Kurz & knapp:
Gereon Rahnfeld (OP!N/Liquid Democracy) im Interview:
E-Partizipation ist Rahnfeld zufolge notwendiger Bestandteil erfolgreicher demokratischer Strukturen im 21. Jahrhundert und ermöglicht zeit- und ortsunabhängige Beteiligung.
Das Projekt OP!N will eine mehrsprachige, europäische Jugendbeteiligungsplattform ins Leben rufen.
Digitale Partizipation geht laut Rahnfeld vor allem bei jungen Leuten nur schleppend voran – sie müsse ernster gekommen und besser vorbereitet werden.
Nur die Verknüpfung digitaler und klassischer Beteiligungsformen könne erfolgreich sein.
werkstatt.bpb.de: Was bedeutet digitale Partizipation der Zivilgesellschaft für Sie?
Gereon Rahnfeld: Die Möglichkeit der digitalen Partizipation ist für mich ein notwendiger Bestandteil erfolgreicher demokratischer Strukturen im 21. Jahrhundert. Sie gewährleistet eine Beteiligung der Zivilgesellschaft, die zeitlich und räumlich unabhängig ist. Dadurch verstärkt sie die gesellschaftliche Inklusion genauso wie den Meinungsaustausch. Die gegenwärtig gängigsten Informationsflüsse befinden sich heute schon im digitalen Raum, und Informationen sind die Grundlage einer guten Beteiligung. Die Verknüpfung von Information und Beteiligung in der digitalen Sphäre ist daher unabdingbar.
OP!N ist ein Projekt von Liquid Democracy. Was ist das Ziel und wie wollen Sie es erreichen?
Das Ziel von OP!N ist es, eine europäische Jugendbeteiligungsplattform ins Leben zu rufen. Sie soll es Jugendorganisationen, Gemeinden und weiteren Institutionen ermöglichen, Partizipationsprojekte in verschiedenen Sprachen online durchzuführen. Darüber hinaus soll sie Jugendlichen garantieren, sich möglichst einfach und transparent an Entscheidungsprozessen beteiligen zu können. Diese können von scheinbar banalen Entscheidungen wie dem Beschluss über das Ziel der nächsten Jugendreise bis hin zu komplexeren Verfahren wie der Bearbeitung einer gemeinsamen Vereinssatzung reichen. Hierfür stellen wir verschiedene Werkzeuge und Informationen bereit, die sowohl zur effektiven Vor- und Nachbereitung beitragen, als auch für die Begleitung von digitalen und analogen Partizipationsprozessen hilfreich sind. Zum Beispiel könnte der oben genannte Beschluss über das Ziel der nächsten Jugendreise durch den Prozess eines Ideenwettbewerbs abgebildet werden. Bei diesem können in einer ersten Runde Vorschläge von allen Teilnehmenden eingebracht werden. In einer zweiten Runde wird dann über diese abgestimmt. Am Ende steht dann der Vorschlag, der nach der Diskussion die meisten Stimmen erhalten hat. Dieser Prozess, genauso wie all unsere anderen Prozesse auch, wird von einem Set an Leitlinien begleitet, die sowohl den erfahrenen als auch unerfahrenen Initiatorinnen und Initiatoren eines digitalen Beteiligungsprozesses die Durchführung erleichtern.
Haben Sie ein Beispiel, wie OP!N erfolgreich funktionieren kann?
Da OP!N sich noch bis Ende Februar 2018 in der Entwicklung befindet, sind die einzigen Projekte, die die Plattform bisher nutzen, sogenannte Pilot- beziehungsweise Testprojekte. Auf deren Feedback basierend wird die Plattform im Moment schrittweise verbessert. Dabei hat sich gezeigt, dass zum Erfolg von OP!N besonders die Möglichkeit beiträgt, einen engen Zusammenhang zwischen Online- und sogenannten Offline-Prozessen herzustellen. Wer heute erfolgreiche Partizipationsprozesse anbietet, verbindet sowohl digitale als auch analoge Elemente. Die große Herausforderung dabei ist es, einen adäquaten Informationsfluss zwischen den verschiedenen Elementen zu ermöglichen. OP!N bietet hierfür mehrere Antworten an: Einerseits können analoge Elemente im Online-Prozess widergespiegelt werden – sie sind in einer Zeitleiste sichtbar. Andererseits können sowohl die Informationen und Ergebnisse aus den analog durchgeführten Prozessen auf die Plattform transferiert als auch die Daten und Informationen aus den Online-Prozessen einfach exportiert und so bei Offline-Events verbreitet werden. Nehmen wir die oben bereits erwähnte Bearbeitung einer Vereinssatzung. Das Projekt würde vielleicht mit einer Kick-Off-Veranstaltung starten, bei der das Vorhaben vorgestellt wird und erstmalig diskutiert wird. Die Ergebnisse dieser Veranstaltung einschließlich ihrer Dokumentation mit Fotos oder ähnlichem können in den Onlineprozess überführt werden. Auf dieser Basis findet die weitere Kommentierung und Diskussion der Satzung statt. Die kommentierte Version kann dann von den Initiatorinnen und Initiatoren des Projektes exportiert und in einer Abschlussveranstaltung präsentiert werden.
Stichworte E-Partizipation und digitale Partizipation: Wie ist hier der heutige Stand aus Ihrer Sicht, was sollte sich verbessern?
Obwohl E-Partizipation oder digitale Partizipation als Schlagwörter schon länger bekannt sind, ist ihre Verwendung in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen noch nicht sehr weit vorangeschritten. Trotzdem sind wir schon über die Phase des Ausprobierens hinaus. Eine Plattform wie etwa mein.berlin.de, die gegenwärtig vom Verein Liquid Democracy entwickelt wird, zeigt zum Beispiel, dass ernsthafte und versierte Projekte existieren, die dies ändern möchten. Auch in anderen Bereichen finden digitale Beteiligungslösungen immer mehr Anklang. Beispielsweise benutzen junge politische Initiativen wie DiEM25 oder Demokratie in Bewegung diese, um Entscheidungsprozesse offener zu gestalten. Trotzdem ist der Wissensstand darüber, was Online-Beteiligung eigentlich heißt, welche Herausforderungen diesbezüglich bestehen und was ihre Potenziale sind, noch nicht hinreichend bekannt. Hier ist noch viel Bildungs- und Aufklärungsarbeit nötig. Es braucht mutige Projekte, die diese Entwicklung voranbringen und den digitalen Werkzeugen über die bloße Konsultationsfunktion hinaus eine wesentlichere Rolle in gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zugestehen.
Gereon Rahnfeld, Projektmanager und Vorstandsmitglied bei Liquid Democracy
Smartphones und das Internet gehören vor allem für die "Digital Natives" zum Alltag. Warum geht die E-Partizipation aber gerade bei jüngeren Altersgruppen so schleppend voran?
Auf diese Frage gibt es viele unterschiedliche Antworten. "Digital Natives" haben unglaublich viele Möglichkeiten, sich zu engagieren und mitzuwirken. Sie wählen für sich jedoch nur die interessantesten beziehungsweise vielversprechendsten aus. Online-Beteiligung muss also ernster gemeint sein. Anstatt Jugendliche bloß zu befragen, ist es besser, sie selbst verbindlich entscheiden zu lassen, ihnen mehr Verantwortung zuzugestehen. Daneben ist die Vorbereitung eines digitalen Prozesses sehr wichtig. Es reicht nicht aus, einen Link zu verbreiten. Nur weil etwas online passiert, bedeutet dies nicht, dass eine große Anzahl von Menschen teilnehmen wird. Vielmehr ist die Aktivierung und Motivation der Jugendlichen, die beispielsweise durch das individuelle Ansprechen oder größere Veranstaltungen passiert, eine wichtige Basis für einen erfolgreichen Prozess im Digitalen. Die von OPIN bereitgestellten Leitlinien bieten hierzu ein Set an nützlichen Informationen.
Kommt es angesichts einer verbreiteten Politik(er)- oder Parteienverdrossenheit auf die Form der Partizipation vielleicht gar nicht an?
Von der Politik- und Parteienverdrossenheit sollten nicht automatisch Rückschlüsse auf das politische Engagement gezogen werden. Obwohl die Anzahl an Parteimitgliedschaften und die Wahlbeteiligung stark zurückgegangen sind, ist das Engagement im zivilgesellschaftlichen Kontext tatsächlich gestiegen. Auch wenn sich der Kontext ändert, ist politische Partizipation immer noch und gerade jetzt ein bedeutsames Thema. Darüber hinaus, und das ist vielleicht sogar noch wichtiger, lässt sich von der Politikverdrossenheit gerade darauf schließen, dass die Form der Partizipation neu gedacht werden sollte. E-Partizipation ist hier ein sehr interessantes Mittel. Sie erlaubt es Menschen, sich zeit- und ortsunabhängig zu beteiligen. Gerade bei spezifischeren Themen können sie sich zielgerichtet engagieren. Wenn adäquat durchgeführt, bietet E-Partizipation damit ein großes Potenzial, der oben angesprochenen Verdrossenheit entgegenzuwirken. Ein Umdenken in der Form der Beteiligung könnte also dazu führen, dass Menschen sich insgesamt mehr beteiligen.
Können Jugendliche über E-Partizipation auch stärker für klassische Beteiligungsformen wie Wahlen gewonnen werden? Oder sollten wir diese völlig neu denken?
Aus meiner Perspektive ist beides wichtig. Wahlen kontinuierlich neu zu denken ist zentral, da sich der Kontext, in dem diese passieren, kontinuierlich verändert – auch wenn dies nur sehr langsam vonstattengeht. Neue Kommunikationsmittel und gesellschaftliche Gegebenheiten machen meines Erachtens auch neue Beteiligungsformen notwendig. Darüber hinaus bin ich davon überzeugt, dass E-Partizipation auch die Möglichkeit bietet, Jugendlichen die Vorteile und die Bedeutung klassischer Formen der Partizipation wieder aufzuzeigen. Die Vision des Vereins Liquid Democracy ist eine demokratische Kultur, in der Mitgestaltung für jede und jeden selbstverständlich ist. In diesem Sinne sind sowohl klassische als auch neue Beteiligungsformen, Angebote im digitalen wie im analogen Bereich bedeutsam. Eine effektive und erfolgreiche Beteiligung ist am ehesten dann möglich, wenn die unterschiedlichen Werkzeuge miteinander verbunden werden.
Wie kann digitale Partizipation mit klassischen Beteiligungsformen verknüpft werden?
Digitale Partizipation und klassische Beteiligungsformen sollten nicht als sich gegenseitig ausschließende Elemente verstanden werden. Um eine wirklich gesellschaftlich inklusive Beteiligung zu ermöglichen, sind sowohl die digitalen als auch die klassischen Werkzeuge notwendig. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Die Einbindung der digitalen Elemente in ein analoges Verfahren (und umgekehrt) ist hierfür genauso wichtig wie die Übertragung der Informationen von dem einen Medium in das andere. Darüber hinaus ist der direkte Bezug des einen auf das andere empfehlenswert. Warum sollten bei Versammlungen, die beispielsweise über Bürgerhaushalte entscheiden, nicht direkt Vorschläge diskutiert werden, die online eingebracht wurden? Nur in ihrer Verknüpfung können sich die Potenziale beider Beteiligungsformen wirklich entfalten.
Immer wieder wird die Anfälligkeit digitaler Lösungen für Manipulation von außen kritisiert. Wie beurteilen Sie die die Sicherheit von E-Partizipation und welche konkreten Maßnahmen werden dagegen ergriffen?
Der Anfälligkeit für Manipulation von außen zu 100 Prozent entgegenzuwirken ist im digitalen wie auch im analogen Raum nicht möglich. Themen wie Wahlbetrug begleiten demokratische Prozesse kontinuierlich, da Wahlen quasi die Achillesferse von demokratischen Strukturen darstellen. Davon abgesehen gibt es natürlich Probleme, die sich speziell auf den digitalen Raum beziehen. Ein Beispiel: In einem Ideenwettbewerb sollte nach Einreichung der Vorschläge über die Ideen abgestimmt werden. Abstimmungsberechtigt waren alle Personen, die sich für den Wettbewerb angemeldet hatten. Problematisch waren dabei auf der einen Seite Teilnehmende, die sich mit mehreren Accounts angemeldet hatten, da diese mehrere Stimmen abgeben konnten. Auf der anderen Seite war es für technisch versierte Personen möglich, sogenannte Bots zu programmieren, die die mehrmalige Stimmabgabe für eine Person erlaubten. Als Reaktion hierauf wurde die Möglichkeit zur Abstimmung an weitere Bedingungen geknüpft: Eine Moderation und komplexere Verifizierungsverfahren wurden eingeführt. Trotz dieser Lösungsansätze bleiben Abstimmungen bei E-Partizipationsverfahren ein fragiles Thema. Aus diesem Grund wird derzeit viel geforscht und eruiert, ob sich Bürgerinnen und Bürger durch die Identifikation über ihren Personalausweis wie bei analogen Wahlen oder durch neue Technologien wie beispielsweise Blockchain auch online sicher beteiligen können. Für konkrete und bewährte Lösungsmöglichkeiten ist es derzeit allerdings noch zu früh. Darüber hinaus ist zu betonen, dass Abstimmungen in E-Partizipationsverfahren nur bedingt eine Rolle spielen. Die meisten Verfahren fokussieren sich primär auf das Einbringen und Austauschen von Vorschlägen und Ideen – sie spielen sich also im Vorfeld der Abstimmung und damit in einem Feld ab, das nicht so spektakulär aber mindestens ebenso bedeutsam ist. In diesem Kontext ist den meisten Institutionen daran gelegen, vor allem viele Teilnehmende anzusprechen. Anstatt den Zugang also zu erschweren und durch ein Verifikationsverfahren unter Umständen sicherer zu machen, wünschen sich viele von E-Partizipationsverfahren einen schnelleren und offeneren Zugang.
Hintergrundinformationen zum Interview
Gereon Rahnfeld ist Projektmanager und Vorstandsmitglied bei Externer Link: Liquid Democracy. Er betreut dort die Jugendbeteiligungsplattform Externer Link: OP!N und den Ideenwettbewerb Externer Link: Advocate Europe.
Links zum Weiterlesen:
Interner Link: Digitale Partizipation in der Schule
Externer Link: Partizipation 2.0
Interner Link: Digitale Politik und Partizipation: Möglichkeiten und Grenzen
Externer Link: Bundestagswahl 2017