / Externer Link: unsplash.com/ bearbeitet / Externer Link: Lizenz)

Eine reflexhafte Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung lautet: Mehr Digitalisierung in der Bildung! Schülerinnen und Schüler sollen mit technischen Geräten und dem Programmieren von Software vertraut gemacht, Berufsausbildungen um digitale Inhalte erweitert, Umschulungen für IT-Jobs angeboten und digitale Lernangebote auch für ältere Menschen gefördert werden.

Beim Ruf nach digitaler Bildung geht es zudem oft nicht nur um Humboldt’sche Bildungsideale, sondern auch um wirtschaftliche Interessen. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Absolventinnen und Absolventen mit Programmierkenntnissen und anderen IT-Fähigkeiten, soll der Ausbau der digitalen Bildung dabei helfen, dem bevorstehenden Fachkräftemangel in diesen Bereichen vorzubeugen.

Tilman Santarius (© privat; Tilman Santarius)

Digitale Bildung nicht um jeden Preis

Um diese Art der digitalen Bildung zu fördern und damit Deutschland gegenüber Singapur, Estland und anderen digitalen Vorreiterländern nicht den Anschluss verliert, hat die Bundesregierung kürzlich den DigitalPakt Schule verabschiedet. In den nächsten Jahren sollen mehr als fünf Milliarden Euro in die Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik investiert werden. Doch bedeuten ein Mehr an Whiteboards auch mehr Wissen, mehr Hardware auch mehr Softskills? Wie sollen digitale Medien in Bildungsprozesse eingebettet werden oder diese beeinflussen? Eine kritische digitale Bildung wird wichtigere Ziele in den Blick nehmen, als Schülerinnen und Schüler, von denen die meisten ohnehin täglich viele Stunden mit dem Smartphone im Internet unterwegs sind, mit noch mehr Technik auszurüsten.

Ein erster, häufig genannter Aspekt kritischer digitaler Bildung ist die Medienkompetenz. Sie ist dringend notwendig, um einen aufgeklärten Umgang mit digitalen Diensten und Angeboten zu erlernen – etwa um Lern- und Aufmerksamkeitsdefiziten oder Formen der Internetsucht vorzubeugen. Zweitens ist es wichtig, Verbraucherinnen und Verbraucher zu individueller digitaler Souveränität zu verhelfen, damit sie mit ihren Daten sorgsam und bewusst umgehen und beispielsweise ihre Rechte bei Verträgen im Internet wahrnehmen. Eine nachhaltigkeits-orientierte digitale Bildung indessen geht noch deutlich weiter: Sie wird aufzeigen, welche Chancen (und Risiken) in der Digitalisierung für einen zukunftsfähigen Wandel der Gesellschaft liegen, der ein gutes Leben für alle Erdenbürgerinnen und Erdenbürger sichern kann.

Für den Übergang in eine nachhaltigere Zukunft reichen kleinere Verbesserung am Status Quo nicht mehr aus – zu viel von knappen Rohstoffen, artenreichen Urwäldern und der Absorptionsfähigkeit der Atmosphäre für Treibhausgase wurden in der Vergangenheit bereits in Anspruch genommen. Dabei verbraucht auch die Herstellung digitaler Geräte viel Energie und seltene Rohstoffe. Um den Klimawandel und den historisch beispiellosen Biodiversitätsverlust abzumildern, bedarf es einer grundständigen Veränderung bestehender Produktions- und Konsumweisen. Diese grundständigen Richtungswechsel werden auch als Wenden diskutiert, etwa als Energiewende, Agrarwende und Verkehrswende wie auch als Konsumwende, Arbeitswende und Wachstumswende.

Die zentrale Frage einer nachhaltigkeits-orientierten digitalen Bildung lautet daher: Wie kann die Digitalisierung eine Triebkraft für die erforderlichen Wenden in den jeweiligen Sektoren werden?

Mit gesellschaftlichen Wenden eine zukunftsfähige Gesellschaft gestalten

Werfen wir den Blick beispielhaft auf zwei dieser Wenden, auf die Mobilitäts- und die Konsumwende. Die Nachhaltigkeitsziele in der Mobilitätswende liegen auf der Hand: Es geht um den Wechsel vom privaten Pkw zu nutzungsgeteilten und öffentlichen (Massen-)Verkehrsmitteln, die möglichst mit grünem Strom (oder anderen erneuerbaren Energieträgern) betrieben werden, sowie eine kluge Raum- und Mobilitätsplanung, um Verkehrsströme insgesamt zu verringern – insbesondere des Flugverkehrs.

Die Digitalisierung bietet für diese Ziele etliche Chancen: Eine konsequente Nutzung von Video-Konferenzen kann viele Dienstreisen überflüssig machen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsträger – Busse, Sammeltaxen, Bahnen usw. – sowie das Sharing von Fahrrädern, Autos oder Mitfahrgelegenheiten ist dank der Digitalisierung schon sehr viel einfacher, günstiger und bequemer geworden – auch wenn Carsharing alleine, insbesondere die flexiblen free-floating Modelle in Innenstädten, kaum einen Beitrag zur Verkehrsvermeidung leistet.

Doch wenn demnächst integrierte Plattformen entstehen, die multimodale Mobilität per Mausklick und "on-the-go" ermöglichen, könnte dies einen wahren Frühling für die ökologische Verkehrswende bringen. Denn damit könnten Nutzerinnen und Nutzer schnell und günstig mehrere öffentliche Verkehrsträger miteinander kombinieren, etwa von zu Hause ein Leihrad zur nächsten öffentlichen Haltestelle nehmen, dort per ÖPNV durch die Stadt fahren und sich schließlich für die letzte Meile einen Roller mieten. Allerdings ist diese Vision für einen multimodalen, öffentlichen Verkehr weder die einzige noch die dominante in der gegenwärtigen Debatte über digitale Mobilitätsstrategien. Große IT- und Automobilkonzerne stellen stattdessen in Aussicht, in selbstfahrenden Autos von Robotern chauffiert zu werden – ein attraktives Narrativ, das die ökologisch und sozial verhängnisvolle "Liebe zum Automobil" in der Gesellschaft neu entfachen könnte.

Währenddessen treibt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur den Ausbau des 5G-Mobilfunkstandards und das "Testfeld digitale Autobahn" voran, um datenintensiven Assistenzsystemen im Straßenverkehr zum Durchbruch zu verhelfen. Viel zu wenig wird kritisch diskutiert, ob die Optimierung durch vernetztes Fahren eigentlich Fluch oder Segen für eine nachhaltige Verkehrswende darstellt.

Ähnlich lassen sich Chancen und Risiken der Digitalisierung für eine Konsumwende feststellen. Aus Nachhaltigkeitssicht notwendig wäre einerseits eine absolute Senkung des Konsumniveaus – zumindest in den reichen Hochverbrauchsländern wie Deutschland –, sowie andererseits ein Wechsel von konventionellen zu nachhaltig erzeugten Produkten und Dienstleistungen. Digitale Tools bieten viele Chancen, um beides zu fördern: Einschlägige Gebrauchthandels-Plattformen machen es kinderleicht, auf einen Neukauf zu verzichten. Über Peer-to-peer-Sharing lassen sich Rasenmäher, Autos, Wohnraum aber auch Nachbarschaftshilfe teilen. Und der Einkauf von nachhaltigen Waren – ob nun zertifizierte Möbel oder faire Kleidung – ist im Prinzip genauso leicht per Mausklick möglich wie der Erwerb der nicht-nachhaltigen Mainstream-Produkte.

Doch diese Potenziale werden durch einen mächtigen Gegentrend unterlaufen. Die allzeitige Verfügbarkeit des Online-Shoppings sowie personalisierter Werbung und ein omnipräsentes Marketing auf Suchmaschinen und in sozialen Medien treiben die Umsätze des E-Commerce in Deutschland jedes Jahr mit zweistelligen Wachstumsraten in die Höhe. Bedauerlicherweise ist das Geschäftsfeld der großen Plattformanbieter wie Facebook, Google, Amazon u.a. darauf ausgerichtet, den hohen und nicht nachhaltigen Massenkonsum noch weiter anzukurbeln.

Nachhaltigkeits-orientierte digitale Bildung

Die Digitalisierung bringt also keineswegs automatisch eine nachhaltige Mobilitäts- oder Konsumwende. Auch für die Energiewende, Arbeitswende oder Wachstumswende hält sie Chancen bereit, die aber ebenfalls nicht von alleine kommen. Es bedarf vielmehr der aktiven individuellen, politischen und gesellschaftlichen Gestaltung. Hierfür die notwendigen Kritik-, Denk- und Möglichkeitsräume zu eröffnen, sollte eines der zentralen Ziele einer nachhaltigkeits-orientierten digitalen Bildung sein.

Bildungsinhalte lassen sich viele nennen – zum Beispiel darüber zu informieren, welche Energie- und Ressourcenverbräuche in der eigenen Hardware stecken und Möglichkeiten aufzeigen, wie sich die Nutzungsdauer der ökologisch extrem wertvollen Geräte durch eigenes Handeln verlängern lässt. Oder darüber aufzuklären, welche Anwendungen Daten missbrauchen oder besonders energieintensiv sind und wie man sich datensicher und ressourcenleicht durchs Netz bewegt.

Schließlich sollte eine nachhaltigkeits-orientierte digitale Bildung auch Fragen stellen, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen: Wie viel Digitalisierung benötigt eine zukunftsfähige Gesellschaft im Jahr 2030 eigentlich? Müssen alle Städte wirklich smart werden? Wer gewinnt, wer verliert derzeit bei der digitalen Entwicklung, und wie können die Errungenschaften des technologischen Fortschritts möglichst breiten Bevölkerungsschichten zugutekommen?

Ein erster Schritt könnte sein, einen Teil des Geldes für den DigitalPakt Schule, der vor allem mehr Whiteboards in Klassenzimmer und mehr Tablets in den Unterricht bringt, besser im Sinne eines "ZukunftsPakts Digitalisierung" zu investieren, der auf eine Ermächtigung und Emanzipierung verantwortungsvoller Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter abzielt.

Tilman Santarius forscht und publiziert zu den Themen Klimapolitik, Handelspolitik, nachhaltiges Wirtschaften, globale Gerechtigkeit und digitale Transformation. Er lehrt an der Technischen Universität Berlin und am Externer Link: Einstein Centre Digital Future (ECDF) und leitet eine Forschungsgruppe zum Thema "Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation" am Externer Link: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Zusammen mit Steffen Lange hat er das Buch "Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit" veröffentlicht (Oekom Verlag, 2018). Mehr Informationen unter: Externer Link: www.santarius.de