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Folgen, Liken, Posten: Was Kinder und Jugendliche an Influencern und sozialen Netzwerken fasziniert

Birke Carolin Resch

/ 8 Minuten zu lesen

Viele Kinder und Jugendliche folgen Influencern auf Instagram, YouTube und Co. Renate Röllecke erklärt im Interview, welchen Einflüssen die Teenager dabei ausgesetzt sind und warum die Nutzung sozialer Medien identitätsstiftend sein kann.

Viele Jugendliche folgen Influencern in den Sozialen Netzwerken. (Foto: Elijah O'Donnell / bearbeitet / Lizenz: cc publicdomain/zero/1.0/deed.de

werkstatt.bpb.de: Social Media-Stars – sogenannte Influencer – sind gerade bei Kindern und Jugendlichen angesagt. Welche Inhalte und Personen stehen hier im Vordergrund?

Renate Röllecke: Ein Blick auf die Genres zeigt, dass Kinder und Jugendliche vielfältige Interessen haben. Humor und Comedy, auch in Kombination mit Musik, stehen ganz oben auf der Liste. Beispiele sind das Musik- und Comedyduo "DieLochis" oder die Lipsync-Videos der sehr jungen Stars Lisa und Lena. Daneben erzielen politische Inhalte (wie im YouTube-Kanal von LeFloid), Let’s-Play-Videos (das Vorführen und Kommentieren von Computerspielen) sowie Gaming-Formate (zum Beispiel von YouTuber Gronkh) hohe Klickraten. Auch Crossover aus Shopping und Comedy, wie sie etwa "Bibi’s Beauty Palace" bietet, und Kanäle mit Tutorials sind beliebt – und das längst nicht nur zum Thema Schminken. Ob Gaming, Kosmetik, Basteln oder Modeblogs, häufig geht es dabei auch um die Konsumwünsche der Kinder. Denn viele Social-Media-Stars bewerben gezielt Markenprodukte in ihren Kanälen, testen neue Computerspiele live oder stellen das Game-Zubehör vor. Bei dieser Aufzählung handelt es sich vor allem um die Klassiker der Szene, die Stars und beliebten Angebote wechseln natürlich kontinuierlich. Neue Trends im Netz erforscht beispielsweise das Externer Link: Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München. Zusätzlich folgen die Jugendlichen auch Stars, die generell durch Medien bekannt sind, wie Fußballstars, Serienstars oder der Promi-Familie "The Kardashians".

Welchen Einflüssen sind Kinder dabei ausgesetzt?

Es gibt durchaus problematische Inhalte. So kennen und verfolgen manche Kinder und Jugendliche Kanäle, die sexistisch sind oder explizit Sex zum Thema haben, etwa den YouTube-Kanal von Katja Krasavice, oder Angeboten von Rechtsradikalen oder religiösen Extremisten. Es gibt aber auch großartige Lernvideos oder Tutorials mit Lehrenden, die einfach toll erklären können. Etwas verkürzt: Wenn wir medienpädagogisch über Social Media-Kanäle wie Instagram oder YouTube sprechen, ist das ein ähnlich breiter Begriff wie "das Fernsehen" oder "das Internet". Es gibt eine riesige Vielfalt an Angeboten, Nutzungsformen, Einflussnahmen, Chancen und Risiken. Kinder und auch Jugendliche müssen die Möglichkeit bekommen zu lernen, mit diesen vielfältigen Angeboten kreativ und kritisch umzugehen, sie zu durchschauen. Das erfordert medienpädagogische Begleitung.

Über unsere Interviewpartnerin:

Renate Röllecke arbeitet als pädagogisch-wissenschaftliche Referentin bei der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). Sie organisiert Fachtagungen und den Externer Link: www.dieter-baacke-preis.de und ist Herausgeberin der Dieter Baacke Handbuch-Reihe. Im Juni 2018 organisierte sie die Tagung "Influencer or Influenced?".

Und wie sollten Eltern dieser Einflussnahme begegnen?

Eltern sollten erstmal beobachten und herausfinden, wie ihre Kinder die sozialen Medien nutzen. Sind die Kinder Akteure oder eher Beobachter? Beides kann sinnvoll oder problematisch sein. Wirkt es fröhlich oder eher belastend, was sie dort tun und erfahren? Mit den Kindern im Kontakt zu bleiben, über ihre medialen Erfahrungen und Interessen zu sprechen und gleichzeitig Freiräume zu schaffen, ist ein guter Ansatz. Eltern sollten zunächst versuchen, dem teils schrägen Humor, den Schmink-Tutorials oder Let’s-Play-Videos so offen wie möglich zu begegnen. Selbstverständlich können und sollen sie ihre Meinung äußern, aber sie sollten diese nicht über die Meinung der Kinder stellen und verstehen lernen, was diese an bestimmten Inhalten fasziniert.

Wenn Eltern das Gefühl haben, dass sich ihre Kinder immer mehr in die digitale Welt zurückziehen und kaum noch ansprechbar sind – was würden Sie Ihnen raten?

Kinder und Jugendliche haben heute durch lange Schul- und Betreuungszeiten oder feste Freizeittermine kaum Rückzugsmöglichkeiten. Im Netz können sie selbst agieren, Spielkompetenzen entwickeln, sich konzentrieren und sich kreativ ausdrücken. Die intensive Beschäftigung mit Inhalten im Internet ist an sich noch kein Problem. Hier gilt es wie immer zu unterscheiden, was man dort im Einzelnen macht und wem man folgt: Welche Faszination steht dahinter? Sind die kommerziellen Aspekte für das Kind überwältigend, wird Taschengeld vorwiegend für die von Influencern beworbenen Produkte aufgewendet? Oder nutzen sie die Sozialen Kanäle in erster Linie, um Kontakt zu Freunden zu halten, sich auszutauschen oder mitzubekommen, was andere machen oder wofür sie sich interessieren? In diesem Fall sind sie ja mit realen Menschen verbunden, nicht in einer irgendwie losgelösten digitalen Welt. Tatsächlich gibt es keine zwei Welten, sondern unsere reale Welt ist digital durchwirkt. Das Thema exzessive Mediennutzung ist intensiv erforscht und betrifft Externer Link: laut Forschungsstand einen eher kleinen Teil der Kinder und Jugendlichen. Oft liegen die Ursachen dafür ohnehin woanders. Eltern sollten sich also fragen, ob Kinder insgesamt oder durch andere Aspekte belastet sind und mit ihren Medienaktivitäten zum Beispiel Rückzugswünsche realisieren. Natürlich ist es auch wichtig, die nichtmedialen Interessen der Kinder zu fördern, um Alternativen zu kultivieren. Generell, nicht nur bei der eher seltenen langfristigen exzessiven Nutzung, sollten Eltern sich für die medialen Themen der Kinder interessieren und versuchen zu verstehen, welche Motive hinter der Nutzung stehen: Der Wunsch dazugehören zu wollen, Abnabelungs- bzw. Rückzugsstrategien oder auch einfach die Möglichkeit, im Netz Neues zu lernen und sich eigenständig Informationen zu beschaffen, sich mit anderen auszutauschen.

Wenn wir medienpädagogisch über Instagram oder YouTube sprechen, ist es fast so als würden wir über "das Fernsehen" oder "das Internet" nachdenken. Es gibt eine riesige Vielfalt an Angeboten, Nutzungsformen, Einflussnahmen, Chancen und Risiken. Die Medienpädagogik braucht mehr Zeit und Raum, sei es in der offenen Jugendarbeit oder eben auch in der Schule.

Zitat

Die intensive Beschäftigung mit Inhalten im Internet ist an sich noch kein Problem. Hier gilt es wie immer zu unterscheiden, was man dort im Einzelnen macht und wem man folgt: Welche Faszination steht dahinter?

Wie können Kinder und Jugendliche dafür sensibilisiert werden, Influencer und ihre Methoden kritisch zu hinterfragen?

Die Medienpädagogik hat seit langem viele Modelle, vor allem aus der Handlungsorientierten Medienarbeit, um ambivalente Medienphänomene kritisch zu hinterfragen und zugleich zu zeigen, wie Akteure sie aktiv nutzen können. Die besten medienpädagogischen Ansätze verbinden dabei Spiel, Spaß und Spannung. Sie arbeiten also nicht nur kognitiv, sondern bringen Kinder und Jugendliche durch mediales Experimentieren und Agieren zum Nachdenken und Handeln. Mit Scherz, Satire und Ironie werden bekannte Formate kreativ persifliert, wodurch Kinder und Jugendliche wesentliche Strukturmerkmale kennen und lesen lernen. Geeignet sind zudem analytisch orientierte Ansätze, die Kinder und Jugendliche dazu anregen, die Auftritte von YouTubern oder Instagram-Stars zu vergleichen und zu untersuchen. Das kann spielerisch und detektivisch vermittelt werden, ohne gleich alles, was Kinder lieben und schätzen, schlecht zu machen. Anknüpfen sollte man stets bei der Jugendmedienkultur der Kinder und Jugendlichen, da sie bereits eigene Bewertungskriterien und Expertise mitbringen. Diese gilt es wahrzunehmen, zu respektieren und dann zu erweitern. Darüber hinaus gibt es Ansätze, die am Wunsch der Jugendlichen nach Selbstdarstellung und digitaler Mitwirkung ansetzen und darauf abzielen, für die eigenen Äußerungen und die Äußerungen anderer zu sensibilisieren. Würde ich mich so darstellen wie Bibi? Welche Folgen könnte das haben? Wie äußert sich mein Lieblings-Instagramer/YouTuber? Würde ich das selbst auch so machen? Hier sind geschützte Experimentierfelder sinnvoll wie etwa in dem Projekt die Externer Link: kreativhelden vom JFC Medienzentrum Köln. Durch pädagogische Unterstützung können auch typische Phänomene der Influencer-Szene wie Konsumorientierung oder unterschwellige politische Implikationen herausgearbeitet und diskutiert werden.

Wie kann dieser Prozess noch besser unterstützt werden?

Grundsätzlich wissen wir, was aus medienpädagogischer Sicht zu tun ist, allerdings ist zu wenig darüber bekannt, wie solche Prozesse kreativ und aktiv gestaltet werden können. Es sind viel zu wenig pädagogische Fachkräfte dafür ausgebildet! Die Medienpädagogik braucht mehr Zeit und Raum, sei es in der offenen Jugendarbeit oder eben auch in der Schule. Wer rein kognitiv an solche Phänomene herangeht und zum Beispiel mit Infoflyern informieren will oder versucht, die Jugendlichen mit Multiple-Choice-Fragen aufzuklären, wird pädagogisch bei wahren Fans nicht viel erreichen und eher die Skeptiker bestärken.

Wie sollen sich Eltern verhalten, wenn die eigenen Kinder Social Media-Stars werden möchten?

Die meisten Kinder orientieren sich an den Interessen und der Kommunikation ihrer Peers oder auch an Stars. Meist verfügen sie ab 10 Jahren bereits über Smartphones und somit über Mittel, eigene Kanäle zu betreiben. Und das tun sie auch. Sie möchten sich selbst ausdrücken. Das ist erstmal pädagogisch sinnvoll, gehört zur Identitätsfindung, zum Experimentieren mit verschiedenen Repräsentationen des Selbst und dem Darstellen und Verfolgen eigener Interessen. Viele Heranwachsende wollen gesehen und geliked werden. Es ist Teil ihrer Jugendkultur. Digitale Teilhabe für alle möglich zu machen ist zudem eine Devise aus Politik und Pädagogik. Was, wenn Kinder das ernst nehmen und Instagram oder YouTube-Kanäle selbst mit eigenen Ideen und Inhalten füllen? Ist das schlimm, ist das gut? Darauf gibt es keine klare Antwort. Wenn die Influencerin Kylie Jenner mit 21 Jahren Milliardärin ist, wieso sollte ich nicht auch mit 12 anfangen in den Sozialen Medien zu experimentieren? Wieso soll ich keine Bikini-Fotos von mir präsentieren? Das ist für Kinder und auch Jugendliche manchmal schwer zu verstehen. Immer wieder beobachtet man Pre-Teens und Teenies, Mädchen wie Jungen, die im Schwimmbad, manchmal direkt im Beisein der Eltern, Posing-Selfies von sich machen und diese wahrscheinlich nicht nur der Oma senden. Alle Eltern müssen sich damit beschäftigen, wie ihre Kinder in den sozialen Netzen agieren. Gleichzeitig gilt es aber auch Freiräume zu schaffen und zu erhalten, in denen Kinder und Familien jenseits von Prüderie z.B. nackt in den See springen können. Muss ich das fotografieren und wenn ja, wie und wem mache ich das zugänglich? Statt starrer Regeln, ist hier Sensibilisierung, auch für Eigen- und Fremdwahrnehmung, angesagt.

Welche konkreten Tipps und Ratschläge können Sie Eltern mitgeben, deren Kinder eigene Social Media-Kanäle betreiben?

Eltern sollten auf die Persönlichkeitsrechte, den Datenschutz und die medialen Aktivitäten ihrer Kinder achten. Das gilt generell für Internet-Aktivitäten und Soziale Medien. Eltern sollten auch die Externer Link: Altersbeschränkungen für Social Media kennen und genau abwägen, ob sie jüngeren Kindern eine Erlaubnis erteilen. Als Eltern sollten auch die eigenen Posts und Instagram-Kanäle einmal kritisch durchsehen. Es gibt viele kreative Ideen, wie man Kinder- und Familienfotos machen kann, ohne dass alle Gesichter erkennbar sind. Das muss vermittelt und gelernt werden. Hier gilt es, schöne kulturelle Praxen (weiter) zu entwickeln und zu verbreiten. Und Eltern sollten bei Kindern und Jugendlichen einen Blick darauf haben, wer die Kanäle ihrer Kinder abonniert, wer reagiert und wie interagiert wird. Insgesamt ist es ein großer Unterschied, ob Kinder zum Beispiel Tutorials zu bestimmten Themen erstellen, die sie betreffen, ohne selbst als Person sichtbar zu sein, oder ob sie sich selbst als Akteure präsentieren. Veröffentlichen sie Fotos von ihren schönsten Minecraft-Bauwerken, stellen sie ihre Lieblingsbücher vor oder zeigen sie ihre tollsten Skate- oder Snowboard-Moves? Das zu teilen kann durchaus grandios sein. Kinder lieben auch Musical.ly (neu TikTok), eine App mit der sie Lipsync-Musikvideos drehen können. Das ist zunächst ein kreativer Spaß. Doch mit wem teilen sie die Videos und wie präsentieren sich die Kinder dort? Eltern sollten einen Blick darauf haben, wer sich wie zu den Videos äußert. Wer tritt mit ihnen in Kontakt? Sind die Kids irritiert oder gar verängstigt, wie reagieren sie auf Posts und Mitteilungen, auf Schimpftiraden oder andere negative Äußerungen von außen? Sind sie in der Lage, negative Reaktionen abzuwehren oder zu ertragen? Grundsätzlich gilt: Sind Kinder im Netz aktiv, sollten Eltern diesen Prozess begleiten.

Weitere Informationen zum Thema

Tagungsbericht der NRW-Fachtagung der GMK:
Externer Link: Influencer or influenced? Kinder und Jugendliche in sozialen Netzen zwischen Konsum, Politik und Kultur
(mit Forschungsbeiträgen und Praxismethoden)

Externer Link: Altersfreigaben Soziale Medien im Überblick

Elternabende zum Thema Kinder und Mediennutzung, z.B.

Und viele regionale medienpädagogische Institutionen

Einige Medienpädagogische Einrichtungen, die zum Thema Social-Media-Influencer pädagiogisch arbeiten oder forschen, z.B.

Birke Carolin Resch hat Ethnologie in Hamburg, Kopenhagen und Amsterdam studiert und sich dabei vor allem mit Migration, Flucht und Islam in Europa beschäftigt. Als freie Mitarbeiterin hat sie für verschiedene (Online-)Redaktionen gearbeitet und war vier Jahre lang als Deutschlehrerin an Sprachschulen in Berlin und Lissabon tätig. Seit Juni 2018 unterstützt sie die Externer Link: werkstatt.bpb.de.